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Updated: 18.12.2012 15:51
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Verwirrung nach dem neuerlichen Streik der "autonomen Gewerkschaften"

Eine gewisse Konfusion herrschte am gestrigen Mittwoch bezüglich des Erfolgs (oder Nichterfolgs) eines erneuten Ausstands der "autonomen Gewerkschaften" in Algerien, der am 10., 11. und 12. Februar stattgefunden hat. "Autonome Gewerkschaften" heißen in dem nordafrikanischen Land jene Beschäftigtenorganisationen, die außerhalb des Dachverbands UGTA (Union générale des travailleurs algériens ) stehen. Bereits am 15. Januar dieses Jahres hatten diese Beschäftigtenorganisationen zu einem Streik in den öffentlichen Diensten aufgerufen, der als relativ erfolgreich durchging. (Vgl. im Labournet) Nachdem die Forderungen - insbesondere hinsichtlich der Lohnpolitik sowie der Festeinstellung prekärer Beschäftigter in den öffentlichen DienstenL - nicht erfüllt worden sind, riefen manche (aber nicht alle, Näheres siehe unten) autonomen Gewerkschaften zum erneuten Ausstand am 10./11./12. Februar auf. In der Regel waren die Forderungen nicht einmal offiziell angehört worden, obschon die "autonome" Lehrergewerkschaft CNAPEST am 4. Februar vom zuständigen Ministerium empfangen worden ist - im Anschluss freilich erklärte, sie halte an dem Streikdatum fest.

Verschiedene Zeitungsberichte enthalten unterschiedlichste Angaben zu den Auswirkungen des neuerlichen Arbeitskampfs vom Sonntag, Montag und Dienstag dieser Woche. (Anmerkung: Das algerische Wochenende fällt auf den Donnerstag und den Freitag = wöchentlichen Gebetstag dieser Moslems, die Arbeitswoche beginnt also mit dem Samstag.) Seitens der Gewerkschaften verlautbarte zunächst, die Streikbeteiligung betrage 90 Prozent in den betroffenen Sektoren der öffentlichen Diensten. Später war von 94 Prozent bezogen auf das öffentliche Schulwesen der Hauptstadtregion (Algier) die Rede. Das Bildungsministerium sprach hingegen von einer Teilnahmequote am Streik, in diesem Sektor, in Höhe von 18,72 %. In Algier, so die autonome Lehrer/innen/gewerkschaft CLA, hätten 114 Oberschulen - also alle - an dem Ausstand teilgenommen. In Algier fiel der Unterricht laut manchen Presseberichten schon am Vormittag aus, andere Artikel sprechen hingegen davon, ab der Mittagszeit seien die Oberschüler/innen vom Unterricht befreit worden.

Laut gewerkschaftlichen Angaben betrug zudem die Streikbeteiligung in den Bezirken Tipaza (westlich von Algier an der Mittelmeerküste) sowie Ouargla (in der zentralalgerischen Sahara) "100 Prozent", was aber wohl nur bedeutet, dass alle Schulen demnach von dem Ausstand berührt worden seien. Dieser habe in Constantine "46 von 54 bestehenden Oberschulen" erfasst, so die Lehrergewerkschaft CNAPEST (die das übrige Staatsgebiet Algiers mit Ausnahme der Hauptstadt abdeckt, während der - politisch radikalere und basisdemokratisch strukturierte - CLA oder "Rat der Oberschulen von Algier" geographisch auf die Hauptstadtregion begrenzt ist). Aus Oran verlautbarte hingegen via Presse, die Streikbeteiligung sei "gering" ausgefallen, und insgesamt habe der Streik "laut eigenen Angaben der autonomen Gewerkschaften" dort 17 Oberschulen von insgesamt 51 des Bezirks berührt. (Vgl. die Forumsbeiträge )

Das Bildungswesen war offenkundig der "harte Kern" der Streikbewegung, auch wenn daneben andere Sektoren - theoretisch - zum Arbeitskampf aufgerufen waren. Insgesamt hatte eine ",Intersyndicale' (ein übergewerkschaftlicher Streikausschuss) von sieben "autonomen Gewerkschaften" für den Ausstand mobilisiert. Die wichtigsten unter ihnen sind die Lehrer/innen/gewerkschaften CLA und CNAPEST sowie die Gewerkschaft der Krankenhausbediensteten SNPEPM. Hinzu kommt als achte Organisation eine Tendenz der, von Zerwürfnissen durchzogenen, Staatsbediensteten-Gewerkschaft SNAPAP.

Zur Verwirrung trug erheblich bei, dass andere ("autonome") gewerkschaftliche Strukturen schon mehrere Wochen lang zu anderen Streikterminen mobilisiert haben. So ruft die "Nationale Koordination der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst", die im September 2007 entstanden ist und die den Streiktag vom 15. Januar 2008 offiziell organisiert hatte - der CLA war schon damaligen Zeitpunkt nicht Mitglied dieser Struktur, sondern ihr nur assoziiert - seit Wochen zu einem "nationalen Ausstand" am 24., 25. und 26. Februar dieses Jahres auf.

Unter den Krankenhausbeschäftigten kommt ein weiterer Aufruf einer "Autonomen Gewerkschaft des paramedizinischen (d.h. Krankenschwestern-, Pfleger/innen- usw.) Personals", Syndicat autonome des paramédicaux, zu einem "eigenen" Streik für den 17., 18. und 19. Februar dieses Jahres auf. Unter den Beschäftigten ist die Verwirrung nur umso vollkommener. Aus einer Reportage einer algerischen Tageszeitung aus einer großen Klinik der Hauptstadt Algier vom Anfang dieser Woche ging hervor, dass das dort beschäftigte Personal etwa über den Arbeitskampf vom 10., 11. und 12. Februar gar nicht unterrichtet war. ("Wir dachten, das war am Ende dieses Monats?") Dabei sehen - derselben Reportage zufolge - die Beschäftigte durchaus handfeste Gründe, zu streiken. Ein Krankenhausarzt mit 18 Dienstjahren verdient, anderen Presseartikeln zufolge, im Monat 30.000 algerische Dinar (knapp 300 Euro) und ein Krankenpfleger mit 25 Dienstjahren und sechs Kindern, ihrer 18.000 (rund 150 Euro). Der gesetzliche Mindestlohn in Algerien liegt derzeit bei 12.000 Dinar monatlich, gut 100 Euro. - Löhne, Renten und Beschäftigungsgarantien bilden vor diesem Hintergrund die zentrale Forderung all dieser Streikbewegungen. Bei den Lehrer/inne/n kommt hinzu, dass ihre autonomen Gewerkschaften einen Rentenanspruch nach 25 Dienstjahren fordern; die Behörden haben diesen hingegen vor kurzem (für einen vollen Pensionssatz) von 32 auf 40 Dienstjahre hinausgeschoben.

Die "autonomen Gewerkschaften" beschweren sich jetzt darüber, dass das Regime "gewerkschaftliche Klone" - also Spaltergewerkschaften - gegründet habe, um die Schlagkraft der "autonomen" Beschäftigtenorganisationen zu schwächen. Es mag sei, dass dies mancherorts oder in einzelnen Sektoren eine Rolle spielen mag. Als allgemeine Erklärung für die in den letzten Tagen entstandene Verwirrung lässt sich dies hingegen nicht heranziehen. Die beiden Lehrergewerkschaften CLA/CNAPEST einerseits, die "Nationale Koordination der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst" (deren stärkste Organisation eine der Haupttendenzen der Staatsbedienstetengewerkschaft SNAPEP zu sein scheint) auf der anderen Seite stellen wohl bekannte, "echte" Gewerkschaftsstrukturen aus der jüngeren Periode da. Insofern ist man wohl genötigt, festzustellen, dass die Unfähigkeit zu einer Einigung und zu einem gemeinsamen Kampf - neben den Konflikten unter politischen Strömungen, die in den Gewerkschaften vertreten sind - und eventuell rivalisierende Apparateinteressen eine wichtige, negative Rolle gespielt haben.

In Algier fand am Dienstag Vormittag eine Kundgebung von rund 200 Personen, überwiegend gewerkschaftlichen Delegierten, im Quartier de la Grande Poste - im Stadtzentrum und unweit des Hafens - statt. Die Anwesenden wurden durch, seit dem frühen Morgen in starker Anzahl präsente, Polizeikräfte und unter Knüppeleinsatz davon abgehalten, sich dem Amtssitz von Premierminister Abdelaziz Belkhadem (auf den Höhen von Algier) zu nähern. Präsent waren auch ein Politiker des RCD - einer Oppositionspartei, die einen Teil der Berber und, überwiegend, die französischsprachigen Modernisierungseliten vertritt - sowie Hocine Zahouane, ein historischer Repräsentant des früheren linken Flügels der "Nationalen Befreiungsfront" FLN der 60er Jahre, der in den letzten drei Jahren zeitweise Vorsitzender der "Algerischen Liga für Menschenrechte" LADDH gewesen ist.

In Paris nahmen 50 Personen, darunter Vertreter des Zusammenschlusses linker Basisgewerkschaften SUD-Solidaires, der anarcho-syndikalistischen CNT sowie der grö ß ten Lehrer/innen/gewerkschaft FSU, an einer Kundgebung vor dem algerischen Konsulat in paris teil. Die Teilnehmenden solidarisierten sich mit dem "Kampf der autonomen Gewerkschaften" in dem nordafrikanischen Land.

Bernard Schmid, Paris, 14.02.2008


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