Zahnlos und halbblind: IG Metall in der Krise
Kommentar von Jörn Boewe, zuerst erschienen in der jungen Welt vom 19.02.2009
Die Forderung der IG Metall nach Staatshilfe für den Automobilzulieferer Schaeffler offenbart eine strategische Konfusion, politische Impotenz und analytische Kurzsichtigkeit, die für den Kurs der weltweit größten Industriegewerkschaft in den kommenden Monaten Schlimmes ahnen läßt. Während bei der Schwestergewerkschaft ver.di immerhin relevante Teile zu Großdemonstrationen unter dem Motto »Wir zahlen nicht für eure Krise« Ende März in Frankfurt/M. und Berlin mobilisieren, fordern die Metaller, wenn es ernst wird, nichts anderes als die Sozialisierung der Verluste privater Spekulationsgeschäfte.
Die Schaeffler-Gruppe, ein Familienunternehmen aus dem mittelfränkischen Herzogenaurach, bislang spezialisiert auf Wälzlager, Antriebs- und Motorenteile, hatte sich im vorigen Sommer bei der Übernahme des Reifenherstellers Continental übernommen. Zehn Milliarden Euro borgten sich die Schaefflers bei den Banken und können jetzt die Zinsen nicht aufbringen.
Wer sich verzockt, hat Pech gehabt, sollte man meinen. Es gibt keinen einleuchtenden Grund, warum die Allgemeinheit einer momentan etwas klammen Milliardärsfamilie aus der Bredouille helfen sollte, während z. B. öffentliche Schulen verfallen, Städte verwahrlosen und Erwerbslose von miserablen »Regelsätzen« knapp unterm Existenzminimum überleben müssen. Wäre da nicht das »Arbeitsplatzargument«.
Nun ist es nichts Neues, daß ein Unternehmen versucht, Subventionen zu erpressen, indem es seine Arbeiter und Angestellten als Geiseln nimmt. Bemerkenswert ist, daß die IG Metall sich nicht entblödet, der Schaeffler-Familie dabei als bloße Hilfstruppe beizuspringen. Zwar konstatiert die Gewerkschaft in einem Eckpunktepapier für ein »Zukunftskonzept« für Schaeffler und Conti noch richtig, es sei »nicht Aufgabe des Staates, Unternehmen, die sich beim Kauf anderer Unternehmen finanziell überhoben haben, mit Steuergeldern zu unterstützen« oder gar »das Privatvermögen der Familie Schaeffler abzusichern«. Offenbar gilt das aber nur grundsätzlich und abstrakt. Konkret fordert die IG Metall im nächsten Absatz, »daß der Staat Beihilfen leistet, um die Arbeitsplätze zu sichern«.
Ein paar Bedingungen sollten die Schaefflers dann aber doch noch erfüllen, bevor der Finanzminister den Scheck ausfüllt, meint man bei der IG Metall. So müßten Arbeitsplätze und Standorte »verbindlich« abgesichert werden und Tariftreue garantiert werde - wobei unklar bleibt, wie derartige »Absicherungen« im Konfliktfall durchgesetzt werden sollen. Außerdem, »sollte« (sic!) »als eine Voraussetzung für staatliche Beihilfen« nicht etwa eine Eigentumsbeteiligung des Staates, nicht der Belegschaft, sondern »ein Mindestmaß von Offenheit und Transparenz gefordert werden«.
8000 Menschen schlossen sich Agenturberichten zufolge gestern in Herzogenaurach der Subventionsforderung an. Konzernchefin Maria-Elisabeth Schaeffler, die Dame, die den ganzen Schlamassel eingerührt hat, ließ sich vorm Werkstor bejubeln, unter den roten Fahnen der IG Metall.
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