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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Kapitalgesellschaft übernimmt aus der Insolvenz Betrieb, doch ohne die Belegschaft IG Metall Verwaltungsstelle und Betriebsrat ziehen mit. Modellfall für zukünftige Betriebsübernahmen? Am 22.01.2007 meldete die Geschäftsführung von Innomotive Systems Europe ISE, ein Zulieferer für die Automobilindustrie für das Werk Bergneustadt und von ISE Industries GmbH für die Werke Duisburg und Witten Insolvenz an. Gründe der Zahlungsunfähigkeit wurden nicht bekannt gegeben und sind bis heute nicht bekannt. Doch klar ist auch hier, wer das “Unternehmerrisiko” trägt: die lohnabhängig Beschäftigten. Über 2400 Arbeitspätze in Bergneustadt, Duisburg und Witten waren bedroht. Die Betriebe Duisburg und Witten wurden im März 2008 von der “Nordwind Capital Erste Industriebeteiligungen GmbH” mit Sitz in München aus der Insolvenz übernommen. Nordwind Capital zählt sich selbst zu den Private Equity Fonds und resümiert auf seiner Internetseite: “ Das Engagement eines Private Equity Fonds ist in der Regel auf ca. drei bis fünf Jahre limitiert und soll den Investoren in diesem Zeitraum eine über dem Aktienmarkt liegende Rendite erwirtschaften.” Von den 740 Beschäftigten in Duisburg und Witten wurden 620 übernommen, 120 über Sozialplan in die Arbeitslosigkeit abgeschoben. Der mit dem neuen Eigentümer geschlossene Standortsicherungstarifvertrag, der fünf Jahre gilt, enthält (natürlich!) auch Zugeständnisse. So wurde die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich verlängert, Weihnachts- und Urlaubsgeld zur Hälfte gezahlt. Zur gleichen Zeit hieß es in Bergneustadt in Presseerklärungen des Insolvenzverwalters und der örtlichen IG Metall, daß Nordwind Capital auch für das dortige Werk der Wunschkandidat sei, weil Nordwind “bessere Konditionen” als andere Interessenten angeboten habe. Wie die “besseren Konditionen” aussehen, sollte die Belegschaft und die Öffentlichkeit bald erfahren. Zunächst war klar, daß Nordwind Capital mit der IG Metall einen Standortsicherungstarifvertrag abgeschlossen hatte, der, wie für die Werke in Duisburg und Witten, Arbeitszeitverlängerung um (2,5?) Stunden wöchentlich ohne Lohnausgleich, Kürzung von Weihnachts- und Urlaubsgeld um die Hälfte festschrieb. Das alleine ist uns schon gut bekannt aus so vielen “Standortsicherungsvereinbarungen”. Dann aber kam im April ein wirklicher Knaller hinterher. Der "Investor" übernimmt nur die Maschinen und Immobilien und stellte die Bedingung, alle rund 1700 Beschäftigten sollen 5 verschiedene Verträge unterzeichnen! Der erste Vertrag, ein Aufhebungsvertrag des Beschäftigungsverhältnisses. Der zweite Vertrag, ein Überleitungsvertrag in eine Transfergesellschaft. Der dritte Vertrag, ein unbefristeter Arbeitsvertrag mit der neuen Firma ISE nach der Übernahme durch Nordwind Capital. Der vierte und fünfte Vertrag, ein befristeter Arbeitsvertrag für 6 bezw. 12 Monate. Rund 1600 Beschäftigte sollten nach der Übernahme neu eingestellt werden, 100 in die Transfergesellschaft übergehen. Aus den 1700 zunächst in die Transfergesellschaft abgedrängten Beschäftigten wolle die neue Unternehmensführung dann etwa 1200 mit unbefristetem Vertrag und 400 mit befristeten Arbeitsverträgen einstellen. Die Unterschriften aller Beschäftigten erwarte der "Investor" bis zum 14. Mai, ansonsten er von der Kaufabsicht zurücktreten werde. Mit dieser Maßnahme baute Nordwind Capital einen enormen Druck auf. Wer die Unterschrift nach geltendem Recht vreweigerte, musste damit rechnen als Schuldiger an der Schließung des Betriebes und damit als Schuldiger am Wegfall von 1700 Arbeitsplätzen zu sein. Trotzdem wurde wenige Tage vor dem Fristtermin 14. Mai bekannt, daß etwa 100 Beschäftigte die Unterschriften verweigern. Die Verweigerer wurden nun in die Mangel genommen, “aufklärende Gespräche” mit ihnen wurden von Beschäftigten des Insolvenzverwalters, Betriebsratsmitgliedern und Kollegen geführt – in der Firma und zu Hause. Auch öffentlich wurde Druck auf sie ausgeübt. Eine Demonstration der Belegschaft ( die gar nichts ähnlich hatte mit einer Aktion einer kämpfenden Belegschaft) und der Stadtbewohner für die Übernahme des Betriebes und für die Unterschriften der letzten Verweigerer steigerten den Druck weiter. Trotzdem blieben bis kurz vor dem Übernahmetermin 31. Mai an Nordwind Capital 78 Kolleginnen und Kollegen bei ihrer Verweigerung der Unterschriften. Ihnen kündigte der Insolvenzverwalter am 29. Mai kurzerhand fristlos und liess sie wie Gesetzesbrecher von Bodyguards aus dem Betrieb führen! Betriebsrat und IG Metall bezeichneten dieses Vorgehen zwar als überzogen, hielten die Kündigungen aber für richtig und der IG Metall-Bevollmächtigte lehnte einen Rechtsschutz für die Betroffenen ab! Über einen Rechtsschutz für die IG Metall-Mitglieder müsse der Vorstand entscheiden. Nach der fristlosen Kündigung der Rebellen, die nicht ohne Nachspiel bleiben wird, unterzeichnete der "Investor" Nordwind Capital den Kaufvertrag und übernahm zum 1. Juni den Betrieb. Aus den in die Transfergesellschaft gewechselten Beschäftigten übernahm er 1135 in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis und 400 in ein befristetes. 79 blieben in der Transfergesellschaft, sind also faktisch arbeitslos. Die nun neu eingestellten ISE´ler äußerten sich nicht etwa alle glücklich über den Ablauf und das Ergebnis. Auch Unbehangen, Wut und Zorn darüber, wie mit ihnen und besonders den Gekündigten umgegangen wurde, sind deutlich spürbar und wird vereinzelt auch klar geaüssert. Zufrieden dagegen zeigt sich die Führung der örtlichen IG Metall. “ Mit Nordwind haben wir die besten Bedingungen bekommen, die möglich waren”, wehrte sich der oberbergische IG Metall Bevollmächtigte Kemper gegen Vorwürfe, schlecht verhandelt zu haben. Verwunderung in der Belegschaft und auch bei der IG Metall gab es über die Feststellung, daß junge ISE`ler nur einen befristeten Vertrag, ältere, mit nur noch wenigen Jahren oder sogar Monaten bis zur Rente, dagegen einen unbefristeten Vertrag bekommen haben. Als sei das so schwer zu verstehen. Auch so wird über die Jahre Personal abgebaut, in dem die ausscheidenen Alten nicht mehr durch Junge ersetzt werden. Der neue Geschäftsführer von ISE in Bergneustadt hat inzwischen öffentlich eingeräumt, daß in den nächsten 2 Jahren ein Produktionsrückgang von 25 bis 30 Prozent zu erwarten sei. Warum dieser große Wirbel um eine eigentlich kleine Minderheit der ISE-Belegschaft, die sich nicht den Bedingungen des “Investors” beugen wollte? Bislang ist es üblich, Unternehmensverkäufe, egal ob aus einer Insolvenz heraus oder als solvente Unternehmen, unter Beachtung des § 613a Bürgerliches Gesetzbuch durchzuführen, was bedeutet, daß der Erwerber eines Betriebes oder Unternehmens 1. alle Beschäftigten zu übernehmen hat, und 2. den Beschäftigten für die Dauer mindestens eines Jahres nicht die Löhne gesenkt, nicht die Arbeitszeit verlängert werden darf. Auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit (wichtig bei Kündigungen und Abfindungen) bleibt erhalten. Es sei denn, es sind zum Lohn und zur Arbeitszeit andere abweichende Tarifverträge mit einer Gewerkschaft vereinbart. Das ist zwar auch ein interessantes Thema, kann aber hier nicht behandelt werden. Wer allerdings als Käufer eines Unternehmens dafür sorgt - wie im Fall ISE - daß er keine Belegschaft übernimmt, ist aus all dem raus. Die ISE´ler die seit 20 Jahren, 30 Jahren im Betrieb arbeiten, fangen mit einer, zwischen “Investor” und IG Metall vereinbarten zugesicherten Beriebszugehörigkeit von 7 Jahren wieder ziemlich neu an. Besonders erschreckend ist, daß sich die örtliche IG Metall und der Betriebsrat in dieses üble Machtspiel haben hineinziehen lassen. Zumindest hätten sie den Kollegen die Machtverhältnisse erklären und sich hinter die Unterschriftenverweigerer stellen müssen. So steht es auch in dem Infoblatt der DKP-Gruppe Oberberg für die Belegschaft der ISE in Bergneustadt, das von den Kollegen überwiegend positiv aufgenommen wurde und worauf einzelne Kollegen auch antworteten. ISE als Testfall für das Kapital? War dieses Machtspiel um ISE ein Testfall? Ging es darum auszuloten, ob auch weitere Betriebe unter Umgehung des § 613a BGB übernommen werden können? Ob das Modell ISE nicht vielleicht sogar zum “Normalfall” werden kann? Und das mit Hilfe der IG Metall. Möglich ist es immerhin. Vieles was heute in den Betrieben läuft, haben wir uns vor einigen Jahren noch nicht so richtig vorstellen können. Wachsamkeit der Kolleginnen und Kollegen und der Gewerkschaften, verbunden mit dem Willen, unsere Rechte nicht kampflos preiszugeben, macht es den “Investoren” a la Nordwind durchaus schwerer. Die ISE Betriebe in Duisburg und Witten hat er nach den Regeln des § 613a BGB übernommen. Dort aber ist der Betriebsrat auch kämpferischer als in Bergneustadt. Immerhin ist es für Nordwind Capital nicht so gelaufen, wie erhofft. Der größte Teil der fristlos Gekündigten hat Kündigungsschutzklage eingereicht, Die fristlosen Kündigungen waren arbeitsrechtlich nicht begründet und sie haben somit Aussichten, zumindest Abfindungen zu erhalten. Die ersten Verhandlungen haben bereits vor dem Arbeitsgericht Gummersbach stattgefunden. MK, September 2008 |