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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Es gilt das gesprochene Wort! Referat Bernd Riexinger für den Jahreskongress der Gewerkschaftslinken am 1. Oktober 2005 Liebe Kolleginnen und Kollegen, in das Ergebnis der Bundestagswahl ist viel hinein interpretiert worden. Folgende Tatsachen sind für uns meines Erachtens bedeutend:
Die nun mit großer Sicherheit entstehende Große Koalition wird den Weg des Umverteilens und des Sozialabbaus fortsetzen, wenn auch nicht in der von der CDU und FDP ursprünglich geplanten Form. Es wäre auch zu schön für das deutsche Kapital gewesen, eine SPD-geführte Regierung legt die Axt an die Säulen der Sozialsysteme und eine CDU-geführte haut sie gänzlich um. Obwohl die SPD in irgendeiner Form das soziale Gewissen in einer Großen Koalition spielen muss, wird die grundlegende Richtung nicht verändert werden. Schröders Aussage, dass die Agenda 2010 lediglich der erste Schritt sein wird, kann nun gemeinsam mit der CDU umgesetzt werden. Dazu gehört die weitere Steuererleichterung für das Kapital, insbesondere die Senkung der Körperschaftsteuer. Der Druck auf die öffentlichen Finanzen wird dadurch noch größer und die nächste Privatisierungswelle ist bereits vorprogrammiert. Einig sind sich beide Parteien auch darin, dass die sogenannten Lohnnebenkosten weiter gesenkt werden sollen. Das bedeutet nichts anderes als einen weiteren Angriff auf die Sozialsysteme, insbesondere auf die Rentenversicherung und die Arbeitslosenversicherung. Weitere Deregulierung des Arbeitsmarktes und Abspecken der Bundesagentur für Arbeit sind ebenfalls zu erwarten. Welcher Weg beim Gesundheitssystem gegangen wird, ist noch nicht abzusehen. Auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer, diese unsoziale Form der Steuererhöhung und des Massenkaufkraftentzugs, wird kein Tabu bei den Koalitionsverhandlungen bilden. Die CDU wird auf den direkten Angriff gegen die Tarifautonomie verzichten müssen und auch bei der Verschlechterung des Kündigungsschutzes Abstriche machen. Das wird nicht weiter wehtun, denn die Durchlöcherung und Erosion der Flächentarifverträge ist ohnehin auf den Weg gebracht und die Gewerkschaften sind derzeit nicht so aufgestellt, dass sie diesen Prozess stoppen würden. Auch der Kündigungsschutz hat eher ideologische Züge, denn durch die zahlreichen Befristungsmöglichkeiten ist der Kündigungsschutz ohnehin mehr denn je ausgehöhlt. Die Hoffnung, dass die Linke in der SPD nach den Bundestagswahlen gestärkt werden würde und sie sich in der Opposition wieder auf sozialdemokratische Grundsätze besinnen können, wird nicht in Erfüllung gehen. Diese Hoffnung war ohnehin auf Sand gebaut. Die Enttäuschung weitere sozialdemokratischer Mitglieder und Wähler über die Politik ihrer Partei könnte sowohl die Chancen der politischen Linken als auch der Gewerkschaftslinken verbessern. Die Situation der Gewerkschaften nach den Bundestagswahlen ist unverändert kritisch. Die Erosion sowohl der Mitgliederzahlen wie auch der Betriebs-, tarif- und gesellschaftspolitischen Handlungsfähigkeit hält unvermindert an. Die politische Krise der Gewerkschaften ist unübersehbar. Die jetzt von den Großkonzernen angekündigte Vernichtung von zehntausenden von Arbeitsplätzen ist nur die Spitze des Eisberges. Meine Einschätzung ist, dass wir vor einer neuen Welle massiver Kostendämpfungsprogramme nach innen stehen, und zwar nicht nur bei den Industriebetrieben, sondern auch im Dienstleistungsbereich. Zahlreiche Konzerne haben gewaltige Überkapazitäten aufgebaut. Der von vielen erwartete wirtschaftliche Aufschwung bleibt aus. Diese Überkapazitäten werden radikal zu Lasten der Belegschaften abgebaut und mit einer neuen Rationalisierungs- und Kosteneinsparoffensive verstärkt. Das Kapital wird seine Angriffe auf Löhne, Gehälter, Arbeitszeiten und soziale Standards weiter forcieren und den politischen Druck auf die Regierung erhöhen. Arbeitgeberpräsident Hundt hat bereits erklärt, dass es für die Arbeitgeberverbände relativ unbedeutend wäre, wer unter ihnen regiert. Hauptsache, sie sind bereit, ihr Programm umzusetzen. Die Gewerkschaften sind weiterhin in der Defensive und haben auf diese Entwicklung nach wie vor keine Antwort, die aus der politischen und organisatorischen Krise herausführen kann. Das Konzept, auf betrieblicher oder auch tariflicher Ebene durch ständige Zugeständnisse und weiteres Zurückweichen Flächentarifverträge zu retten bzw. Regelungskompetenz zu demonstrieren, wird weiter zur Erosion beitragen. Vielfach gelingt es den Gewerkschaften nicht mehr, überhaupt noch Tarifverträge oder nur noch zu den vom Kapital diktierten Bedingungen abzuschließen. Gerade meine Gewerkschaft ver.di ist derzeit in mindestens fünf großen Tarifbereichen im tariflosen Zustand. In der Papierverarbeitung konnte kein Flächentarifvertrag mehr abgeschlossen werden. In bestehenden Haustarifverhandlungen wurde gerade beim Branchenführer eine Arbeitszeitverlängerung vereinbart. Die Folgen für den Flächentarifvertrag liegen auf der Hand. Im Einzelhandel konnte seit 31. März kein neuer Gehaltstarifvertrag abgeschlossen werden. Jetzt haben die Arbeitgeberverbände zum 31. Dezember 05 auch noch den Manteltarifvertrag gekündigt. Forderungen der Arbeitgeber: betriebliche Öffnungsklauseln bei der Arbeitszeit und bei den Sonderzahlungen sowie eine Reihe von anderen Verschlechterungen. Ebenfalls gekündigt wurde der Manteltarifvertrag im baden-württembergischen Großhandel. Im tariflosen Zustand befindet sich auch das baden-württembergische private Omnibusgewerbe. Auch hier muss der Weg von Haustarifverhandlungen gegangen werden. Im öffentlichen Dienst, dem größten Flächentarifvertrag Europas, befindet sich ver.di mit den Ländern seit ca. zwei Jahren bei der Arbeitszeit und den Sonderzahlungen im tariflosen Zustand. Die Zahl der Beschäftigten, die bereits 41 Stunden arbeiten, kein Urlaubsgeld und abgesenktes Weihnachtsgeld erhalten, liegt zwischenzeitlich bei ca. 15 %. Verschiedene kommunale Arbeitgeberverbände auf Länderebene haben bereits angekündigt, dass sie von der Öffnungsklausel im neuen Tarifvertrag öffentlicher Dienst bei der Arbeitszeit Gebrauch machen werden und sofort nach Inkrafttreten des Tarifvertrages am heutigen Tag die Arbeitszeittarife kündigen werden. Ziel: die flächendeckende Einführung der 40-Stunden-Woche. Der Versuch von ver.di, mit dem neuen modernisierten Tarifvertrag öffentlicher Dienst durch Zugeständnisse den Flächentarifvertrag zu sichern, hat nicht einmal bis zu seiner Einführung gehalten. Die Gegenseite gibt keine Ruhe, und es ist eine Illusion zu meinen, dass dem Konflikt mit der Kapitalseite ausgewichen werden kann. Höchstens unter völliger Aufgabe der eigenen Positionen und Stellung. In ver.di fordert der Bundesvorsitzende nunmehr eine Entscheidung, ob auf dem Verhandlungsweg ein Kompromiss gesucht oder der Kampf, sprich Streik, mit den Arbeitgebern aufgenommen werden soll. Dahinter steckt meines Erachtens eine grundlegende Auseinandersetzung über die Linie der Gewerkschaften, die politisch nicht ausgetragen, aber pragmatisch immer wieder zu Gunsten des Zurückweichens entschieden wird. Die Gewerkschaften sind im realexistierenden Shareholderkapitalismus immer noch nicht bewusst angekommen. Zu keinem Zeitpunkt hat eine qualifizierte und breite Auseinandersetzung mit der neuen Formation des Kapitalismus stattgefunden. Immer noch herrscht die Illusion vor, die massive Kapitaloffensive möge nur ein vorübergehender Zustand und nicht der neue Normalfall sein. Die Hoffnung, einen neuen sozialen Kompromiss herstellen zu können, wenn auch auf niedrigerer Ebene, beherrscht nicht nur die Gedanken und Handlungsweisen eines großen Teils der Führung, sondern auch wahrscheinlich der Mehrheit der Betriebsräte und großer Teile der Mitglieder. Es wird eine wichtige Aufgabe der Gewerkschaftslinken nach wie vor sein, über den Charakter dieses Kapitalismus aufzuklären und der pragmatischen Politik des geordneten Rückzugs und Zurückweichens ein anderes Politikkonzept entgegen zu setzen. Es ist verheerend, dass die Gewerkschaften der massiven Beschäftigungskrise, den dauerhaften Angriffe auf Löhne, Gehälter, Arbeitsbedingungen und Tarifverträge, der permanenten Erpressung durch international aufgestellte Konzerne mit Standortverlagerungen und Standortschließungen sowie der Angriffe der politischen Kräfte auf Sozialsysteme und Arbeitnehmerrechte weder ein politisches Gegenkonzept noch eine gewerkschaftspolitische Strategie entgegen setzen können. Das jeweilige pragmatische reagieren wird die politische Krise der Gewerkschaften nur noch mehr vergrößern. Es wäre natürlich den Mund etwas zu voll genommen, wenn wir behaupten, dass die Gewerkschaftslinke ein solches Gegenkonzept besitzt. Aber über die ganzen letzten Jahre der politischen Debatte auf der Linken haben sich einige zentrale Positionen herausgebildet, die auch im heute Nachmittag zu diskutierenden Plattformentwurf enthalten sind. Es wäre jetzt mühsam, alle Forderungen aus der Plattform einfach aufzuzählen, aber einige werden auch für die Gewerkschaftslinke besonderes Gewicht haben:
Um nur diese Punkte anzugehen, bedarf es einiger grundsätzlicher Veränderungen in den Gewerkschaften, die ich bereits im Info der letzten Gewerkschaftslinken niedergeschrieben habe. Ich zitiere:
Doch nun zurück zu den Bundestagswahlen. Was heißt dies konkret für die Gewerkschaftslinke und für die Gewerkschaften nach den Bundestagswahlen? Die Existenz einer neuen Linkspartei ersetzt nicht die Notwendigkeit einer breiten außerparlamentarischen Bewegung gegen Sozial- und Lohnabbau. Verschiedene Gruppen oder soziale Bewegungen laden unter dem Dach des Sozialforums Deutschland zu einem Aktivistenkongress am 20. November ein, auf dem näher geklärt werden soll, mit welchen Forderungen und Aktionen gegen den anstehenden Koalitionsvertrag und dessen Umsetzung reagiert werden muss. Wir sollten darauf hin arbeiten, dass die Gewerkschaften Teil dieses politischen Bündnisses sind und entschieden sich am Kampf gegen Lohn- und Sozialabbau beteiligen. Sollte die Gewerkschaftsführung wiederum unentschlossen reagieren wie im Vorfeld des 1. November sollte die Gewerkschaftslinke darauf hinwirken, dass die lokalen Gliederungen selbstständig Träger des sozialen Protestes werden. Die Existenz einer neuen Linkspartei kann diese Proteste dann befördern, wenn sie deren Forderungen aufgreift und sie auf die politische Bühne bringt. Es kann dann auch eine neue Qualität gegeben, wenn erstmals eine nicht mehr ganz kleine politische Partei Kämpfe in den Betrieben und auf der Straße aktiv unterstützt und damit zur Herausbildung einer anderen politischen Kultur in Deutschland beiträgt. Die Verbindung von betrieblichen, tariflichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit den vorher formulierten politischen Perspektiven der Gewerkschaften wird eine der wichtigsten Aufgaben der Gewerkschaftslinken in den nächsten Monaten sein. Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit. |