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Updated: 18.12.2012 16:07 |
Frankreich: Migration ins Museum Die Immigration verfügt nun über ihre Museums- und Forschungsstätte. Ihre Einweihung erfolgte vor dem Hintergrund heftiger Polemik um die neueste Verschärfung der Ausländergesetze. Am Dienstag Abend wurde nun das verschärfte Einwanderungsgesetz, trotz teilweise massiver Proteste, verabschiedet. Inklusive der höchst umstrittenen DNA-Tests für Einwanderungs"kandidaten" im Rahmen der Familienzusammenführung - die in Frankreich Gegenstand einer zugespitzten Polemik waren, doch in Deutschland längst praktiziert werden. Die Einwanderer kamen überwiegend aus Dörfern und kleinen Städten ihres Herkunftslands, um in Paris die Straßen zu säubern und andere unbeliebte Arbeiten zu verrichten. Vor allem eine Ethnie war dafür bekannt, dass ihre Mitglieder gute Straßenkehrer abgaben. Auch nahm man man ihre jungen Frauen gerne als Kindermädchen. An den Pariser Bahnhöfen warteten jedoch häufig Anwerber auf die vermeintlichen zukünftigen Ammen und Dienstmädchen, die ahnungslose Mädchen für die Prostitution rekrutierten. Um diesem Treiben ein Ende zu setzen, schickten wiederum religiöse Gemeinschaften aus dem Herkunftsland Kleriker und "Schwestern"nach Paris, die ihrerseits an den Bahnhöfen Wache schoben. Ferner sorgten letztere für die Seelsorge unter den Armen und Marginalisierten in ihrem Aufnahmeland, wo sie durchschnittlich drei bis zehn Jahre als Migranten schufteten. Religiöse Zirkel lieferten sich dabei mit Geheimbünden, die die Arbeiterbewegung in der Emigration formieren wollten, einen Konkurrenzkampf um die Herzen und Köpfe. Die Polizei im Aufnahmeland war sehr daran interessiert, subversiven Regungen in dieser Einwanderungsbevölkerung nachzuspüren. Die Emigrationsbevölkerung, von der hier die Rede ist, stellte zeitweise bis zu zehn Prozent der damaligen Pariser Bevölkerung - ihre Zahl wird auf 60.000 bis 120.000 geschätzt, bei einer damaligen Gesamteinwohnerschaft der Stadt von einer Million Menschen - und war oft an ihrem unteren sozialen Rand angesiedelt. Es handelte sich allerdings nicht um Zuwanderer aus Mali oder Senegal, sondern um die Deutschsprachigen; einen deutschen Nationalstaat und damit eine Staatsangehörigkeit gab es zu jener Zeit nicht. In den Jahren 1830 bis 1850 kamen diese Rheinhessen, Bayern oder auch Deutschschweizer und Luxemburger als Arbeitssuchende bzw. kleine Handwerker nach Paris. Als Straßenfeger besonders begehrt waren übrigens die Leute aus Hessen. (Fussnote 1) Es handelt sich hier nur um eines der zahllosen vergessenen oder verdrängten Kapitel der Einwanderungsgeschichte in Frankreich. Um die Zuwanderer endlich als vollwertigen Bestandteil der Sozialgeschichte des Landes der Öffentlichkeit zu präsentieren, statt die Geschichte der Migration als etwas schamhaft Verdrängtes zu behandeln - während die heutige Einwanderung als Quelle potenzieller Bedrohung dämonisiert wird -, regten französische Historiker schon seit 1990 an, eine eigene Forschungsstätte einzurichten. Zwölf Jahre später hat der damalige Präsident Jacques Chirac sich ihr Anliegen dann zu eigen gemacht. Der frühere liberal-konservative Justizminister Jacques Toubon wurde zum Vorsitzenden einer Kommission ernannt, die mit einem wissenschaftlichen Beirat an ihrer Seite die Pläne für eine solche Stätte der Forschung, Diskussion und Ausstellung ausarbeiten sollte. (Fussnote 2) "Cité der Geschichte der Einwanderung" Am vorletzten Mittwoch, den 10. Oktober war es nun so weit: Die ,Cité nationale de l'histoire de l'immigration' eröffnete an der Porte Dorée, im Pariser Südosten, ihre Pforten. (Fussnote 3) Sie befindet sich in einem Bauwerk, das eine prominente Geschichte hinter sich hat, an welcher sich ein gewisser Konzeptionswandel im Umgang Frankreichs mit seinen ehemaligen Kolonialuntertanen und heutigen Mitbürgern oder Einwanderern ablesen lässt. 1931 war das Palais an der Porte Dorée als Eingangshallle für die damalige Kolonialausstellung eröffnet worden. Damals wurde noch voller Stolz und Inbrust der französische Kolonialismus vor einem Riesenpublikum - acht Millionen Eintritte binner weniger Monate - zelebriert. Neben der Pflanzen- und Tierwelt der eroberten Territorien, und auf gleichem Niveau, konnte man auch Menschen von dort berücksichtigen. Einen lebenden "echten Kannibalen" inklusive, in dessen Rolle ein bemitleidenswerter Bewohner von Neukaledonien schlüpfen musste, der Wochen in einem Käfig zubrachte. Der Romancier und Krimischriftsteller Didier Daeninckx hat ihm vor wenigen Jahren mit seinem Buch ,Le cannibale' ein würdiges Denkmal gesetzt. In den siebziger Jahren, als der alte Glanz von den Fassaden des früheren Kolonialismus abzubröckeln begann, widmete man das bisherige Museum der Kolonien um. Es wurde zum "Museum für afrikanische und ozeanische Kunst". Die Fresken, die vom eroberischen Geist und der "zivilisatorischen Mission" der Kolonialisten zeugten, blieben freilich. Nachdem die dort ausgestellten Kulturgüter nun jüngst in das - von Chirac konzipierte - "Museum für urtümliche Kunst" am Quai Branly umgezogen sind, war das Bauwerk frei geworden für die Cité nationale de l'histoire de l'immigration. Ihr liegt nunmehr freilich ein völlig anderes Konzept zugrunde, das nicht mehr länger die Unterwerfung der einstigen Kolonialsubjekte als zivilisatorische Glanztat abfeiert. Die Wandbilder sind belassen worden, sollen aber dem Publikum mit kritischen Anmerkungen und Zusatzinformationen präsentiert werden. So zumindest der Anspruch. In Wirklichkeit waren allerdings unterschiedliche Akteure an der Konzeption, Erstellung und Präsentierung der neuen Dauerstellung in dem Palais beteiligt. Auf der anderen Seite finden sich kritische Wissenschaftler/innen, denen es um eine angemessene Darstellung der Rolle der Zuwanderung in der französischen Sozialgeschichte geht. Auf der anderen waren aber auch maßgeblich hauptamtliche Kulturfunktionäre daran beteiligt - die berühmten Experten für eine inhaltlich trübe und schwammige, aber formal geschliffene Darstellung mit Hochglanz und Drumherum. So lösten sich viele kritische Inhalte im Nachhinein doch noch in einem dünnen Brei auf, bei gleichzeitiger anspruchsvoller Präsentation auf ästhetischer Ebene. So wird eine Freske, welche die französische Kolonialeroberung in tollem Lichte - und im Glanze der "zivilisatorischen Mission Frankreichs" - präsentierten möchte, mit dem inhaltsleeren Zusatz vorgestellt: "Dieses Wandbild illustriert den moralischen und politischen (Aspekt des) Beitrags Frankreichs zur Welt." (Sic) Welch ein Dünnpfiff... Schade. Doch an den wissenschaftlichen MitarbeiterInnen der Cité nationale de l'histoire de l'immigration lag es nicht. Deren wesentlich kritischere Ansätze prägten hingegen das Pressematerial, das anlässlich der Eröffnung der Stätte am 10. Oktober u.a. an die Journalistinnen und Journalisten verteilt wurde. Politische Instrumentalisierung wirft ihre Schatten auf die Bemühungen der Forschung Die seit längerem angekündigte Einweihung wurde freilich durch die aktuelle politische Auseinandersetzung rund um den Umgang mit heutiger Einwanderung überschattet. Im Juni 2007 waren acht der wesentlichen Historiker, die im wissenschaftlichen Beirat der noch nicht eröffneten Cité saßen, zurückgetreten. Nicht aus Uneinigkeit über deren Konzeption, sondern aus Protest gegen die damals soeben erfolgte Einrichtung eines "Ministeriums für Einwanderung und nationale Identität", das im Mai mit dem Sarkozy-Vertrauten Brice Hortefeux besetzt worden ist. Einer Regierung, die eine ominöse "nationale Identität" zum staatlich instrumentalisierten Politikbegriff erheben möchte, mochte man weder direkt noch indirekt dienen. An der Spitze der Protestierenden stand unter anderem der Historiker Gérard Noiriel, der Autor fundierter Bücher über Einwanderungspolitik, Rassismus und Antisemitismus in Frankreich, der selbst 1990 die Idee zur Begründung der Cité de l'immigration angeregt hatte. Der nunmehr also für Zuwanderung und Fragen der "nationalen Identität" Minister Hortefeux versuchte, eine Gegenoffensive zu starten. Im September 2007, kurz bevor die Presse breit über die bevorstehende Eröffnung der Cité zu berichten anfing, kündigte er die Einrichtung eines neuen Instituts an, das künftig alle Gelder für Forschungen zu den Migration betreffenden Themen verwalten solle. Es sollte auf den Namen "Institut für Studien zu Einwanderung und Integration" (IEII) hören. Unter staatlicher Aufsicht, aber auch mit massiver Präsenz von Privatfirmen - Renault, Total und andere sind im Aufsichtsrat des geplanten IEII vertreten - sollten die Auftragsforschung und ihre Finanzierung bei einer Instanz gebündelt werden. Kritiker/innen befürchteten schon das Schlimmste für die Freiheit der Forschung und ihre künftige Ausrichtung entlang ideologischer Vorgaben. Übles ließ im übrigen bereits die Persönlichkeit der frisch eingesetzten Präsidentin des künftigen Instituts ahnen. Den Vorsitz des IEII soll die Schriftstellerin und Académie française-Sekretärin Hélène Carrère d'Encausse führen - eine ältliche großbürgerliche Reaktionärin, die sich erst vor anderthalb Jahren durch rassistische Sprüche über afrikanische Immigranten in der Öffentlichkeit auszeichnete. (Vgl. ausführlich: http://www.trend.infopartisan.net/trd1205/t221205.html ) Durch solcherlei Auslassungen hat die Dame sich ganz bestimmt für den Vorsitz eines Instituts zur Erforschung von "Zuwanderung und Integration" qualifiziert. Was für ein Zufall!: Dem zuständigen Minister Hortefeux zufolge sollte das IEII genau anderthalb Tage vor der seit längerem angekündigten Einweihung der Cité de l'immigration - am Abend des Montag, 8. Oktober - gegründet werden. Doch dann kam es anders, und die Gründungsfeier wurde auf unbestimmte Zeit hin verschoben. Ursächlich dafür dürfte insbesondere die Weigerung führender und qualifizierter Hochschullehrer und Wissenschaftler, mit dem geplanten neuen Institut zusammenzuarbeiten, geworden sein. Die Umgebung des Ministers Hortefeux hatte tatsächlich seit Wochen, ja seit Monaten versucht, universitäre Fachkräfte für den Betrieb des neuen Instituts anzuwerben, ohne ihnen aber die wahren Hintergründe ihrer zukünftigen Mitarbeit zu nennen. In Wirklichkeit ging es darum, frühzeitig eine Konkurrenz für die ungeliebte Cité de l'immigration zu schaffen. Aber viele angefragte Fachleute, so der herausragende Historiker des Algerienkriegs Benjamin Stora, erteilten dem Ministerium eine Absage. Hortefeux und seine Leute hätten mit mittelmäßigen Karrieristen aus dem zweiten oder dritten Glied Vorlieb nehmen müssen. Deshalb ist mutmaßlich davon auszugehen; dass das Projekt de facto gestorben ist. Die Cité de l'immigration wurde hingegen tatsächlich am vorletzten Mittwoch (10. Oktober) eröffnet, aber führende Regierungspolitiker zeigten ihr zunächst die kalte Schulter. Entgegen sonstiger Gepflogenheiten bei größeren Einweihungsveranstaltung waren weder Präsident noch Premierminister vertreten, auch nicht durch ein Grußwort. Am späten Mittwoch Nachmittag ließsich allerdings die Kulturminister Christine Albanel doch noch, zu einem unspektakulären Kurzbesuch, blicken; insofern hat die ,taz' dennoch Unrecht, die fälschlich behauptet: "Kein Minister und schon gar kein Staatspräsident ließen sich sehen." (Vgl. http://www.taz.de/1/leben/alltag/artikel/1/grosse-nation-jetzt-kleinlich/?src=SE&cHash=a2a501c2dd ) Unterdessen hatte die Presse bereits darüber zu munkeln begonnen, die neue Forschungs- und Ausstellungsstätte stelle aus Sicht der aktuellen Regierung ein ungeliebtes Kind dar. Am folgenden Tag wurde dies jedoch dementiert, und die Nachrichtenagenturen vermeldeten, in naher Zukunft werde doch noch eine Einweihungsfeier mit offizieller Beteiligung der Regierung stattfinden. Bislang ist es dabei dann geblieben. Unterdessen hat Ex-Präsident Jacques Chirac, dessen politisches "Kind" das Museum zum Teil darstellt - da unter ihm 2002 der definitive Beschluss zu seiner Errichtung gefällt wurde -, am vergangenen Freitag die Dauerausstellung besichtigt. Heftiger Streit um neue Ausländergesetze Überschattet wurde die Einweihung des Museums ferner aber auch durch die Polemiken im Regierungslager über die seit dem 18. September in den beiden Kammern des französischen Parlaments debattierten Maßnahmen zur Verschärfung der Einwanderungspolitik. (Vgl. ausführlich: http://www.trend.infopartisan.net/trd0907/t370907.html ) Der entsprechende Gesetzentwurf, immerhin schon der vierte zur Verschärfung der Ausländergesetze in den letzten vier Jahren (nach dem Ausländergesetz "Sarkozy I" vom November 2003, den neuen Regelungen zum Asylrecht vom Dezember 2003, und dem Ausländergesetz "Sarkozy II" vom Juli 2006), wurde am gestrigen Dienstag durch die beiden Kammern des französischen Parlaments definitiv verabschiedet. In der Nationalversammlung wurde er, in letzter Lesung, mit 282 gegen 235 Stimmen angenommen. Im Senat ("Oberhaus" des französischen Parlaments) waren es 185 gegen 136 Voten. Die Parlamentarier der konservativen Regierungspartei UMP stimmten überwiegend für den Gesetzentwurf, auch wenn in der Nationalversammlung vier UMP-Abgeordnete mit Nein stimmten und 21 von ihnen sich der Stimmen enthielten. Die parlamentarische Opposition (KP und Grüne, die in der Nationalversammlung zusammen eine Fraktion bilden, um an die nötige Abgeordnetenzahl zum Erhalt des Fraktionsstatus heranzukommen; die französische Sozialdemokratie; die liberal-christdemokratische frühere UDF, die nun in MoDem umbenannt worden ist) voetierte geschlossen dagegen. Das rechtsliberale ,Nouveau Centre' (Neue Zentrum) wiederum war zutiefst gespalten. Bestehend aus jenen früheren Abgeordneten der liberal-christdemokratischen UDF, die deren Chef François Bayrou mit seinem Oppositionskurs (infolge von dessen strategischer Annäherung an die Sozialdemokratie) die Gefolgschaft verweigerten, um sich dem Regierungslager anschließen zu können, hat das ,Neue Zentrum' sich bei der Abstimmung nun aufgeteilt. Zuvor hatten die Parteivorderen des Nouveau Centre zu dieser Frage die Fraktionsdisziplin aufgehoben. 10 seiner Abgeordneten in der Nationalversammlung enthielten sich zum neuen Einwanderungsgesetz der Stimme. Vier von ihnen votierten dafür, vier andere stimmten dagegen. Besonders die geplanten DNA-Untersuchungen für Visumsbewerber, die im Rahmen des Familiennachzugs nach Frankreich einreisen möchten, stoßen auch einen Teil der bürgerlichen Rechten ab. Deshalb auch sah die konservative Regierungspartei UMP mehrere ihrer eigenen Abgeordneten gegen die Vorlage stimmen, oder sich in die Enthaltung flüchten. Dabei bündeln sich die Opposition christlich motivierter Politiker (wie des "aufrichtig katholischen" Versailler Abgeordneten Etienne Pinte, der zumindest in Fragen der Einwanderung humanistische Positionen verteidigt), vor dem Hintergrund der scharfen Ablehnung durch die christlichen Kirchen, sowie einiger Liberaler und die Widerstände von Politikern mit Migrationshintergrund. Der Senat - das Oberhaus des französischen Parlaments - hat das geplante neue Einwanderungsgesetz bei der dortigen Lesung vom 2. bis 5. Oktober in gewissen Grenzen entschärft. Die umstrittenen Gentests etwa sollen nicht mehr sämtlichen Visumsbewerbern im Rahmen der Familienzusammenführung "angeboten" werden können, wie es bisher vorgesehen war. Vielmehr sollen sie nur auf richterliche Anordnung hin vorgenommen werden können. (vgl. untenstehenden Kasten) Der Senat bietet im französischen System vor allem einen Sitz für die ,Elder statesmen' (in die Jahre gekommenen Staatsmänner) gegen Ende ihrer Karriere. Im Kontext der Debatte um das neueste Einwanderungsgesetz spielte er nun tatsächlich eine mäßigende Rolle, während die Scharfmacher überwiegend in der Nationalversammlung saßen. Da auch der konservativ-liberale Block gespalten war, musste am Dienstag, 16. Oktober ein Vermittlungsausschuss zwischen beiden Parlamentskammern zusammen treten. Dabei saßen sich sieben Abgeordnete der Nationalversammlung und sieben Senatoren gegenüber und versuchten, einen Kompromiss zu finden. (Kommt es in solchen Fällen zu keiner Einigung, dann hat im Endeffekt die Nationalversammlung das letzte Wort.) Der Vermittlungsausschuss beschloss daraufhin, die vom Senat abgeschwächte Fassung des neuen Ausländergesetzes als Kompromissfassung zu übernehmen.
Bemerkenswert ist dennoch, welch breite Front sich vorübergehend auch innerhalb der Rechten gegen die Vorlage zu den Einwanderungsgesetzen gebildet hat. Die beiden früheren Premierminister Dominique de Villepin und Jean-Pierre Raffarin, der ehemalige Innenminister Charles Pasqua (von 1986 bis 88 und zwischen 1993 und 95) und andere Figuren der Rechten schlossen sich dem Protest gegen die DNA-Tests an. In manchen Fällen, insbesondere dem des bislang eher als rechter Einpeitscher und Scharfmacher in Sachen Ausländergesetze bekannt gewordenen Pasqua, verwundert dies denn doch erheblich. Allerdings resultierte ihr Protest zum Teil auch aus eher durchsichtigen Motiven: Raffarin ist sauer, weil er die Senatspräsidentschaft nicht zugesprochen erhielt. De Villepin ist aufgrund einer früheren Geheimdienstintrige gegen seinen damaligen Ministerkollegen und Rivalen Nicolas Sarkozy - die so genannten "Clearstream-Affaire" von 2005 - nun intensiv ins Visier der Justiz gerückt. Vergangene Woche war er bereits zum dritten Mal zum Verhör vorgeladen (und der jetzige Präsident Sarkozy wird, via den ihm untergebene Regierungs- und Justizapparat, bestimmt nicht locker lassen!). Und Pasqua sieht derzeit neun seiner Berater wegen illegaler Rüstungsexporte in afrikanische Länder vor Gericht stehen. Dennoch ist interessant, dass die Bruchlinie, entlang derer sie sich von ihren Rivalen innerhalb der Rechten - die Umgebung Sarkozys - abgrenzen möchten, in den letzten Wochen entlang der Haltung zu den Maßnahmen gegen Einwanderer verlief. Dies zeigt, dass tatsächlich auch Teile des bürgerlichen Lagers über Vorhaben wie die Gentests aufrichtig schockiert sind, und diese für tendenziell verfassungswidrig halten. Infolge der Kompromissformulierung, die in der Nacht vom 4. zum 5. Oktober vom Senat angenommen wurde, hat Ex-Innenminister Pasqua seine bisherigen Einwände gegen die Gentests nun vom Tisch genommen. (Möglicherweise hat Pasqua aber auch durch die Justiz oder die Regierung zwischenzeitlich bestimmte Garantien erhalten, nach denen er strebte...) Andere Politiker, zum Teil auch auf der bürgerlichen Rechten, habe die ihrigen bislang hingegen nicht zurückgezogen. Anlässlich einer Großveranstaltung im Pariser Konzertsaal ,Le Zénith', die am vorigen Sonntag (14. Oktober) ab 18 Uhr stattfand und die sich gegen die geplanten Gentests für Einwanderer richtete, sprach auch der als liberal geltende UMP-Politiker François Goulard. Goulard steht unterdessen in erster Linie Expremierminister Dominique de Villepin nahe, was teilweise seine Opposition mit erklären dürfte. Andererseits hat er aber schon zu einem frühen Zeitpunkt klare inhaltliche Worte gegen die DNA-Untersuchungen gefunden ("Nach gängiger französischer Auffassung beruht Familie auf sozialen und juristischen Beziehungen, nicht auf reiner Biologie"). Und die französische Öffentlichkeit? Sie ist gespalten. Während die öffentliche Meinung sich zum überwiegenden Rest des neuen Einwanderungsgesetzes (das freilich nicht als rassistische Ausschlussregelung, sondern als "der Förderung einer besseren Integration dienlich" präsentiert wird) eher zustimmend verhält, steht ihre Haltung zu den Gentests auf der Kippe. Zunächst fielen, im September, die befürwortenden (47 %) und die ablehnenden Stimmen ungefähr gleich stark aus. Aber, wie so oft, kommt es stark darauf an, wie die Frage formuliert wird. Anfang Oktober ergab eine Umfrage des Instituts IFOP, das die konservative Tageszeitung ,Le Figaro' in Auftrag gegeben hatte, unterdessen 56 % Zustimmung auch zu den DNA-Proben - wie es der ,Figaro' sofort triumphierend von der Titelseite herab verkündete. Anfang dieser Woche ergab eine erneute Umfrage des Instituts jedoch, dass inzwischen (nach der Polemik) die Zustimmung wieder auf 49 Prozent - in der Gruppe der rund 1.000 Befragten - gesunken ist. Sicherlich dürfte es zutreffen, dass die öffentliche Meinung in dieser Frage hin- und hergerissen ist, und von der an diesem Punkt zeitweise heftigen Debatte auch beeinflusst wurde. Regungen der Opposition Die Großveranstaltung vom ,Le Zénith' war (laut offiziellen Angaben) durch vier Akteure auf die Beine gestellt worden: durch die sozialdemokratische Tageszeitung ,Libération', die linksliberale Wochenzeitung ,Charlie Hebdo' und die staatstragend-sozialdemokratische Antirassismusorganisation ,SOC Racisme' sowie "durch Bernard-Henri Lévy". Letzterer wurde als Individuum ausdrücklich alleine genannt. Radikalere kritische Kräfte fanden sich sicherlich auch im (jüngeren) Publikum, prägten jedoch nicht den Aufruf und das - durch das offizielle Programm vorgegebene - Gesamtprofil der Veranstaltung, das eher durch Repräsentanten der Kulturschickeria wie den linksliberalen Fernsehphilosophen und Pseudointellektuellen Bernard-Henri Lévy (BHL) dominiert wurde. Die politische Achse der Veranstaltung, bei der vorwiegend Redner aus dem Umfeld der Sozialdemokratie sowie der liberal-christdemokratischen UDF, umbenannt in MoDem -- inklusive ihres Vorsitzenden François Bayrou - sprachen, wiederspiegelt haargenau die Bemühungen um eine strategische Annäherung zwischen der Sozialdemokratie und François Bayrou. Der unerträgliche "antitotalitäre" Schwätzer BHL ist der Erbe eines auf 150 bis 180 Millionen Euro geschätzten Vermögens, das sein Vater (der Holz-Großhändler André Lévy) durch das Abholzen von Tropenwäldern in den westafrikanischen Ländern Côte d'Ivoire und Kamerun und die Ausplünderung der Naturschätze dieser Staaten angehäuft hatte, und bewohnt ein 400 Quadratmeter großes Luxusappartement am Boulevard Saint-Germain. Wenn man über ein solches Familienerbe verfügt und noch nie ein kritisches Wörtchen darüber (und über sein Zustandekommen) verloren hat, sollte man wohl in der Öffentlichkeit lieber tunlichst die Schnauze halten. Anstatt aber seine Klappe geschlossen zu halten, reißt BHL sie gewöhnlich als Vertreter der so genannten ,Gauche Caviar' (Schicki-Micki-Linken, an welcher man nur nicht ermessen kann, was an ihr so links sein soll) weit auf. Auffällig dabei ist, dass er immer dann, wenn er das Linkssein und das von ihm angeblich repräsentierte "68er Erbe" definieren möchte, kein einziges soziales Anliegen oder gar soziales Konfliktthema darunter nennen kann. Stattdessen läuft bei ihm jegliches Engagement über die Schiene eines Gutmenschen-Antirassismus und eines stark symbolisch aufpolierten Antifaschismus. Manchmal liegt er damit goldrichtig, wenn er gegen französische Rassisten wettert (wobei er mit seinem Buch , L'idéologie française' von 1981 auch gründlich daneben holzte, weil er nicht nur fälschlich den Faschismus als typisch französische Erscheinung bezeichnete - sondern in einem höchst schwammigen Begriff von "faschistoid" all jene, die "das Geld nicht lieben", de facto des KryptoAntisemitismus zichtigte und im Endergebnis CGT-Gewerkschafter wie Vichy-Erben gleichermaßen in einen Topf steckte). Aber oft liegt er auch total daneben, weil "Antifaschismus" für ihn eben auch militärische Vorwärtsverteidigung der "westlichen Demokratien" jenseits der NATO-Grenzen und in anderen Ländern - vom laut BHL angeblich "faschistischen" Serbien der 1990er Jahre bis Afghanistan - einschließt. Insbesondere fiel unangenehm auf, dass durch die mehreren Dutzend RednerInnen keinerlei Verbindung zu den Mobilisierungen von sozialen Bewegungen und Solidaritätskollektiven zugunsten der Sans papiers und gegen die neuerliche Verschärfung der Einwanderungsgesetze gezogen wurde. Am Samstag, 20. Oktober demonstrierten etwa 6.000 bis 8.000 Menschen in Paris, sowie rund 3.000 Menschen in Lyon und jeweils Hunderte in mehreren anderen französischen Städten, gegen Abschiebungen und repressive Ausländergesetze. Kein/e einziger/r Redner/innen bei der Großveranstaltung im Zénith hätte diese Demonstrationen angekündigt oder auch nur erwähnt - hätte nicht ein Sänger 60 Sekunden Redezeit an zwei Repräsentantinnen der Initiative RESF ("Netzwerk Erziehung ohne Grenzen", das sich gegen die Abschiebung schulpflichtiger Kinder u. Jugendlicher und ihrer Familien engagiert) abgetreten, die auf dem Programm nicht vorgesehen waren. In ihrer großzügig zugestandenen einminütigen Redezeit konnten die beiden Initiativen-Vertreterinnen dann doch noch zu den Demos aufrufen, obwohl das durch die VeranstalterInnen nun wirklich gänzlich unbeabsichtigt war. Ansonsten aber lautete die einzige politische Perspektive, die den Anwesenden angeboten wurde, die mitveranstaltenden Zeitungen zu abonnieren - sowie darauf zu vertrauen, dass die sozialdemokratischen Parlamentsabgeordneten das neue Einwanderungsgesetz vor dem Verfassungsgericht zu Fall bringen werden. Auch stellten nur zwei (von insgesamt 40 bis 50) RednerInnen überhaupt klar, dass nicht ALLEIN die besonders umstrittenen DNA-Untersuchungen, sondern auch der Rest des Gesetzes abzulehnen seien. Es handelte sich dabei um die KP-nahe Jungpolitikerin Clémentine Autain, die als eine der potenziellen Gallionsfiguren eines "anti-neoliberalen" Bündnisses (wie es bei den Wahlen 2007 nicht zustande kam) gilt und zur Zeit stellvertretende Pariser Bürgermeisterin amtiert. und um den sozialdemokratischen Parteivorsitzenden François Hollande. Wenn schon der Chef der "Sozialistischen" Partei als einer der radikalsten Redner bei einer Veranstaltung durchgeht, dann muss man sich wohl echte Sorgen machen. (Verbalredikal trat ansonsten der frühere rechtsliberale Verteidigungsminister François Léotard - Minister unter Edouard Balladur von 1993 bis 95 - auf, der seine Kritik vollständig auf die DNA-Proben konzentrierte, die Letztere erlaubende Bestimmung aber mit dem unter Vichy angenommenen "Judenstatut" vom 3. Oktober 1940 verglich. Deswegen, weil der Passus zu den Gentests erstmals wieder "biologische Abstammungskriterien" in das französische Recht einfüge.) Dass bürgerliche Demokraten und Linksliberale sich auf diese Weise gegen die Gentests mobilisierten, war und ist als solches zweifellos zu begrüßen, trotz des starken Stempels, den die Kulturschickeria ihrem Aufgebot aufdrückte. Problematisch war freilich aus Sicht von Kritikern, dass das "Gesamtpaket" der zunehmend verschärften Ausländergesetze dabei - über dem medienwirksamen Streit betreffend die Gentests - eher aus dem Blickwinkel zu geraten drohte. Gleichzeitig ist höchst problematisch, dass ideologische Kräfte, wie beispielsweise ein BHL sie repräsentiert, derzeit eine neue ideologische Hegemonie über die gesellschaftliche Opposition zu gewinnen drohen - obwohl sie kaum mehr als eine Portion Gutmenschen-Antirassismus anzubieten haben. Ihre Petition gegen die Gentests, unter der sich ein breites Spektrum von Namen (bis hin zum ehemaligen konservativen Ex-Premierminister Dominique de Villepin einerseits, aber auch - schluchz - bis hin zum Verfasser dieser Zeilen andererseits) wiederfindet, wurde inzwischen von über 250.000 Personen unterschrieben. Und dies innerhalb weniger Wochen. Längerfristig Erfolg versprechender ist unterdessen der Aufbau von sozialen Oppositionsfronten und Mobilisierungen, die den Widerstand gegen die staatliche Ungleichbehandlung von Einwanderer/inne/n - Gentests eingeschlossen, die aber lediglich einen Aspekt unter anderen darstellen- mit umfasst. Die Demonstrationen vom 20. Oktober waren einer der brauchbaren Ansätze dafür, für sie war auch in den gewerkschaftlichen Demonstrationen 48 Stunden zuvor massiv geworben worden. Das Problem dabei bleibt die Defensivsituation, in welcher die gesamte soziale Opposition sich derzeit gegenüber einem in der Offensive befindlichen rechten Regierungslager befindet. Bernard Schmid, Paris, 25.10.2007 Anmerkungen: (1) Vgl. dazu auch: Mareike König (Hg.): "Deutsche Handwerker, Arbeiter und Dienstmädchen in Paris. Eine vergessene Migration im 19. Jahrhundert", München 2003. (2) In jüngster Zeit fiel Toubon, der historisch aus dem neogaullistischen RPR (inzwischen Bestandteil der Regierungspartei UMP) kommt, übrigens in dieser Eigenschaft sogar durch ziemlich korrekte Äußerungen zur Bewertung der französischen Zuwanderungsgeschichte auf. Anlässlich eines Seminars zu diesem Thema, das am 20. September in La Défense bei Paris stattfand, wies Toubon auf dem Podium darauf hin, dass auch die erste heute bekannte Bevölkerungsgruppe in Frankreich - die Kelten - selbst Zuwanderer gewesen seien. In den letzten vorchristlichen Jahrhunderten nahmen die Kelten den Platz einer vormals ansässigen Urbevölkerung ein, deren Zusammensetzung bis heute den WissenschaftlerInnen noch völlig unbekannt ist. Insofern, so Jacques Toubon, könne niemand in Frankreich im historischen Rückblick behaupten, nicht aus Zuwanderung hervorgegangen zu sein. Ein wichtiger Beitrag zur Entmystifizierung eines Themas, das lange Jahre hindurch (u.a. unter dem politischen Druck des Front National in den 1980er und 90er Jahren) stark von Ängsten und Emotionen besetzt war. (3) ,Cité' ist ein komplexer Begriff in der französischen Sprache, der eine Stätte oder ein Gemeinwesen bezeichnet, und in dem die Begriffe von Stadt, von Anwesenheitsrechts - droits de cité - sowie von Bürgerrechten oder ,droits du citoyen' stecken.) |