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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Stehen bald die Bänder bei Opel in Bochum? Neue Streiktaktik in Zeiten der Prekarisierung Während im portugiesischen Azambuja heute die 1100 ArbeiterInnen der dortigen General-Motors-Fabrik in allen drei Schichten gegen die drohende Werksschließung streiken wollen, droht dem Konzern bei Opel in Bochum aus anderen Gründen eine Produktionsunterbrechung. Die Beschäftigten der Logistik-Firma ESI wollen ihre Hungerlöhne nicht länger hinnehmen und befinden sich seit heute morgen um 6 Uhr im Streik. Da die Fließbänder bei Opel just-in-time von dieser Firma mit Scheiben und Kleinteilen beliefert werden, könnte sich der Streik schon bald auf die Autoproduktion auswirken. ESI steht für Edelhoff & Schollmayer Industrie-Service. Die Firma beschäftigt etwa 300 ArbeiterInnen, die an drei Standorten in Bochum für Opel Teile verpacken. Neben dem Hauptsitz in der Bessemer Str. 80 am Rande des Zentrums von Bochum, wird an zwei weiteren Standorten, die sich auf den Geländen der Opel-Werke I und II befinden vorsortiert. Denn dort werden die Teile "sequentiert", das heißt in genau der Zusammenstellung und Reihenfolge verpackt, wie sie später am Band gebraucht werden und mit einem zeitlichen Puffer von nur wenigen Stunden angeliefert. Die moderne Logistik besteht längst nicht mehr aus einfacher Lagerhaltung und Anlieferung, sondern ist eng mit den Produktionsabläufen verzahnt und übernimmt Teile der eigentlichen Produktion. Halbprodukte werden gekauft, gelagert und dann für den Einsatz in der Produktion aufbereitet. Seit den 80er Jahren haben die Autokonzerne große Teile der Lagerhaltung und Vorarbeiten ausgelagert, um durch die geringeren Löhne und schlechteren Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben Kosten zu sparen. Derselbe Kostendruck hat diese Betriebe aber nun wieder so eng in die Produktionsketten der Automultis eingebunden, dass den dort Beschäftigten dämmert, über welche Macht sie verfügen. Bei ESI will die Gewerkschaft ver.di diese Macht antesten, um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen durchzusetzen. ESI ist heute nicht mehr Edelhoff & Schollmayer, nur die Abkürzung ist geblieben - und das alte Firmenschild an der Bessemer Straße. In den letzten eineinhalb Jahren hat die Firma dreimal den Besitzer gewechselt. Heute gehört sie zum Remondis/Rhenus-Konzern, der selbst erst vor kurzem von der RWE-Umwelt AG abgestoßen wurde. Seit sieben Monaten versucht ver.di erfolglos, über die Anerkennung des Tarifvertrags Großhandel NRW zu verhandeln. Bisher kam immer ein Besitzerwechsel dazwischen und die neue Geschäftsleitung hat nun klipp und klar erklärt, dass sie mit der Gewerkschaft nicht reden werde. Wie ver.di-Verhandlungsführer Helmut Süllwold berichtete, weigerte sich der Geschäftsführer Herr Schorb sogar, ihm die Hand zu geben. Ab dem 7. Juni führte die Gewerkschaft daraufhin eine Urabstimmung durch, bei der sich bis zum 11.6. weit über 90 Prozent der Abstimmenden für Streik aussprachen. Seitdem die Logistik 1999 von ESI übernommen wurde, hat es nie einen Tarifvertrag gegeben. Einige der Streikenden, die sich gegen 6 Uhr an der Bessemer Straße versammelt haben, berichten, dass es seit sieben Jahren keine Lohnerhöhung gegeben hat - außer vielleicht ein paar Nasenprämien für einzelne. Die Löhne liegen nach Gewerkschaftsangaben bei 7,00 bis 7,50 Euro die Stunde. Ein streikender Staplerfahrer meint, dass er ca. 1.400 Euro brutto (!) im Monat herausbekommt - und damit gehört er schon zu den Besserverdienenden in dieser Firma. Gearbeitet wird in zwei Schichten, manchmal auch am Wochenende - alles ohne Zuschläge. Und wer mehr als drei Krankheitstage im Jahr hat, bekommt statt 30 nur 25 Urlaubstage. Einige ständen sich angesichts dieser Bedingungen mit Hartz IV wohl besser. Neue Streiktaktik angesichts von Prekarisierung Von den etwa 300 ESI-Beschäftigten sind nur 147 Frauen und Männer festangestellt, viele von ihnen stammen aus allen möglichen Ländern dieser Erde. Die andere Hälfte sind LeiharbeiterInnen, die unter anderem von den Firmen DEKRA und ABS Personalservice zu ESI geschickt werden. Die Gewerkschafter bemühten sich heute morgen, den LeiharbeiterInnen auf dem Weg zur Arbeit zu erklären, dass sie gesetzlich nicht verpflichtet sind, in einem bestreikten Betrieb zu arbeiten, und die Firma ihnen trotzdem ihren Lohn bezahlen muss (§ 11 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz). Aber natürlich würden sie sich damit bei den Chefs nicht gerade beliebt machen und ihren Rausschmiss bei nächster Gelegenheit riskieren. In der Streikrealität ist dieser Paragraph ein völlig bedeutungsloses gesetzgeberisches Feigenblatt, wie sich selbst beim großen ver.di-Streik im öffentlichen Dienst oder beim sechsmonatigen Streik bei Gate Gourmet am Düsseldorfer Flughafen gezeigt hat, als Leiharbeiter systematisch als Streikbrecher eingesetzt wurden. Um den absehbaren Streikbruch zu unterlaufen, der bei einem Anteil von 50 Prozent LeiharbeiterInnen absehbar ist, hat sich die Streikleitung etwas anderes ausgedacht. Sie hat heute morgen nicht alle Festangestellten von ESI zur Arbeitsniederlegung aufgerufen, sondern nur etwa 40 handverlesene ArbeiterInnen, die an neuralgischen Punkten der Produktion tätig sind - zum Beispiel Maschinenführer und Staplerfahrer. Die Firma müsste dann den Nicht-Streikenden den Lohn weiterbezahlen, auch wenn sie - so die Hoffnung - wegen des Streiks nicht mehr arbeiten können. Heute morgen gab es zudem Anlaufschwierigkeiten, weil Frauen mitstreikten, die normalerweise morgens die Türen zu den Räumen aufschließen. Dem Arbeitgeber war der heutige Streikbeginn bewusst nicht mitgeteilt worden, um den Überraschungseffekt nutzen zu können. Heute und morgen soll zunächst nur am Standort in der Bessemer Straße gestreikt werden - um zu sehen, wie sich der Streik auswirkt und ob die Streiktaktik aufgeht. Sollte sich die Geschäftsleitung trotzdem auf keine Gespräche einlassen, dann werde man nach dem Feiertag sämtliche Beschäftigten zum Streik aufrufen. Wenn die Arbeit an den beiden Standorten im Opel-Werk I und II niedergelegt wird, dann würde es - so der Betriebsrat - sehr schnell zu Auswirkungen auf die Autoproduktion kommen. Gegenüber Radio Bochum erklärte Helmut Süllwold, man werde auch bis zur Sommerpause streiken, falls die Firma nicht einlenkt. Verständlicherweise hat auch Opel ein Interesse daran, dass die Löhne und Arbeitsbedingungen bei ESI so beschissen bleiben, wie sie sind, um Kosten zu sparen. Opel-Manager deckten daher die sture Haltung der ESI-Geschäftsleitung und erklärten gegenüber der Presse, durch den Streik werde es zu keinen Problemen in der Produktion kommen. Gerade den ArbeiterInnen in den ausgelagerten und prekarisierten Bereichen soll immer wieder eingehämmert werden, dass sie machtlos sind und ohnmächtig die miesesten Bedingungen zu schlucken haben. Die ESI-Beschäftigten sehen das anders - zudem hoffen sie auf Unterstützung und Solidarität von Seiten der Opel-ArbeiterInnen. Artikel von pickets vom13.6.2006 |