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Updated: 18.12.2012 15:51
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Gewalt sichert Hyperausbeutung

Attacken auf die chinesische ArbeiterInnenbewegung

Im Zuge einer Studienreise nach China hatten wir u.a. Gelegenheit, mit VertreterInnen von NGOs zu diskutieren, die sich – selten in China – um die Belange und die Organisierung der WanderarbeiterInnen bemühen. Einer unserer Gesprächspartner wurde im November Opfer eines Attentats (s. Protestschreiben pdf-Datei und den unten stehenden Spendenaufruf). Im Folgenden berichtet Thomas Sablowski über Hintergründe dieses Attentats und die Arbeitsbedingungen der NGOs, die oft genug die Aufgaben der Gewerkschaft übernehmen müssen.

Huang Qingnan kämpft seit Jahren für die Rechte der ArbeiterInnen in der südchinesischen Stadt Shenzhen. 1999 wurde ein Säureanschlag auf ihn verübt, bei dem er schwere Hautverletzungen davontrug. Damals arbeitete Huang in einer Lebensmittelfabrik; die Attacke traf ihn, während er in der Arbeiterschlafstätte der Fabrik schlief. Das Unternehmen bezahlte zwar einen Teil von Huangs Behandlungskosten, doch ein vier Jahre dauernder Prozess, in dem Huang eine Entschädigung vom Unternehmen forderte, blieb erfolglos. Seit dieser Zeit kümmert er sich vor allem um Probleme des betrieblichen Gesundheitsschutzes und der Arbeitssicherheit.

Am 20. November 2007 verlässt Huang gegen 15.30 Uhr das Dagongzhe-Wanderarbeiterzentrum, um einen verletzten Arbeiter im Krankenhaus zu besuchen. Plötzlich greifen ihn zwei Unbekannte von hinten mit Hackmessern an. Die Hiebe und Schnitte treffen ihn zunächst am Genick und Rücken, dann an den Beinen. Ein Anwohner wirft Steine auf die Angreifer, die sich daraufhin zurückziehen, und verfolgt sie. Doch die Attentäter können mit einem Motorrad entkommen. Zwei patrouillierende Polizisten in der Nähe können niemanden fassen. Huang, der schwer verletzt ist, verliert eine Menge Blut, bevor ihn ein von Anwohnern gerufener Krankenwagen ins Krankenhaus bringt.

Der hinterhältige Überfall auf den 34-jährigen Aktivisten ist der Höhepunkt einer Reihe von Angriffen auf das Dagongzhe-Wanderarbeiterzentrum in Shenzhen. Dieses Zentrum ist ein Treffpunkt für die ArbeiterInnen, es gibt dort eine Bibliothek, kostenlose Rechtsberatung und Kurse in Arbeitsrecht. Bereits am 11. Oktober wurden die Fenster und die Tür des Zentrums von mehreren, mit Stahlrohren bewaffneten Männern zertrümmert. Anschließend warfen sie die Stahlrohre auf die anwesenden ArbeiterInnen und verschwanden. Der Vorfall wurde von den AktivistInnen des Zentrums bei der Polizei gemeldet, die die Sache jedoch nicht weiter verfolgte: Es handele sich um eine Kleinigkeit, es sei schließlich niemand verletzt worden, so die Polizei.

Am 14. November wurde das Zentrum erneut von vier Männern überfallen, die die Tür und die Einrichtung zertrümmerten. Einer der Angreifer rief den Anwesenden zu: »Seht Ihr, Ihr könnt hier nicht so weiter machen.« Die Angreifer flüchteten mit einem Minivan, der auf sie wartete. Währenddessen patrouillierten gerade drei Polizisten vor dem Zentrum, die den Ereignissen zusahen, aber nicht eingriffen. Ein weiterer Polizist, der herbeigerufen wurde, um den Vorfall zu dokumentieren, spielte die Sache ebenfalls herunter, da niemand verletzt worden sei und da der Schaden angeblich nur geringfügig sei.

Diese Angriffe sind keine isolierten Ereignisse. Es scheint, dass sich die Widersprüche in den chinesischen Arbeitsbeziehungen zurzeit zuspitzen. Unternehmen verstoßen häufig gegen das Arbeitsrecht, indem sie den Arbeitern überlange Arbeitszeiten aufzwingen, die Bezahlung von Überstunden verweigern oder den Lohn nicht auszahlen. Arbeiter, die versuchen, ihre Rechte geltend zu machen, werden teilweise von Schlägertrupps zusammengeschlagen oder bedroht. Der Gegensatz zwischen dem Arbeitsrecht und der realen Praxis wird sich noch verschärfen, wenn das neue Arbeitsvertragsgesetz in Kraft tritt, das die rechtliche Lage der Arbeiter verbessert, indem es etwa die Möglichkeiten der befristeten Beschäftigung einschränkt (siehe Beitrag »Auf dem Weg zu ›freien‹ Verträgen«). Unternehmen kündigen nun teilweise vorsorglich ihren ArbeiterInnen, um zu verhindern, dass diese sich später auf bestimmte Senioritätsregeln des Arbeitsvertragsgesetzes berufen können (vgl. den nebenstehenden Artikel zu Huawei). Die Aktivisten des Dagongzhe-Wanderarbeiterzentrums hatten in den vergangenen Monaten verstärkt versucht, die Regelungen des neuen Arbeitsvertragsgesetzes bekannt zu machen. Die Angriffe auf das Zentrum und auf Huang Qingnan sind ein klares Signal, dass zumindest ein Teil der chinesischen Kapitalisten die Implementierung des Gesetzes nicht akzeptiert.

Die Haltung der Staatsapparate ist ebenso widersprüchlich. Die Zentrale der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) hat auf die Verschärfung der sozialen Ungleichheit, die zunehmenden sozialen Konflikte und Arbeitskämpfe, die durch ihren marktwirtschaftlichen Kurs verursacht sind, mit der Devise reagiert, Ziel sei es nun, eine »harmonische Gesellschaft« zu schaffen. Der Versuch, die Rechte der Arbeiter durch das neue Arbeitsvertragsgesetz etwas zu stärken, ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Schon aus Gründen ihres eigenen Machterhalts muss die KPCh daran interessiert sein, die weitere Zuspitzung der Klassenkämpfe zu vermeiden. Andererseits kollidiert dies mit dem Interesse, die Kapitalakkumulation mit allen Mitteln weiter zu fördern. Die Interessen der KPCh und der Agenten der Staatsapparate sind auf vielfältige Weise mit den Interessen des nationalen und internationalen Kapitals verbunden. Zum einen sind die chinesischen Kapitalisten durch den Privatisierungsprozess im Wesentlichen aus der KPCh, den Staatsapparaten und den Leitungen der ehemals staatlichen Unternehmen hervorgegangen (und gehen noch weiter aus ihnen hervor). Zum anderen sind die Kommunen und Provinzen von der Ansiedlung von Unternehmen auf ihrem Territorium abhängig. Sozial oder ökologisch orientierte Vorgaben der nationalen Regierung sind daher nicht in ihrem Interesse, wenn sie im Widerspruch zum Wirtschaftswachstum stehen. Insofern gibt es Widersprüche zwischen den verschiedenen Ebenen der Partei- und Staatsapparate. Allerdings ist auch nicht ganz klar, wie ernst es die nationale Regierung mit der Durchsetzung sozialer und ökologischer Ziele tatsächlich meint. Die Beziehungen zwischen Kapital, Partei und Staatsagenten sind nicht zuletzt durch Korruption geprägt, die sich durch alle Staatsapparate bis in die höchsten Ebenen zieht. Die KPCh hat sich auch ideologisch längst transformiert; es scheint, dass neoliberale Ökonomen mehr Einfluss auf sie haben als Marx.

Der Kampf für die Interessen der ArbeiterInnen ist unter diesen Bedingungen extrem schwierig. Die Zahl der Streiks und Arbeiterunruhen nimmt zwar zu, doch aus diesen Kämpfen ist bisher offenbar noch keine dauerhafte, landesweite Organisation hervorgegangen. Die Gründung unabhängiger Gewerkschaften wird von der KPCh nach wie vor nicht zugelassen. In Shenzhen gibt es etwa ein Dutzend kleine Nichtregierungsorganisationen wie das Dagongzhe-Wanderarbeiterzentrum. Diese Organisationen bestehen oft nur aus einer Handvoll AktivistInnen. Teilweise handelt es sich um ArbeiterInnen, die schon mehrfach versucht haben, unabhängige Gewerkschaften in den Betrieben zu gründen, wegen ihrer Aktivitäten entlassen wurden und auf »schwarzen Listen« stehen. Im Vergleich zu anderen Städten sind die Ansätze der Organisierung in Shenzhen recht weit entwickelt, andernorts sieht es noch düsterer aus, ganz zu schweigen von der landesweiten Organisierung der ArbeiterInnen. Dies hat mehrere Gründe. Shenzhen war die erste Sonderwirtschaftszone in China. Die ausländischen Unternehmen haben sich dort zuerst angesiedelt, dementsprechend gibt es schon seit langer Zeit betriebliche Auseinandersetzungen und eine entsprechende Anhäufung von Erfahrungen. Hinzu kommt, dass Hong Kong nahe ist. In Hongkong genießen Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen mehr Freiheit als auf dem chinesischen Festland; gleichzeitig sind die AktivistInnen in Hongkong in der Lage, ohne größere Probleme in die Nachbarstadt Shenzhen zu reisen und die Organisierung der ArbeiterInnen dort zu unterstützen. Ferner wurde uns berichtet, dass die staatliche Repression etwa in Shanghai noch schärfer ist als in Shenzhen.

Um legal arbeiten zu können, müssen die Arbeiterorganisationen sich bei der lokalen Verwaltung registrieren lassen. Die Zulassung wird ihnen jedoch von den staatlichen Stellen oftmals verweigert. Oder einmal erteilte Zulassungen werden später wieder eingezogen, wenn die Organisation auffällig wird. Deshalb verzichten manche Organisationen von vornherein darauf, sich um eine Zulassung zu bemühen und arbeiten in einer rechtlichen Grauzone bzw. illegal. Es ist dagegen vergleichsweise leicht, ein Unternehmen zu gründen, daher haben sich die Arbeiterorganisationen zum Teil in Form von Unternehmen registrieren lassen. Auch das Dagongzhe-Wanderarbeiterzentrum verfügt über eine solche offizielle Zulassung als Unternehmen. Huang Qingnan wurde möglicherweise auch deshalb zur Zielscheibe, weil er der offizielle Lizenz-Inhaber des Zentrums ist.

Huang hatte nach seinem Arbeitsunfall im Jahr 1999 das Glück, dass er in der Praxis einer medizinischen Hilfsorganisation behandelt werden konnte, die Betroffene von Arbeitsunfällen versorgte. Es handelte sich um eine dieser kleinen Organisationen, die für die Rechte der ArbeiterInnen kämpfen. Die Praxis, die im Jahr 2002 von der Organisation Worker Empowerment aus Hongkong übernommen wurde, war jedoch zu klein, um alle verletzten ArbeiterInnen behandeln zu können. Daher änderten die AktivistInnen des Workers Occupational Health and Safety Network, denen sich Huang Qingnan angeschlossen hatte, ihren Ansatz und konzentrierten sich fortan auf die Durchsetzung des Versicherungsschutzes bzw. der Entschädigungszahlungen für die Betroffenen von Arbeitsunfällen. Vor vier Jahren richteten die AktivistInnen das Dagongzhe-Zentrum als Anlaufstelle ein.

Unter den gegebenen Umständen liegt die Hauptstoßrichtung der Arbeiterorganisationen darin, die ArbeiterInnen über ihre gesetzlichen Rechte aufzuklären und sie für den Kampf zur Durchsetzung dieser Rechte zu mobilisieren. Dieser Kampf wendet sich nicht direkt gegen die Regierung, er bezieht sich positiv auf das existierende Recht. Er widerspricht auch nicht unbedingt den kapitalistischen Produktionsverhältnissen, da er nicht die Lohnarbeit an sich in Frage stellt. Inwieweit der Bezug auf das existierende Recht bloß taktisch bedingt ist oder inwieweit die AktivistInnen in Shenzhen darüber hinaus weit reichende emanzipatorische Ziele verfolgen, ist schwer zu sagen. Gleichwohl wirkt die Berufung auf das existierende Recht bereits subversiv und erzeugt solche gewalttätigen Reaktionen, da sie das vorherrschende Akkumulationsregime mit seinen Formen der Hyperausbeutung in Frage stellt.

Huangs frühere Verletzungen führen nun bei der Behandlung im Krankenhaus zu zusätzlichen Komplikationen. Als dieser Artikel geschrieben wurde, war noch nicht klar, ob Huang eventuell ein Bein verlieren wird. Seine medizinische Behandlung und der Wiederaufbau des Dagongzhe-Wanderarbeiterzentrums sind sehr kostspielig. Die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung in Hong Kong fordern daher nicht nur zur Unterzeichnung der nebenstehenden Solidaritätserklärung, sondern auch zu Spenden auf.

Thomas Sablowski

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/07


Spendenaufruf

Huang Qingnan liegt derzeit im Longgang Central Hospital. Am 21. November wurde er von der Intensivstation in die allgemeinmedizinische Abteilung verlegt. Seine linke Rückenhälfte und sein linkes Bein weisen die gravierendsten Verletzungen auf. Huang Quingnan wurde bereits vor einigen Jahren Opfer eines Betriebsunfalls, dessen Folgen Komplikationen für die aktuelle Behandlung bedeuten. Wir, die InitiatorInnen des o.g. Aufrufs, bemühen uns daher um eine bessere medizinische Behandlung und bitten dringend um Spenden für die medizinische Versorgung und die Lebenshaltungskosten von Huan Quingnan. Die geschätzten Kosten belaufen sich auf rund 200000 Yuan (ca. 20000 Euro).

Bank A/C Name: Worker Empowerment, Bank A/C no.: 227-9-090365, Bank Code: 024, Bank Address: 83 Des Voeux Road, Central, Hongkong, Swift Code: HASE HKHH

Falls Sie Fragen bezüglich der Überweisung haben oder eine Spendenquittung benötigen, wenden Sie sich per Email an: vivienyau@sacom.hk


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