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Updated: 18.12.2012 15:51 |
"Gewerkschaften gibt es nicht" - manches Mal aber eben doch Die Arbeitsgesetze des "neuen" Irak sind demokratisch: Ihr Autor heisst Saddam Hussein. Mit dieser Gesetzeslage kann ein Vertreter der Regierung - der Ölminister - sagen, es gäbe ja gar keine Gewerkschaften in der irakischen Ölindustrie - in der Tat sind sie illegal. Aber eben existent und immerhin stark genug, dieselbe Regierung an den Verhandlungstisch zu zwingen. Und: Das geplante Gesetz über die Privatisierung der Ölwirtschaft zumindest mächtig zu behindern, wenn nicht mehr. Gegen den Willen Washingstons ging das irakische Parlament in die Sommerpause, ohne das Gesetz verabschiedet zu haben. Dafür plant nun die kurdische Regionalregierung ihr eigenes Privatisierungsgesetz. Und auch wenn zweifelhaft erscheint, ob die Ölinteressen der einzig wesentliche Grund für die Schlächterei im Irak sind - ein Grund sind sie mit Sicherheit. Und es entwickelt sich auch eine Debatte darum im Lande - und Unterstützung für die nichtexistenten Gewerkschaften. Die kleine aktuelle Materialsammlung "Öl für wen?" vom 8. August 2007. Öl für wen? Das erstaunlichste an der gegenwärtigen Ölindustrie des Irak mag sein, dass es sie überhaupt noch gibt. Weitaus weniger erstaunlich ist es da, dass die informellen Strukturen - in bürgerlichen Gesetzbüchern des öfteren auch Schmuggel genannt - einen hohen Anteil am Ölhandel haben. Bereits im Frühjahr diesen Jahres wurde dies in dem Bericht "Der Kampf ums Öl" von Christian Parenti am 15. März 2007 in der Schweizer WOZ deutlich gemacht, in dem es hiess: "Derweil floriert der Ölschmuggel, selbst mit grossen Tankern: Die Verantwortlichen lassen die Schiffe mit mehr Öl füllen, als sie in den Büchern ausweisen. Kontrolleure der Regierung werden bestochen. Auch auf dem Landweg funktioniert der Schmuggel ziemlich offen: An der irakisch-türkischen Grenze warten manchmal Hunderte von Tanklastwagen in Dreier- und Viererkolonnen nebeneinander. Die Fahrer sitzen während Tagen bei ihren Fahrzeugen, spielen Karten, trinken Tee, werkeln an ihren Motoren und warten auf einen Beamten, dem sie Bestechungsgeld bezahlen und gefälschte Formulare aushändigen, sodass sie passieren können. Das subventionierte irakische Benzin, das nicht halb so viel kostet wie in den angrenzenden Ländern, macht den Wiederverkauf von legal im Irak erworbenem Benzin in Jordanien oder Syrien sehr profitabel. Dazu kommt, dass gemäss US-Rechnungshof rund zehn Prozent des raffinierten Treibstoffes im Irak gestohlen wird. Die nichtstaatliche Organisation Revenue Watch schätzt, dass dem Staat damit allein im Jahr 2005 rund 4,2 Milliarden US-Dollar entgangen sind. Am Ölschmuggel sollen sowohl Politiker aus den Regierungsparteien wie auch aufständische Gruppierungen verdienen." Dieser Sachverhalt, der für alle Regionen des Landes gilt, wird in dem (englischen) Beitrag "The War Economy of Iraq" von Christopher Parker und Pete W. Moore im "Middle East Report" 243 vom Sommer 2007 in die ganze Geschichte der irakischen Wirtschaft seit dem Krieg gegen den Iran vor rund 20 Jahren eingeordnet. Die Autoren vergleichen diese oft amorphen aber eben durchaus vorhandenen Strukturen mit jenen in anderen Ländern, die unter langjährigen Kriegen gelitten haben, wie etwa dem Libanon oder Algerien: "When available evidence on Iraq is compared with the lengthy civil wars in Lebanon from 1975–1991 and in Algeria in the 1990s, ominous parallels come into view. During those civil wars, much of the money to fund militias and state-sanctioned violence alike came from the control of external trade and the taxation of regions under militia or state control. These dynamics did not simply emerge in the chaos of war, but were grounded in longer trajectories of international involvement, state atrophy and grassroots political economy." Einen ziemlich aktuellen Überblick über den Stand der Dinge gibt der (englische) Beitrag "Benchmark Boogie: A Guide to the Struggle Over Iraq's Oil" von Antonia Juhasz am 14. Juli 2007 bei "AlterNet", inklusive möglicher Protestaktionen, vor allem, aber nicht nur, für US-Bürger. Gesetz und Debatte: Vorstufe zur Privatisierung Der gesamte Text des Gesetzentwurfs, wie er Anfang des Jahres eingebracht worden war - wenig überraschend auf Drängen keineswegs nur der USA und Englands, sondern auch des Internationalen Währungsfonds, dh unter Beteiligung diverser Alt und Neueuropäer usw ist (englisch) beim "Iraq Revenue Watch" dokumentiert: "FINAL OFFICIAL COPY OF THE IRAQI OIL AND GAS LAW" vom 15. Februar 2007. Dieser Gesetzentwurf ist auch in der "Fachwelt" ausgesprochen umstritten, er lasse zuviel offen, verweise zu sehr auf künftige konkrete Teil und Folgegesetze - am bündigsten wird diese Debatte in dem (englischen) Beitrag "Iraq's wealth in the balance" von Hussein Abdallah in "Al Ahram Weekly" vom 2. August 2007 zusammengefasst. Wobei auch darauf verwiesen wird, dass der vorliegende Gesetzentwurf keineswegs bereits ein direkter Privatisierungsentwurf ist - sondern eben ein Schritt dahin. Die Oberaufsicht soll ein von der Regierung bestimmter nationaler Rat haben (und nicht etwa das Parlament, wie manche kritisieren). In dem (ins spanische übersetzten) Beitrag "El futuro del petróleo iraquí" von Kamil al-Mehaidi vom 13. März 2007 bei IraqSolidaridad wird ausführlich der Istzustand der irakischen Ölwirtschaft dargestellt, insbesondere im Hinblick auf die regionale Verteilung und die entsprechenden Strukturen, da eine Beteiligung der Regionen - heute schon Realität - im Gesetzentwurf ausdrücklich vorgesehen ist. Die störenden Gewerkschaften Bereits im Februar 2007 sagte der Vorsitzende der Ölgewerkschaftsföderation Hasan Jum`ah `Awwad al-Asadi: "Recently the Constitution of Iraq on which the Iraqi people voted in the most dire and difficult of conditions notes in clause 111 that oil and gas are the property of the Iraqi people. But, alas, this clause in the constitution will remain but ink on paper if the oil law and oil investment law being presented to the Parliament are ratified, laws which permit production-sharing contracts, laws without parallel in many oil producers, especially the neighbouring countries. So why should Iraqis want to introduce such contracts in Iraq given that such applying such laws will rob the Iraqi government of the most important thing it owns?" - ein Verweis also darauf, dass dieses Ölgesetz selbst gegen die neue Verfassung von 2005 verstößt und in der ganzen Region keine Paralelle hat. der ganze (englische) Text der Rede auf der zivilgesellschaftlichen Konferenz zum neuen Ölgesetz "Speech of Hassan Jumaa" ist bei "Price of Oil" dokumentiert. Dass die Gewerkschaften, die im immer noch zentralen Wirtschaftssektor des Irak einen Organisationsgrad von ca 50% haben, nicht die einzigen Gegner dieser Politik sind, und auch nicht nur mit ihnen verbündete soziale Organisationen, zeigt eine allgemeine Meinungsumfrage, deren Ergebnisse (englisch) Anfang August 2007 veröffentlicht wurden: "Poll: Iraqis Oppose Oil Privatization" von Steve Kretzmann am 6. August 2007 bei Oil Change International: 63% der Befragten würden eine irakische "Lösung" der Ölproblematik vorziehen... In einem Artikel der Ölgewerkschaft von Basra (aus Anlaß der Englandreise des Föderationsvorsitzenden) wird unterstrichen, dass obwohl der Premier mit den Gewerkschaften nach den Junistreiks verhandelt habe, die Gewerkschaften immer noch illegal seien und das auch die Grundlage für Polizeiüverfälle auf Gewerkschaftsbüros zur selben Zeit gewesen sei: "Despite having brought Prime Minister Nouri al Maliki to the negotiating table over workers rights and conditions, the IFOU is still an illegal union", in "Iraqi Oil Union Leader Visits UK" vom 10. Juli 2007. Ein Interview von David Bacon mit Hassan Jumaa aus dem Jahre 2005 "Die Ölarbeiter im Irak werden das Öl des Landes verteidigen!" gibt es beim Antikriegsforum Heidelberg nun in deutscher Übersetzung. Diese Opposition (zusammen mit der sachlich-fachlichen Kritik innerhalb des Bürgertums) hat nun dazu geführt, dass das Ölgesetz, trotz antigewerkschaftlicher Ausfälle des Ölministers im Parlament bisher nicht verabschiedet worden ist, was in dem (englischen) Bericht "Good news from Baghdad at last: the oil law has stalled" von Jonathan Steele am 3. August 2007 in der englischen Zeitung "The Guardian" als Erfolg gefeiert wird. Aber auch international gibt es Unterstützung - auch, was immer man von ihnen halten mag, von den US-Gewerkschaften (ähnliches in bezug auf BRD-Kriege in Afghanistan ist bisher unbekannt geblieben), so der Brief des Vorsitzenden der US-Stahlarbeitergewerkschaft Leo Gerard an den uS-Kongress "United Steel Workers on Oil, Unions, and US Occupation in Iraq" vom 31. Juli 2007, in dem die Privatisierung des irakischen Öls grundsätzlich abgelehnt wird und Solidarität mit den irakischen Ölgewerkschaften bekundet. Gegen die Polizeiüberfälle auf streikende Ölgewerkschaften hat auch der AfL Vorsitzende Sweeney in einem Brief an den irakischen Premier vom 2. August 2007 protestiert wie US Labor Against war in "AFL-CIO President Condemns Iraqi Oil Minister's Action Against Oil Workers Union" berichtet. (Zusammengestellt von hrw) |