Home > Branchen > Toyota > Parker
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

»Go South« oder: Überall kann Süden sein

Im Zuge der Krise bei den ›deutschen‹ Autokonzernen DC, Opel und VW wird immer wieder auf die Erfolge japanischer und koreanischer Hersteller verwiesen. Auch wenn Mitsubishi dabei nicht ganz ins Bild passt: Honda, Mazda, Hyundai und Nissan konnten ihre Absatzzahlen deutlich steigern, Toyota liegt mittlerweile auf Platz 2 der führenden Automobilproduzenten. Grund genug, sich die Strategien jenes Konzerns genauer anzusehen, dessen Produktionssystem und Arbeitsorganisation namensgebend und schon früh zum Inbegriff von Lean Production wurden. Ein wesentliches Erfolgselement dieses Systems liegt darin, Arbeitsbeziehungen herzustellen, in denen die Bindung an das Unternehmen unter Umgehung gewerkschaftlicher Interessenvertretungen erfolgt. Der Süden der USA ist Musterbeispiel und zugleich Laboratorium für die Entwicklung solcher Verhältnisse, insofern hier die »right to work«-Gesetzgebung – d.h. u.a. das Verbot gewerkschaftlich organisierter »closed shops« – jede Form kollektiver Interessenvertretung extrem erschwert und somit ›optimale Standort-Bedingungen‹ bietet.
Asiatische und europäische Unternehmen haben dort mittlerweile zehn Produktionsstandorte, an denen insgesamt fast 50000 Leute beschäftigt sind – alle nicht gewerkschaftlich organisiert. In einem von ihnen, dem Toyota-Werk in Georgetown, Kentucky, versucht die UAW seit einiger Zeit, dies zu ändern. Die dortige Organisierungskampagne ist in der heißen Phase angelangt, Ende November sollen dort die »Unterstützungskarten« ausgezählt werden, mit denen die Beschäftigten dokumentieren, ob sie im Betrieb eine gewerkschaftliche Vertretung wünschen. Wir haben drei Berichte übersetzt*, die sich mit einigen Besonderheiten des Toyotismus, den Widerständen bei der Organisierungskampagne und deren strategischer Notwendigkeit auseinandersetzen.

* Die Übersetzungen (04101115/17/18) basieren jeweils auf den unter <www.labornotes.org externer Link> erschienenen Langfassungen der Beiträge aus der Print-Ausgabe von Labor Notes, September 2004


»Oberste Priorität«

Mike Parker* zur strategischen Bedeutung der Organisierung bei Toyota

Die Zukunft der Arbeiterbewegung hängt von den freiwilligen gewerkschaftlichen »Organizern« bei Toyota und von Arbeitern wie ihnen in einer wachsenden Zahl von gewerkschaftsfreien Autofabriken ab.
Langfristig werden die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter weder ihre Löhne noch ihre Sozialleistungen und ihren Arbeitsplatz halten können, wenn die Schrittmacher der Autoindustrie gewerkschaftlich unorganisiert bleiben. Im Moment bieten japanisch geführte Betriebe hohe Löhne, um im Gegenzug die Gewerkschaften aus den Betrieben draußen zu halten. Aber diese Löhne werden sinken, wenn der gewerkschaftlich organisierte Teil in der Autoindustrie schwächer wird und weniger Druck erzeugen kann. Die gewerkschaftlich organisierten Unternehmen werden Toyota folgen und die Löhne senken. Dies wird wiederum die Löhne und Arbeitsbedingungen zunächst in der verarbeitenden Industrie und in Folge im Dienstleistungsbereich nach unten drücken.
Egal, wie stark die UAW im Moment noch bei den Big Three (DaimlerChrysler, Ford und General Motors, Anm. d. Ü.) sein mag, sie wird ihre Macht verlieren, wenn sich die Produkte der gewerkschaftlich organisierten Betriebe nicht mehr verkaufen lassen. Die letztendliche Verantwortung dafür mag durchaus beim Management liegen – das das Design, den Produktionsprozess, die Qualität und die Marketingstrategien bestimmt –, doch Fakt ist, dass zurückgehende Verkaufszahlen Einfluss haben werden auf die Stärke der Gewerkschaften.
Die Automobil-Unternehmen in asiatischem Besitz beherrschen gut ein Drittel des US-Marktes, wenn man die Importe und die Autos, die sie in den Vereinigten Staaten produzieren, zusammenrechnet. Dieser Anteil wächst um etwa zwei Prozent pro Jahr und ist inzwischen groß genug, um einen deutlichen Einfluss auf die Preise und den Markt ausüben zu können. Ein noch größerer Einfluss wird den ohnehin schon starken Druck, Konzessionen machen zu müssen, intensivieren und die Gewerkschaft weiter schwächen.

Wettbewerbsvorteil: »frei von Regeln«

Die nicht gewerkschaftlich organisierten »transplants« (Produktionswerke ausländischer Hersteller; Anm. d. Red.) in der Industrie haben eine Reihe bedenklicher Vorzüge. Die Zeitschrift Business Week schätzt, dass Toyota alleine wegen der Unterschiede in der Rentenversicherung gegenüber General Motors einen Kostenvorteil von 1500 US-$ pro Auto hat.
Zum Teil ist dies ein Resultat der jüngeren Belegschaften in diesen Werken. Doch zum großen Teil beruht dies auf der ungleich größeren Möglichkeit von gewerkschaftlich organisierten Arbeitern, sich einer Entlassung vor Erreichen der Altersgrenze zu widersetzen.
Ein weiterer Faktor sind die Sozialleistungen selbst. Die Sozialbestimmungen in den von der UAW organisierten Betrieben bieten zwar mehr Sicherheit, aber sie kosten die Unternehmen deutlich mehr.
Toyota erreicht weitere Einsparungen dadurch, dass es »frei« ist von gewerkschaftlichen Arbeitsregeln, von Outsourcing-Beschränkungen und Programmen zu Arbeitssicherheit und Unfallschutz. Ohne dass sich eine Gewerkschaft wehrt und für die menschliche Würde kämpft, unterliegt Toyota nur geringen Einschränkungen, wenn es darum geht, die Belegschaft ›auszupressen wie eine Zitrone‹.
Natürlich kosten gewerkschaftlich organisierte Arbeiter die Firmen mehr. Der entscheidende Punkt bei Gewerkschaften ist jedoch, dass sie das Management zwingen, die Bedürfnisse der Arbeiter Ernst zu nehmen, auch und gerade wenn diese grundlegend verletzt werden.

»Benchmark Toyota«

Der Druck, die Belegschaft zu verkleinern, die Sozialleistungen abzubauen und die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, ist nicht nur das Resultat wie auch immer gearteter Marktkonkurrenz. Das Toyota-Produk-tions-System ist vielmehr ein Prototyp für das US-Management, Toyota ist die »Benchmark«. Zeitschriftenartikel wie: »Führung lernen bei Toyota« und »Die DNA des Produktionssystems bei Toyota«, die kürzlich in der Harvard Business Review erschienen sind, sind Pflichtlektüre beim Chrysler-Management.
Die Autoindustrie ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die brutale Wahrheit: »Organisieren oder sterben«. Es zeigt auch deutlich, dass es nicht reicht, einfach nur eine möglichst große Zahl von Leuten zu organisieren. Die Arbeiterbewegung muss vielmehr die führenden Unternehmen in jedem Sektor organisieren, oder sie wird den jeweiligen Sektor ganz verlieren. (...)

 

* Mike Parker ist Elektriker bei DaimlerChrysler, langjähriger Autor von Labor Notes und Co-Autor mehrerer Bücher über Lean Production. Zuletzt von ihm erschienen: »Democracy is Power. Rebuilding the Unions from the Bottom Up« (gemeinsam mit Martha Gruelle; alle Publikationen zu beziehen über: labornotes@labornotes.org; www.labornotes.org externer Link).

Übersetzung: Nadja Rakowitz, Jörg Waschatz, Kirsten Huckenbeck


Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 10-11/04


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang