Wiederholt sich das Drehbuch des Putsches im April? Nach dem - weitgehend gescheiterten - erneuten Generalstreik verschärft die Opposition ihren Konfrontationskurs

Der erneute "Generalstreik" den die Gewerkschaftszentrale CTV und der Unternehmerverband Fedecamaras für die erste Dezemberwoche abermals gemeinsam ausriefen, ist weitgehend gescheitert, die Beteiligung wurde von Tag zu Tag geringer. Waren es zu Beginn noch ca 15% der Wirtschaftstätigkeit, die behindert wurden, so waren am Freitag kaum noch Auswirkungen zu registrieren. Gescheitert ist dieser erneute Versuch unter anderem daran, dass auch die grosse Mehrheit jener, die keine Anhänger von Hugo Chavez sind, keine ständig schärfere Konfrontation bis hin zum Bürgerkrieg will, wie es die Opposition im April gewollt hat und offensichtlich weiter will. Und vor allem daran, dass die Politik der Chavez Regierung von der übergrossen Mehrheit der Armen im Lande - keineswegs identisch mit der Industriearbeiterschaft - unterstützt und mitgestaltet wird. Am vergangenen Freitag wurde - wie im April - auf Anti-Chavez Demonstranten geschossen. Damals stellte sich später heraus, dass die Täter in den Reihen der oppositionellen Polizei zu suchen waren. Und diesmal? Wie im April bezieht der IBFG Position: Gegen Chavez. Ginge ja noch. Aber auch: Für die Putschisten.

Und - natürlich - die USA, in Person ihres Südamerikabeauftragten Otto Reich, äusserten sich "besorgt". Haben sie auch Grund: Schliesslich sind die wichtigsten potentiellen Putschoffiziere allesamt Absolventen der "School of the Americas"...

Siehe:

Venezuelas Situation stabilisiert sich - Medien produzieren virtuellen Notstand

Ein Artikel von Dario Azzellini nach den grossen - friedlichen - Massenaktionen gegen die Privatmedien Venezuelas. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Ein - inzwischen allgemein zugegeben - gefälschtes Video der Schüsse am Altamiraplatz, das über alle grossen Sender lief.

"Die Verteidigung, Fortsetzung und Vertiefung des bolivarianischen Prozesses steht auf der Tagesordnung"

Die Rede des Präsidenten Hugo Chavez (auf spanisch mit einer ganz kurzen deutschen Zusammenfassung) für die Kundgebung vom 5. Dezember 02 in der Stadtmitte von Caracas, an der rund 2 Millionen Menschen teilnahmen - verschickt am 6.12 über die Mailingliste "conectandonos"(Argentinien) von der "Cadena Nacional de Venezuela" - die grossen privaten TV Sender des Landes lassen Chavez nicht zu Wort kommen.

"EL GUIÓN DEL GOLPE DE ESTADO CONTINÚA: ¿MASACRE EN DÓNDE?"
(Das Drehbuch für einen Staatsstreich wird fortgeschrieben - wo war ein Massaker?)

Ruben Molina von der Pressestelle der "Organisation bolivarianischer Arbeiter" FTB verschickte diesen Aufruf am 7.12 per Mail weltweit: Nach den Toten am Freitag am Rande der seit Monaten von oppositionellen Offizieren (mit Logistik durch den Bürgermeister) besetzten Plaza Altamira, sei es endgültig klar, dass der Plan für einen Staatsstreich weiter verfolgt werde. Er ruft insbesondere die GewerkschafterInnen im IBFG auf, daraufhin zu drängen, dass die "bedingungslose Solidarität" mit der CTV und ihrem Vorsitzenden Ortega aufhöre, die seit ewig im Lande als korrupte Clique bekannt seien. Der (spanische) Text des Aufrufs mit einer kurzen deutschen Zusammenfassung

Gaviria Should Leave Venezuela (Gaviria sollte Venezuela verlassen)

Link zum (englischen) Bericht von Al Giordano vom 10.12.2002 für "Narconews" - in dem die Propaganda der TV Sender und die Proteste dagegen in den Zusammenhang des Besuchs des Vertreters der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) Gaviria gestellt wird...

"Unser Kampf ist ein weltweiter Kampf"

Interview von Dario Azzellini mit Rodrigo Chavez, dem nationalen Koordinator der "Bolivarianischen Zirkel" über die Lage im Lande, Perspektiven und Hintergründe der Auseinandersetzung. Diese Zirkel sind inzwischen mit Abstand die grösste politische Organisation der venezuelanischen Geschichte - fast 10 Prozent der Bevölkerung sind Mitglied.

"Generalstreik in Venezuela scheitert - Opposition greift zunehmend zu Gewalt"

Ein Bericht von Dario Azzellini über das Scheitern des erneuten, vierten Generalstreikversuchs und den Kurs der Opposition auf Bürgerkrieg: "Der Streik konzentrierte sich letztlich im wesentlichen auf Privatschulen, Geschäfte in den wohlhabenden Vierteln Caracas und einige größere Fabriken sowie Einkaufszentren in denen die Arbeiter faktisch von den Unternehmern ausgesperrt wurden. Selbst im Erdölsektor, der als Hochburg der Opposition gilt, fand der Streik nur unter den höheren Angestellten statt, während Förderanlagen, Raffinerien und Export weiterhin reibungslos arbeiteten."

BBC NEWS: Troops step into Venezuela strike (Truppen greifen in venezuelanischen Streik ein)

Der Bericht der BBC befasst sich mit Chavez Befehl, Öltransporter zu zwingen, ihre Ladung auszuliefern. Zwar nicht so einseitig wie Reuters, IBFG und andere, aber mit deutlicher Sympathie für die Opposition verfasst. Und, im Anhang, Mails von - vor allem - venezuelanischen BürgerInnen, die sich gegen Chavez aussprechen. Link zum BBC-Bericht vom 6.12.2002

"Why Are the Coup Plotters So Impatient? And How Venezuela Can Defeat Them Legally"

(Warum sind die Putschisten so ungeduldig? Und wie kann Venezuela sie legal besiegen?)

In diesem Artikel von Heinz Dieterich Steffan für die linke spanische Seite Rebelion.org vom 8.12.02 wird vor allem deutlich, welche konkrete Rolle die staatliche Erdölgesellschaft spielt - und warum der Staat nur noch 20 Prozent der Einnahmen erhält, statt früheren 80 Prozent... Link zur englischen Fassung bei narconews

"ICFTU harshly criticises Venezuela for trade union rights abuses and 'widespread' child labour "

(IBFG kritisiert Venezuela heftig wegen Verstössen gegen Gewerkschaftsrechte und weitverbreiteter Kinderarbeit)

Passend zum erneuten Streikversuch: Link zur offiziellen Stellungnahme (vom 29.November) des IBFG zu Gewerkschaftsrechten in Venezuela. Mit einer sehr seltsamen Darstellung der Auseinandersetzung um Gewerkschaftswahlen in den Jahren 2000 und 2001, keinem Wort zur Beteiligung der CTV am Rechtsputsch im April und Ausführungen ausgerechnet zur Kinderarbeit - die nun Chavez seit Regierungsantritt zu bekämpfen versucht, was man vom treuen Streikverbündeten des CTV, dem Unternehmerverband Fedecamaras nicht behaupten kann...

"Drei Tote bei Anschlag in Venezuela"

Ein Bericht von Dario Azzellini über die Vorfälle am 5.Dezember auf der Plaza Altamira und die Auseinandersetzungen um die Täterschaft

"CHRONICLE OF PREDICTED DEATHS - Gunmen in Venezuela Tried to Provoke a Crisis After "Strike" Failed"

(Chronik der angekündigten Tode - nach dem Scheitern des "Streiks" versuchen Killer in Venezuela eine Krise zu provozieren)

Link zum (englischen) Artikel von Thierry Deronne, Maximilien Arvelaiz und Paul Emile-Dupret für das narconews Bulletin Nr 26, vom 8.Dezember 2002. Besonders interessant hier: Der Bericht der narconews Autoren wird (direkt angehängt) einem Bericht der "New York Times" vom Vortage gegenübergestellt (Venezuela's Navy Is Sent to Reclaim Striking Oil Tanker - Venezuelas Marine soll streikenden Öltanker aufbringen)- ein Lehrstück in Sachen medialer Putschpropaganda.