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Updated: 18.12.2012 16:07
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Neues von der ,Lex Hortefeux'. Arbeitsmarkt & Einwanderung werden zum Gegenstand neuer Regulierung

Das französische Verfassungsgericht wurde gegen das neue Ausländergesetz angerufen, vor allem gegen die geplanten Gentests im Rahmen der Familienzusammenführung. Neben massiven Einschränkungen beim Nachzug von Familienangehörigensieht dieses Gesetz - aus Sicht von Vielen: überraschend - auch "Legalisierungs"möglichkeiten für illegalisierte Einwanderer vor, falls diese nachgefragte Arbeitskräfte darstellen. Ferner wird explizit ein Rotationssystem für ausländische Arbeitskräfte, mit mehrjährigen Zyklen, geplant.

Der Vorgang ist eher ziemlich selten: Das französische Verfassungsgericht wird die sozialistischen Abgeordneten, die als Antragsteller auf die Verfassungswidrigkeitserklärung für ein neu verabschiedetes Gesetz auftreten, an diesem Dienstag (13. November) persönlich anhören. Dies erklärte der Vorsitzende der Parlamentsfraktion des Parti Socialiste (PS), Jean-Marc Ayrault, Mitte voriger Woche. Die Richter des Conseil Constitutionnel (C.C.) geben den Oppositionsparlamentariern damit die Chance, ihre Argumente persönlich in den Räumen des Verfassungsgerichtshofs vorzutragen. Üblicherweise wird zur Frage der Verfassungsmäßigkeit oder -widrigkeit eines frisch verabschiedeten Gesetzes nach Aktenlage entschieden. Allenfalls werden, sofern es Auslegungsschwierigkeiten gibt, die Protokolle der Parlamentsdebatten und die dort auftauchenden Begründungen für die Annahme der Vorlage oder des Entwurfs herangezogen und ausgewertet.

Dass die Abgeordneten der größten parlamentarischen Oppositionspartei nun "in Fleisch und Blut" angehört werden, deutet darauf hin, dass die Richter des C.C. sich darauf vorbereiten, zumindest einen Teil des neuen Gesetzes zu kippen. Es geht um das am 23. Oktober definitiv in letzter Lesung angenommene Einwanderungsgesetz, das im parlamentarischen Jargon auf den Titel ,Loi Hortefeux' hört. Also zu Deutsch-Latein "Lex Brice Hortefeux", nach dem Namen des Amtsinhabers, der das im Mai 2007 unter Präsident Nicolas Sarkozy neu eingerichtete "Ministerium für Zuwanderung und nationale Identität" besetzt. Er hatte die Vorlage für die Annahme durch die Parlamentarier, immerhin die vierte Neufassung (und Verschärfung) der Ausländergesetzgebung innerhalb der letzten vier Jahre, vorbereitet. Der offizielle Titel lautet "Gesetz zur Beherrschung der Einwanderung ( maîtrise de l'immigration ), zur Integration und zum Asylrecht". (Vgl. den Originaltext des Gesetzeswerks externer Link. Diese Publikation unterscheidet in dem Flickwerk des neuen Gesetzes zwischen den Artikeln, die durch die Nationalversammlung - AN -, und jenen, die durch den Senat bzw. im Anschluss an ihn durch den Vermittlungsausschuss zwischen den beiden Parlamentskammern - CMP - eingefügt worden sind. Aus einer Vorlage mit knapp 20 Artikeln wurde so ein Patchwork mit nunmehr 65 Artikeln.)

Werden die Gentests gekippt?

Kippen dürfte aller Voraussicht nach vor allem die Passage des Gesetzeswerks, welche die Gentests für Visumsbewerber/innen im Rahmen der Familienzusammenführung für Einwanderer erlauben (Artikel 13). Dieser Passus hatte den Anlass zu einer enormen Polemik in der französischen Öffentlichkeit gegeben, bis hinein in das konservative Regierungslager, das sich in dieser Frage kurzzeitig gespalten zeigte. (Vgl. dazu ausführlich: Migration ins Museum)

Der Fraktionsvorsitzende des PS, Jean-Marc Ayrault, erklärte vergangene Woche, seine Abgeordneten würden vor dem C.C. für die richterliche Zensur dieses Artikels plädieren, da er "Kriterien genetischer ,Blutsabstammung' in unsere Rechtsordnung einführt", wo es keinen Platz dafür gebe, da die Familie dort bisher auch jenseits "biologischer Realitäten" durch den rechtlichen Anschein und also - dahinter stehend - durch den Willen zum Zusammenleben definiert werde. Bemerkenswert ist unterdessen, zu welch massiver Kontroverse diese Einführung von DNA-Untersuchungen in Frankreich hervorgerufen hat, während dieselbe Praxis sich in Deutschland allem Anschein nach banalisiert, ohne Gegenstand eines öffentlichen Streits zu werden. (Vgl. den neuesten Artikel zum Thema externer Link)

Sowohl die Parlamentarier des PS, als auch jene der gemeinsamen Parlamentsfraktion von KP und Grünen und auch jene des liberal-christdemokratischen MoDem (ehemals UDF) haben Verfassungsklage gegen die ,Loi Hortefeux' erhoben. Im französischen System können nur der Präsident, der Premierminister oder 60 Abgeordnete bzw. 60 Senatoren das Verfassungsgericht zu einem neu verabschiedeten Gesetz anrufen - und nur vor seiner Veröffentlichung im Amtsblatt. Ansonsten findet keine Überprüfung von Gesetzestexten durch die Verfassungsrichter statt. Diese französische Konzeption findet ihren historischen Ursprung zur Zeit der bürgerlichen Revolutionen (1789 ff.), als man vermeiden wollte, dass nicht gewählte Experten - Juristen, Verfassungsrichter - den (damals eher umwälzerischen als konservativen) Elan "der Politik" bremsen und kontrollieren können. Einen solchen ,gouvernement des juges' , also eine "Regierung durch die Richter", lehnten die bürgerlich-revolutionären Republikaner prinzipiell ab. Deswegen gibt es allerdings bis heute, während die bürgerliche Politik längst überwiegend dem Großkapital gehorcht, auch keine Möglichkeit einer Bürgerklage vor dem Verfassungsgericht. Die französische Sozialdemokratie, die (als einzige parlamentarische Oppositionskraft) die erforderlichen 60 Abgeordneten besitzt, fordert vom C.C. nicht nur, den Passus zu den Gentests zu kippen. Ihre Klage auf Verfassungswidrigkeitserklärung betrifft vielmehr das gesamte neue Gesetzespaket zur Einwanderung.

Sonstige Bestimmungen, außer den Gentests

Neben den umstrittenen DNA-Untersuchungen enthält das Gesetzeswerk noch weitere strittige Bestimmungen, die jedoch weitaus weniger in der Öffentlichkeit zum Zankapfel erhoben wurden. Auch wenn sie es ebenfalls in sich haben.

Ansonsten nämlich errichtet das neue Gesetz "zur Beherrschung/Zügelung der Einwanderung" (Loi relatif à la maîtrise de l'immigration) vor allem neue, zusätzliche Hürden bei der Familienzusammenführung. Nunmehr werden schärfere Anforderungen an die Einkommens- sowie Wohnverhältnisse von AntragstellerInnen auf den Nachzug von Familienmitgliedern gestellt. So können Familien, die mehr als 3 Kinder aufweisen, erst ab einem Einkommen des bereits "legal" in Frankreich lebenden Familienmitglieds in Höhe von mindestens 120 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns SMIC nachziehen. (Die Nationalversammlung hatte zunächst 133 Prozent des Mindestlohns SMIC gefordert, wobei der ursprüngliche Gesetzentwurf noch auf 100 Prozent des SMIC basierte.) So löblich es ist, dass man Personen nicht im Elend leben lassen möchte (so die theoretische, doch vorgeschobene Begründung), so sehr wird diese Absicht pervertiert, wenn man sie egen das Recht auf familiäres Zusammenleben wendet und dadurch instrumentalisiert -- statt bessere Lebensbedingungen für Alle in Frankreich einzufordern. Zumal bei der Berechnung des erforderlichen Einkommensniveaus alle Sozialleistungen, Kindergeldansprüche usw., auch wenn die Familie in Frankreich ein volles Anrecht darauf hat, nicht mit angerechnet werden dürfen.

Ähnliches gilt für die Wohnverhältnisse des "legal" in Frankreich lebenden Familienmitglieds, die genau überprüft werden.

Diese beiden Anforderungen für den Nachzug von Familienmitgliedern sind nicht prinzipiell neu, obwohl sie nunmehr neu beziffert worden sind. Hingegen sind zwei neue Ansprüche nunmehr erstmals in der Gesetzgebung aufgeraucht: Die im Ausland lebenden Familienmitglieder müssen sich einem französischen Sprachtest unterziehen, bei denen ihre Französischkenntnisse überprüft werden. Sollten diese sich als (aus Sicht der Tester) unzureichend erweisen, so muss die betreffende Personen einen zweimonatigen Kurs durchlaufen. Nur mit dem Teilnahmeschein, der die Absolvierung dieses Unterrichts attestiert, kann ein Visumsantrag gestellt werden. Nun wird innerhalb von zwei Monaten (in einer nicht französischsprachigen Umgebung) sicherlich niemand Französisch lernen, eine weitaus bessere Voraussetzung dafür wäre die Einreise nach Frankreich. Doch geht es auch nur darum, eine bestimmte Anzahl von Antragstellern von vornherein fernzuhalten - nämlich all jene, die etwa in ländlichen Zonen oder Provinzen ihres Herkunftsland leben und keinen Zugang zu entsprechenden Sprachzentren haben, die i.d.R. in den Hauptstädten oder urbanen Zentren angesiedelt sind. Auch soll die "Kenntnis und Verinnerlichung der Werte der Republik" bei den Antragstellern überprüft werden. Ein Konzept, das schwammig genug ist, um bürokratischer Willkür neue Spielräume zu öffnen.

Und die bereits vorher in Frankreich lebenden Familienmitglieder müssen für die Neuankömmlinge einen ,Contrat d'accueil et d'intégration' (Aufnahme- und Integrations-Vertrag) bei den Behörden unterschreiben. Im Falle von dessen Nichteinhaltung können zukünftig die jährlich erneuerbaren Aufenthaltstitel, sowie (damit einhergehend) die familienbezogenen Sozialleistungen gesperrt werden. Einmal mehr geht es dabei um eines der beliebtesten ideologischen Steckenpferde der französischen Rechten aller Couleur: Die Familien von Zuwanderern sollen in Kollektivhaftung für ihren Nachwuchs bzw. ihre Geschwister genommen werden. Denn, so lautet der dahinter erklingende Tenor, an den Problemen in den Sozialghettos ist "die mangelnde Integration aufgrund des Versagens der Eltern und Familien" schuld...

Der Kern des Pudels

Die Grundphilosophie des Gesetzentwurfs besteht letztendlich einfach darin, dass aus Sicht der Regierung "zu viele Einwanderer" aufgrund von Familienbeziehungen (und unter Geltendmachung eines durch nationale Gesetze und internationale Abkommen garantierten Rechts) nach Frankreich kommen - und "zu wenige", weil sie berufliche Qualifikationen mitbringen, die Frankreich speziell interessieren. Erklärte Absicht der Regierung ist es, die Proportionen zwischen beiden umzukehren.

Eine erschreckende Passage, die bei den parlamentarischen Beratungen noch verhindert werden konnte:

Ein weiterer Passus, der (ähnlich wie die umstrittenen Gen-Untersuchungen) durch einen Zusatzantrag des konservativen Rechtsaußen-Abgeordneten Thierry Mariani - mit Zustimmung einer Mehrheit in der Gesetzeskommission - zunächst in die Vorlage aufgenommen worden war, konnte unterdessen verhindert werden.

Gegenstand des Antrags war, den Ausschluss von Zuwanderern ohne legalen Aufenthaltsstatus vom Recht auf Obdachlosen-Beherbergung (das sie bislang in Anspruch nehmen können) zu organisieren. Theoretisch sollte diese Ausschlussregelung nur für "mittel- und längerfristige Beherbung", also ab ein paar Wochen aufwärts in Obdachlosenheimen, gelten - nicht aber für die nur für eine Nacht geltende "Notfallunterbringung". Praktisch aber hätte diese dennoch den Ausschluss der Sans papiers von jeglichem Obdachlosenasyl bedeutet. Denn seit der Annahme (im Eilverfahren) des Gesetzes zum "einklagbaren Recht auf Wohnraum" im Februar 2007 -- mitten in der unmittelbaren Vorwahlperiode und unter dem Eindruck der spektakulären Zeltaktionen von Obdachlosen im Herzen von Paris rund um Neujahr 2007 - müssen alle Obdachlosenheime im Prinzip mehrere aufeinander folgende Übernachtungsmöglichkeiten hintereinander anbieten. Dies war bislang nicht für alle Obdachlosenzentren der Fall (insbesondere nicht für jene, schwer heruntergekommenen, des Notfallsrufs "115"). Doch zwecks Umsetzung des anvisierten "Rechts auf Wohnraums" gilt nun das so genannte ,Principe de stabilisation' für die Beherbergung.

Die Regierung erklärte, solche Notfallbeherbergung könnten den "illegalen" Zuwanderern nicht versperrt bleiben. Hingegen seien die Illegalisierten bereits durch das Gesetz vom Februar ausdrücklich von jeder stärkeren "Stabilisierungs"maßnahme, insbesondere aber (im Prinzip ab 2012) "einklagbaren Recht auf Wohnraum" ausgeschlossen. Thierry Mariani hatte es nur anscheinend zuvor nicht kapiert, denn er erklärte, da ihm dies nun gewahr werde, sei er nun zufrieden.

Neben der realen Unmöglichkeit der Abweisung von Bewerbern um Aufnahme in eine Notfallherberge (etwa bei bitteren Minustemperaturen, die zu lebensbedrohlichen Situationen führen könnten) spielte freilich wohl auch eine Rolle, dass sich das gesamte christlich-humanistische Lager, die christlichen Kirchen etc. strikt gegen diesen "Antrag Mariani" eingesetzt hatten. Auch ein Regierungsmitglied, Martin Hirsch, früher Führungsmitglied bei der karitativ tätigen Gemeinde Emmaüs (einstmals vom Armenpriester Abbé Pierre gegründet, der Anfang dieses Jahres völlig verkalkt verstarb, nachdem er leider auch einige antisemitische Äußerungen in den letzten Jahren vom Stapel gelassen hatte) und jetzt Staatssekretär für Armutsbekämpfung, protestierte heftig. Diese Interventionen dürften nicht ohne Wirkung geblieben sein. Man kann eben auch nicht, auf die Dauer, beides haben: Das Prestige einer "Öffnung" der Regierung (hin zu ehemaligen Oppositionspolitikern und zu "Repräsentanten der Zivilgesellschaft"), und eine lupenrein rechte Realpolitik. Zumal das Verfassungsgericht diese Passage mutmaßlich kassiert hätte, ebenso wie demnächst möglicherweise jene über die Gentests - beim Rest des Gesetzespakets dürfte dabei jedoch ein höheres Maß an Skepsis angebracht sein.

"Legalisierung" von Arbeitskräften

Neu ist, dass auch aus wirtschaftlichen Gründen, konkret zum Zweck einer Arbeitsaufnahme ODER (de facto) zum Weiterbesetzen eines bereits in Frankreich eingenommenen Arbeitsplatzes, künftig "Legalisierungen" von illegalisierten Einwanderer vorgenommen werden können. So sieht es ein in letzter Minute in das Gesetz aufgenommener Zusatzantrag aus dem Parlament vor, der nunmehr zum Artikel 40 des Gesamtpakets geworden ist. Ein Artikel, der ganz den Anschein einer rein technischen Bestimmung hat, und den man nur durch die Lektüre anderer Artikel des CESEDA oder "Gesetzbuchs zur Einreise und zum Aufenthalt von Ausländern und zum Asylrecht" - auf die er verweist - überhaupt versteht. Einen Artikel, der möglicherweise weitreichende Konsequenzen hat, hat das konservative Regierungslager auf diese Verweise im neuen Gesetzespaket "gut versteckt". Allerdings hat die liberale Pariser Abendzeitung ,Le Monde' vor nunmehr drei Wochen ihren Aufmacher auf der Seite Eins dieser neuen Bestimmung gewidmet, und sie dadurch ans Licht der Öffentlichkeit befördert.

Bislang wurde eine solche Möglichkeit der "Legalisierung" aufgrund lohnabhängiger Erwerbstätigkeit in Frankreich durch die herrschende Logik strikt ausgeschlossen: "Legalisierungs"chancen gab es nur aus humanitären Motiven (selten), bei schwerer Krankheit, und insbesondere aus familiären Gründen. (Was daraus resultierte, dass von 1974 bis 2006 in Frankreich das politische Dogma galt, dass es keinerlei Neuimmigration zu Arbeitszwecken geben dürfte, dass man andererseits humanitäre Belange berücksichtigen möge. Dieses Paradigma ist just dabei, umgedreht zu werden.) So sehr man nun einerseits bei der Zuwanderung von Familienmitgliedern die Schraube fest anzieht, so relativ pragmatisch möchte man sich doch auf der anderen Seite geben.

Hatte bisher im Prinzip (faktisch: außer bei Mangelberufen, wie bei InformatikerInnen kurz vor dem Jahr 2000 und während des Booms der New Economy-Blase) gegolten, dass keinerlei Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, falls der Bewerber sich bereits "illegal" in Frankreich aufhält, so gilt dieser Ausschlussgrund nun nicht länger. Gerechtfertigt wird dies damit, dass, "wenn man schon neue Arbeitskräfte im Ausland sucht" - was in bestimmten, v.a. hochqualifizierten Bereichen, jedoch keinesfalls bei der "fordistischen Massenarbeitskraft" wie früher, seit 2006 offizielle Politik in Frankreich ist - "dann kann man sich auch unter den umgucken, die man schon auf seinem Boden hat." Die Crux: Die Ausländerbehörde (Präfektur) behält die volle Hoheit über die Entscheidung, es gibt also keinerlei garantiertes Recht für einen in Frankreich lebenden und arbeitenden, bislang "illegalen" Zuwanderer. Und selbstverständlich wird in naher Zukunft eine Feinabstimmung der Ventile in Abhängigkeit von den Bedürfnissen, die die französische Wirtschaft anmelden wird, stattfinden. Und ferner dürfte es auch hauptsächlich darum gehen, das Damoklesschwert - in Form des strafrechtlichen Risikos der Beschäftigung "illegaler" Einwanderer - vom Haupt so mancher Arbeitgeber fortzunehmen. Denn bisher war "außergesetzliche Beschäftigung" ein Delikt, das der Arbeitgeber - und ausschließlich der Arbeitgeber - beging; die betroffene zugewanderte Person hatte zwar ihrerseits ebenfalls eine Straftat ("illegaler Aufenthalt") begangen, konnte aber keines auf Arbeitsverhältnisse bezogenes Delikts schuldig gesprochen werden. Dies führte bei manchen Arbeitgebern zu Missstimmungen, da sie einerseits (zumindest in manchen Fällen bewusst) gern von den Ergebnissen der durch die Politik beschlossen "Illegalisierung" bestimmter Zuwanderergruppen - und den dadurch geschaffenen Abhängigkeitsverhältnissen - profitierten, aber andererseits doch nicht gerne Geld- oder gar Haftstrafen riskieren. (Gesetzliche Höchststrafe sind in diesem Falle 45.000 Euro und/oder drei Jahre Haft, wenngleich Letztere weitgehend theoretisch bleibt.) Ein klassischer Fall von Widersprüchen zwischen Einzelkapitalisten, und dem Staat als ideellem-Gesamtkapitalisten-und-Gendarmen-des-Kapitalismus...

Nunmehr kann also der Arbeitgeber, denn auf seine Unterstützung für das Dossier des Zuwanderers wird es ankommen, die "Legalisierung" mancher seiner Arbeitskräfte fordern. Beispielsweise dann, wenn der Boden brenzlig unter den Füßen für ihn werden sollte...

Sofern jedoch eine bestimmte (größere?) Anzahl von bisherigen ,Sans papiers' oder illegalisierten Zuwanderern gleichzeitig von der Neuregelung profitieren können, um aus der "Illegalität" und damit auch manifesten Prekarität ihrer Lebensverhâltnisse heraus zu kommen - UMSO BESSER! Nur sollte man die Gesamtphilosophie des neuen Gesetzeswerks darüber mal nicht aus den Augen verlieren...

Programmrede des finsteren Ministers Hortefeux

In seiner programmatischen Ansprache vom vergangenen Mittwoch (7. November), in welcher er die Existenz seines umstrittenen Ministeriums sowie die von ihm festgelegten Sollziffern - die Hauptsollzahl lautet auf 25.000 durchzuführende Abschiebungen von illegalisierten Einwanderern im Jahr 2007, wovon in den ersten zehn Jahresmonaten 18.600 effektiv durchgeführt werden konnten - rechtfertigte, äußerte sich der Minister "für Zuwanderung und nationale Identität" auch zum Thema Arbeitsmarkt & Immigration. Brice Hortefeux kündigte eine doppelte Stoßrichtung an: Die "unteren" Bereiche des Arbeitsmarkts, von der Bauindustrie bis hin zu Jobs als landwirtschaftliche Helfer oder als Gaststättenpersonal, sollen verstärkt für osteuropäische Bürger/innen aus den neuen Beitrittsländern der Union geöffnet werden.

Statt bislang 61 Berufen (welche 25 Prozent des Arbeitsmarkts umfassen), für die laut Brice Hortefeux seit 2006 rund 2.000 Arbeits-und Aufenthaltsgenehmigungen für Osteuropäer/innen erteilt worden sind, sollen ihnen nunmehr 150 Berufe (oder 40 % des französischen Arbeitsmarkts) geöffnet werden. 89 Berufe sollen also der Liste der etwa für PolInnen, RumänInnen und BulgarInnen geöffneten Berufssparten, die zum 1. Mai 2006 definiert worden ist, hinzugefügt werden. Dabei geht es vor allem um solche Tätigkeiten, die von Französinnen und Franzosen (aufgrund der vorherrschenden materiellen Bedingungen oder Arbeitsbedingungen) "ungern" verrichtet werden. Hingegen soll für die außereuropäische Immigration nur ein kleiner Bereich (30 Berufssparten) von entweder hochqualifizierten Tätigkeiten oder ausgesprochenen Mangelberufen geöffnet werden. Dabei setzt Hortefeux, neben einer höchst selektiven generellen Öffnung - die eine schmale Sparte des Arbeitsmarkts betrifft -, auf bilaterale Abkommen mit ausgewählten Herkunftsländern von Migranten, um bestimmte spezifische Bedürfnisse abzudecken. Beispielhaft führte Hortefeux ein Abkommen mit den Philippinen, die zur Zeit der größte "Exporteur" qualifizierten Pflegepersonals weltweit - etwa in die USA - sind, für die Arbeitserlaubnis für eine kleinere Anzahl ausgesuchter Pflegekräfte an. Auch nannte Hortefeux ein in Kürze abgeschlossenes Abkommen mit der Demokratischen Republik Kongo (Ex-Zaire), das es 100 oder 150 jungen Ingenieuren oder Führungskräften erlauben soll, zeitweise in Frankreich zu arbeiten und ihre Ausbildung zu vervollständigen.

Generell ist an ein Rotationssystem gedacht, wobei bestimmte Länder oder Ländergruppen für eine "prioritäre (vorrangige) Solidarität" definiert werden sollen. Die Staatsbürger der letztgenannten Ländern sollen sich maximal sechs Jahre, also konkret mit einem Aufenthaltstitel für drei Jahre und einmaliger Erneuerbarkeit, zu Arbeitszwecken in Frankreich aufhalten dürfen. Gerechtfertigt wird dies damit, dass man diese Länder nicht "ihrer Eliten berauben" möge, indem man die "Flucht der Gehirne" organisiere - während man in Wirklichkeit genau dies tut, da man diesen Ländern ihre Ausbildungseliten (deren Bildung Frankreich nicht selbst bezahlen musste) zugunsten des nationalen Standortstaats abwirbt, und sei es nur auf Zeit, während man die "unqualifizierte" Migration nur unter "illegalen" Bedingungen zulässt. Dabei bildet gerade Letztere, aufgrund der hohen Summen der Überweisungen von ArbeitsmigrantInnen in ihre Herkunftsländer (rund 15 % im Durchschnitt pro Kopf), eine der wichtigsten Devisen- und damit Entwicklungsquellen für die Herkunftsländer. Und die "gering qualifizierten" ArbeitsmigrantInnen überweisen dabei pro Nase oft einen wesentlich höheren Anteil an ihrem Einkommen, da die Hochqualifizierten schneller eigene, persönliche Bedürfnisse entwickeln und sich schneller in die Aufnahmegesellschaft integrieren. Kritische ExpertInnen sind der Auffassung, dass einerseits die Grenzöffnung für Arbeitsmigration - die ja nunmehr grundsätzlich auch, erstmals seit 1974, offiziell stattfinden darf - über die Hochqualifizierten hinaus auch für andere soziale Schichten der Herkunftsgesellschaften in den Auswanderungsländern erfolgen müsse. So werde der ruinöse Effekt der gezielten Abwanderung der Ausbildungseliten aus Sicht der Herkunftsländer kompensiert. Andererseits müssten für die Hochqualifizierten stabile rechtliche Aufenthaltsbedingungen geschaffen werden, die ihnen genügend Sicherheit geben, damit sie ungehindert zwischen den Herkunfts- und den Aufnahmestaaten hin- und herreisen können. Denn besonders auf diese Weise wird es den "Qualifizierten", die noch zu einem Mindestmaß mit ihren Herkunftsländern verbunden sind, ermöglicht, gleichzeitig in Frankreich oder Europa zu arbeiten und ihren Ursprungsländern nützlich zu werden: Ein kongolesischer Ingenieur könnte sowohl auf französischem Boden seinen erforderlichen Lebensunterhalt verdienen als auch seine Kenntnisse für Infrastrukturprojekte im Kongo einbringen. Iranische ÄrztInnen (deren Auswanderungsquote über 80 % beträgt, die höchste der Welt pro Berufsgruppe und Herkunftsstaat) könnten immerhin, ohne ständig unter den politischen Bedingungen des Iran leben zu müssen, durch Hin- und Herreisen an medizinischen Programmen in ihrem Land teilnehmen usw.

Stattdessen findet das exakte Gegenteil statt: Auch die Hochqualifizierten werden in kurzfristige Aufenthaltsstatuten hineingezwängt, die zwar kurzfristig relativ hochkomfortabel ausfallen, verglichen mit dem Status anderer Ausländer/innen - die Höchstqualifizierten, Inhaber des Aufenthaltstitel "Kompetenzen und Talente", sollen etwa legal, einfach und ohne allzu viel bürokratische Schikanen ihre Familienmitglieder nach Frankreich holen können -, aber nach drei Jahren bzw. mit einmaliger Erneuerung nach sechs Jahren auslaufen. Dies wird dafür sorgen, dass diese Personen sich umso enger an ihren, prekären, Aufenthaltsstatus in Frankreich klammern und dieses Land also nicht für mehrmonatige oder gar -jährige Aufenthalte bspw. in ihrem Herkunftsland verlassen werden. Während der Dauer ihres legalen, aber prekären Aufenthalts werden sie vielmehr alles tun, um in Frankreich zu leben, und also ihren Herkunftsländern nicht oder kaum von Nutzen sein können. Auch wenn die "Entwicklungszusammenarbeit" (le codéveloppement) beständig durch den Minister Hortefeux und die von ihm vorgelegten Gesetzentwürfe beschworen wird. In Wirklichkeit dient diese Formel, und der Hinweis auf die Notwendigkeit, nicht die Herkunftsländer durch die Organisierung einer "Flucht der Gehirne" zu plündern, nur als Rechtfertigung für die Organisierung eines Rotationssystems: Die Arbeitskräfte, auch die qualifizierten, sollen (anders als die "fordistische" Massenarbeitskraft in den 1950er, 60er und frühen 70er Jahren) nicht für eine Niederlassungs- und Lebensperspektive in Frankreich - mitsamt ihren Familien, die allerdings im Falle der früheren Arbeitsmigration der Wirtschaftswunderjahre meist erst nach dem Anwerbestopp von 1974 nachgeholt wurden - angeworben werden. Und da ihre längerfristige Perspektive nicht auf Eingliederung in die französische Gesellschaft gerichtet werden soll, werden sie im Idealfall auch keine gesellschaftlichen Forderungen erheben, sondern sich überwiegend darauf orientieren, in dem ihnen zugestandenen Zeitraum weniger Jahre ihre Arbeit besonders gut zu verrichten. (Dass die Hochqualifizierten später in ihre Herkunftsländer zurückkehren, um diesen von ökonomischem Nutzen zu sein, ist übrigens trotzdem nicht garantiert. Denn nichts auf der Welt könnte einen hochqualifizierten Arbeitsmigranten auf Zeit daran hindern, innerhalb der ihm zugestanden 3 oder 6 Jahren durch einen Eheschluss mit einem/r französischen Staatsbürger/in oder durch die Geburt eines Kindes mit französischem Elternteil einen eigenständigen Aufenthaltstitel auf der Grundlage seiner familiären Situation zu erwerben. Die tatsächliche Rückkehr auf Dauer ins Herkunftsland dürfte also in vielen Fällen wiederum gar nicht funktionieren, außer, wenn die Hochqualifizierten bereits mitsamt ausländischen EhegattInnen und eventuell Kindern mit der Staatsbürgerschaft ihres Herkunftslands einreisen. Eventuell lässt sich freilich bei der künftigen Rekrutierung von Hochqualifizierten darauf achten, bevorzugt bereits Verheiratete zu nehmen, falls dies denn im Sinne der angestrebten Regulierung der Arbeitsmigration ausfällt. Für die nähere "Feinabstimmung" wird die Festlegung der Auswahlkriterien sorgen.)

Brice Hortefeux kündigte zugleich an, nicht nur in Frankreich, sondern auch in allen benachbarten EU-Ländern "massive Legalisierungsoperationen" für illegalisierte Immigranten (wie zuletzt in Spanien erfolgt, wo diese "Legalisierung" mehrerer Hunderttausened Arbeitsmigranten und damit ihrer Beschäftigungsverhältnisse -zig Millionen Euro in die öffentlichen Sozialkassen gespült hat, zur Zufriedenheit des Staates) in naher Zukunft verhindern zu wollen. "Was ein Staat der Europäischen Union auf diesem Gebiet tut, hat notwendig auch Auswirkungen auf seine Nachbarn", verkündete Hortefeux. Denn in seiner Logik könnten die in Italien oder Spanien "legalisierten" Einwanderer dann ja massenhaft nach Frankreich kommen. (Wo sie freilich nach geltendem Gesetz nur dann ein Anrecht auf einen legalen Aufenthaltsstatus haben, wenn sie in ihrem ersten Aufnahmeland in der EU über einen längerfristigen, verfestigten Aufenthaltstitel - ab mindest fünf Jahren Aufenthaltserlaubnis aufwärts - verfügen.) Hortefeux schlug in diesem Zusammenhang vor, unter der im kommenden Jahr anstehenden französischen EU-Ratspräsidentschaft - im zweiten Halbjahr 2008 - einen "Europäischen Zuwanderungspakt" zu verabschieden. In diesem soll unter anderem eine "Disziplin" der jeweiligen Mitgliedsländer in Sachen "Legalisierung" von Migranten, "aufgrund der Auswirkungen auf die Nachbarn", festlegt werden.

Selbstverständlich kann auch die sonstige Politik Hortefeux', etwa im Hinblick auf die neuen Bestimmungen zum Arbeitsmarkt und zur Zuwanderung, nur im Kontext der Politikentwicklung auf der Ebene der gesamten EU betrachtert werden. Denn in dieser Hinsicht steht die Politik Sarkozys und Hortefeux' durchaus im Einklang mit der gesamteuropäischen Politik. Auch wenn ein Spezifikum der derzeitigen französischen Regierung darin besteht, dass sie das Ganze (also das utilitaristische Herangehen an Arbeitsmigration zur Stärkung des jeweiligen nationalen bzw. EU-Standorts) mit einem mächtigen ideologischen Brimborium auf der Tonleiter der "nationalen Identität" begleitet.

Ansonsten verkündete Hortefeux bei seiner Programmrede auf der Pressekonferenz vom 7. November 2007, Frankreich benötige keine Zuwanderung in höherer Anzahl, da das Land ("anders als etwa Spanien mit einer Fruchtbarkeitsrate von 1,3 Kinder pro Frau") aufgrund seiner "höheren Fruchtbarkeitsrate von fast 2 Kinder pro Frau und der dadurch gewährleisteten Erneuerung der Generationen" geringere demographische Bedürfnisse aufweise. Daher soll es bei einer hoch selektiven, "ausgewählten Einwanderung" ( immigration choisie ) als Prinzip bleiben. Den Unerwünschten drohen Hortefeux und sein Ministerium hingegen, auch für zukünftig, mit massiven Abschiebewellen und jährlich vorab festzulegenden Sollziffern für polizeiliche Aufgriffe und effektiv durchgeführte "Entfernungsmaßnahmen". Nur, dass mit der neuen gesetzlichen Möglichkeit der "Legalisierung" in Frankreich tätiger, aber bisher illegalisierter Arbeitskräfte, die bereits bestimmte vorhandene Lücken in der französischen Nationalökonomie besetzen, ein zusätzlicher Filter für die feinere Regulierung des Bedarfs und damit der Definition der "Unerwünschten" geschaffen wird.

Bernard Schmid, Paris, 12.11.2007


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