Home > Branchen > Auto > DC > Argentinien > Deutsch > Geldwäsche
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Taz 3.7.04

"Wenn Sie das Geldwäsche nennen"

Bekannt ist, dass Nazigold in der Schweiz gelagert wurde. Aber wie es in die Bilanzen bundesdeutscher Unternehmen "zurückgeführt" wurde, lag bislang im Dunkeln. Nun lässt sich belegen: Das Nazivermögen wurde zum Teil über das Dreieck Zürich/Buenos Aires/Untertürkheim gewaschen und in den produktiven Kreislauf der deutschen Nachkriegswirtschaft integriert. Regie führte Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard. Ausführendes Unternehmen: Daimler Benz.

Eine Recherche von GABY WEBER *

Spätestens im Juni 1944 ist der Krieg für die Deutsche Wehrmacht verloren, die Alliierten sind in der Normandie gelandet. Die Machthaber des Tausendjährigen Reiches planen bereits die Zeit nach der Kapitulation. Im März 1944 hat Ludwig Erhard als Leiter des von der Reichsgruppe Industrie finanzierten Instituts für Industrieforschung ein "Programm für die Bearbeitung wirtschaftlicher Nachkriegsprobleme vom Standpunkt der Industrie" vorgelegt. Darin heißt es: "Die von den Fronten zurückkehrenden Soldaten müssen untergebracht, ein Arbeitslosenheer verhindert werden. Riesige Mengen Kapital werden notwendig sein, um Lebensmittel zu importieren."
Am 10. August 1944 planen die Größen der deutschen Industrie unter der Leitung von SS-Obergruppenführer Scheid im Straßburger Luxushotel Maison Rouge, wie sie ihr Vermögen verstecken können. Historiker wissen schon lange von dieser Konferenz, über die sich die Alliierten von einem Agenten des Deuxième Bureau informieren ließen. Eine Kopie des Protokolls gab mir das US-National Archive erst vor kurzem. Ein Auszug: "Allianzen mit ausländischen Unternehmen müssen gegründet werden, aber jede Firma für sich, um keinen Verdacht zu erregen. Die Industriellen müssen sich vorbereiten, um nach der Niederlage durch eine Exportoffensive neue deutsche Stärke zu erlangen. Sie werden die Nazi-Partei finanzieren müssen, die in den Untergrund gehen wird. Daher wird von jetzt an die Hitler-Regierung der Industrie große Summen zur Verfügung stellen, um nach dem Krieg im Ausland über eine sichere Grundlage zu verfügen. Sobald die Partei wieder die Kontrolle über Deutschland erhält, werden die Industriellen für ihre Anstrengung mit Konzessionen und Staatsaufträgen belohnt werden."

Systematisch werden Sachwerte und Vermögen in neutrale Länder geschafft. Vor allem die Baseler Handelsbank und die Schweizerische Kreditanstalt in Zürich sind behilflich. "Gegen eine Provision von fünf Prozent", verrät das Protokoll. Maschinen aus osteuropäischen Ländern, die der Roten Armee nicht in die Hände fallen sollen, werden demontiert und landen in Schweden, das offiziell neutral, aber deutschfreundlich ist. Das Gold wird in die Schweiz gebracht. Die Reichsmark, so das nahe liegende Kalkül, wird die Kapitulation nicht überleben. Am sichersten sind Schweizer Franken und US-Dollars. Denn nur diese Währungen sind keiner Devisenkontrolle unterworfen und weltweit frei handelbar. Das Nazivermögen wird über die deutschen Konzerne bei Schweizer Banken versteckt.

Im Mai 1945 ist der Krieg tatsächlich zu Ende, die Nazis gehen auf Tauchstation. Sie glauben, dass sie nur ein paar Jahre in ihrem Versteck ausharren müssen. Wenn sich die Siegermächte zurückziehen, werde der Weg für die NSDAP wieder frei. Doch ihre Rechnung geht nicht auf.
Ende der Vierzigerjahre beruhigt sich die Lage. Die Siegermächte stellen nur die Köpfe des Nazi-Regimes vor ein Kriegsgericht. Die Wirtschaftsführer Hitlers werden "entnazifiziert". Der Feind steht im Osten, der Kalte Krieg kündigt sich an. Und in diesem Kalten Krieg werden die "alten Kameraden" gebraucht.

1949 wird die Bundesrepublik gegründet. Die Deutschen wandeln sich zu "Demokraten" und reden von "sozialer Marktwirtschaft". Die NSDAP bleibt verboten, stört beim Wiederaufbau. Die Nazis müssen weg, weit weg. 1950 beginnt eine kleine Völkerwanderung an den Rio de la Plata. Dort finden fünfzigtausend Nationalsozialisten Unterschlupf. Der Vatikan hat sie mit falschen Papieren versorgt. Sie lassen sich nieder, setzen Kinder in die Welt. Kinder, die heute in der Deutschen Botschaft vergeblich die Staatsbürgerschaft beantragen, weil sie keine legalen Urkunden ihres unter falschem Namen eingewanderten Vaters oder Großvaters vorlegen können. Sie suchen nach ihren Familien in Deutschland, sprechen aber nicht darüber. Ein Tabu. Hier wie dort.
Damals regierte in Buenos Aires General Juan Domingo Péron. Ein Freund der Deutschen. Und Freund von Jorge Antonio, Geschäftsführer des Autohauses "Aguirre, Mastro y Compañia", das schon vor 1945 Daimler Benz vertreten hat.

Jorge Antonio ist heute hoch in den Achtzigern, erinnert sich aber an jedes Detail, nach dem man ihn fragt. Er empfängt mich in seinem Sommersitz in Uruguay und redet, zum ersten Mal, offen über jene Tage: "Eines Freitags bekam ich einen Brief aus Deutschland, in dem uns Daimler Benz die Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen anbot."

1950 wird Antonio in Stuttgart mit offenen Armen von Daimler-Chef Wilhelm Haspel empfangen. Schnell wird man sich handelseinig, in Argentinien soll eine Niederlassung von Mercedes-Benz gegründet werden. Woher die Deutschen das Kapital für ihre Investition nehmen? Sie greifen zurück auf "Gelder, die während des Krieges versteckt waren", sagt später Francisco Coire, rechte Hand Jorge Antonios. O-Ton Coire: "Aus allen besetzten Ländern wurde viel Kapital exportiert, Gelder, die vor oder während des Krieges versteckt oder in dritten Ländern angelegt wurden. Deshalb war es nicht schwierig, diese Gelder nach dem Krieg aus diesen Ländern zu holen. Sie wurden dazu benutzt, Rechnungen für Exporte zu bezahlen. Daimler Benz legte uns eine beglaubigte Genehmigung der deutschen Regierung vor."

Am 10. August 1951, genau sieben Jahre nach der Konferenz im Hotel Maison Rouge, kommt der Daimler-Deal zustande. Der Vorstandsvorsitzende Wilhelm Haspel und Jorge Antonio reichen sich die Hand. Geplant ist eine Lastwagenfabrik, begonnen wird mit dem Export von Fahrzeugen aus Deutschland. Daimler Benz finanziert den Export und den Aufbau der Fabrik. Antonio unterschreibt, dass er alle Investitionen an Untertürkheim abtritt. Antonio: "Daimler Benz hatte dieses Geld im Ausland. Es kam nach Argentinien in Form von Autos, Bussen, Taxen. Woher das Geld stammte? Problem der Deutschen, das mussten die Deutschen lösen. Mich interessierten die Probleme Argentiniens. Unser Ziel war die Industrialisierung. Und ich stützte mich auf die Perón-Regierung, die die Industrie förderte. Dabei halfen uns die Deutschen. Und ich half den Deutschen. Darin bestand das Gentlemen-Agreement."

Im September 1951 entsteht Mercedes-Benz Argentina. Nach außen hin ist alles in argentinischer Hand, in Wirklichkeit treten die Argentinier als Strohmänner auf. "Die Deutschen brachten kein Geldkapital, sondern nur Maschinen ein", meint Antonio, "Maschinen, die unmodern und überflüssig geworden waren. Aber sie funktionierten noch."

Die alliierten Bombenangriffe hatten in den ersten Kriegsjahren einige Daimler-Fabriken - eine der wichtigsten Rüstungsschmieden Hitlers - in Ruinen verwandelt. "Überflüssige" Maschinen gab es im Nachkriegsdeutschland also nicht. Ob diese Maschinen aus Schweden kamen, wohin sie vor 1945 aus Osteuropa gebracht worden waren? Antonio nickt: "Kann sein, dass sie aus Drittländern kamen. Das interessierte mich nicht. Problem der Deutschen."

Jorge Antonio und Francisco Coire von der Argentinischen Zentralbank setzen das "Agreement" in die Praxis um. Hinzu kommt ein Netz von Strohmännern, Buchhaltern, Prokuristen und Anwälten. Die Gründungsmitglieder von Mercedes-Benz Argentina sind, neben Jorge Antonio: sein Schwager César Rubín, Atilio Gómez und Germán Timmermann. Letzterer hat mit Wirtschaftsminister Ludwig Erhard im Juli 1950 das deutsch-argentinische Handelsabkommen ausgehandelt, die juristische Grundlage des Geldwäsche-Unternehmens. Bei Daimler Benz in Untertürkheim nehmen die Geldwäsche in die Hand: Wilhelm Haspel, Fritz Könecke, Karl Friedrich Binder, Arnold Wychodil und Hanns-Martin Schleyer.

Haspel war während des Kriegs Betriebsleiter in Sindelfingen und Vorstandsvorsitzender von Daimler Benz. Könecke war 1941 zum "Wehrwirtschaftsführer" Hitlers gekürt worden und hatte in Auschwitz an KZ-Häftlingen Versuche mit Naturkautschuk durchführen lassen; ab 1953 sitzt Könecke im Vorstand von Daimler Benz. Wychodil war ab Januar 1943 Geschäftsführer einer Daimler-Niederlassung im Protektorat Böhmen und Mähren. Die Fabrik war vorher eine Textilfabrik gewesen; von den deutschen Besatzern wurde sie stillgelegt, dem Daimler-Konzern übergeben und auf die Produktion von Flakscheinwerfern umgestellt. Wychodil war ein Vertrauter Haspels und saß ab Mitte 1952 im Vorstand. Der SS-Untersturmbannführer Hanns-Martin Schleyer war bis Kriegsende Leiter des Präsidialbüros des "Zentralverbandes der Industrie für Böhmen und Mähren" und zuständig für die Bereitstellung von Arbeitskräften, sprich: Zwangsarbeitern. Nach 1945 landet er vorübergehend in alliierter Haft, 1951 holt ihn Wychodil zu Daimler Benz. Und Binder baute das Daimler-Werk in Berlin-Marienfelde auf, wo während des Kriegs Flugmotoren hergestellt wurden. Nach Kriegsende erteilt ihm der Vorstand die Aufgabe der - so die elegante Formulierung für die Geldwäsche - "Rückführung verlagerter Betriebsstätten" und schickt ihn nach Argentinien.
Binder beauftragt Antonio schriftlich mit der Einstellung der alten Kameraden. "Haspel und Könecke", so Jorge Antonio, "hatten mich um ihre Einstellung gebeten, sie seien alle Techniker." Unter den als "Elektriker" und "Mechaniker" getarnten Nazis sind international gesuchte Kriegsverbrecher. Sie reisen als "Experten" ein und geben bei der Einwanderungsbehörde als Adresse "Charcas 684" an, den Geschäftssitz von Mercedes-Benz Argentina. "Ich persönlich", so Antonio weiter, "habe sie eingestellt, darunter Eichmann."

Adolf Eichmann hatte als Leiter des "Judenreferats" des Reichssicherheitshauptamtes den Transport der Juden aus ganz Europa in die Vernichtungslager organisiert. Im Mai 1960 wird er von Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad entführt und in Israel zum Tode verurteilt. Bis zu seiner Entführung arbeitet er bei Mercedes-Benz als Elektriker. Worin seine Qualifikation bestand? "Die Deutschen", so Antonio, "passen sich an alles an. Wenn sie als Elektriker arbeiten müssen, arbeiten sie als Elektriker. Wenn sie Juden töten müssen, töten sie Juden."

Binder erteilt Antonio am 30. November 1951 die Anweisung Nummer eins: "Provisorischer Plan zur Arbeitsteilung der deutschen Spezialisten, die schon angekommen sind. Ab dem 1. Dezember werden diese Herren bis auf weiteres an folgenden Arbeitsstellen tätig sein ..." Es folgt eine Namensliste. Ihre Einstellung, so Antonio, sei Bedingung für den Technologietransfer gewesen. Nazis gegen Maschinen? Tatsache ist, dass sich der junge Bonner Staat mit dem "Export" der Kriegsverbrecher ein innenpolitisches Problem vom Hals schafft.

Tatsache ist auch, dass Eichmann nicht der einzige Kriegsverbrecher bei Mercedes-Benz Argentina war. Die Sekretärin von Baron von Korff, Lateinamerika-Beauftragter bei Daimler Benz, war Hildelore Kopka, eingereist 1950. Kollegen sagen, dass sie aus Tschechien kam, wo sie Aufseherin in einem Konzentrationslager gewesen sei. Fest steht, dass auch sie falsche Papiere vom Vatikan besaß. Ein späterer Produktionschef von Mercedes-Benz Argentina war noch im Nachkriegsdeutschland wegen Kriegsverbrechen verurteilt und später amnestiert worden. Am 30. November 1951 kommt er im Hafen von Buenos Aires an; als Adresse nennt auch er "Charcas 684".
Doch wie ist das versteckte Kapital in den produktiven Kreislauf der Wirtschaft zu integrieren und der Wiederaufbau zu finanzieren? In Deutschland herrscht Devisenkontrolle, in Argentinien ist der gesamte Außenhandel verstaatlicht - der internationale Zahlungsverkehr wird ausnahmslos über die Zentralbank abgewickelt. Auch die Importeure zahlen ihre Rechnung an die ausländischen Lieferanten über die banco central.

Geld gewaschen wird mit überhöhten Rechnungen, geschmuggeltem Bargeld und der Ausnutzung der Differenz zwischen dem offiziellen und dem parallelen Wechselkurs. Je mehr Exporte und je höher der Kaufpreis, desto höher die Einnahmen der Deutschen, desto effizienter die Geldwäsche, desto mehr Kapital fließt in die Bilanzen des Unternehmens in Untertürkheim, getarnt als Begleichung von Exportrechnungen.

Bei seinem ersten Treffen mit General Perón 1951 verspricht Haspel, dass das Geschäft "an der Finanzierung der Importe nicht scheitern werde". Die ersten Lieferungen werden von mysteriösen "Dritten" über mysteriöse "europäische Konten" bezahlt. In der Schweiz operiert die Finanzierungsgesellschaft Conex, zunächst als eine argentinische Gesellschaft unter der Regie von Rubén Antonio, Bruder von Jorge, später als eine ins eidgenössische Handelsregister eingetragene Aktiengesellschaft mit dessen bewährten Strohmännern.

Die Hälfte der an Argentinien gelieferten Autos geht an das Präsidentenamt. Mit ihnen werden soziale Projekte finanziert, politische Freunde versorgt und Beamte bestochen. Einigen Richtern wird ein Mercedes "zugeteilt", sie dürfen zum Einkaufspreis zugreifen.

Auch in der Zentralbank sind Limousinen mit dem Stern beliebt. Am 24. März 1953 berichtet Direktor Timmermann nach Untertürkheim, dass die Stadtverwaltung eine Ausschreibung für Reinigungsfahrzeuge plane. "Wir haben die Devisen bei der Zentralbank beantragt, und bei einigen Beamten besteht Interesse, dass die Provision mit deutschen Autos gezahlt wird."

Botschafter, Journalisten und Politiker klopfen bei Antonio an. Manuel Aznar, Großvater des jüngst abgewählten spanischen Ministerpräsidenten, sendet seinem "geschätzten Freund" am 3. Januar 1955 einen Brief. Aznar ist Botschafter in Buenos Aires und hätte gern ein 220er-Modell. Das Auto müsse allerdings, um die diplomatischen Gepflogenheiten zu wahren, nach Spanien umdirigiert werden. "Wenn es auf dieser Welt eine Person gibt, die dieses und andere Probleme lösen kann, dann sind Sie es."

Die späteren Lieferungen begleicht Antonio über die Zentralbank. Er zahlt ihr Pesos, und die Zentralbank überweist den Rechnungsbetrag in US-Dollars nach Deutschland. Aber Mercedes-Benz Argentina zahlt Pesos zum offiziellen Kurs, und der liegt weit unterhalb des Schwarzmarktkurses. Einige Rechnungen werden sogar mit dem Kurs von 1950 beglichen - dem Zeitpunkt, als Mercedes-Direktor Timmermann mit Erhard das deutsch-argentinische Handelsabkommen unterzeichnet hatte. Astronomische Gewinne werden eingestrichen.

US-Dollars, die aus der Schweiz nach Argentinien geschmuggelt wurden, füllen die Kassen von Mercedes-Benz Argentina bis zum Rand. Am 15. November 1953 schreibt Daimler-Vorstandsmitglied Könecke an seinen Mann in Buenos Aires: "Insgesamt haben wir in Argentinien 182.809.750,20 Pesos investiert. Davon entfallen auf Mercedes-Benz Argentina 41 Millionen in Aktiva, 24 Millionen auf andere Firmen und 117 Millionen warten noch auf die Anlage."

Mit Daimler-Geldern gründet Antonio die Finanzierungsgesellschaft Investa S.A., die in Immobilien und Aktien investiert. Ab 1953 ergießt sich ein warmer Geldregen auf das Investa-Konto. Bareinzahlungen von Baron von Korff, wie Kontoauszüge belegen. Zum Beispiel: 5. November 1954: Einzahlung von Baron von Korff. Haben: 4,55 Mio. Pesos. 5. November 1954 : Erwerb von Aktien der Firma Suranor. Soll: 4,5 Mio. Pesos. 3. Januar 1955: Einzahlung von Korff. Haben: 4 Mio. Pesos. 7. Januar 1955 : Einzahlung von Korff. Haben: 5,3 Mio. Pesos. 10. Januar 1955: Erwerb von Aktien Talleres Guemes. Soll: 9,3 Mio. Pesos.

Im SAS-Flug SK 955 fliegen von Korff, Könecke und Wychodil von Montevideo ein. Die Hauptstadt der "Schweiz Amerikas" gilt als sicherer Finanzplatz, wo die argentinische Währung zum Parallelkurs getauscht wird. Befragt nach einer Referenz gibt das Trio am Zoll an: "Jorge Antonio". Das reicht.

Fast über Nacht verleibt Antonio seinem Imperium fünfzig Aktiengesellschaften ein. In Bonn sieht man diese Entwicklung mit Genugtuung. Die Rechnung Erhards geht auf. Der oberste Geldwäscher wird "Vater des Wirtschaftswunders", später sogar Bundeskanzler. "Im höchsten Maße erfreut" sei Erhard, kabelt Könecke. 1954 reist er eigens zur Einweihung des Elektrizitätswerkes der Fabrik González Catán an.

Das US-Finanzministerium schätzt das versteckte Nazivermögen bei Kriegsende auf 3 Milliarden US-Dollar. Wie viel über das Dreieck Zürich/Buenos Aires/Untertürkheim gewaschen wurde? Tatsache ist, dass bis 1955 die argentinische Zentralbank Mercedes-Benz Argentina 63 Millionen US-Dollar zur Überweisung ins Ausland zur Verfügung gestellt hat. Jorge Antonio will keine konkrete Zahl kennen. Er bestätigt aber, dass er Investitionen von Daimler Benz Deutschland in Höhe von 100 Millionen Dollar verwaltet hat. Die wirkliche Summe liegt wahrscheinlich weit darüber.

Die gesamte deutsche Industrie benutzt sein System. An Rhein und Ruhr hat sich der Erfolg herumgesprochen. Fast alle Großunternehmen haben Kapital auf Schweizer Konten gebunkert, mit dem sie gern arbeiten würden. Aber im Gegensatz zu Daimler Benz können sie in Argentinien keine Geschäfte tätigen. 1945 hat die Regierung in Buenos Aires 139 deutsche Firmen als "Feindeigentum" beschlagnahmt und staatlicher Verwaltung unterstellt, darunter Thysssen, Mannesmann, Klöckner, Siemens, Schering und Bayer. Daimler Benz hat vor 1945 nicht am Rio de la Plata produziert, war also nicht beschlagnahmt worden und fing 1950 unbelastet bei Null an.
Die Abwicklung der beschlagnahmten deutschen Unternehmen in Argentinien zieht sich hin. Um in dieser Zeit trotzdem operieren zu können, brauchen diese Firmen Strohmänner und Scheinfirmen. Antonio bietet Hilfe an, gründet etwa für Klöckner, Humboldt & Deutz eine Aktiengesellschaft. Ferrostahl zahlt ihm eine Provision zwischen 3 und 7 Prozent. Und im Auftrag der Robert Bosch GmbH in Stuttgart gründet er die Firma Inyecto Magnet.

Hugo Stinnes schreibt aus Mülheim am 2. Juni 1955 an Antonio: "Ihre Aufbauarbeit ist weltbekannt. Ich habe über meine Freundschaften zu Mercedes-Benz, Stuttgart, von Ihnen gehört. Ich bin über ihre Gespräche mit Krupp informiert. Im letzten Jahr haben ich und Fritz Flick die Firma Maschinenbau Kiel übernommen, Diesellok-Bau."

Auch Fahr kommt beim Dreizack unter. Nach außen sieht alles legal aus. Das Bundesministerium für Wirtschaft erlaubt am 17. November 1952 der Maschinenfabrik Fahr AG in Gottmadingen die Beteiligung an der gleichnamigen argentinischen GmbH. Das Geld für den Kauf der Anteile stellt ihnen Mercedes-Benz Argentina zur Verfügung. Die Gebrüder Fahr hatten Strohmänner benötigt, da - so ihre Begründung - "wegen der Besatzungsmächte keine deutsche Firma im Ausland investieren durfte".

Das Geld, während des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz versteckt, kommt, als Kredit getarnt, von der Schweizer Konnex AG, wo die Strohmänner Jorge Antonios das Sagen haben. Vertraglich wird festgelegt, dass Fahr die Provision auf ein Konto der Konnex AG in Singen einzahlt. Das Dreieck ist komplett. Das Kapital ist repatriiert, heim ins Reich geholt.

Doch der Stern Peróns sinkt. Er legt sich mit dem Vatikan an, will die Scheidung einführen und den Einfluss der Kirche in den Schulen beschneiden. Washington und London verlieren die Geduld mit dem eigensinnigen General in der Pampa. Bei öffentlichen Ausschreibungen werden grundsätzlich die Firmen Jorge Antonios bevorzugt. Der hat zehntausende Faschisten aufgenommen. Da haben die Alliierten zehn Jahre zuvor das Deutsche Reich besiegt, und plötzlich wird die deutsche Industrie zur Konkurrenz! Die argentinische Marine, traditionell londonfreundlich, droht mit der Bombardierung der Raffinerien. Am 19. September 1955 reicht Perón seinen Rücktritt ein und flieht nach Paraguay. General Aramburu ergreift die Macht, ein Vertrauter der Engländer und der Landoligarchie. Die Gewerkschaften werden aufgelöst, Arbeiterführer verhaftet. Es wird verboten, den Namen Perón zu erwähnen oder den peronistischen Marsch zu singen.

Auch Jorge Antonio wird verhaftet. Mercedes-Benz Argentina und die von seinen Strohmännern geführten Firmen werden beschlagnahmt. Zweieinhalb Jahre verbringen Antonio und Coire in Haft in Feuerland, bis Antonio nach Chile flüchtet. Von dort aus setzt er sich nach Europa ab, trifft Perón im francistischen Spanien wieder.

Seine Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt, er wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Er reist nach Untertürkheim. Dort ist man freundlich zu ihm, hat aber längst umgesattelt. Perón und seine Leute haben ihre Schuldigkeit getan. Daimler Benz schlägt der Militärjunta einen neuen arreglo vor, einen Deal, und schickt Hanns-Martin Schleyer sowie Arnold Wychodil nach Argentinien, um ihren Besitz zu sichern - um Mercedes-Benz zu retten. Ein außergerichtlicher Vergleich wird geschlossen. Sein Inhalt ist nicht bekannt, man weiß nur, dass das deutsche Unternehmen eine hohe Geldstrafe wegen Steuerbetrugs zahlt. Woher das Investitionskapital stammte, wird nicht untersucht. Mercedes-Benz Argentina wird eine Tochtergesellschaft von Daimler Benz.

Jorge Antonio kehrt in den Siebzigerjahren in seine Heimat zurück, die Firma bleibt in deutscher Hand. Sie haben ihn abgefunden - in welcher Höhe, verrät er nicht. In den Neunzigerjahren, unter Präsident Carlos Menem, erhält er von dessen peronistischen Regierung eine weitere Abfindung: 70 Millionen Dollar, schreibt die Presse. 30 Millionen habe er bekommen, sagt Antonio.
Antonio ist heute 88 Jahre alt, den Sommer verbringt er in seinem Chalet in Punta del Este mit Blick auf den Rio de la Plata. Macht er sich Vorwürfe? "Weshalb?", fragt er zurück. Weil das Geld der Deutschen einen verbrecherischen Ursprung hatte? Er spricht es nicht aus, aber man sieht es ihm an: Er denkt an ein argentinisches Sprichwort, "Wer einen Dieb bestiehlt, erfährt hundert Jahre Vergebung." Und die Deutschen haben das Geld gestohlen, den besetzten Ländern, den Juden und den Zwangsarbeitern.

"Mit uns", sagt er schließlich, "haben die Deutschen viel Geld gemacht. Wenn Sie das Geldwäsche nennen ... Ich wollte eine Lastwagenfabrik. Und die habe ich bekommen."


GABY WEBER, geboren 1954 in der Mercedes-Stadt Stuttgart, zählt zu den taz-GründerInnen. Sie lebt als Autorin und Dokumentarfilmerin in Südamerika
taz Magazin Nr. 7399 vom 3.7.2004, 624 Zeilen, GABY WEBER

Die Recherche

Jahrelang habe ich im Nebel herumgestochert, als ich in Argentinien über die Morde an den Betriebsräten von Mercedes Benz während der letzten Militärdiktatur (von 1976 bis 1983) recherchierte. Auf der Grundlage dieser Rechercheergebnisse sind mehrere Verfahren anhängig: in Nürnberg (immer noch) das Strafverfahren gegen Daimler-Mitarbeiter wegen Beihilfe zum Mord, in Buenos Aires wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Und vor dem US-Bundesgericht in San Francisco ein Zivilverfahren gegen Daimler Chrysler wegen Entschädigungszahlungen an die Opfer.

Über meine Nachforschungen drehte ich einen Dokumentarfilm, "Wunder gibt es nicht. Die Verschwundenen von Mercedes Benz". Das staatliche Fernsehen Argentiniens strahlte ihn jüngst zur prime time in voller Länge aus. Nun ist der Fall zumindest von Feuerland bis hoch in die Anden bekannt. "Wunder gibt es nicht", so lautete die Antwort des Mercedes-Produktionschefs Juan Tasselkraut auf die Frage eines Richters, ob während die Diktatur die Produktivität gesteigert werden konnte, nachdem die kritischen Betriebsräte "verschwunden" waren.

Das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen hat die Ausstrahlung des Films abgelehnt. "Mangelnde Publikumsakzeptanz", "Kein Interesse" oder "Wir hatten schon mal Menschenrechte in Argentinien im Programm" hießen die Argumente. Die von Anzeigen der Automobilindustrie abhängigen Medien halten sich bei der Berichterstattung über den Fall ohnehin zurück. Nur die taz veröffentlicht regelmäßig die neuen Erkenntnisse.

Vor einem Jahr stieß ich bei meiner Arbeit auf Spuren des Nazi-Vermögens. Merkwürdig: Für eines der brisantesten Rätsel der Nachkriegsgeschichte haben sich Journalisten bislang wenig interessiert: Was ist mit den Gewinnen der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie geschehen? Diese Gewinne stammen aus der "Arisierung" jüdischen Vermögens, aus dem Zahngold der Konzentrationslager, der Ausbeutung der Arbeitskraft der Zwangsarbeiter, der Plünderung der Zentralbanken und der Einverleibung der Fabriken in den besetzten Ländern.

Auch der Bericht von US-Staatssekretär Stuart Eizenstat (1997) über das "Nazigold" gibt darauf keine Antwort, er informiert nur über die schweizer Banken, also über die Tatsache, dass Nazi-Gelder vor Mai 1945 beizeiten weggeschafft wurden, schweigt aber darüber, wann und wie diese Nazi-Gelder wieder aktiviert wurden. Die argentinische Regierung von Juan Domingo Perón (1946 bis 1955) erwähnt der US-Bericht nur in wenigen Passagen: Allgemeinplätze, Bekanntes, keine Untersuchungsergebnisse. Großunternehmen werden ohnehin nicht an den Pranger gestellt.

Neue Quellen können jetzt erstmals erschlossen werden. Der Moment ist günstig: Präsident Néstor Kirchner, selbst Peronist, hat die Behörden angewiesen, Archive zu öffnen, die Auskunft über die Unterstützung von Nazi-Aktivitäten in Argentinien beinhalten. Und erstmals geben die Ämter Dokumente heraus, verstecken sich nicht hinter dem "Datenschutz". In der Zentralbank, im Innen- und Justizministerium, bei Zoll und Polizei ist man auskunftsfreudig, endlich.

Auch für die Nazi-Geldwäsche und die Beschäftigung von Kriegsverbrechern bei Mercedes Benz Argentina scheinen sich deutsche Medien kaum zu interessieren. Zumindest nicht im Zusammenhang mit dem größten militärisch-industriellen Komplex Europas, Daimler Chrysler. GW

Über Daimlers Nazi-Geldwäsche erscheint im Verlag Assoziation A im September Gaby Webers Buch "Daimler Benz und die Argentinien-Connection" (zirka 200 Seiten, 10 Euro).
taz Magazin Nr. 7399 vom 3.7.2004, 103 Zeilen, GW


Wie Daimler reagiert

Seit fünf Jahren hat Daimler Chrysler ein Problem. Da tauchen, im Hörfunk und Internet, immer wieder hässliche Vorwürfe auf: dass die Werksleitung von Mercedes Benz Argentina aktiv an der Ermordung von fünfzehn Gewerkschaftern mitgewirkt hat. Ein merkwürdiges globales Bündnis hat sich gebildet, ohne politische Linie, ohne Struktur. In Deutschland das Labournet, die Informationsstelle Lateinamerika, der "Republikanische Anwälte- und Anwältinnenverein", die "Kritischen Aktionäre" sowie einige oppositionelle IG-Metaller; in Argentinien die "ehemaligen Mercedes-Arbeiter" und in den USA Rechtsanwalt Dan Kovalik. Lästig für den Konzern. Dessen Abwehrstrategien:

Erstens: mauern und aussitzen. Daimler spielt das Problem herunter. Die wenigen Anfragen von Journalisten werden mit lapidarem "no comment" abgetan, auf den Aktionärsversammlungen hartnäckige Fragen der "kritischen Aktionäre" überhört. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Erich Klemm mauert mit. Mit möglichen Kritikern aus Nichtregierungsorganisationen sitze man doch an einem Tisch. DaimlerChrysler ist eine der ersten Firmen, die den schmackhaften "Global Compact" unterzeichnet hat, jenes Versprechen der Großindustrie, soziale Standards und die Menschenrechte zu wahren. Das beschäftigt die NGOs, sie wollen den Dialog. Bei Gesprächen am Vorstandstisch übt man sich in wohlerzogenen Belanglosigkeiten.

Zweitens: in die Offensive gehen. DaimlerChrysler nimmt den Berliner Völkerrechtler Christian Tomuschat unter Vertrag. Der stellt im Dezember 2003 in Sindelfingen, am Geschäftssitz seines Auftraggebers, die Ergebnisse seines Gegengutachtens zu meinen Recherchen vor: Zwar kann er keinen der Vorwürfe widerlegen, gibt aber zu, dass die Firma den Militärs gegenüber Betriebsräte als "Agitatoren" denunziert habe, die danach ermordet wurden. Daraus sei ihr aber kein Vorwurf zu machen, dies sei kein Mordauftrag gewesen. Selbst die Wirtschaftspresse teilt harsche Kritik aus, die sonst wohlwollende NZZ spricht von einem "Parteigutachten".

Drittens: das "Recht zu schweigen". Im April 2004 wird der Vorstand vor zehntausend Aktionären mit dem Vorwurf der Nazi-Geldwäsche und der Fluchthilfe für Kriegsverbrecher konfrontiert. Aus dem Saal schallt es "Aufhören", der Aufsichtsratsvorsitzende Hilmar Kopper stellt wütend das Mikrofon ab. "Das ist eine Beleidigung der Aktionäre, Sie können sich an die Gerichte wenden." Auch Daimler-Chef Jürgen Schrempp versteckt sich hinter dem "Recht zu schweigen".

Viertens: selektive Offenheit. Nein, meint Manfred Gentz, Chief Financial Officer des Konzerns, auf der Aktionärsversammlung, man wolle kooperieren bei der Wahrheitsfindung, zumindest beim Nationalsozialismus. Sogar Feindberührung ist möglich, ich soll im Archiv die Vorstandsprotokolle einsehen dürfen. Allerdings sind dort viele der von mit gewünschten Dokumente nicht vorhanden. Wahrscheinlich, so erfahre ich später, hätte ich selbst mehr Unterlagen als die Firma. So sei es auch beim Thema Zwangsarbeiter gewesen. Ich hatte nach Bankunterlagen über den Einkauf von Flugmotoren des Daimler-Werkes Berlin-Marienfelde gefragt, kurz vor Kriegsschluss durch das Eidgenössische Militärdepartement. Die Schweiz war neutral, was sie nicht daran gehindert hat, Rüstungsgüter bei den Deutschen einzukaufen und auf ein Schweizer Konto zu zahlen. Diese Informationen seien wohl im Reißwolf. Zu den 22 von mir genannten Mitarbeitern, die als "Experten" bei Mercedes-Benz Argentina angestellt waren und bei denen es sich um Nazis und Kriegsverbrecher gehandelt haben soll, will man sich nicht äußern. Einige dieser Personen waren wahrscheinlich in Argentinien unter ihrem falschen Namen sozialversichert, in Deutschland unter ihrem richtigen Namen. Etwa Adolf Eichmann bei Daimler in Deutschland unter Adolf Eichmann und in Argentinien unter Ricardo Klement, Versicherungsnummer: 1.785.425. Personalakten, heißt es bei Daimler, seien aber vertraulich, der Datenschutz müsse respektiert werden. Fortsetzung folgt!


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang