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Updated: 18.12.2012 15:51
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"Wir müssen bleiben" - nicht Opel

Gaston Kirsche* im Gespräch mit Wolfgang Schaumberg

Opel wird gerettet, Arcandor nicht - interessant ist nicht nur, welche Unternehmen der sog. "Realwirtschaft" von der Bundesregierung mit Bürgschaften, Krediten oder Subventionen unterstützt werden und welche nicht, sondern auch, warum sich die parlamentarische und außerparlamentarische Linke gerade an Opel hängt. Das Dilemma der Bundesregierung reproduziert sich in den Debatten der Linken: Warum nicht Porsche, Daimler, Fiat oder eben Arcandor? Und warum überhaupt eine Rettung? An guten Ratschlägen für die Bundesregierung und die Opelaner herrscht jedenfalls kein Mangel: Von der "Verstaatlichung mit öffentlicher Kontrolle" (Die Linke) über eine "europaweite Besetzung der Betriebe" (Winfried Wolf), die Gründung eines "weltweiten Automobilarbeiterverbunds" (Karl-Heinz Roth), die Konversion der Astra-, Omega-, Zafira- und Insignia-Produktion (Attac) bis zur Parole "Kapitalismus muss weg" (Die Linke in der Linken) reicht das Spektrum.

Wolfgang Schaumberg, 30 Jahre lang Lagerarbeiter bei Opel und aktiv in der Belegschaftsgruppe "Gegenwehr ohne Grenzen", beschreibt in dem folgenden Interview mit Gaston Kirsche die aktuellen gewerkschaftspolitischen Krisenlösungsstrategien und diskutiert die vorgeschlagenen Lösungsstrategien - in ihrer Perspektive jenseits der Phrasen.

Gaston Kirsche: Hat der Verkauf an Magna und Sberbank schon Auswirkungen für die Beschäftigten?

Wolfgang Schaumberg: Nein. Der Großteil der Belegschaft ist nach wie vor in Kurzarbeit, auch wenn bestimmte Bereiche, in denen für andere Werke mitproduziert wird, von der Kurzarbeit ausgenommen sind. Aber die Debatte ist angeheizt durch neue Verzichtsforderungen.

Um welche Forderungen geht es?

Wolfgang Schaumberg: Aktuell geht es um einen seltsamen Aktienfonds, durch den die Belegschaften einen Anteil von zehn Prozent an Opel aufbringen sollen - insgesamt geht es dabei um eine Milliarde Euro. Die Summe soll etwa durch den Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie die tariflich vereinbarte vierprozentige Lohnerhöhung aufgebracht werden - und durch weiteren Belegschaftsabbau. Dieser Aktienfonds soll vom Betriebsrat und der IG Metall verwaltet werden. Um dieses Geld zusammenzubekommen, wird der Belegschaft in Bochum von der Betriebsratsmehrheit beigebracht, dass die Beschäftigten an anderen Standorten schon ihre Zustimmung signalisiert hätten. Es heißt auch, dass Opel Bochum erneut von Schließung bedroht wäre, wenn man da nicht mitmache. Schließlich habe auch der Gesamtbetriebsrat bereits zugestimmt.

Sollen der BR und die Gewerkschaft dann auf Dauer einen zehnprozentigen Anteil von Opel-Aktien verwalten?

Wolfgang Schaumberg: Ja, aber es ist noch nicht wirklich klar, ob das bisherige Modell, in dem dieser Aktienfonds vorgesehen ist, mit dem Aufkauf durch Magna wirklich zum Tragen kommt. Klar ist, dass die Gewerkschaftsbürokratie die Regie übernehmen wird. Diese Aktienbeteiligung wäre ein weiterer Schritt, um die Menschen in die Konkurrenz, in die Wettbewerbszwänge reinzuholen - und damit auch ein Schritt dahin, dass sich die Beschäftigten womöglich noch selber gegenseitig treten, um vielleicht mal irgendwann etwas über diesen Aktienfonds zurückgezahlt zu bekommen.

Wird das hingenommen? In Bochum hat die IG Metall im April unter den Gewerkschaftsmitgliedern bei Opel über den Verzicht auf die tariflich vereinbarte Lohnerhöhung abstimmen lassen - wie ist die Abstimmung ausgefallen?

Wolfgang Schaumberg: Es gibt in der Belegschaft seit langem Opposition gegen das offizielle Gewerkschaftsvorgehen - etwa in Form der so genannten wilden Streiks im Jahr 2000 über sechs Schichten und im Oktober 2004 über elf Schichten. IG Metall-Führungsleute wie etwa der Bezirksleiter Oliver Burghardt wurden vor Kurzem bei uns in Bochum ausgepfiffen. Die Stimmung schwankt zur Zeit zwischen Wut und Verzweiflung: Man organisiert sich ja nicht in der Gewerkschaft, damit die dann den Verzicht durchzieht - es gibt in Bochum eine andere Vorstellung von Gewerkschaft.

In Rüsselsheim ist das anders, dort steht anscheinend die Mehrheit der Belegschaft hinter dem Verzichtskurs des BR, aber bei uns ist der sehr umstritten: Seit 1993 haben wir einen Verzichtsantrag nach dem anderen aufgedrückt bekommen. Damals waren wir noch 19.200 Beschäftigte in Bochum, jetzt sind wir nur noch 5.200. Mit jedem Verzicht gingen ein paar tausend Arbeitsplätze und auch Errungenschaften flöten. Da gibt es wenig Vertrauen, dass man mit Verzicht seine Zukunft retten könnte.

Typisch für die oppositionelle Stimmung in Bochum ist auch die Tatsache, dass nur hier die IGM die Beschäftigten persönlich über Verzichtsleistungen abstimmen lässt. Das sollte eigentlich überall so sein. Bei der Abstimmung über die Lohnerhöhung haben 40 Prozent gegen einen Verzicht gestimmt. Zu diesem Ergebnis muss man allerdings sagen, dass ein Teil der Leute die Abstimmungszettel leider nicht erhalten hatte. Darüber hinaus wurde vor der Abstimmung vertröstet, die Zustimmung zum Verzicht würde nur dann gültig, wenn es insgesamt ein Konzept für einen Neuanfang von Opel gebe. Selbst diejenigen, die zugestimmt haben, haben dies also für eine Formulierung getan, die immer noch die Hoffnung ließ, dass man das Geld vielleicht später noch bekommen könnte. Wir haben dagegen gesagt: Das Geld ist bei einer Pleite weg, und bei einer so genannten "Rettung" auch - wenn die denn zustande käme. Doch immerhin 900 Mitglieder haben glatt nein gesagt. Das sind diejenigen, die auf diesen Verzichtskurs wirklich keine Hoffnung mehr setzen.

Der Auftritt von Kanzlerin Merkel auf der Betriebsversammlung im Werk Rüsselsheim wirkte so, als ob die Beschäftigten dort sich auf die Lösung der Opelkrise durch staatliche Institutionen verlassen. Täuscht der Eindruck?

Wolfgang Schaumberg: Zur Stimmung in der Rüsselsheimer Belegschaft wage ich nicht, mich jetzt zu äußern. Für Rüsselsheim muss man im Auge behalten, dass von den dort 16.000 Beschäftigten nur 5.000 Arbeiter sind, der Rest sind Angestellte. Das ist eine etwas andere Belegschaftszusammensetzung. Es herrscht eine andere Atmosphäre, eine andere Tradition in Rüsselsheim - in den Betriebsratsinfos werden die Leute z.B. mit "Sie" angeredet.

Aber trotzdem: Anfang Juni hatte der Ministerpräsident von NRW Rüttgers auch in Bochum gesprochen und erklärt, es gebe keine Werksschließungen, keine betriebsbedingten Kündigungen. Dafür hat er Beifall bekommen. Die Leute hier trauen dem Braten zwar nicht ganz, aber ein Politiker, der so etwas verspricht, der nimmt Vielen erst mal einen gewissen Ballast von der Seele.

Gibt es eine Solidarität zwischen den verschiedenen Opel-Standorten, oder kämpft jede Belegschaft für sich?

Wolfgang Schaumberg: Letzteres. Beim letzten Streik 2004 beispielsweise war es für uns sehr schwierig, dass die Bochumer Opel-Belegschaft alleine blieb mit ihrer Streikaktion. Es gab zwar eine unglaublich breite Solidarität aus der Bevölkerung hier in Bochum und Umgebung, aber es gab keine Unterstützung durch die anderen Belegschaften. Wir haben in den Betriebsräten der Großbetriebe, auch bei VW, Daimler oder anderen, mehrheitlich Leute, die sich deutlich und auch aggressiv zum Co-Management bekennen. Deren Losung ist: Wir sind hier gewählt worden, wir müssen hier die Belegschaft vertreten. Jeder übergreifende gewerkschaftliche Standpunkt wird mit einer Handbewegung weggewischt. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz hat das so ausgedrückt: "Ich bin an erster Stelle Opel-Betriebsrat und erst an zweiter Stelle Gewerkschafter." Im Rahmen dieser internalisierten Konkurrenzideologie gilt, dass man erstmal darauf achten müsse, dass der eigene Laden durchkomme. Das ist für das Selbstverständnis der Mehrheit des Betriebsrates in Bochum genauso wie an den anderen Standorten kennzeichnend. Entsprechend herrscht zwischen dem Betriebsratschef von Opel Antwerpen und Klaus Franz in Rüsselsheim und Rainer Einenkel in Bochum eine ziemlich üble Konkurrenz.

Warum ist hierzulande so wenig von der Gesamtheit der Opel-Beschäftigten in Europa die Rede: Von 55.000 Beschäftigten arbeitet ja fast die Hälfte in Werken in Spanien, England, Schweden, Polen, Belgien, Österreich und Frankreich?

Wolfgang Schaumberg: Klaus Franz ist nicht nur Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates in Deutschland, sondern auch des Euro-Betriebsrates. Öffentlich wird er als vorbildlicher Organisator europäischer Solidarität dargestellt. Es heißt immer, kein Werk in Deutschland werde geschlossen, und das gelte auch für ganz Europa. Aber die Devise, unter der diese Gemeinsamkeit organisiert wird, lautet bei Klaus Franz: "Geteiltes Leid ist halbes Leid." Er will damit vermeiden, dass eine Belegschaft besonders blutet - und die anderen erleichtert sind. Die IG Metall hat das auf einem Flugblatt, das hier vor ein paar Tagen verteilt wurde, so ausgedrückt: "Faire Lastenverteilung!" Akzeptiert wird dabei die Annahme, dass im Rahmen des weltweiten Konkurrenzkampfes auch Opel bzw. GM Kostensenkungspläne durchziehen muss, ansonsten könne das Unternehmen auf dem Markt nicht überleben. Diese regulierte Leid-Verteilung ist offizielle Linie der IG Metall, wenn es darum geht, "Solidarität" zu organisieren. Im Endeffekt ist das eine Solidarität im Interesse der Aktionäre, der Besitzer des Unternehmens, die auf diese Weise einen Betriebsrat auf ihrer Seite haben, der akzeptiert, dass man um Kostensenkungsprogramme nicht herum käme. Also wird das Leid verteilt.

Habt ihr mit Eurem Slogan "Gegenwehr ohne Grenzen" dagegen überhaupt eine Chance? Habt Ihr Kontakte in die Werke in anderen Ländern?

Wolfgang Schaumberg: Zur Zeit haben wir keine funktionierenden Kontakte zu den anderen Standorten. Das war mal anders. Der jetzige Vorsitzende des Antwerpener Betriebsrates z.B. war mit uns zusammen bei Vauxhall in Ellesmere Port, im Liverpooler Werk, um dort die Verbindung zu englischen Kollegen herzustellen. Damals war er begeistert von unserem Ansatz, sich zu vernetzen, doch mittlerweile ist auch er umgeschwenkt zu diesem aggressiven Co-Management. Wir haben seit 1981 viel versucht, um uns mit den Kollegen in anderen Werken zu vernetzen. Das war wichtig, uns untereinander besser kennen zu lernen, um uns gegenseitig zu informieren und besser gegen das General Motors-Management verteidigen zu können. Wir haben uns aber zu wenig um eine politische Debatte über unsere Vernetzungsziele gekümmert. Wir haben zu viel Wert gelegt auf den Kontakt zu Gewerkschaftsfunktionären, zu Betriebsräten - und zu wenig eine betriebsübergreifenden Debatte mit den Kollegen in den anderen Werken gesucht. Insofern ist aus unseren internationalen Kontakten keine lebendige Zusammenarbeit erwachsen bzw. geblieben. Insgesamt haben wir viel Lehrgeld bezahlt und waren enttäuscht, dass die Leute, mit denen wir in den anderen Werken Kontakt hatten, mit unserer Richtung von gewerkschaftlicher und politischer Arbeit nichts mehr zu tun haben wollten.

Mit Richtung meinst Du Interessenvertretung gegen die Kapitalinteressen statt Co-Management?

Wolfgang Schaumberg: Unsere Perspektive ist nicht die Interessenvertretung, sondern die Ermächtigung von Belegschaften, sich selbst ihrer Haut zu wehren. Das heißt auch, den Leuten immer wieder zu sagen: Verlasst Euch nicht auf ein paar gewählte Leute, mit einem Kreuzchen könnt ihr Euer Schicksal nicht in die eigene Hand nehmen. Das haben wir auch bei den Betriebsratswahlen vertreten: Ihr könnt uns nicht ankreuzen, wenn Ihr glaubt, wir könnten dann für Euch die Kohlen aus dem Feuer holen.

Für solche Positionen bekommt man weniger Stimmen, aber das ist die Wahrheit. Es ist sicher gut, wenn es ein paar Betriebsräte gibt, die aufklären und mobilisieren wollen. Aber entscheidend ist doch, ob man als Belegschaft zusammen in Erscheinung tritt. Genau das ist unbequem für die Leute, und das kennzeichnet auch unsere augenblickliche Schwäche. Denn viele sind, wie gesagt, resigniert und winken müde ab, wenn sie ›Gewerkschaft‹ hören. Hinzu kommt eine lange Tradition, sich dahinter zu verstecken, dass die Vertreter nicht richtig funktionieren. Es wird geschimpft auf die Gewerkschaft, den Betriebsrat, um sich das Hintertürchen aufzuhalten: "Unsereiner kann ja nix machen." Deshalb haben wir uns auch dafür eingesetzt, dass die Belegschaft selbst abstimmt, ob sie dem Verzicht auf die Lohnerhöhung zustimmt oder nicht. Anders kommen wir nicht in eine Debatte darüber, wie man so etwas massenhaft und wirksam ablehnt.

Könnt Ihr noch an die Erfahrungen aus dem letzten wilden Streik im Bochumer Werk anknüpfen, an die "Selbstermächtigung", die 2004 gegen den Willen der IG-Metall-Ortsverwaltung stattfand?

Wolfgang Schaumberg: Auch gegen den Willen der gesamten IG Metall-Führung und der Politiker - SPD-Führern und anderen - die gesagt haben: "Geht wieder arbeiten!" Damals stand die Drohung im Raum, dass Opel Bochum geschlossen, mindestens aber 4.000 Arbeitsplätze gestrichen werden sollten. Wir haben dann gefordert: "Keine Entlassungen". Das war ein Kampf gegen den Abbau der Belegschaft, dessen Ziel der Erhalt des Status Quo war. Nach den elf Schichten Streik gab es dann eine unsaubere Abstimmung, die manipuliert war, wodurch die Sache dann beendet wurde.

Wichtig war und ist bis heute, dass der Streik trotzdem als Erfolg erlebt wurde. Nicht nur, weil das Erlebnis selbst als eine Zeit der Würde und des Machtgefühls erfahren wurde, sondern auch weil die Beschäftigten begeistert waren über die Solidarität aus der Bevölkerung, einschließlich der Demo mit 25.000 TeilnehmerInnen hier in Bochum. Das hat Mut gemacht. Durch den wilden Streik wurde eine Abfindung in einer bis dahin unbekannten Höhe angeboten, um den Belegschaftsabbau durchzuziehen. Viele hatten 180.000, andere bis zu 240.000 Euro Abfindung und konnten sich nach der Entlassung damit und über die Zeit in der Auffanggesellschaft in die Rente retten. Insofern war der Streik aber auch dadurch beendet, dass alle nur noch zuhause am Tisch saßen und ausgerechnet haben, ob es reicht. Im Moment ist die Stimmung verhaltener: Von Managementseite wurden jetzt Abfindungen in Höhe von 70.000 Euro angedeutet. Das ist normal, denn die setzen erst mal unten an. Doch angesichts des finanziellen Desasters ist die Hoffnung derzeit nicht sehr groß, noch mal so hohe Abfindungen wie 2004 durchsetzen zu können.

Ihr benutzt den Slogan ›Wir zahlen nicht für Eure Krise‹ - was bedeutet das konkret?

Wolfgang Schaumberg: Das Motto heißt erstmal: Verzicht verweigern. Durch Verzicht kann zukünftige Beschäftigung nicht gesichert werden. Je weniger wir uns auf die Parole ›Opel muss bleiben‹ reduzieren lassen, je mehr wir Forderungen vertreten und Aktionen machen, die über den Betriebsrahmen hinausgehen, desto größer ist die Chance, dass sich andere Belegschaften oder Menschen Aktionen anschließen, die von Opel Bochum ausgehen. Desto größer ist auch die Chance, dass etwas in Gang kommt, vor dem die Herrschenden Schiss haben. So versuchen wir derzeit, den Blick auf die Krisenursachen insgesamt zu lenken. Mit der Vorstellung "Wir wollen weiter so arbeiten wie bisher", die jetzt von den einzelnen Belegschaften formuliert wird, kommt man angesichts der Tragweite dieser Krise nicht weit. Man kann nicht weiterhin bei Opel in Bochum jeden Tag 1.200 Autos produzieren wollen - es wird immer deutlicher, dass es keine Lösung ist, sich daran zu klammern. An diesem Punkt sehen wir uns bislang ziemlich alleine.

Allerdings spüren viele Leute im Betrieb auch, dass von dem, was die radikalere Linke zur Zeit empfiehlt, vieles naiv und widersprüchlich ist. Wir bekommen z.B. mit, dass bei der Abwicklung von General Motors die Regierungen der USA, Deutschlands und Russlands die Fäden in der Hand halten. Hier ist bereits eine Verstaatlichung in bisher unbekanntem Ausmaß im Gang. Viele Linke fordern jetzt eine Verstaatlichung mit öffentlicher Kontrolle. Doch was heißt diese ›öffentliche Kontrolle‹, und auf was bezieht sie sich? Im Grunde geht es um ein Modell zur Sozialisierung der Verluste und darum, die nächste Runde im krisenhaften Wachstum der Kapitalakkumulation anzukurbeln.

Problematisch ist auch die in letzter Zeit öfter zu lesende Forderung: "Ihr müsst jetzt den Betrieb besetzen!". Dabei wird gar nicht wahrgenommen, dass wir für solche kurzfristigen Aktionen hier und jetzt weder Klarheit über den Gegner noch über die Forderungen haben - außer der allgemeinen Parole "Verzichten wollen wir nicht mehr!" Wir haben zudem Kurzarbeit, so dass ein Großteil der Belegschaft zuhause ist.

Zur Zeit diskutieren wir also über das Problem, wie es gelingen könnte, dass sich andere Menschen mit uns zu Aktionen zusammenschließen. Winfried Wolf hat in seiner guten Kritik des aktuellen Opel-Abkommens geschrieben, die einzige Chance sei, dass die europäischen Opel-Belegschaften ihre Betriebe besetzen. [1] Und Karl-Heinz Roth, der einen langen Beitrag in der Wildcat hatte [2], meint, es müsse ein weltweiter Verbund der Automobil-Belegschaften her. Dazu sagen wir: Ja, wunderbar - aber dazu müssen wir uns erst mal mit dem Bewusstsein der Leute beschäftigen. Das ist schön gesagt, aber die Stimmung ist nicht so, die Verbindungen und die Organisation sind nicht so, dass so etwas klappen könnte. Man nimmt die Leute nicht ernst, wenn man nicht fragt, was sich in deren Köpfen abspielt. Woher kommt dieses Bewusstsein von Schwäche und mangelndem Selbstvertrauen bzw. Vertrauen darein, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen könnten? Das hat eine lange Tradition, entsprechend muss man genauer hinschauen, wenn es um den Versuch geht, das zu durchbrechen. Dazu gehört auch die Erfahrung der Bochumer Belegschaft, mit solchen Aktionen und solch einem Kurs meistens alleine geblieben zu sein.

Stoßt Ihr dann an Eure Grenzen, wenn ihr mit Eurer Parole der standortübergreifenden Solidarität woanders keinen Rückhalt habt?

Wolfgang Schaumberg: Genau das haben wir in unserem letzten GoG-Info u.a. angesprochen: Weltweit setzen die Führungen der großen Industriegewerkschaften zuerst auf die nationale Rettung ihrer nationalen Wirtschaft und ihrer eigenen jeweiligen Mitglieder. Der Finanzblase auf den Märkten entspricht eine riesige Solidaritätsblase über den Köpfen der Gewerkschaftsführungen. Das können wir kritisieren. Doch die Leute spüren, dass wir zwar ganz gute Gedanken haben, dass dahinter aber noch keine Macht steht. Das wäre sicher anders, wenn wir erleben könnten, dass die Bochumer Opel-Belegschaft bestimmte Schritte geht und sich dann auch andere Belegschaften anschließen. Wir schauen umgekehrt auch nach Aktionen anderer Belegschaften, an denen wir uns beteiligen können - zuletzt bei Nokia in Bochum. Als die Bude dort geschlossen wurde, gab es zwei Stunden Bandstillstand der Bochumer Opel-Belegschaft, die sich solidarisiert hat mit Nokia. Das Problem war aber, dass die Belegschaft dort überhaupt nicht gekämpft hat. Stattdessen gab es ein paar SprecherInnen, die alles schönredeten: Man müsse jetzt zeigen, dass man gut arbeiten könne. Die Belegschaft ließ sich einseifen und malochte weiter. Daraus folgte bei uns eine gewisse Resignation und ein Kopfschütteln über die Nokia-Belegschaft, in der es eben keinen Kern von Leuten gab, die für einen anderen Kurs gestanden und diesen auch umgesetzt hätten.

Die resignative Stimmung bei uns wird auch dadurch geschürt, dass bei uns Flugblätter auftauchen, in denen alles das kritisiert wird, was hier schlimm ist, und dass man das Kapitalismus nennt. Diese Anklagen enden dann mit solchen Sätzchen wie: "Der Kapitalismus muss weg", "Deshalb brauchen wir den echten Sozialismus" oder: "Deshalb brauchen wir eine grundsätzliche Alternative". Das sind Phrasen, und viele Beschäftigte fragen zurecht: "Was stellt ihr Euch darunter vor, wie soll das gehen, dass da nicht wieder eine neue Clique die Macht ergreift und uns fertig macht? Ihr habt eine Tradition in den Knochen, die ist auch nicht gerade hoffnungsweckend..." Die Leute spüren, dass ›die da oben‹ Chaoten sind, die nicht wissen, wo es lang gehen soll - aber auf unserer Seite, bei denen, die Alternativen ansprechen, da herrscht auch ein großes Durcheinander.

Was wäre ein Ansatz jenseits der Phrasen?

Wolfgang Schaumberg: Anknüpfend an die Parole "Wir wollen nicht für Eure Krise zahlen", die Linke jetzt auf die Straße tragen, läuft bei uns eine Debatte darüber, mit welchen Forderungen sich ein ›wir‹ erreichen lässt, Leute sich wiederfinden und auch eine gewisse Hoffnung entwickeln können, dass unsere Gegenwehr zu Angst und Zugeständnissen bei den Herrschenden führt. In diesem Sinne haben wir im GoG-Info geschrieben: "Wir müssen bleiben", statt ein Schild hochzuhalten: "Opel muss bleiben", "Nokia muss bleiben", "Karstadt" muss bleiben oder irgend so eine dumme Rüstungsfabrik soll bleiben. Nein, wir müssen uns davon lösen. Zufällig sind wir in unserem Leben in einer Autofabrik oder als VerkäuferIn bei Karstadt gelandet - weil man sich verkaufen muss, um Leben zu können. Wir kommen nicht darum herum, solche grundsätzlichen Überlegungen unter die Leute zu bringen. Gleichzeitig geht es darum, dass "wir", die von der Krise betroffen sind, einen langen Weg vor uns haben, um aus so einer Scheiße rauszukommen.

In Eurem GoG-Info schreibt Ihr, dass es nicht darum gehen könne, immer mehr Autos zu produzieren, dass es sinnvoller wäre, weniger zu arbeiten und den Öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Wollt Ihr auf diese Weise weg vom Produktionsfetisch?

Wolfgang Schaumberg: Diese Debatte versuchen wir, sehr vorsichtig unterzubringen, nicht so, wie das leider von GenossInnen hier auch oft gemacht wird, wenn sie behaupten: "Durch eine alternative Produktion werdet Ihr alle wieder Arbeit finden." So geht das nicht. Wenn wir Alternativen andiskutieren, dann kann man das gar nicht sinnvoll machen, ohne gleichzeitig eine massive Kürzung der Arbeitszeit mitzufordern. Nicht nur, um irgendwo Arbeit zu haben, sondern weil die Unvernunft unseres Verkehrssystems ein Teil der gesamten Unvernunft ist, die unser System kennzeichnet. Manche Leute erklären uns, dass wir jetzt eine alternative Produktion entwickeln müssten. Aber was soll das sein? Die meisten bei Opel arbeiten an den langen Bändern des Rohbaus, der Lackiererei, der Fertig- und Endmontage. Da kannst Du vielleicht noch mittelgroße Busse produzieren, für die es aber auch schon sehr viele Produktionsstätten auf der Erde gibt. Man könnte mit den Anlagen, die da stehen, vielleicht andere Motoren, andere Getriebe und Achsen bauen. Aber eine Umstellung auf öffentlichen Nahverkehr wäre in der Autoindustrie erst mal verbunden mit ganz viel Reduzierung von Arbeit. Insofern es sich um blödsinnige Arbeit handelt, ist das auch eine sinnvolle Reduzierung. Zudem ist es gut, mehr freie Zeit für alle zu haben. Eine Diskussion um Konversion von Produktion hat aber nur Sinn, wenn sie eingebettet ist in eine grundsätzliche Kritik an unserem ein paar hundert Jahre alten Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. So etwas kann man nur vorsichtig in die Debatte bringen, wenn man nicht die arrogante Haltung einnehmen will, dass die Leute blöde sind und nur ein paar Linke wüssten, wo es langgeht.

Vielen Dank für das Interview!

* Gaston Kirsche hat Drucker gelernt, Ethnologie studiert, arbeitet als Verlagsangestellter und freier Journalist, ist Mitglied der gruppe bricolage und lebt in Hamburg

Eine Kurzfassung dieses Interviews ist in der Jungle World, Nr. 26, vom 25. Juni 2009 erschienen.

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6/09


(1) Winfried Wolf: "Die sechs Sollbruchstellen der Opel-Lösung. Oder: Pfingsterleuchtung 2009 bei Kanzlerin und VW" pdf-Datei (Stand: 31. Mai 2009), online unter: www.labournet.de sowie ein Blogeintrag vom 22. Mai 2009 unter dem Titel "General Money Pleite", online unter: www.lunapark21.net/lunalog.html externer Link

(2) Karl-Heinz Roth: "Globale Krise - Globale Proletarisierung - Gegenperspektiven" (Stand: 21. Dezember 2008), online unter: www.wildcat-www.de/aktuell/a068_khroth_krise.htm externer Link


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