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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Fiat in Polen und Italien: Kämpferische Gewerkschaften im Visier - Die Gewerkschaften FIOM und August ’80 sind der Geschäftsleitung ein Dorn im Auge Artikel von Angela Klein, 24.1.2011, zuerst erschienen in der SoZ vom 03/2011 Die Übernahme von Chrysler 2009 hat die Fiat-Leitung zu einer grundlegenden Umstrukturierung des Konzerns veranlasst, in deren Gefolge sie auch die kämpferischen Gewerkschaften loswerden will. Ende Juli 1992 wollte die polnische Regierung das 1970 gegründete Autounternehmen FSM für’n Appel und ’n Ei an den italienischen Autokonzern Fiat verkaufen – nämlich für vier Monatslöhne je Beschäftigten. Im 1970 neu errichteten Werk Tychy war der Fiat 126p hergestellt worden. Die Arbeiter revoltierten gegen den Verkauf, man hatte ihnen was von Belegschaftsaktien erzählt, die sie nie zu Gesicht bekamen. Es kam zum Streik mit Betreibsbesetzung. Nach wenigen Tagen entschieden sich die damals im Unternehmen dominierenden Gewerkschaften Solidarnosc und OPZZ dafür, das Kaufangebot des Konzerns anzunehmen. Die Belegschaft wählte ein Streikkomitee; die Besetzung dauerte 56 Tage. Die Streikenden waren umzingelt von Polizei und von Nichtstreikenden, denen die unterzeichneten Gewerkschaften erklärt hatten, der Streik führe nur zur Auflösung des Werks und zur Entlassung von 26000 Beschäftigten. Zu den Streikenden gehörten damals auch Franciszek Gierot und Krzysztof Mordasiewicz, heute bei Fiat und Zulieferern die beiden führenden Sprecher von August ’80. Die unabhängige Gewerkschaft hat sich 1991 gegründet, weil sie gegen die Restauration des Kapitalismus und insbesondere gegen die Privatisierung der Betriebe war. Nach dem Streik von 1992 wurde August ’80 die stärkste Gewerkschaft bei Fiat Auto Poland und in den anderen, inzwischen ausgegliederten, Betrieben der ehemaligen FSM. «Wir konnten damals die Privatisierung des Unternehmens nicht verhindern», erklärte Krysztof Mordasiewicz auf einem Treffen polnischer und italienischer Automobilarbeiter am 5.Dezember in Turin, «aber wir haben den betrieblichen Gesundheitsdienst retten können sowie ein Erholungszentrum für die Beschäftigten – und wir haben in allen Werken der ehemaligen FSM (auch den ausgegliederten) Lohnerhöhungen durchsetzen können, die über dem Durchschnitt in der Metallbranche liegen». August ’80 hat auch die Machenschaften offen gelegt, die es Fiat damals ermöglicht haben, sich FSM unter den Nagel zu reißen. August ’80 hat versucht, ihre Position als stärkste Gewerkschaft in allen Betriebsteilen der ehemaligen FSM dafür einzusetzen, für den Produktionsverbund einen Flächentarif durchzusetzen. Krysztof Mordasiewicz beschreibt das Ergebnis so: «Sechs Jahre haben wir verhandelt, dann stand der Vertrag, aber dann haben die Unternehmer, die dagegen waren, den Unternehmerverband einfach verlassen und einen anderen gegründet. Die Unternehmer haben den von ihnen ausgehandelten Vertrag nicht unterschrieben. Hat das Marchionne vielleicht in Italien auf Gedanken gebracht?» Von Tychy nach Pomigliano… Das Werk Tychy ist mit einer Jahresproduktion von 640000 Autos das größte Werk von Fiat in Europa. Hier werden der Fiat Panda, der Fiat 500, 600 und auch der neue Ford Ka gebaut, der sich mit dem Fiat 500 die Plattform teilt. Die niedrigen Löhne und höhere Arbeitsproduktivität in Osteuropa sowie den Absatzrückgang von Fiat-Autos in Italien nahm Marchionne im Krisenjahr 2009 nicht nur zum Anlass, die kritische Masse an Autoproduktion von 1 Million pro Jahr durch Zukäufe anderer, ebenfalls maroder Autokonzerne zu erreichen. Er startete auch einen Generalangriff auf die Belegschaften, indem er versucht, sie gegeneinander auszuspielen. In erster Linie nahm er sich die italienischen Arbeiter vor: sie seien zu faul, ihr Krankenstand zu hoch, und sie würden jederzeit in den Streik treten, nur um eine Fußball-WM anzuschauen. Den Vergleich mit den polnischen Kollegen lassen die italienischen Gewerkschaften jedoch nicht gelten: Er hinkt, sagen sie, weil vor allem bei Mirafiori schon lange Kurzarbeit gefahren wird. Ende 2009 verkündete Marchionne die Schließung des Werks Termini Imerese, Sizilien, bis Ende 2011. 2010 folgte der Angriff auf Pomigliano d’Arco (bei Neapel): Die dortige Belegschaft setzte er vor die Alternative: Entweder es gibt einen neuen Vertrag, der vom Flächentarif nicht mehr gedeckt ist, oder der Betrieb wird dicht gemacht. Im Gegenzug versprach er, die Produktion des Panda aus Polen nach Pomigliano zu holen (ein besonders unsinniger Schritt, wenn man Marchionnes Argument ernst nimmt, in Polen werde besser, billiger und schneller gebaut). Der neue Vertrag sieht vor, das Werk Pomigliano in eine neue Gesellschaft auszugliedern, die nicht mehr Mitglied der Confindustria ist und sich nicht mehr an den Flächentarif gebunden fühlt. Die Zahl der Überstunden steigt von 40 auf 120; der Betrieb läuft in drei Schichten à acht Stunden, sechs Tage hintereinander. Die tägliche Pausenzeit wird von 40 auf 30 Minuten reduziert; die (drei) Karenztage werden nicht mehr bezahlt. Die Geschäftsleitung forderte die Belegschaft von Pomigliano zur Urabstimmung über den Vertrag auf. Die FIOM, Mehrheitsgewerkschaft in Pomigliano, weigerte sich – im Gegensatz zu den kleineren Gewerkschaften FIM und UILM – den Vertrag zu unterzeichnen. Bei der Abstimmung stimmten 63% der Beschäftigten mit Ja, 37% mit Nein. Die FIOM wertete das Ergebnis als Bestätigung für ihren Kurs. …nach Mirafiori… Ende 2010 setzte Fiat einen ähnlichen Vertrag dem Stammwerk Mirofiori in Turin vor die Nase (siehe SoZ 2/2011). Dieser Vertrag stellt eine nochmalige Verschärfung dar, weil er außer den Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen wie in Pomigliano eine Unwirksamkeitsklausel enthält: beim geringsten Verstoß auch eines einzelnen Arbeiters gegen eine seiner Bestimmungen ist der Unternehmer an nichts mehr gebunden. Das bedeutet die Außerkraftsetzung des Streikrechts und weitgehend auch des Kündigungsschutzes. Außerdem greift der Vertrag von Mirafiori in das Recht der Arbeiter auf freie Wahl ihrer Vertretung ein: Künftig werden die gewerkschaftlichen Vertreter im Betrieb nicht mehr gewählt, sondern von den Gewerkschaftsleitungen ernannt. Vorbild für die drastische Senkung der gewerkschaftlichen Rechte waren wohl die Verhandlungen, die GM und Chrysler 2009 mit der UAW geführt haben. Um «ihre Arbeitsplätze» zu retten, hat die UAW bis 2015 auf ihr Streikrecht verzichtet; die Belegschaften, die keine Alternative sahen, haben dem in einer Urabstimmung zugestimmt. …und zurück Während die italienischen Arbeiter mit der polnischen Produktivität geknebelt werden, ist der Versuch der Konzernleitung, die Arbeit auch in Polen stärker zu flexibilisieren, vorerst gescheitert. Die Mehrheitsgewerkschaft August ’80 hat sich geweigert, einen entsprechenden Vertrag zu unterschreiben. Das polnische Arbeitsgesetz fordert aber, dass Vertragsänderungen die Zustimmung der repräsentativen Gewerkschaften brauchen. Repräsentativ ist eine Gewerkschaft, wenn sie wenigstens 10% der Beschäftigten zu ihren Mitgliedern zählt. Die Geschäftsleitung hat deshalb eine regelrechte Kampagne gegen August ’80 begonnen; sie hat versucht, Arbeiter mit befristeten Verträgen gegen die «Unbefristeten» aufzuwiegeln, die angeblich nur auf ihre Pfründe schauen würden. Sie sollten aus August ’80 austreten, dann könnten vielleicht auch sie in den Genuss eines unbefristeten Vertrags kommen. Auch die Verlängerung des Arbeitsvertrags wird vom Austritt aus August ’80 abhängig gemacht. August ’80 soll damit unter die Marke von 10% gedrückt werden. Doch nur einige hundert haben dem Druck nachgegeben. Daraufhin kürzte die Geschäftsleitung das Weihnachtsgeld – August ’80 sei dafür verantwortlich! Die Beschäftigten werden außerdem gezwungen, bei Stillstandzeiten (z.B. wenn wegen Einführung eines neuen Modells die Bänder gestoppt werden) unbezahlten Urlaub nehmen. Neueingestellte müssen blanko Anträge auf unbezahlten Urlaub unterschreiben. Im Betrieb herrsche ein Klima der Angst, berichten die Vertreter von August ’80, auch das mittlere Management sei davon betroffen: mit Bangen sähen sie den morgendlichen Besprechungen entgegen. Ein Grund für diesen «Krieg gegen die Beschäftigten» (wie die Gewerkschaft es nennt) mag sein, dass der Konzern demnächst 1000 Leute entlassen will – das wäre logisch, will Fiat die Produktion des Panda doch nach Pomigliano verlegen, nachdem die Arbeiter dort unterschrieben haben, dass sie noch mehr Überstunden machen als in Polen! Die Abteilungsleiter wurden aufgefordert, jeden Beschäftigten in ihrer Abteilung zu bewerten. Die schwächsten 15% sollen die Noten 1–2, die mittleren 60% die Noten 3–4 und die besten 25% die Noten 5–6 erhalten. Die 15% wären 1000 Arbeiter – das ist genau die Anzahl derjenigen, die demnächst entlassen werden sollen. August ’80 hat all diese Vorfälle gesammelt und an die Ministerin für Arbeit und Soziales sowie an die Generalvertretung der Arbeitsschutzinspektion weiter geleitet. Sie hat auch die Arbeitsministerin eingeladen, sich ein Bild von der Situation im Betrieb zu machen; doch die Geschäftsleitung hat dies unterbunden, die Gewerkschaft dürfe nur Gewerkschaften einladen, die Ministerin müsse selbst um das Betreten des Betriebs ersuchen! Die Arbeitsschutzinspektion hat die Vorwürfe der Gewerkschaft bestätigt gefunden, Vorwürfe wie Mobbing, Erpressung und Drohungen fand sie bestätigt, sie hat dazu geraten, die Staatsanwaltschaft einzuschalten. |