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Updated: 18.12.2012 15:51
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Ja, Marchionne führt eine faschistische Betriebsverfassung ein

Artikel von Giorgio Cremaschi, Vorstandsmitglied der Fiom, vom 11.Januar 2011 auf der Webseite http://temi.repubblica.it/micromega-online/ externer Link

Übersetzung für das LabourNet Germany von Angela Klein. Wir danken!

Ist es wirklich angebracht, den Ton zu mäßigen und das Wort "Faschismus" nicht zu gebrauchen um zu beschreiben, was in Mirafiori, in Pomigliano, bei Fiat passiert? Viele haben im Gebrauch dieses Wortes eine Übertreibung gesehen. Aber wie, wollen wir scherzen? Das ist als wollte man sagen: Wer sich gegen den Vertrag von Mirafiori auflehnt, steht jenseits von Zeit und Geschichte.

Schauen wir uns konkret an, was in Mirafiori passieren wird, wenn der Vertrag umgesetzt wird. Abgesehen von schweren Beeinträchtigungen der Arbeitsbedingungen und aller ihrer Rechte, verlieren die Arbeiter ihre gewerkschaftliche Freiheit. Die einzigen Gewerkschaften, die offiziell im Betrieb zugelassen sein werden, sind diejenigen, die den Vertrag unterzeichnet haben, nur sie haben das Recht, eine gewerkschaftliche Vertretung zu benennen.

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Die Fiom und alle, die den Vertrag ablehnen, werden also aus der gewerkschaftlichen Vertretung ausgeschlossen sein; hinzu kommt, dass diese nicht mehr gewählt wird, sondern ernannt. Die Nähe dieses Vertrags zum Abkommen vom 2.Oktober 1925 im Palazzo Vidoni (Rom) hat für einen Skandal gesorgt. Damals haben der Ministerpräsident Mussolini, der Unternehmerverband Confindustria und die faschistischen nationalistischen und korporatistischen Gewerkschaften ihre Unterschrift darunter gesetzt, dass die von den Arbeitern gewählten betrieblichen Gewerkschaftsvertretungen abgeschafft und "Vertrauensleute" eingeführt würden, die von den Gewerkschaften ernannt würden, die das Abkommen unterzeichnet hatten.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Das ist der einzige Präzedenzfall, auf den man sich beziehen kann, wenn man den Vertrag von Mirafiori schon "historisch" nennen will. Die Opposition wird ausgeschaltet und jede reale Gewerkschaftsfreiheit unterbunden. Nicht nur wird es keine Wahlen mehr geben, die Arbeiter werden auch nicht mehr Mitglied der Fiom oder einer anderen Gewerkschaft sein können, die nicht unterzeichnet hat, und es wird keine freien Betriebsversammlungen mehr geben.

Wie soll man sowas nennen? Wenn ein Ministerpräsident beschließen würde, dass er das gewählte Parlament auflösen und die Opposition verbieten muss, damit ein ausgeglichener Haushalt zustande kommt - wie würden wir das nennen?

Aber man weiß ja, die Fabrik gilt als eine Welt für sich, die Regeln der Demokratie, so unumstößlich, wenn man vor den Werkstoren steht, werden alle zur Disposition gestellt, kaum hat man sie hinter sich gelassen. So kann selbst ein Referendum einen demokratischen Anstrich bekommen, das das Ende der gewerkschaftlichen Freiheiten bei Mirafiori besiegelt.

Wo findet man historische Präzedenzfälle für eine Befragung, von der man weiß, dass es die letzte sein wird? Wenn der Vertrag durchkommt und umgesetzt wird, wäre dies das letzte Mal, dass die Arbeiter wählen durften; sie würde für immer darauf verzichten, über ihre gewerkschaftliche Vertretung, über Abkommen, über Arbeitsbedingungen abzustimmen. Wie nennt man ein Votum für den Verzicht auf demokratische Rechte, der mit der Drohung des Arbeitsplatzverlustes erpresst wurde? Erinnert das nicht an die autoritären Plebiszite, mit denen viele Diktaturen demokratische Ordnungen aufgehoben haben?

Und da Marchionne das alles nicht reicht: Was soll man davon halten, dass im Falle eines Ja zum Vertrag die Arbeiter von Mirafiori einzeln entlassen und vom neuen Unternehmen nur dann eingestellt werden, wenn sie unterschreiben, dass sie mit allen ihnen aufgezwungenen Arbeitsbedingungen einverstanden sind und auf jeglichen Schutz und jede Gegenaktion verzichten werden - um den Preis ihrer Kündigung?

Es besteht kein Zweifel, das ist moderner Betriebsfaschismus. Man kann die Frage stellen, ob Italien eine Demokratie bleiben kann, wenn sich dies Regime an allen Arbeitsplätzen durchsetzen sollte.

Es wird behauptet, das sei das amerikanische Modell. Amerika ist eine große Demokratie, und bleibt eine solche, auch wenn in ihrer Fabriken Faschismus herrscht. Es ist aber angebracht daran zu erinnern, dass in den 30er Jahren der demokratische Präsident Roosevelt das autoritäre Regime von Henry Ford in den Fabriken für eine Form von Faschismus und eine Gefahr für die Demokratie hielt.

Man könnte dennoch meinen, die Drohung Marchionnes würde durch die Konflikte und Probleme abgeschliffen, die es in den USA gibt. In Italien ist dem aber nicht so: Wir sind ein Land, in dem das Regime Berlusconi seit fünfzehn Jahren die Demokratie zersetzt. Der Angriff Marchionnes auf die gewerkschaftlichen Freiheiten könnte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Darum geht es bei Fiat, und deshalb unterstützen heute soviele den Widerstand der Fiom, auch wenn sie mit der Metallbranche nichts zu tun haben.


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