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Updated: 18.12.2012 15:51
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Mobiler Arbeitseinsatz im modernen Kapitalismus

Irmtraud Schlosser* zur Situation von Wanderarbeitern in China

Es wird weiter gebaut auf der »Baustelle China«. Mit dem folgenden Beitrag setzen wir unsere Reihe von Berichten über eine Studienreise, die Peter Franke vom Asienhaus Essen und Wolfgang Schaumberg, ehemaliger Betriebsrat bei Opel Bochum und Mitglied der GoG (Gruppe oppositioneller Gewerkschafter) im September 2007 organisiert hatten, fort. Auch Irmtraud Schlosser hatten wir unseren kleinen Fragebogen zu ihren Reiseeindrücken vorgelegt.

Mit welchen Fragen bist Du nach China gereist? Wo lagen die Schwerpunkte Deines Interesses?

Über China als Billiglohnland sehe und höre ich jeden Tag Neues in Zeitung und TV und zuweilen auch, unter welchen Arbeitsbedingungen die preiswerten Schuhe, T-Shirts und Spielzeuge hergestellt werden. Die Berichte über die Recht- und Wehrlosigkeit junger chinesischer Arbeiterinnen und Arbeiter, die, wenn sie krank oder verletzt ganz auf sich selbst gestellt sind, machten mich nachdenklich. Ich wollte mehr über die Arbeitsbedingungen in China erfahren. Insbesondere wollte ich wissen, wie Wanderarbeiter in den städtischen Produktionszonen leben und wie es in den Dörfern aussieht, aus denen sie kommen.

Den medial aufgebauschten Konkurrenzängsten wollte ich meine eigene Anschauung entgegensetzen. Was hat es also mit der »gelben Gefahr« auf sich, chinesische Lohnarbeit könne mittelfristig als Maßstab für europäische Lohnarbeit gelten? Bedingungslose Konkurrenz weltweit?

Welche Antworten hast Du durch die Reise, die Gespräche und Besichtigungen erhalten?

China beeindruckt nicht nur durch seine modernen Großstädte, deren Hochhäuser mit unzähligen, wie Waben angeordneten Fenstern und Balkonen einen Eindruck des Lebens in hochverdichteten Megastädten vermitteln. Dass der Zuzug von so vielen jungen Menschen in die Städte, meist zwischen 17 und 20, selten über 30 Jahre alt, noch nicht zum Ende gekommen ist, ahne ich, als ich in Shenzhen und Guangzhou die vielen Baukräne sehe: noch mehr Hochhäuser, noch mehr Geschäftszentren in Granit, Marmor und Glas. Dazwischen immer wieder die älteren Fabriken, die zu Beginn der damaligen Sonderproduktionszone in den 80er Jahren entstanden. Schon lange reicht hier der Patz nicht mehr, neuere Produktionsstätten sind außerhalb der Stadt angesiedelt, die Werk- und Wohnbereiche dehnen sich mittlerweile 50 – 80 km weit in das Land aus. Der Boom scheint kein Ende zu nehmen.

Die Menschen in den Straßen der Stadt wirken sehr geschäftig. Angespannt warten sie auf die wenigen öffentlichen Busse, die, wenn sie kommen, total überfüllt sind. Die Menschen sind müde von der Arbeit und schlafen, wenn’s sein muss, auch im Stehen. Autos bewegen sich üblicherweise im Schritttempo, denn es sind überall zu viele, die sich zugleich fortbewegen wollen.

Mich hat vor allem die große Zahl der Wanderarbeiter, ca. 200 Millionen, beeindruckt. Als »Wanderarbeiter« gelten in China Binnenmigranten vom Lande, die in den Metropolen nach günstigen Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten suchen. Viele von ihnen leben in Unterkünften direkt auf dem abgezäunten Werksgelände. Andere wohnen in Hochhäusern in den Außenbezirken in der Nähe der Fabriken, wo sie sich zu mehreren eine Wohnung teilen, denn Mieten sind teuer. Wieder andere, vermutlich solche, die erst vor kurzem in die Stadt gekommen sind und noch keinen Anschluss an andere Wanderarbeiter gefunden haben, leben auf der Straße, sie tun sich zu kleinen Gruppen zusammen und übernachten vor den Eingängen größerer Geschäftshäuser oder in Parks. So haben wir es in Guangzhou und Shenzhen gesehen.

Wanderarbeiter, auch wenn sie im Besitz einer offiziellen Arbeitserlaubnis durch die Arbeitsbehörde sind, haben weniger Rechte als lokal ansässige Arbeiter und haben auch die schlechteren und gesundheitsgefährdenden Jobs. Ihre soziale Sicherung ist unvollständig, da sie keine Arbeitslosen- und Rentenversicherung abschließen können. Zwar ist es seit 2006 möglich, sich gegen Krankheit und Unfälle zu versichern, und Frauen erhalten auch Mutterschutz. Aber nur die wenigsten nehmen diese Rechte wahr, weil sie Lohnabzüge vermeiden wollen. Die Anwartschaft auf Versicherung, die früher an den Betrieb bzw. an die Provinz gebunden war, kann jetzt, jedenfalls in einigen Provinzen, auf nachfolgende Beschäftigungsverhältnisse übertragen werden.

Wanderarbeiter sind also in vieler Hinsicht Arbeitskräfte zweiter Klasse. Sie arbeiten teilweise ohne Arbeitsvertrag und haben dann keine Handhabe, ihren Lohn einzufordern, wenn der Arbeitgeber ihn nicht oder zu spät auszahlt, wie uns mehrfach berichtet wurde. Immer wieder kommt es zu Streiks, weil Wanderarbeiter nur so Druck entfalten können, um ihre nicht oder nicht vollständig ausgezahlten Löhne einzufordern. In den staatlichen Produktionsbetrieben werden Wanderarbeiter vom ACFTU, der staatlichen Gewerkschaftsorganisation betreut. In den Staatsbetrieben arbeiten jedoch nur wenige Wanderarbeiter. Die große Zahl ist in Privatbetrieben tätig, fast ausschließlich ohne eigene Interessenvertretung, denn sie scheitert üblicherweise am Widerstand der Firmenleitung. Ordnungspolitisch zuständig für Wanderarbeiter sind die örtlichen Arbeitsbehörden, deren Personalausstattung eine funktionierende Kontrolle der Arbeitsbedingungen in den Privatbetrieben von vornherein ausschließt. Beschwerden über unzulässige Arbeitsbedingungen können Wanderarbeiter an die zuständige Behörde richten, aber nur in den wenigsten Fällen sind sie erfolgreich. Die Arbeitsbehörden haben üblicherweise wenig Interesse, Konflikte mit privaten Firmeneigentümern einzugehen.

Im Perlflussdelta haben wir mehrere NGO’s kennen gelernt, die Wanderarbeiter in Rechts- und Gesundheitsfragen beraten. Die Mitglieder der NGO’s, oft selbst ehemalige Wanderarbeiter, müssen ständig mit Repressalien rechnen, wie jüngst in der Stadt Longgang (unweit Shenzhen), wo das Beratungsbüro einer NGO durch unbekannte Schläger im November 2007 nicht nur verwüstet, sondern der Berater Huang Qingnan auch lebensgefährlich verletzt wurde. (Vgl. Bericht in express Nr. 12/2007)

Nach wie vor haben Wanderarbeiter kein Aufenthaltsrecht als Bürger der Stadt, sie werden als Arbeitskräfte kaum mehr als geduldet, und ihre Aufenthaltserlaubnis ist an die Beschäftigung im Betrieb gebunden. Ist diese abgelaufen, sind sie »sans papiers«. Als Bürger der Stadt gelten lediglich registrierte Einwohner mit dauerndem Aufenthalts- und Wohnrecht sowie dem Recht auf soziale (Alters- und Arbeitslosenver-)Sicherung.

Nur die Kinder der Registrierten haben das Anrecht auf einen Platz in der Schule.

Die unzureichenden Rechte der Wanderarbeiter als Bürger und als Arbeitskräfte sind politisch gewollt. Der Hongkonger Publizist Au Loong Yu nennt die auf sozialer Unsicherheit beruhende gesellschaftliche Ungleichheit ein System der »Apartheid«, eine scharfe Trennung zwischen den als Bürgern registrierten Bewohnern und den nicht registrierten (legal und nicht legal arbeitenden) Wanderarbeitern. Dabei geht es nur vordergründig um die Furcht vor massiver Landflucht. Die findet ohnehin statt. Als Global Player hat China ein Interesse, das Lohnniveau im internationalen Konkurrenzkampf niedrig zu halten und soziale Unsicherheit in ihrer disziplinierenden Wirkung beizubehalten. Chinesische Wanderarbeiter und ihre rechtliche Diskriminierung sind also vorteilhaft für dauerhaft hohe Profite des in- und ausländischen Kapitals.

Die politisch verordnete Trennung der Städte und Dörfer spaltet die Bewohner in sozial, kulturell und ökonomisch getrennte Lebenswelten. Ist in den modernen Städten die Dynamik der Markt- und Konkurrenzbeziehungen bestimmend, fehlt diese auf dem Land fast gänzlich. Die Bauern können ihre Produkte selten selber auf dem Markt anbieten, wie wir beim Besuch von mehreren Dörfern im Kreis Zonquing, ca. 500 km südwestlich von Peking, erfahren konnten. Soweit wir gesehen haben, ist die Infrastruktur unzureichend, zuweilen fehlte der direkte Zugang zu Wasser und Verkehrsanbindungen (unterentwickelter öffentlicher Nahverkehr, viele Straßen werden z.Z. erst gebaut). Auf kleinen, von der Gemeinde zugeteilten Ackerflächen bauen die Bewohner der Dörfer überwiegend in Handarbeit Getreide und Gemüse an. Ein großer Teil der Ernte wurde bis vor wenigen Jahren zu staatlichen Festpreisen von den Behörden aufgekauft. Der Aufkauf entfällt heutzutage, jedoch werden Bauern durch ein umfangreiches Steuer- und Abgabensystem belastet, die Hauptursache für steigende Armut und Existenznot. (Vgl. dazu auch: Chen Guidi/Wu Chuntao: »Zur Lage der chinesischen Bauern«, Frankfurt a.M. 2006).

Wir hatten den Eindruck, dass auf dem Land die Ein-Kind-Politik sehr freizügig gehandhabt wird. In den meisten Familien wächst nicht nur ein Kind auf, sondern zwei, drei oder mehr Kinder. Kinder sind hier immer noch die einzige Altersversicherung. Formell ist die Alterssicherung mit dem zugeteilten Stück Land abgegolten. Die Bewohnerschaft der Dörfer nimmt weiterhin zu, die Ackerfläche aber bleibt gleich. Die junge Generation ist deshalb zur Migration in die Städte gezwungen.

Wanderarbeiter sind das zentrale Bindeglied zwischen Stadt und Land, sie sind es, die Erspartes in die Dörfer zurückbringen, um die Lebenssituation dort erträglicher zu machen. Dennoch zwingen die Lebensverhältnisse auf dem Land sie dazu, in den Städten auf Dauer Fuß zu fassen.

Es gibt Hinweise auf einen Wandel in der Landwirtschaft.

  1. Im Sinne einer endogenen ländlichen Entwicklung versteht sich ein Förderprogramm im Kreis Zonquing. Uns wurde über die großflächige Anpflanzung von Walnussbäumen berichtet, verbunden mit der Option, die Früchte auf dem Markt verkaufen zu können. Ihre Einkommenssituation, so hoffen die Bauern, verbessere sich, wenn sie über den Erlös der Nüsse auch selbst verfügen könnten. Bisher fehlen allerdings eigene Transportmittel, die Bauern haben keine Traktoren oder Autos, um selbst als Marktanbieter aufzutreten. Sie sind deshalb auf Aufkäufer angewiesen. Genossenschaftliche Vertriebssysteme für landwirtschaftliche Produkte müssten erst aufgebaut werden, betont auch Prof. Wen Tiejun, den wir in Peking zu Perspektiven der ländlichen Entwicklung befragten.
  2. Die industrialisierte Agrarproduktion auf großen Flächen nimmt zu. Im Deal mit (korrupten) Dorfkadern pachten »Investoren« die parzellierten Flächen der Bauern. Die Intensivierung und Mechanisierung der modernen Flächenbearbeitung raubt den Bauern ihre spärliche Existenz und erzeugt ein weiteres Potential an Wanderarbeitern.

Welche Fragen hast Du wieder mitgenommen, welche sind neu dazugekommen, welche Widersprüche hast Du festgestellt?

Vor allem aus den Begegnungen auf dem Land habe ich erfahren, dass die chinesische Politik offenbar keine politische Lösung anstrebt, die Situation der Wanderarbeiter zu verbessern. Die gesellschaftliche Entwicklung Chinas bleibt offensichtlich zweigeteilt

  • in eine Zone der prosperierenden Industrie in den Städten (hier leben ca. 30 Prozent der Bevölkerung), wo sich ein neuer Mittelstand herausbildet und
  • in die Zone der ländlich-traditionellen Produktionsweise (hier leben ca. 70 Prozent der Bevölkerung), wo technischer Fortschritt und Wohlstand an der großen Mehrheit der bäuerlichen Bevölkerung vorbeigehen, die sozialen Auswirkungen der Globalisierung jedoch in vollem Umfang spürbar sind.

Die ländliche Entwicklung ist überwiegend auf Entfaltung endogener Kräfte angewiesen. Wie kann das gelingen, wenn zugleich der Großteil der jungen Generation abwandert?

Wie entwickelt sich die Situation der Wanderarbeiter weiter? Im Besuchszeitraum Herbst 2007 war die Nachfrage nach Arbeitskräften größer als das Angebot. Diese günstige Situation versuchen Wanderarbeiter für sich zu nutzen, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Jedoch sind sie nicht nur Repressalien der privaten Sicherheitskräfte der Unternehmen, sondern auch der ntätigkeit staatlicher Ordnungsbehörden ausgesetzt. Unterstützung von außen erfahren Wanderarbeiter deshalb bisher fast ausschließlich durch NGO’s, die ihrerseits auf Solidarität und finanzielle Unterstützung von Menschen in der EU und/oder in den USA angewiesen sind.

Abzuwarten bleibt, ob das seit dem 1. Januar 2008 in Kraft getretene Arbeitsvertragsgesetz, in dem erstmals verbindliche Regelungen der Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten formuliert werden, den Wanderarbeitern mehr Rechte und größere Sicherheit bringt. Entscheidend wird sein, wie viel politische Durchsetzungskraft die Wanderarbeiter durch kollektive Selbstorganisation entwickeln.

Wie würdest Du die Situation der staatlichen chinesischen Gewerkschaft beurteilen, a) in Bezug auf die Wanderarbeiter, b) in Bezug auf die Rahmenbedingungen und die Form der gewerkschaftlichen Interessenvertretung und c) in Bezug auf ihre Rolle im Verhältnis Partei, Gewerkschaft, Kapital? Was würdest Du als aktuelle Hauptaufgaben bzw. Probleme der Gewerkschaften bezeichnen?

Zur Situation der chinesischen Gewerkschaften ist schon Wesentliches geschrieben worden (vgl. die Berichte von Eva Bruchhaus, Thomas Sablowski und Bodo Zeuner in den vorangegangenen Ausgaben des express). Eine förmliche Zusammenarbeit zwischen deutschen und chinesischen Gewerkschaften wird aus deutscher Sicht abgelehnt, da »Staatsgewerkschaften«, die nicht einmal ein Streikrecht wollen, keine richtigen Gewerkschaften seien. Aber auch aus chinesischer Sicht wird unsere Frage nach einem regelmäßigen Austausch eher mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Dass die weltweite Konkurrenz um Arbeitsplätze zunimmt, sehen chinesische Gewerkschaften mit Gelassenheit. Bei einem Treffen mit GewerkschafterInnen des städtischen ACFTU in Guangzhou hielten es unsere Gesprächspartner für eine Frage der Zeit, wann die chinesische Wirtschaftskraft die deutsche dominieren wird.

Gewerkschaften verstehen sich nicht als Vertreter der lohnabhängig Beschäftigten. Ihre Aufgabe liegt eher in der Stärkung der gesellschaftlichen »Harmonie«, wie uns in persönlichen und offiziellen Gesprächen mehrfach versichert wurde. Harmonie, so habe ich verstanden, bedeutet das Streben nach Frieden und Vermeidung von Konflikten in den sozialen und politischen Beziehungen. Und was Harmonie konkret bedeutet, bestimmt die Partei. So verwundert es nicht, dass einige unserer Gesprächspartner zugleich Betriebsvorsitzende der Gewerkschaft, Parteisekretär und Personalchef waren. Die Vorstellung, Solidarität von Menschen als Lohnabhängige zu organisieren und sie kollektiv durchsetzungsfähig zu machen, ist den chinesischen Gewerkschaften noch fremd.

Ein individuelles Rechtsverständnis, wie wir es in Europa kennen, haben wir in China nicht finden können. Dieser Mangel schließt daher auch die Möglichkeit einer auf individuellen Rechten beruhenden kollektiven Interessenvertretung aus.

Welche Bedeutung hat die Geschlechterfrage vor dem Hintergrund der behaupteten Gleichberechtigung in Bezug auf die Wanderarbeiterproblematik bzw. der ländlichen Entwicklung? Welches Konfliktpotential würdest Du hier sehen?

Mir sind einige sehr eindrucksvolle Frauen in Erinnerung, selbstbewusste Frauen in verantwortungsvollen Tätigkeiten: als NGO-Aktivistin für Beratung und Unterstützung von Wanderarbeitern, als resolute Gewerkschaftssekretärin für internationale Beziehungen, als Fremdenführerin in Städten und kulturellen Einrichtungen. Aber mir sind zugleich unzählige Frauen begegnet, die nur dazu da zu sein schienen, mir die Tür aufzuhalten, meine Ankunft im Hotel angenehm zu gestalten, beim Essen mein Trinkgefäß ständig aufzufüllen, den hingeworfenen Dreck anderer, wie achtlos weggeworfene Zigarettenkippen, zu entsorgen. Diese immer freundlichen, dienstfertigen Frauen prägten das Bild der Frauen mehr als das der 23-jährigen Managerin in Leitungsfunktion im Honda-Werk von Guangzhou.

Die Regierungszeit von Mao hat den Frauen mit Sicherheit große Fortschritte gebracht und sie aus ihrer traditionell unterwürfigen und unwürdigen gesellschaftlichen Stellung befreit. Jedoch haben die Beobachtungen auf der Reise auch gezeigt, dass die Mehrheit der Frauen in China auch heute noch (?) oder wieder (?) in dienenden und unterwürfigen Tätigkeiten zu finden ist, die ihnen keine eigene materielle Existenzsicherung ermöglicht.

Wir haben beobachten können, dass es für Wanderarbeiterinnen keine Unterbringung für ihre (Klein-)Kinder gibt. Da sie durch extensive Arbeitszeiten hoch belastet sind, müssen sie ihren Arbeitspatz aufgeben, ihre Kinder im Dorf der Eltern lassen oder selbst ins Dorf zurückkehren.

Ich habe keine Gelegenheit gehabt, mit Frauen über diese Beobachtungen und allgemein über Geschlechterfragen zu diskutieren. Dazu fehlte nicht nur das Arrangement einer Begegnung durch die (männliche) Reiseleitung (die insgesamt ein hervorragendes Programm zusammengestellt hat). Es fehlte vor allem ein vertrauensvoller Rahmen für einen Austausch, der sich in dem kurzen Besuchszeitraum nicht ohne Weiteres herstellen ließ. Nach allem, was ich gesehen habe, vermute ich, dass bei Wanderarbeiterinnen die Widersprüche und Konflikte der kapitalistischen Ökonomie am härtesten zutage treten und selbstverantwortlich ausgetragen werden müssen.

Welche Auswirkungen werden deines Erachtens Entwicklungen in China auf die (Weiter-)Entwicklung des Kapitalismus haben?

»Wir werden Euch wirtschaftlich bald überholen«, sagte unser chinesischer Übersetzer einmal im Gespräch. Recht hat er. Nur wünschen wir uns, dass auch in China ein Interesse an der Regulierung der Arbeitsbeziehungen wächst. In letzter Zeit entladen sich unwürdige Arbeitsbedingungen und soziale Unsicherheit in spontanen Streiks, vor allem in den südlichen ehemaligen Produktionszonen. Eine Verstetigung des Austauschs zwischen Chinesen und Deutschen kann dazu beitragen, die Diskussion über internationale Arbeitsstandards und Menschenrechte voranzubringen.

* Irmtraud Schlosser ist Sozialwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Arbeitssoziologie, solidarische Ökonomie und Kooperation Wissenschaft-Gewerkschaften am Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/08


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