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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Breaking or Taking the Law - Studie zur Umsetzung des Arbeitsvertragsgesetzes in China erschienen »Der weite Weg zur doppelt freien Lohnarbeit«, so könnte man die nachholende Modernisierung chinesischen Arbeitsrechts charakterisieren, und so wird die Einführung des Arbeitsvertragsgesetzes Anfang 2008 auch und selbst von KritikerInnen in China diskutiert. Ob auf den Prozess der massenhaften Freisetzung von vor allem ländlicher Arbeitskraft nun wenigstens auf formal-juristischer Ebene auch dementsprechende Voraussetzungen für den Verkauf der Arbeitskraft geschaffen werden, z.B. in Form eines Rechts auf einen Arbeitsvertrag, das haben die KollegInnen des Dagongzhe Workers’ Centre in Shenzhen in einer Studie untersucht. Sie sind der Frage nachgegangen, wie das Arbeitsvertragsgesetz umgesetzt wird, ob und inwiefern sich dadurch die Situation der Beschäftigten verbessert hat. Wir freuen uns umso mehr, die Zusammenfassung ihrer Rechercheergebnisse hier dokumentieren zu können, als das Zentrum, das sich um die Betreuung von WanderarbeiterInnen kümmert, im letzten Jahr mehrfach attackiert und dessen Leiter Huang Quingnan von bestellten Attentätern schwer verletzt wurde (s. dazu Bericht in express Nr. 12/2007). Dank zahlreicher Spenden, auch von express-LeserInnen, konnten die Operationen von Huang Quingnan bezahlt werden und das Zentrum seine Arbeit wieder aufnehmen. Seit dem 1. Januar 2008 ist das »Arbeitsvertragsgesetz« der Volksrepublik China in Kraft. An ihm zeigt sich, dass und wie sich die Regierung eine Neujustierung der Arbeitsbeziehungen, die Sicherung bzw. Wahrnehmung der Rechte und Interessen der ArbeiterInnen vorstellt. Seither sind einige Monate verstrichen, und es ist an der Zeit nachzufragen, ob die Rechte und Interessen der ArbeiterInnen effektiv geschützt werden. Das Dagongzhe-WanderarbeiterInnenzentrum in Shenzhen hat daher gemeinsam mit mehreren Organisationen eine Erhebung durchgeführt, für die ArbeiterInnen in verschiedenen Gegenden von Shenzhen (Stadt) befragt wurden, um sich ein Bild von den Auswirkungen des Gesetzes zu machen. Von 380 Fragebögen wurden insgesamt 320 ausgefüllt zurückgegeben. Zusätzlich wurden mit zehn ArbeiterInnen Tiefeninterviews durchgeführt. Aufgrund der Ergebnisse können wir zusammenfassend sagen, dass das ungleichgewichtige und für die ArbeiterInnen zuweilen schädliche Machtverhältnis zwischen ArbeiterInnen und ArbeitgeberInnen weiterhin fortbesteht. Auch nach der Implementierung des Vertragsgesetzes verschließen sich einige ArbeitgeberInnen vor der Tatsache, dass ein neues Gesetz gilt, und erfinden neue »Tricks«, um dieses zu umgehen. Im Folgenden eine Zusammenfassung der schwerwiegendsten Verstöße: I. Alle Arten eigentümlicher Arbeitsverträge Englischsprachige Verträge Einige ArbeitgeberInnen übersetzen die Arbeitsverträge ins Englische, wohlwissend, dass einfache ArbeiterInnen nicht Englisch lesen können. So sagte beispielsweise der für eine mit ausländischem Kapital betriebene Spielzeugfabrik arbeitende Herr Yu: »Als wir den Vertrag unterzeichnen wollten, kannten die meisten ArbeiterInnen deren englischen Inhalt nicht, daher weigerten wir alle uns zunächst, die Verträge zu unterschreiben. Später zwang uns das Management zu unterzeichnen; sie sagten, der Vertrag gelte für ein Jahr (die tatsächliche Dauer betrug zwei Jahre), und wir könnten jederzeit kündigen. Die meisten ArbeiterInnen unterschrieben daraufhin, ich aber nicht, weil ich den Vertrag nicht lesen konnte.« Zwei Verträge gleichzeitig Herr Pan, gelernter Elektriker in einem Hongkonger Unternehmen, erklärt: »Das monatliche Grundgehalt in der Fabrik ist auf 1500 Yuan (10 Yuan = ca. 1 Euro; Anm. d. Red.) festgelegt. Die Firma zwang mich allerdings, zwei identische Verträge zu unterschreiben, wobei in jedem ein monatliches Grundgehalt auf 750 Yuan festgeschrieben ist. Insgesamt kommt also das Gleiche heraus. Andere TechnikerInnen mussten auch zwei Verträge unterschreiben.« Die Fabrik teilt die 1500 Yuan auf zwei Verträge auf und verwendet nur einen davon als offiziellen Vertrag. So kann sie Überstunden zum halben Satz verrechnen und spart einen bedeutenden Zuschlag zur Sozialversicherung. Seit Inkrafttreten des Arbeitsvertragsgesetzes neigen Unternehmen dazu, diesen »Trick« anzuwenden und so die Überstundenzahlungen für ihre ArbeiterInnen zu reduzieren. Sechs Tage die Woche, 6,7 Stunden am Tag »Wie viele Stunden arbeiten Sie laut Vertrag pro Tag?« Auf diese Frage antworten die ArbeiterInnen für gewöhnlich mit Verdruss. »Die rechtliche Richtlinie ist auf eine Fünf-Tage-Woche mit einem Acht-Stunden-Tag festgelegt. Die Unternehmen teilen die vierzig Stunden aber auf sechs Tage auf, so dass die tägliche Schicht 6,7 Stunden lang ist. So bekommen wir keine Überstundenzulagen für die 6,7 Stunden, die wir samstags arbeiten.« Diese Praxis zeigt, dass einige Unternehmen versuchen, das Gesetz zu ihren eigenen Gunsten auszulegen, um Überstundenzulagen zu sparen, obwohl die meisten ArbeiterInnen hart dafür arbeiten, Überstundenzulagen zu bekommen. Unvollständige oder unausgefertigte Verträge Von den für die Studie ausgewerteten Verträgen weisen 3,8 Prozent den Arbeitsort nicht aus, und 10,6 Prozent enthalten keine klare Arbeitsplatzbeschreibung. Manche ArbeiterInnen berichten, dass ihnen ein leeres Blatt zur Unterschrift vorgelegt wurde, und 5,9 Prozent der Verträge sind nicht ausgefertigt. Für die Beschäftigten ist es ziemlich riskant, unausgefertigte oder unvollständige Verträge zu unterschreiben. Manche ArbeitgeberInnen verdeckten sogar den Inhalt der Verträge, so dass nur der Abschnitt sichtbar war, auf dem die ArbeiterInnen unterschreiben sollten. Herr Sun, der in einer Kunststofffabrik arbeitet, berichtet: »Die Firma verdeckte den Inhalt der Verträge und forderte uns auf, einfach zu unterschreiben. Zuerst haben wir uns alle geweigert zu unterschreiben, weil wir das unzumutbar fanden. Doch eine Woche später sagte das Management, dass von denjenigen, die sich weigern zu unterschreiben, einen Monat der Lohn einbehalten wird, also waren wir gezwungen, zu unterschreiben.« Unterschiedliche Firmenlogos auf den Arbeitsverträgen Im Tiefeninterview berichtete der 28-jährige Herr Li: »Seit Januar wurden uns in der Fabrik Verträge zum Unterschreiben gegeben. Sie haben uns sogar unbefristete Verträge angeboten. Doch wir haben die Firmenzeichen von zwei verschiedenen juristischen Personen auf den Verträgen gesehen, deshalb weigerten wir uns alle, die Verträge zu unterschreiben. Daraufhin gab die Firma eine Mitteilung heraus, dass alle ArbeiterInnen, die die Verträge bis zum 31. Januar nicht unterschrieben hätten, unbezahlten Urlaub nehmen müssten. Später drohte die Firma den ArbeiterInnen, sie ohne Abfindung zu entlassen, wenn sie die Verträge nicht unterschrieben. Letzten Endes haben bis auf 23 alle ArbeiterInnen die Verträge unterschrieben.« Dass eine Firma mehrere »Tochtergesellschaften« eintragen lässt, ist eine relativ übliche Praxis. Wenn eine Tochtergesellschaft in irgendeiner Weise gegen Verträge verstößt und die ArbeiterInnen dies vor Gericht bringen, lässt die Muttergesellschaft einfach die betreffende Firma austragen und transferiert die ArbeiterInnen zu einer anderen Tochtergesellschaft. II. Missbrauch und Manipulation der Betriebsvorschriften Drastische Preiserhöhungen für Verpflegung und Unterkunft Die Erhebung zeigt, dass 22,2 Prozent der ArbeiterInnen eine Erhöhung der Preise für Verpflegung und Unterbringung hinnehmen mussten. Frau Yang, die in einer Spielzeugfabrik arbeitet, sagte verärgert: »Unsere Essensrechnungen sind auf bis zu 250 Yuan monatlich gestiegen. Wir haben gehört, dass der Mindestlohn erhöht wurde und uns die ArbeitgeberInnen deshalb mehr für Unterbringung und Verpflegung in Rechnung stellen würden. Jetzt haben wir weniger Überstunden, dafür eine höhere Rechnung für Essen und auch noch erhöhte Strafen. Wie kommt es eigentlich, dass unsere Regierung die Kantinenpreise nicht mehr reguliert?« Wachsende Listen von Strafpunkten 22,3 Prozent der ArbeiterInnen gaben in der Erhebung an, dass der Katalog von Verfehlungen, für die eine Strafe zu zahlen ist, ausgeweitet und die Bußgelder erhöht wurden. 52 Prozent der ArbeiterInnen sagten, dass sie diese Vorschriften nicht billigen. So Herr Sun, ein Stanzer, der in einem Metallbetrieb arbeitet: »Unsere Betriebsvorschriften sehen 50 Yuan Strafe für einen unbedeutenden Fehler vor; das beinhaltet z.B., eine Minute zu spät zur Arbeit zu kommen oder eine verbale Auseinandersetzung mit den AufseherInnen zu führen. Für schwerwiegendere Fehler, wie mit dem Management zu streiten, geht die Strafe auf bis zu 200 Yuan hoch. Die Fabrik verschickt häufig Abmahnungen, und jede Abmahnung kostet uns 50 Yuan. Die zweite Abmahnung bedeutet dann die Kündigung ...« III. Verschleppte Umsetzung des Arbeitsvertragsgesetzes Immer noch viele Beschäftigte ohne Arbeitsverträge Gerade in kleineren bzw. ausschließlich lokal tätigen Unternehmen gibt es noch immer einen Mangel an Arbeitsverträgen. 73,4 Prozent der ArbeiterInnen gaben in der Erhebung zwar an, einen Vertrag unterschrieben zu haben (auch wenn sie – wie bereits erwähnt – alle möglichen Schwierigkeiten damit haben), doch 26,6 Prozent der ArbeiterInnen arbeiten noch immer ohne Verträge. In 41,9 Prozent der ausschließlich lokal tätigen Unternehmen und in 35,8 Prozent der Kleinunternehmen, d.h. solchen mit weniger als 1000 Beschäftigten, werden den ArbeiterInnen keine Verträge angeboten. Von den größeren Fabriken, d.h. solchen mit mehr als 1 000 ArbeiterInnen, sind es nur 6,1 Prozent, in denen die ArbeiterInnen keine Verträge haben. Löhne unter dem Mindestlohn Die Erhebung zeigt, dass 28 Prozent der Verträge Löhne unter 750 Yuan monatlich bieten, 51,6 Prozent bieten Löhne zwischen 750 und 1200 Yuan. Beginnend mit dem 1. Oktober 2007 wurde der Mindestlohn in den Außenbezirken Shenzhens auf 750 Yuan festgelegt und zum 1. Juli 2008 auf 900 Yuan erhöht. Die gesetzlichen Mindestlöhne stellen die unterste Grenze dessen dar, was die ArbeiterInnen zum Leben brauchen. Viele Fabriken halten nicht einmal diesen Standard ein, wie können sie da von einer »persönlichen Entwicklungsmöglichkeit« für die ArbeiterInnen sprechen? Diskrepanzen zwischen Verträgen und Realität Als wir die ArbeiterInnen fragten: »Gibt es Diskrepanzen zwischen den Verträgen und der Realität am Arbeitsplatz?«, gab eine Mehrheit von 63,83 Prozent an, dass ihre Arbeitszeiten nicht mit den vertraglich festgesetzten übereinstimmen. 4,26 Prozent gaben an, nicht an dem im Vertrag festgesetzten Ort zu arbeiten, und 3,19 Prozent erklärten, dass die Firmennamen abweichend seien. Verschiedene andere Diskrepanzen machen 11,7 Prozent aus. IV. Gesellschaftliche Anstrengungen notwendig Die Erhebung zeigt, dass für 79,2 Prozent der ArbeiterInnen die Situation in den Fabriken nicht zufriedenstellend ist. Sie zeigt auch, dass das Arbeitsvertragsgesetz weiterer und verbesserter Implementierung bedarf. 1. Umgehung ist keine Lösung Anstatt die technischen Kenntnisse, die Kreativität und Leitungskompetenzen der ArbeiterInnen zu fördern und so den Betrieb aufrecht zu erhalten, werden die Löhne der ArbeiterInnen gekürzt bzw. Überstundenzuschläge vermieden. Das heißt, tendenziell werden ArbeiterInnen zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit ausgebeutet. Längerfristig ist dies keine tragfähige Strategie für die Firmen, früher oder später werden sie entweder von der Regierung bestraft werden oder aber ArbeiterInnen verlieren, d.h. unter Arbeitskräftemangel leiden. Zur Zeit fehlen in Shenzhen nachweislich 740 000 Arbeitskräfte. Das ist eine Ermahnung an die Unternehmen, die ihnen deutlich machen müsste: Wenn sie weiter wachsen wollen, müssen sie sich dem Gesetz beugen und das Wachstum in die richtige Richtung bringen. 2. Rechte kennen und wahrnehmen Es ist notwendig, dass ArbeiterInnen ihre Rechte kennen lernen und Methoden entwickeln, sich selbst zu schützen, um gegen ihre ArbeitgeberInnen, in Arbeitsbehörden und vor Gericht kämpfen und ihre Forderungen klar vorbringen zu können. Dies ist die einzige Möglichkeit, das Arbeitsvertragsgesetz in Gänze umzusetzen. 3. Arbeitsrechte – eine gesellschaftliche Angelegenheit ArbeiterInnen schaffen gesellschaftlichen Reichtum, sie sind die treibende Kraft gesellschaftlicher Entwicklungen. Als Mitglieder dieser Gesellschaft haben wir alle die Pflicht und die Verantwortung, das Arbeitsrecht und die Arbeitsbedingungen von ArbeiterInnen genau zu verfolgen. Wenn die ArbeiterInnen den Unterhalt für ihr Leben nicht verdienen können, wird sich dies definitiv auf die Stabilität und die Entwicklung der Gesellschaft auswirken. Und wenn die ArbeiterInnen ihre Fähigkeiten nicht entwickeln und ausweiten können, wird das ebenso die Entwicklung der Gesellschaft als Ganze einschränken. 4. Regierungsaufgaben Die Erhebung hat klar gezeigt, dass in hohem Ausmaß selbst bei unterschriebenen Verträgen rechtswidrige Praktiken fortbestehen. Wenn wir nicht auf die Erfahrungen der ArbeiterInnen hören und uns nur auf die Anzahl der unterschriebenen Verträge konzentrieren, führt dies eindeutig zu einer Fehleinschätzung. Die ArbeiterInnen wissen am besten über die illegalen Praktiken in den Unternehmen Bescheid. Die Regierung sollte der tatsächlichen Situation der ArbeiterInnen daher mehr Beachtung schenken und auf deren Stimme hören. Gleichzeitig sollte die Regierung Organisationen wie die Gewerkschaft, den Frauenverband und andere Gruppen darin bestärken, ihre Funktion bei der Förderung, Vermittlung, Erleichterung und Beaufsichtigung des Arbeitsvertragsgesetzes wahrzunehmen. In der Zwischenzeit könnte die Regierung klare finanzielle Anreize bieten, um soziale Gruppen und Einzelpersonen dazu zu ermutigen, die widerrechtlich handelnden Unternehmen zu melden. Seit Inkrafttreten des Arbeitsvertragsgesetzes kam es häufig zu »Tricks« in Unternehmen. Diese Handlungen haben nicht nur das Recht der ArbeiterInnen untergraben, sondern sich auch über das Gesetz hinweggesetzt und es mit Füßen getreten. Angesichts einer derartigen Situation rufen wir die ArbeiterInnen dazu auf, sich mit dem Arbeitsrecht vertraut zu machen, rufen wir alle Bereiche der Gesellschaft auf, den Rechten der ArbeiterInnen volle Beachtung zu schenken, und rufen wir die Regierung auf, die Förderung, Beaufsichtigung und Durchsetzung des Arbeitsvertragsgesetzes zu stärken. Eine vollständige chinesische Version dieses Berichts findet sich unter: www.ngocn.org/?11799 Weitere Informationen und Kontakt: workerempowerment@gmail.com Übersetzung ins Englische: Workers Empowerment und IHLO (Hong Kong-Vertretung des ICFTU) Übersetzung aus dem Englischen: Dagmar Fink Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Nr. 8/08 |