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Updated: 18.12.2012 15:51
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Huelga - Greba - Streik

Interview zu den Arbeitskämpfen bei VW Iruñea und der Rolle kämpferischer Gewerkschaften

Bei VW in Iruñea (Pamplona) arbeiten heute etwa 4.000 Menschen. Obwohl VW die Gewerkschaften UGT und CC.OO (sozialdemokratisch bzw. Izquierda Unida nahe stehend) protegiert, ist die Gewerkschaftslinke im Betrieb stark. Die linksnationalistische LAB stellt mit 22% der Stimmen einen der beiden stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden, die ebenfalls oppositionelle CGT liegt bei 11%. LAB entstand noch während der Franco-Diktatur aus einer Fabrikrätebewegung. Sie steht der verbotenen Partei Batasuna nahe und gilt als klassenkämpferischste Gewerkschaft im Baskenland. Bemerkenswerterweise ist ihre Unterstützung auch auf Landesebene in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich gewachsen: von 4,5% auf heute etwa 16% der Beschäftigten.

Benito Uterga (54 Jahre, LAB-Delegierter bei VW) und Mikel Ansa (26, internationale Beziehung von LAB) waren im November auf Einladung der Antifaschistischen Linken Berlin und der VW-Betriebsgruppe Konfrontation - Für eine kämpferische Betriebspolitik auf Rundreise durch mehrere Städte in der BRD.

ak: Ihr habt in Iruñea 2005/06 über Monate einen Arbeitskampf geführt, der auch außerhalb des Betriebs zu spüren war. Diesen Kampf musstet ihr gegen die Betriebsratsmehrheit organisieren und habt trotzdem breite Unterstützung in der Belegschaft bekommen. Wie war das?

Uterga: Die Betriebsratsmehrheit von UGT und CC.OO handelte vor zwei Jahren mit VW einen Lohnverlust aus - ohne Billigung der Belegschaft. LAB rief daraufhin mehrere Monate lang zu 20-minütigen Streiks an jedem zweiten Arbeitstag auf. Diese Aktionen haben die Stimmung im Betrieb politisiert und die anderen Gewerkschaften gezwungen, gemeinsam mit uns eine Plattform gegen die Flexibilisierungs- und Stellenabbaupolitik von VW aufzustellen. Nach langem Hin und Her - LAB und CGT wollten die 35-Stundenwoche durchsetzen, UGT und CC.OO dem Unternehmen weitere Zugeständnisse machen - haben wir für April 2006 einen gemeinsam getragenen Streik vorbereitet. Doch kurz davor hat sich UGT - wieder ohne Wissen der Belegschaft - mit VW geeinigt. Wir haben den unbefristeten Streik daraufhin abgeblasen, aber weiter zu Aktionen mobilisiert, die zur Überraschung von UGT und VW von der Mehrheit der einfachen UGT-Mitglieder mitgetragen wurden.

CC.OO und UGT sind daraufhin nach Deutschland gereist und haben mit VW noch eine zweite Einigung erzielt. Der Belegschaft wurden schließlich nur zwei Vorschläge zur Abstimmung vorgelegt - die beiden mit VW erzielten Vereinbarungen. Dennoch war es ein wichtiger Arbeitskampf: Trotz des massiven politischen Drucks haben sich große Teile der Belegschaft an den Auseinandersetzungen beteiligt und regelmäßig auf Vollversammlungen diskutiert. Und es gab die größten Arbeiterdemonstrationen in Iruñea seit 20, 25 Jahren.

VW hat mit der Verlagerung der Produktion nach Brüssel und Bratislava gedroht. Es heißt allerdings auch, ihr wärt relativ wichtig für den Konzern, weil ihr den Polo herstellt.

Uterga: Wie wichtig man für das Unternehmen ist, weiß man nie genau. Aber für uns ist klar, dass wir uns nicht mit Standortargumenten erpressen lassen dürfen. VW macht überall Gewinn - in Iruñea, Brüssel, Bratislava, Wolfsburg und China. Wir hingegen profitieren nur, wenn wir einigermaßen lebenswerte Arbeitsbedingungen verteidigen. Wenn wir das aufgeben, um einen Standort zu halten, verlieren wir alles. Unser Interesse als Arbeiter besteht schließlich nicht darin, in Iruñea mehr Autos herzustellen. Unser Interesse ist es, die Arbeitszeit zu reduzieren und akzeptable Lebensbedingungen zu verteidigen. Und zwar gemeinsam mit den Kollegen in Brüssel, Bratislava oder wo auch immer.

Wie stellt sich die IG Metall aus eurer Sicht dar? Bei VW ist sie über die Mitbestimmung ja Teil der Konzernleitung. Und wie seht ihr den VW-Gesamtbetriebsrat?

Uterga: Aus unserer Perspektive ist die IG Metall tatsächlich Teil der Unternehmensführung und somit für die Angriffe auf Arbeiterrechte mitverantwortlich. Wir wissen natürlich, dass es in der IG Metall auch andere Positionen gibt, und zu diesen Leuten suchen wir auch Kontakt. Aber bei VW identifiziert sich die Gewerkschaft eindeutig stärker mit dem Konzern als mit den Arbeitern in anderen Ländern.

Etwas Ähnliches muss man auch über den Europa- und Weltbetriebsrat sagen: In diesen Gremien sitzen ausgewählte Gewerkschaften - wir dürfen z.B. nicht teilnehmen, obwohl wir genauso viele Stimmen haben wie CC.OO -, die dort Direktiven von der Unternehmensleitung erhalten. Mit der eigentlichen Aufgaben eines solchen Gremiums, nämlich einen gemeinsamen Widerstand gegen de Konzern zu organisieren, hat das nichts zu tun.

LAB kommt ursprünglich aus einer basisdemokratischen Fabrikrätebewegung. Stellt sich für euch das Problem der Bürokratisierung heute nicht auch?

Ansa: LAB entwickelte sich während der Franco-Diktatur als Antwort auf die offiziellen, vertikalen Gewerkschaften des Franquismus. In den 1960er Jahren entstanden überall im spanischen Staat autonome Arbeiterversammlungen, LAB wurde 1974 als Koordination linksnationalistischer Betriebsversammlungen gegründet. Drei Jahre später haben wir uns als Gewerkschaft konstituiert.

Um eine Bürokratisierung von LAB zu verhindern, messen wir dem Versammlungsprinzip und der internen Demokratie weiter große Bedeutung bei. Noch entscheidender ist aber vielleicht, dass die Gewerkschaft für uns nur ein Mittel zum Zweck ist: zur Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen, zur Durchsetzung von demokratischen Rechten, von Unabhängigkeit und Sozialismus. Für die meisten europäischen Gewerkschaften ist die Organisation dagegen zu einem Selbstzweck geworden. Sie wollen Mitglieder gewinnen und Strukturen stärken, ohne das mit einem gesellschaftlichen Alternativprojekt zu verbinden.

Uterga: Die großen spanischen Gewerkschaften werden immer mehr zu Dienstleistungsapparaten. In Navarra lassen sich CC.OO und UGT ihre unternehmerfreundliche Politik von der rechten Regionalregierung durch Bauland vergüten, das dann den Mitgliedern zur Verfügung gestellt wird. So werden die Gewerkschaften in Machtstrukturen eingebunden und stellen sozialen Frieden her. Dabei zeigt sich eine bemerkenswerte Parallele: Im Betrieb versuchen diese Gewerkschaften, Arbeitskämpfe zu verhindern, im baskisch-spanischen Konflikt positionieren sie sich auf der Seite der spanischen Rechten, die Navarra vom Baskenland abtrennen und eine demokratische Lösung verhindern möchte.

Das ist nicht ganz leicht zu verstehen: Ihr beansprucht einen Klassenstandpunkt, verteidigt gleichzeitig aber auch das nationale Anliegen als Basken. Vor allem in Iruñea und Bilbao gibt es immer mehr afrikanische und lateinamerikanische Einwanderer. Ihr versteht euch auch als Organisation für diese Leute. Aber wie kann man sie erreichen, wenn man die Bedeutung der baskischen Frage ständig betont?

Ansa: Immigranten gewerkschaftlich zu erreichen, ist erst mal deswegen schwer, weil sie fast immer in prekären und irregulären Arbeitsverhältnissen stecken. Aber wir haben trotzdem auch positive Erfahrungen gesammelt, z.B. mit den Fischern in Ondarroa. Viele von den Leuten, die auf den Fischerbooten dort arbeiten, sind Afrikaner. Wir haben Aktionen dort gemacht und Rechtsberatung angeboten, um den Sklavenhalter-Verhältnissen etwas entgegen zu setzen. Das hat die Situation öffentlich gemacht und einigen Unternehmern enormen Schwierigkeiten bereitet. [1]

Uterga: Man muss, glaube ich, verstehen, dass wir uns als Teil eines unterdrückten Volks betrachten, dem kulturelle und politische Grundrechte verweigert werden. In diesem Sinn sind wir abertzale, also "patriotisch". Das bedeutet aber nicht, dass wir uns abgrenzen würden. In unserem Nationenbegriff spielt Herkunft keine Rolle. Alle Menschen, die hier leben, sind für uns Basken - und zwar nicht erst seit heute. In den 1950er und 1960er Jahren hat der kapitalistische Ausbeutungsprozess Hunderttausende Arbeiter aus Andalusien und Galizien ins Baskenland gebracht. Viele von ihnen sind Teil der linken Unabhängigkeitsbewegung geworden. Für die Einwanderer von heute gilt das Gleiche. LAB verteidigt die Rechte von allen, die von ihrer Arbeit leben müssen.

Was würdet ihr als die Prinzipien von LAB bezeichnen? Worin unterscheidet ihr euch von anderen Gewerkschaften?

Ansa: LAB ist eine sozio-politische Gewerkschaft. Das heißt, wir treten nicht nur für unsere Mitglieder ein, sondern arbeiten am Aufbau eines souveränen und gesellschaftlich anders organisierten Baskenlands. Unabhängigkeit und soziale Befreiung gehen für uns in diesem Sinne miteinander einher.

Wir positionieren uns im baskisch-spanischen Konflikt: solidarisieren uns mit den politischen Gefangenen, fördern die baskische Sprache, schaffen Strukturen, die die Unabhängigkeit des Baskenlands ermöglichen. Gleichzeitig füllen wir diese Ansätze mit sozialen Alternativen. Als Beispiel könnte man die Entwicklungs- und Infrastrukturpolitik nennen. Die christdemokratische Regionalregierung im Baskenland und die Rechtsregierung in Navarra haben in den letzten Jahre riesige Großprojekte durchgesetzt: die Umstrukturierung in Bilbao, den Staudamm von Itoiz oder jetzt den Hochgeschwindigkeitszug TAV. Wir sehen, dass diese Projekte nur ein paar Konzernen, nicht aber den Menschen nützen, und organisieren deshalb gemeinsam mit sozialen Bewegungen Widerstand gegen die Projekte.

Wenn wir uns für eine baskische Bildungs-, Infrastruktur- oder Gesundheitspolitik einsetzen, dann heißt das auch immer: für eine alternative Politik, die das kapitalistische Paradigma in Frage stellt. Gegen den Hochgeschwindigkeitszug heißt für einen "sozialen Zug", der für alle bezahlbar ist und sich nicht an den Interessen der Geschäftsreisenden orientiert.

Außerdem stellen wir uns als Gewerkschaft stärker als andere dem Problem der Prekarisierung. Vor allem Jugendliche und Frauen arbeiten heute in ständig fluktuierenden Beschäftigungsverhältnissen. Um dem etwas entgegenzusetzen, müssen soziale Bewegungen und Gewerkschaften zusammenarbeiten und sich Aktionen inner- und außerhalb von Betrieben ergänzen.

Uterga: Für mich ist LAB v.a. eine Klassenorganisation. Wenn du von sozialen Gegensätzen ausgehst, hast du zwangsläufig ein konfliktives Verhältnis zu Unternehmen und Regierung. Ich glaube, dieser Punkt unterscheidet uns am stärksten von den meisten europäischen Gewerkschaften.

Klingt die Forderung nach einer politischen, revolutionären Gewerkschaftsarbeit nicht reichlich abgedroschen? Hat der Begriff trotzdem noch eine Bedeutung?

Uterga: Sicher. Wenn du dich als Gewerkschafter konsequent auf der Seite von Ausgebeuteten und Unterdrückten siehst, musst du eine grundsätzlich andere Gesellschaft anstreben.

Eine der wichtigsten sozialen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahren im Baskenland war die Kampagne gegen Zeitarbeitsfirmen.

Ansa: Die Kampagne ging von (der mittlerweile verbotenen Jugendorganisation) Jarrai aus und setzte sich zum Ziel, die Expansion von Zeitarbeitsfirmen zu stoppen. Die Zeitarbeit war noch von der letzten PSOE-Regierung legalisiert worden - mit Unterstützung von UGT und CC.OO.

Die Kampagne hat das ganze Baskenland von unten erreicht, mit Aktionen in Nachbarschaften und Dörfern. Jugendzentren, Schüler- und Studentenvertretungen, aber auch die Jugendorganisationen von Izquierda Unida und der anarchistischen CNT haben - trotz des Widerstands ihrer Mutterorganisationen - mit Jarrai zusammengearbeitet. Die Aktionsformen waren sehr unterschiedlich: Manche haben Flugblätter verteilt, andere Kundgebungen vor den Firmen organisiert, wieder andere illegale direkte Aktionen gegen diese Firmen gemacht. Als Ergebnis mussten viele Zeitarbeitsfirmen ihre Büros aufgeben oder sich zumindest unsichtbar machen.

Ich glaube, das war das wichtigste an der Kampagne: Wir haben gesehen, dass sich etwas durchsetzen lässt, dass man dem Kapitalismus Grenzen setzen kann - auch wenn man die Welt dadurch nicht grundsätzlich verändert. Und es war eine gemeinsame Kampagne von Jugendbewegungen und Gewerkschaft. LAB und Jugendorganisationen haben sich damals zum Ziel gesetzt, strategisch zusammenzuarbeiten. Dass ich heute bei LAB bin, ist ein bisschen ein Ergebnis davon. Ich habe die Kampagne damals noch bei Jarrai mitgemacht.

Interview: Raul Zelik

Anmerkung:

1) Anders als in Deutschland müssen illegal Beschäftigte bisher keine Abschiebung befürchten. Öffentliche Aktionen gegen diese Arbeitsverhältnisse durch Gewerkschaften gefährden daher die Betroffenen nicht.

Erschienen in ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 511 / 17.11.2006


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