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Updated: 18.12.2012 15:51
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Die argentinische Staatsanwaltschaft klagt Mercedes Benz Argentina als „schuldig“ an und stellt Verfahren ein

Vor wenigen Tagen hat die Bundesstaatsanwaltschaft in Buenos Aires im Verfahren gegen Mercedes Benz Argentina und die Gewerkschaft SMATA wegen Bildung einer Kriminellen Vereinigung einen spektakulären Beschluß veröffentlicht.

„Das Unternehmen und die Gewerkschaft waren (während der Militärdiktatur) Komplizen bei den zu untersuchenden Straftaten, weil sie über die ´Säuberungen´, die im Gange waren, unterrichtet waren“, schrieb Bundesstaatsanwalt Federico Delgado und schränkt ein: „nur als Institutionen“. Daher sei es schwierig, „die strafrechtliche Verantwortung zu konkretisieren“, also die Verantwortung von Personen. Mit anderen Worten: Mercedes Benz und die Gewerkschaft sind schuldig, aber man konnte nicht ermitteln, welche ihrer Mitarbeiter diese Straftaten begangen hatte und mußte deshalb das Verfahren gegen sie einstellen.

Ein nettes Weihnachtsgeschenk für das multinationale Unternehmen und seine Aktionäre. Dank der Tatsache, daß sie organisiert, in der Anonymität einer Firma, handelten, bleiben die Straftaten ungestraft.

Vor fünf Jahren hatte der argentinische Anwalt der Hinterbliebenen der verschwundenen Mercedes-Arbeiter, Ricardo Monner Sans, bei der Staatsanwaltschaft in Buenos Aires Strafanzeige gegen Mercedes Benz Argentina erstattet. Er beschuldigte auch SMATA, den Arbeitsminister der Regierung von Isabel Perón (1975), Carlos Ruckauf, und Militärs, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Aufgabe der Justiz war es also zu untersuchen, ob die Seilschaft von Firma, Gewerkschaft und Repression eine Kriminelle Vereinigung war und wer Mitglied in dieser Vereinigung war.

Den ersten Teil der Aufgabe hat Staatsanwalt Delgado in seiner fünfjährigen Ermittlung erfüllt. Vor allem die von ihm benannten Gutachter erklärten übereinstimmend, daß es „offensichtlich ist, daß einige (Manager und Gewerkschafter) über die Vorgänge im Bilde waren und in der einen oder anderen Weise daran teilnahmen. Mehr noch: das spätere Verhalten der Firmen, die jahrelang die Löhne weiter zahlte, legt den Schluß nahe, dass sie über das Vorgefallene im Bilde waren“.

Statt nunmehr die Mitglieder dieser kriminellen Vereinigung zu ermitteln, suchte die Staatsanwaltschaft nach Einzeltätern. „Noch sind wir nicht im Stande, die unmittelbaren und materiellen Straftäter zu benennen.“ Und weiter:

„Es scheint eine Ironie zu sein, aber wir stehen vor einem Verfahren, von dem wir auf der Makro-Ebene wissen, daß es verschiedene Täter gegeben hat, aber wir kennen ihre Gesichter nicht. Man könnte sich sogar fragen, welchen Sinn es macht, die Verantwortung der Institution festzustellen ohne das Gesicht des Schreckens zu kennen. Die Antwort ist einfach: Das Recht hat verschiedene Aufgaben, eine davon ist die Bestrafung und eine andere ist die Festschreibung von Regeln, gemäß der Pflicht des Staates festzustellen, dass der Schrecken über eine systematische Verletzung der Menschenwürde ausgeübt wurde“.

Für die Opfer ist es nicht „Ironie“ sondern Zynismus, auf der einen Seite die „Verantwortung der Institution“ an den damaligen Morden festzustellen und gleichzeitig die Ermittlungen abzuschließen, ohne die agierenden Personen dieser illegalen Organisation festzustellen. Vor allem, weil die Namen und Gesichter dieser Personen seit langem bekannt sind. Aber diese Personen wurden nicht einmal als Beschuldigte verhört.

Der Produktionschef von Mercedes Benz Argentina, Juan Ronaldo Tasselkraut, lieferte im August 1977 den Arbeiter Héctor Ratto den Militärs aus und teilte ihnen, im Beisein Rattos, die Adresse des Arbeiter Diego Núñez mit, der in der folgenden Nacht entführt wurde und seitdem verschwunden ist. Es mangelt nicht an Beweisen. Die Opfer, Manager und Gewerkschafter sagten zeugenschaftlich im „Wahrheitstribunal“ in La Plata aus, in der Deutschen Botschaft von Buenos Aires und vor der argentinischen Bundesstaatsanwaltschaft. Daimler Chrysler beauftragte und bezahlte den Berliner Professor Christian Tomuschat und überreichte ihm entsprechende Aktenvermerke der Jahre 1975, 76 und 77. Allen anderen Gutachtern und Rechercheuren wurden diese Aktenvermerke verweigert. Aber selbst Tomuschat gab in seinem Bericht zu, daß die Firma ihre lästigen Betriebsräte dem Geheimdienst gegenüber als „Agitatoren“ denunziert hatte und daß diese danach „verschwanden“. Die Aktenvermerke führen aus, daß die Firmenleitung über die Entführungen genaustens informiert war.

Eigentlich hätten für die Ermittlungen diese Aktenvermerke eine zentrale Bedeutung gehabt, und ihre Hinzuziehung hatte Opferanwalt Monner Sans beantragt, ebenso wie die Vernehmung des Aufsichtsratsvorsitzenden Hilmar Kopper und des damaligen Daimler-Chefs Jürgen Schrempp. Leider kam es nie dazu, obwohl sogar der internationale Rechtsweg über die Außenministerien beschritten wurde.

Statt Kopper und Schrempp zu vernehmen, lud die Staatsanwaltschaft in Stuttgart mysteriöserweise den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Erich Klemm vor. Warum dies geschah und warum die beauftragende Staatsanwaltschaft in Buenos Aires nicht protestierte, geht aus der Akte nicht hervor, aber Klemm und seine rechte Hand, Thomas Metz, sagten aus, was alle wissen: daß der deutsche Betriebsrat seine argentinischen Kollegen nicht ermorden ließ und auch nicht im Besitz der internen Firmen-Vermerke ist.

Warum wurde nach Beweisen an einem Ort gesucht, wo sie gar nicht liegen können? Die einzige Erklärung ist, daß die Ermittlungen von Anfang an zum Scheitern verurteilt waren.

Die Anträge und Aussagen wurden von der argentinischen amtlichen Dolmetscherin Nora Edith Woll übersetzt. Sie übersetzte „Betriebsrat“ mit „Consejo General de la empresa“, wörtlich: Allgemeiner Rat des Unternehmens und erweckte damit den Eindruck, daß es sich bei ihm um die Leitung des Konzerns handelt. So wurde aus dem Betriebsrat und Gewerkschafter Klemm der Sprecher des Unternehmens.

Ich habe Frau Woll, über die Dolmetscher-Kammer, aufgefordert, der Staatsanwaltschaft gegenüber die fehlerhafte Übersetzung zu korrigieren und darauf hinzuweisen, daß ein „Betriebsrat“ eine Vertretung der Arbeiterschaft ist, eine „Comisión Interna“ und kein Aufsichtsrat. Dies ist nicht geschehen, und die Kammer teilte mir mit, ich möge mich an die Justiz wenden. Rechtsanwalt Monner Sans informierte die Staatsanwaltschaft, trotzdem hält sie bis heute in ihrem Einstellungsbescheid daran fest, daß Klemm im Namen der Firma gesprochen habe, und es bei der Firma die beantragten und zum Teil bereits veröffentlichten Beweise gar nicht gebe.

So hat sie auch den Brief von Hanns-Martin Schleyer an den IGMetallchef Eugen Loderer nicht gefunden, in dem Schleyer lobt, wie eifrig sich der damalige Arbeitsminister Ruckauf und Gewerkschaftschef José Rodríguez bei der Bekämpfung des Terrorismus hervortun. Dieser Brief liegt, im Original, im IGMetall-Archiv in Frankfurt (wo ich ihn fand) oder, in Kopie, bei DaimlerChrysler, aber nicht im Betriebsrat: Zitat des Staatsanwalts:

„Der Brief soll vom Mutterhaus am 19. Mai 1976 geschickt worden sein. Darin soll die Kündigung von 115 Arbeitern erwähnt werden, die auf die „dringende Bitte“ von Ruckauf zurück gehen soll. Die Existenz dieses Briefes konnte nicht bewiesen werden, trotz der zahlreichen Anstrengungen in diese Richtung. Laut der Zeugenaussagen, die die Staatsanwaltschaft in Stuttgart eingeholt hat, gibt es im Firmensitz keine entsprechenden Unterlagen. Dies hat Thomas Metz, Assistent des Allgemeinen Rates des Allgemeinen Rates des Unternehmens („Consejo General de Daimler Chrysler AG”) belegt, der zeugenschaftlich am 13. Mai 2005 bekundet hat, daß es im Allgemeinen Rat des Unternehmens zu der genannten Person (Ruckauf) keine Informationen gebe. Dies teilte auch Erich Klemm, Präsident des Consejo General de Daimler Chrysler AG am 22 April 2005 mit.“

Als Beweismittel galten auch nicht die Karteikarten der Personalabteilung über die verschwundenen Arbeiter. Dabei sind sie überaus aufschlußreich, wie die Bürokratie Mord und Terror mit einem Aktenzeichen versieht. Zum Beispiel bei den Betriebsräten Esteban Reimer und Hugo Ventura, beide in der Nacht des 5. Januar 1977 verschleppt. Danach sollen sie nur noch einige Wochen gelebt haben. Auf den Karteikarten der beiden steht das Datum ”22.3.77” und das Aktenzeichen “931/5”. Bei der zweiten Welle der Entführungen verschwanden zwischen dem 12. und 19. August acht Mercedes-Arbeiter. Auf ihren Karteikarten steht in der Rubrik “Löhne, Kategorien und Aufgaben” das Datum “24.8.77” und das Aktenzeichen “930/5”. Diese Gruppe war in der Kaserne Campo de Mayo gefangen und offensichtlich “entließ” sie die Personalabteilung neun Tage vor ihrer “Verlegung”, so die Aussage des mitinhaftierten Ratto, des einzigen, der den Terror überlebte. Was diese Aktenzeichen bedeuten, konnte oder wollte DaimlerChrysler der Staatsanwaltschaft nicht verraten.

Auch gegen die Gewerkschaft SMATA und ihren ewigen Generalsekretär José Rodríguez (der bis heute von der IGM-Spitze in Schutz genommen wird) wurde konkret nicht ermittelt. Gemäß des offiziellen Tarifabkommens zahlte Mercedes Benz an SMATA ein Prozent des Umsatzes für die „Ausmerzung negativer Elemente im Betrieb“. Für Staatsanwalt Delgado, der sich auf die Mitteilungen der Gewerkschaft bezieht, ist es zu dieser Zahlung nie gekommen, obwohl ein anderer Zeuge, der Justiziar Ruben Cueva, ausgesagt hatte, daß diese Zahlen auch an andere Gewerkschaften gegangen sind.

Für die Staatsanwaltschaft war die Aussage des Zeugen Ratto nicht ausreichend, um Produktionschef Tasselkraut zu überführen. Dessen Zeugnis hatte 1985, im Verfahren gegen die Juntakommandanten mitgeholfen, die Generäle zu verurteilen. Zwanzig Jahre später ist er für die Staatsanwaltschaft „nicht klar in seinen verschiedenen Aussagen“. Ratto hat, vor verschiedenen Richtern, stets dasselbe ausgesagt: wie Tasselkraut ihn und die Adresse von Diego Núñez an die Sicherheitskräfte übergeben hatte.

Aber Tasselkraut, EIN sichtbares Gesicht des Unternehmens, scheint unantastbar. Das war schon so, als ich die gefälschten Geburtsurkunden von drei Tasselkraut-Kindern Staatsanwalt Delgado übergeben habe. Er befand, daß sie nichts mit seinen Ermittlungen wegen krimineller Vereinigung zu tun hatten und schob sie an das Gericht in San Martín ab. Dies hatte die Amnestiegesetze stets als „verfassungskonform“ angesehen. Die Ermittlungen gegen Tasselkraut ruhen seitdem friedlich in San Martín, obwohl die „illegale Aneignung von Minderjährigen“ als Verbrechen gilt, das nicht verjährt.

Nach San Martín will die Staatsanwaltschaft jetzt das Verfahren bezüglich der Verschwundenen von Mercedes Benz abschieben. Da er die Ermittlungen gegen die zivilen Komplizen einstellen will, ist für ihn nur noch General Omar Riveros verdächtig, damals Kommandeur der IV. Region, in deren Bereich die Kaserne Campo de Mayo liegt. Aber was passiert, wenn General Riveros dieselbe Logik anwendet wie Delgado: „Ja, es wurde in Campo de Mayo gefoltert. Ja, die Institution ist schuldig, das argentinische Heer. Aber ich, Omar Riveros, habe nie jemanden getötet und bin kein sichtbares Gesicht“?

Jeder Kriminalkommissar fragt bei einem Verbrechen zuerst nach dem Cui bono? Wer profitiert davon? In diesem Fall hätte das bedeutet, herauszufinden, wer hat einen finanziellen Vorteil von den Morden an den 14 Mercedes-Arbeitern hatte? Die Frage ist einfach zu beantworten. Produktionschef Tasselkraut hat vor dem Wahrheitstribunal bekundet, dass nach dem Verschwinden der Betriebsräte die Produktivität von 30 Prozent wieder anstieg und fügte den Satz dazu „Wunder gibt es nicht“.

Cui bono? Aus den Akten der Sozialversicherung ANSeS geht hervor, daß die während der letzten zwei Jahre von den Löhnen einbehaltenen Sozialabgaben nicht an ANSeS weitergeleitet wurden. Jemand muß sie sich in die Tasche gesteckt haben. Das Mutterhaus Daimler-Benz? Einige der argentinischen Direktoren?

Und was ist mit jener kollektiven Lebensversicherung, die Mercedes Benz Argentina vor der Militärdiktatur für ihre Mitarbeiter abgeschlossen hatte? Mir ist bekannt, dass zumindest in einem Fall diese Lebensversicherung ausgezahlt worden ist. Die Mandanten von Monner Sans haben diese Zahlungen nie erhalten. Der Opferanwalt hatte, wenige Tage vor dem Einstellungsbescheid beantragt, die Versicherung nach der Auszahlung dieser Policen zu befragen. Dazu wird es wohl nicht mehr kommen und wahrscheinlich wird man niemals wissen, wer mit diesen Lebensversicherungen ein Geschäft gemacht hat.

Staatsanwalt Delgado hat in anderen Verfahren professionell ermittelt. Er soll, so heißt es in Buenos Aires, für die Einstellung eine Anweisung von oben erhalten haben. Der Generalstaatsanwalt heißt Esteban Righi, Vertrauensanwalt von Präsident Néstor Kirchner und des Gewerkschaftschefs José Rodríguez. Jetzt muß der Einstellungsbescheid noch vom Richter Daniel Rafecas bestätigt werden.

Aus Buenos Aires: Gaby Weber, 24.01.2007


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