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Updated: 18.12.2012 15:51
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Referat Bernd Riexinger für den Jahreskongress der Gewerkschaftslinken am 1. Oktober 2005

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in das Ergebnis der Bundestagswahl ist viel hinein interpretiert worden. Folgende Tatsachen sind für uns meines Erachtens bedeutend:

  1. rosa/verwelkt wurde abgewählt. Schröder hat trotz nachträglicher Umdichtung des Wahlergebnisses die Agenda 2010 vom Wahlvolk nicht bestätigt bekommen. Dass die SPD bei der Wahl nicht völlig abgestürzt ist, hat sie einem klassischen sozialdemokratischen Wahlkampf in der Endphase zu verdanken. Die Polarisierung in der sozialen Frage, wozu die CDU mit Mehrwertsteuererhöhung, Angriff auf die Tarifautonomie, Verschlechterung des Kündigungsschutzes und mit dem unsozialen Steuermodell von Kirchhof erheblich beigetragen hat, führte der SPD Stimmen zu. Man hatte ja phasenweise das Gefühl, die SPD und die Grünen hätten sieben Jahre überhaupt nicht regiert, Agenda 2010, Hartz IV und vieles andere wurde geradezu versteckt.
  1. Das bürgerliche Lager mit schwarz/gelb hatte, beflügelt durch Meinungsumfragen, die ihnen einen Durchmarsch vorher sagten, einen Wahlkampf für eine deutliche Verschärfung der Agenda 2010 geführt. Mit einem sogenannten ehrlichen Wahlkampf wollte sich die CDU die Loyalität für eine verschärfte neoliberale Politik sichern. Diese Rechnung ist gründlich daneben gegangen. Das bürgerliche Lager ist von einer Mehrheit weiter entfernt denn je. Es kann sich offensichtlich keine politische Kraft, wenn wir einmal von der FDP absehen, Mehrheiten für eine Politik des Sozialabbaus und der weiteren Umverteilung sichern.
  1. Mit der Linkspartei ist erstmals eine ernstzunehmende linke Alternative in den Bundestag eingezogen. Das politische Bündnis von PDS und WASG brachte es auf Anhieb auf 8,7 % und hat sogar die Grünen damit überholt. Das Stimmenergebnis von 5 % im Westen zeigt, dass sich die Linke auch hier auf Dauer etablieren kann. Gewählt wurde die Linke überwiegend von Arbeitern und Arbeitslosen, die von der sozialen Polarisierung am stärksten betroffen waren. Überdurchschnittlich gewählt wurde sie auch von Gewerkschaftsmitgliedern. 12 %. Trotzdem zeigt dieses Stimmenergebnis auch, dass viele Gewerkschaftsmitglieder zum Schluss doch noch einmal der SPD ihre Stimme gegeben haben in der Hoffnung, eine noch unsozialere Politik unter Merkel zu verhindern. Das Ergebnis der Linkspartei drückt aus, dass es in der Gesellschaft mehrere Millionen Stimmen gibt, die nicht mehr bereit sind, auf die etablierten Parteien zu setzen. Wenn dies auch in erster Linie noch Ausdruck einer Protesthaltung gegen die bestehenden Parteien ist und nicht der gesellschaftlichen Verankerung der Linken entspricht, deutet dieses Ergebnis doch darauf hin, dass sich dauerhaft eine linke anti-neoliberale Strömung in der Bevölkerung festsetzen kann. Immerhin hat sie auch dazu beigetragen, dass die Gewerkschaftsführung keinen offenen und eindeutigen Wahlkampf für die SPD führen konnte. Ohne die Linkspartei hätte es eindeutig einen Durchmarsch von schwarz/gelb gegeben. Mit dem dann mit Sicherheit erfolgten Angriff auf die Tarifautonomie wäre der von großen Teilen der Führung herbei gesehnte Schulterschluss mit der SPD in vollem Umfang hergestellt worden und wären die Ausgangsbedingungen für die Gewerkschaftslinke eher verschlechtert als verbessert.

Die nun mit großer Sicherheit entstehende Große Koalition wird den Weg des Umverteilens und des Sozialabbaus fortsetzen, wenn auch nicht in der von der CDU und FDP ursprünglich geplanten Form. Es wäre auch zu schön für das deutsche Kapital gewesen, eine SPD-geführte Regierung legt die Axt an die Säulen der Sozialsysteme und eine CDU-geführte haut sie gänzlich um. Obwohl die SPD in irgendeiner Form das soziale Gewissen in einer Großen Koalition spielen muss, wird die grundlegende Richtung nicht verändert werden. Schröders Aussage, dass die Agenda 2010 lediglich der erste Schritt sein wird, kann nun gemeinsam mit der CDU umgesetzt werden. Dazu gehört die weitere Steuererleichterung für das Kapital, insbesondere die Senkung der Körperschaftsteuer. Der Druck auf die öffentlichen Finanzen wird dadurch noch größer und die nächste Privatisierungswelle ist bereits vorprogrammiert. Einig sind sich beide Parteien auch darin, dass die sogenannten Lohnnebenkosten weiter gesenkt werden sollen. Das bedeutet nichts anderes als einen weiteren Angriff auf die Sozialsysteme, insbesondere auf die Rentenversicherung und die Arbeitslosenversicherung. Weitere Deregulierung des Arbeitsmarktes und Abspecken der Bundesagentur für Arbeit sind ebenfalls zu erwarten. Welcher Weg beim Gesundheitssystem gegangen wird, ist noch nicht abzusehen. Auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer, diese unsoziale Form der Steuererhöhung und des Massenkaufkraftentzugs, wird kein Tabu bei den Koalitionsverhandlungen bilden. Die CDU wird auf den direkten Angriff gegen die Tarifautonomie verzichten müssen und auch bei der Verschlechterung des Kündigungsschutzes Abstriche machen. Das wird nicht weiter wehtun, denn die Durchlöcherung und Erosion der Flächentarifverträge ist ohnehin auf den Weg gebracht und die Gewerkschaften sind derzeit nicht so aufgestellt, dass sie diesen Prozess stoppen würden. Auch der Kündigungsschutz hat eher ideologische Züge, denn durch die zahlreichen Befristungsmöglichkeiten ist der Kündigungsschutz ohnehin mehr denn je ausgehöhlt.

Die Hoffnung, dass die Linke in der SPD nach den Bundestagswahlen gestärkt werden würde und sie sich in der Opposition wieder auf sozialdemokratische Grundsätze besinnen können, wird nicht in Erfüllung gehen. Diese Hoffnung war ohnehin auf Sand gebaut. Die Enttäuschung weitere sozialdemokratischer Mitglieder und Wähler über die Politik ihrer Partei könnte sowohl die Chancen der politischen Linken als auch der Gewerkschaftslinken verbessern.

Die Situation der Gewerkschaften nach den Bundestagswahlen ist unverändert kritisch. Die Erosion sowohl der Mitgliederzahlen wie auch der Betriebs-, tarif- und gesellschaftspolitischen Handlungsfähigkeit hält unvermindert an. Die politische Krise der Gewerkschaften ist unübersehbar. Die jetzt von den Großkonzernen angekündigte Vernichtung von zehntausenden von Arbeitsplätzen ist nur die Spitze des Eisberges. Meine Einschätzung ist, dass wir vor einer neuen Welle massiver Kostendämpfungsprogramme nach innen stehen, und zwar nicht nur bei den Industriebetrieben, sondern auch im Dienstleistungsbereich. Zahlreiche Konzerne haben gewaltige Überkapazitäten aufgebaut. Der von vielen erwartete wirtschaftliche Aufschwung bleibt aus. Diese Überkapazitäten werden radikal zu Lasten der Belegschaften abgebaut und mit einer neuen Rationalisierungs- und Kosteneinsparoffensive verstärkt. Das Kapital wird seine Angriffe auf Löhne, Gehälter, Arbeitszeiten und soziale Standards weiter forcieren und den politischen Druck auf die Regierung erhöhen. Arbeitgeberpräsident Hundt hat bereits erklärt, dass es für die Arbeitgeberverbände relativ unbedeutend wäre, wer unter ihnen regiert. Hauptsache, sie sind bereit, ihr Programm umzusetzen.

Die Gewerkschaften sind weiterhin in der Defensive und haben auf diese Entwicklung nach wie vor keine Antwort, die aus der politischen und organisatorischen Krise herausführen kann. Das Konzept, auf betrieblicher oder auch tariflicher Ebene durch ständige Zugeständnisse und weiteres Zurückweichen Flächentarifverträge zu retten bzw. Regelungskompetenz zu demonstrieren, wird weiter zur Erosion beitragen. Vielfach gelingt es den Gewerkschaften nicht mehr, überhaupt noch Tarifverträge oder nur noch zu den vom Kapital diktierten Bedingungen abzuschließen. Gerade meine Gewerkschaft ver.di ist derzeit in mindestens fünf großen Tarifbereichen im tariflosen Zustand. In der Papierverarbeitung konnte kein Flächentarifvertrag mehr abgeschlossen werden. In bestehenden Haustarifverhandlungen wurde gerade beim Branchenführer eine Arbeitszeitverlängerung vereinbart. Die Folgen für den Flächentarifvertrag liegen auf der Hand. Im Einzelhandel konnte seit 31. März kein neuer Gehaltstarifvertrag abgeschlossen werden. Jetzt haben die Arbeitgeberverbände zum 31. Dezember 05 auch noch den Manteltarifvertrag gekündigt. Forderungen der Arbeitgeber: betriebliche Öffnungsklauseln bei der Arbeitszeit und bei den Sonderzahlungen sowie eine Reihe von anderen Verschlechterungen. Ebenfalls gekündigt wurde der Manteltarifvertrag im baden-württembergischen Großhandel. Im tariflosen Zustand befindet sich auch das baden-württembergische private Omnibusgewerbe. Auch hier muss der Weg von Haustarifverhandlungen gegangen werden. Im öffentlichen Dienst, dem größten Flächentarifvertrag Europas, befindet sich ver.di mit den Ländern seit ca. zwei Jahren bei der Arbeitszeit und den Sonderzahlungen im tariflosen Zustand. Die Zahl der Beschäftigten, die bereits 41 Stunden arbeiten, kein Urlaubsgeld und abgesenktes Weihnachtsgeld erhalten, liegt zwischenzeitlich bei ca. 15 %. Verschiedene kommunale Arbeitgeberverbände auf Länderebene haben bereits angekündigt, dass sie von der Öffnungsklausel im neuen Tarifvertrag öffentlicher Dienst bei der Arbeitszeit Gebrauch machen werden und sofort nach Inkrafttreten des Tarifvertrages am heutigen Tag die Arbeitszeittarife kündigen werden. Ziel: die flächendeckende Einführung der 40-Stunden-Woche.

Der Versuch von ver.di, mit dem neuen modernisierten Tarifvertrag öffentlicher Dienst durch Zugeständnisse den Flächentarifvertrag zu sichern, hat nicht einmal bis zu seiner Einführung gehalten. Die Gegenseite gibt keine Ruhe, und es ist eine Illusion zu meinen, dass dem Konflikt mit der Kapitalseite ausgewichen werden kann. Höchstens unter völliger Aufgabe der eigenen Positionen und Stellung.

In ver.di fordert der Bundesvorsitzende nunmehr eine Entscheidung, ob auf dem Verhandlungsweg ein Kompromiss gesucht oder der Kampf, sprich Streik, mit den Arbeitgebern aufgenommen werden soll. Dahinter steckt meines Erachtens eine grundlegende Auseinandersetzung über die Linie der Gewerkschaften, die politisch nicht ausgetragen, aber pragmatisch immer wieder zu Gunsten des Zurückweichens entschieden wird.

Die Gewerkschaften sind im realexistierenden Shareholderkapitalismus immer noch nicht bewusst angekommen. Zu keinem Zeitpunkt hat eine qualifizierte und breite Auseinandersetzung mit der neuen Formation des Kapitalismus stattgefunden. Immer noch herrscht die Illusion vor, die massive Kapitaloffensive möge nur ein vorübergehender Zustand und nicht der neue Normalfall sein. Die Hoffnung, einen neuen sozialen Kompromiss herstellen zu können, wenn auch auf niedrigerer Ebene, beherrscht nicht nur die Gedanken und Handlungsweisen eines großen Teils der Führung, sondern auch wahrscheinlich der Mehrheit der Betriebsräte und großer Teile der Mitglieder.

Es wird eine wichtige Aufgabe der Gewerkschaftslinken nach wie vor sein, über den Charakter dieses Kapitalismus aufzuklären und der pragmatischen Politik des geordneten Rückzugs und Zurückweichens ein anderes Politikkonzept entgegen zu setzen.

Es ist verheerend, dass die Gewerkschaften der massiven Beschäftigungskrise, den dauerhaften Angriffe auf Löhne, Gehälter, Arbeitsbedingungen und Tarifverträge, der permanenten Erpressung durch international aufgestellte Konzerne mit Standortverlagerungen und Standortschließungen sowie der Angriffe der politischen Kräfte auf Sozialsysteme und Arbeitnehmerrechte weder ein politisches Gegenkonzept noch eine gewerkschaftspolitische Strategie entgegen setzen können. Das jeweilige pragmatische reagieren wird die politische Krise der Gewerkschaften nur noch mehr vergrößern.

Es wäre natürlich den Mund etwas zu voll genommen, wenn wir behaupten, dass die Gewerkschaftslinke ein solches Gegenkonzept besitzt. Aber über die ganzen letzten Jahre der politischen Debatte auf der Linken haben sich einige zentrale Positionen herausgebildet, die auch im heute Nachmittag zu diskutierenden Plattformentwurf enthalten sind. Es wäre jetzt mühsam, alle Forderungen aus der Plattform einfach aufzuzählen, aber einige werden auch für die Gewerkschaftslinke besonderes Gewicht haben:

  1. Dem klassischen Konzept des Kapitals, Überkapazitäten durch Kapital- und Arbeitsplatzvernichtung abzubauen, müssen die Gewerkschaften die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnaugleich entgegen stellen. Es ist zwar unvorstellbar, die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung aus dem Stand heraus kampffähig zu machen. Aber ohne eine bewusste Entscheidung, diese Forderung aufzunehmen und entsprechende Konzepte zu erarbeiten, wird es zu keinem Zeitpunkt eine Mobilisierung dafür geben. Massive Arbeitszeitverkürzung ist jedoch ein der wenigen in sich schlüssigen Perspektiven der Gewerkschaften gegen die stetige Ausweitung der Massenarbeitslosigkeit. Auf diese Forderung jetzt jahrelang verzichtet zu haben und - im Gegenteil - sogar Arbeitszeitverlängerung schleichend zuzustimmen, ist einer der größten Fehler der Gewerkschaftsbewegung in der jüngeren Geschichte.

    Erfolg werden die Gewerkschaften in dieser Frage nur haben, wenn die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung auf eine gesellschaftliche, ja vielleicht sogar europäische Ebene gestellt wird. Ein solches Projekt muss jedoch auf Jahre hinweg durch eine Kampagne mit klaren Botschaften vorbereitet und auf den Weg gebracht werden.
  2. Die defensive Lohnpolitik der letzten zehn Jahre hat nicht zur Sicherung der Arbeitsplätze beigetragen. Im Gegenteil, sie hat die Krise auf den Binnenmärkten noch mehr verschärft. Deutschland ist im internationalen Maßstab der Industrieländer bei der Lohnentwicklung absolut an letzter Stelle. Während zum Beispiel die Löhne in Großbritannien und Schweden um 25 %, im EU-Durchschnitt um 10 % gestiegen sind, sind sie in Deutschland um 0,9 % gefallen. Auch das drückt die Schwäche der deutschen Gewerkschaften aus, die durch diese Politik nebenbei noch dem deutschen Kapital ermöglichen, von Jahr zu Jahr neue Exportrekordüberschüsse zu erzielen. Die Umorientierung zu einer offensiveren Lohnpolitik setzt auch in diesem Bereich erst einmal eine politisch-geistige Umorientierung voraus. Dass die Löhne in Deutschland nicht zu hoch sind, sondern zu niedrig sind, muss landauf landab wieder in die Köpfe der Gewerkschaftsmitglieder und der arbeitenden Bevölkerung gebracht werden. Dazu gehört auch der Kampf um einen gesetzlichen Mindestlohn, der verbunden werden muss mit dem Kampf gegen die Ausdehnung des Niedriglohnbereichs und der Ausdehnung der prekären Beschäftigung. In diesen Bereichen hat die defensive Lohnpolitik im übrigen die verheerendsten Folgen. Millionen von Menschen werden permanent unter das Existenzminimum geschoben und können von ihrer Arbeit nicht mehr vernünftig leben.

  3. Statt Standortsicherungsvereinbarungen müssen die Gewerkschaften betriebliche Kämpfe gegen Arbeitsplatzvernichtung, Standortverlagerung, Ausgliederungen und Betriebsschließungen führen und durch überbetriebliche Koordinierung und Solidarität unterstützen. Es ist ein Witz, wenn die Gewerkschaften behaupten, dass durch Beschäftigungssicherungsverträge Beschäftigung gesichert würde. Maximal werden dadurch Kündigungen verhindert, was auch schon nicht wenig sein kann, der Arbeitsplatzabbau erfolgt trotzdem und die sozialen Folgen werden auf die Jüngeren und Erwerbslosen abgewälzt. Diesen Zusammenhang ins Blickfeld zu rücken und die betrieblichen Abwehrkämpfe zu einer gesellschaftlichen Frage um die Zukunft der Arbeit und Existenz zu machen, hätte allemal tausend Mal mehr Perspektive als die jetzige Politik.

Um nur diese Punkte anzugehen, bedarf es einiger grundsätzlicher Veränderungen in den Gewerkschaften, die ich bereits im Info der letzten Gewerkschaftslinken niedergeschrieben habe. Ich zitiere:

  • Die Gewerkschaften müssen sich bewusst machen, dass es kein zurück zu einem neuen sozialen Kompromiss - zumindest auf absehbare Zeit - mehr gibt. Die Kapitaloffensive ist nur durch entschiedene Gegenwehr und " permanente" Mobilisierung zu stoppen. Dabei müssen die Gewerkschaften sowohl in Verbindung mit Lohn als auch bei Arbeitszeitfragen die Verteilungsfrage in den Mittelpunkt stellen. Spielräume für eine offensivere Gewerkschaftspolitik gibt es nur, wenn an die Gewinne und Vermögen rangegangen wird und Rückumverteilung von oben nach unten zum ernstgemeinten Ziel erhoben wird.
  • Die Gewerkschaften müssen verstärkt die Interessen der prekär Beschäftigten und der Menschen im Niedriglohnbereich vertreten und deren Organisierung verstärkt in Angriff nehmen.
    Der Kampf für einen gesetzlichen Mindestlohn kann dafür ein Ansatz sein, ebenso wie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der Aufbau bzw. die Stärkung der betrieblichen Interessenvertretung, sowie der Kampf um den Abschluss von Tarifverträgen.
  • Die Gewerkschaften müssen bewusst der Verbetrieblichung entgegen wirken. Die Organisierung überbetrieblicher Solidarität zum Erhalt bzw. zur Schaffung einheitlicher Standards ist eine wichtige Antwort auf die betriebliche Erpressungspolitik. Dem Abbau von Überkapazitäten durch Arbeitsplatzvernichtung kann die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung entgegengesetzt werden.
  • Diese Auseinandersetzung muss mit einer stärkeren Internationalisierung der Gewerkschaften und einer europäisch/internationalen Perspektive einhergehen. Dafür sind konkrete gewerkschaftspolitische Projekte erforderlich, wie gemeinsamer europäischer Kampf um Arbeitszeitverkürzung oder gegen die Privatisierung.
  • Die Gewerkschaften müssen begreifen, dass kaum ein Konflikt mehr gewonnen werden kann, wenn er nicht von ihnen selbst politisiert und zur gesellschaftlichen Frage gemacht wird. Das Kapital macht das übrigens seit Jahren. Kein Tarifkonflikt, der nicht zur Standortfrage erklärt wird oder zum Ruin der Wirtschaft und zur Arbeitsplatzvernichtung führen würde. Als exemplarisches Beispiel kann der Tarifkampf um die Arbeitszeitverkürzung im Osten genommen werden, den die IGM als Tarifkonflikt und die Arbeitgeber als politischen Konflikt führten. Wenn z.B. ver.di den Konflikt mit den öffentlichen Arbeitgebern um die Arbeitszeitverlängerung gewinnen will, muss sie ihn zu einem gesellschaftlichen machen (öffentliche Arbeitgeber vernichten Arbeitsplätze und Zukunftschancen für die Jugend).
  • Die Gewerkschaften müssen ihr politisches Mandat offensiv wahrnehmen. Ohne eine Veränderung der wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen werden die tarif- und betriebspolitischen Spielräume enger. Politische Forderungen an die Parteien und Regierung werden nicht in erster Linie durch Lobby-Arbeit, sondern durch außerparlamentarische Mobilisierung durchgesetzt. Die Tabuisierung des politischen Streiks muss beendet werden. Im Umgang mit dem in Kürze zu erwartendem Regierungsprogramm wird sich zeigen, wie es die Gewerkschaften mit ihrem politischen Mandat halten wollen.
  • Der Kampf gegen Privatisierung ist in besonderem Maße geeignet, die Interessen der Beschäftigten mit denen der betroffenen Bürger/innen zu verbinden und beide für den Erhalt oder den Ausbau öffentlicher Einrichtungen zu mobilisieren.
  • Die Gewerkschaften müssen sich inhaltlich und praktisch auf Bündnisse mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und Bewegungen einlassen. Dazu gehören Erwerbslosenverbände, GlobalisierungskritikerInnen, Bürgerinitiativen, Sozialforen und politische Gruppen. Dazu gehört die Bereitschaft, sich in einem offenen Diskussionsprozess auf gemeinsame Interessen und Ziele zu verständigen und auf Majorisierung und Bevormundung zu verzichten.
  • Die Gewerkschaften dürfen sich nicht mit dem real-existierenden Kapitalismus arrangieren, sondern müssen sich daran beteiligen) eine Vision, ein Zukunftsbild von einer solidarischen, sozialen, demokratischen und ökologischen Gesellschaft zu entwickeln. Die demokratische Kontrolle der Wirtschaft, nicht mit der Mitbestimmung in Aufsichtsräten zu verwechseln, müsste ein Bestandteil davon sein.

Doch nun zurück zu den Bundestagswahlen. Was heißt dies konkret für die Gewerkschaftslinke und für die Gewerkschaften nach den Bundestagswahlen?

Die Existenz einer neuen Linkspartei ersetzt nicht die Notwendigkeit einer breiten außerparlamentarischen Bewegung gegen Sozial- und Lohnabbau. Verschiedene Gruppen oder soziale Bewegungen laden unter dem Dach des Sozialforums Deutschland zu einem Aktivistenkongress am 20. November ein, auf dem näher geklärt werden soll, mit welchen Forderungen und Aktionen gegen den anstehenden Koalitionsvertrag und dessen Umsetzung reagiert werden muss. Wir sollten darauf hin arbeiten, dass die Gewerkschaften Teil dieses politischen Bündnisses sind und entschieden sich am Kampf gegen Lohn- und Sozialabbau beteiligen. Sollte die Gewerkschaftsführung wiederum unentschlossen reagieren wie im Vorfeld des 1. November sollte die Gewerkschaftslinke darauf hinwirken, dass die lokalen Gliederungen selbstständig Träger des sozialen Protestes werden. Die Existenz einer neuen Linkspartei kann diese Proteste dann befördern, wenn sie deren Forderungen aufgreift und sie auf die politische Bühne bringt. Es kann dann auch eine neue Qualität gegeben, wenn erstmals eine nicht mehr ganz kleine politische Partei Kämpfe in den Betrieben und auf der Straße aktiv unterstützt und damit zur Herausbildung einer anderen politischen Kultur in Deutschland beiträgt.

Die Verbindung von betrieblichen, tariflichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit den vorher formulierten politischen Perspektiven der Gewerkschaften wird eine der wichtigsten Aufgaben der Gewerkschaftslinken in den nächsten Monaten sein.

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.


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