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Updated: 18.12.2012 15:51
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Così van tutte

Siqi Luo* zur Umgehung des neuen Arbeitsgesetzes in China

Huawei Technologies Co. Ltd., Chinas größter Hersteller für Telekommunikations- und Netzwerk-Technologie, hat für Unruhe in China gesorgt. Nach Angaben von Nanfang Daily haben bei Huawei seit Ende September mehr als 5100 Beschäftigte, einschließlich Geschäftsführer und Vizepräsident, »freiwillig« gekündigt und dafür eine »großzügige« Abfindung erhalten. Der Gesamtbetrag für die Abfindungen soll, so wird berichtet, rund eine Billion Yuan (100 Mio. Euro) betragen haben. Dies ist jedoch nur eine Seite der Geschichte. Anschließend sollen diese gekündigten Beschäftigten sich erneut bei Huawei bewerben und im Prinzip die gleichen Positionen, die sie vorher auch hatten, zu den gleichen Konditionen wieder übernehmen.

Dieses eigenartige Verfahren hat, nicht zuletzt aufgrund des Zeitpunkts, an dem es zu den freiwilligen Kündigungen kam, zu zahlreichen Diskussionen und Anschuldigungen gegenüber Huawei geführt: Anfang Januar 2008 tritt das neue »Arbeitsvertragsgesetz« in Kraft, das vom ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses im Juni angenommen wurde. (S. Beitrag »Chinas neues Arbeitsrecht«) Huawei bestreitet, dass das Arbeitsvertragsgesetz umgangen werden sollte, vielmehr behauptet die Unternehmensleitung, dass die Maßnahmen lediglich der Verbesserung ihres internen Stellenplans diene, der zu einer weiteren Verbesserung in Bezug auf den Einsatz der Humanressourcen des Unternehmens führen solle. Doch das wirkt keineswegs überzeugend in den laufenden Auseinandersetzungen. Bemerkenswert ist insbesondere, dass alle 5100 betroffenen Beschäftigten mehr als acht Jahre in dem Unternehmen gearbeitet hatten; der einzige Unterschied zu ihrem vorherigen Beschäftigungsverhältnis nach ihrer Wiedereinstellung besteht darin, dass sie einen neuen Arbeitsvertrag erhalten und die Beschäftigungsdauer wieder auf Null gesetzt wird. Es ist offensichtlich, dass dies mehr als Zufall ist.

Was Huawei zu diesem Vorgehen veranlasst hat, ist eine neue Klausel zu unbefristeten Arbeitsverträgen im Arbeitsvertragsgesetz. Diese Klausel wird von chinesische Arbeitgebern als Festanstellungsverhältnis missverstanden. Auch wenn dies in den meisten anderen Ländern mittlerweile gängige Praxis ist, führt diese Klausel in Chinas Unternehmen, in denen befristete Beschäftigungsverhältnisse seit dem Ende der »eisernen Reisschüssel« die Regel sind, zu Panik.

Huawei ist derzeit nicht das einzige Unternehmen, das das neue Arbeitsvertragsgesetz zu umgehen sucht. Eine ganze Reihe von Unternehmen haben bereits vor diesem Fall Entlassungen vorgenommen. Der erste Bericht bezieht sich auf LG Electronic, wo Ende Juni die meisten der Beschäftigten, die 5–9 Jahre in der chinesischen Zentrale und den chinesischen Niederlassungen gearbeitet hatten, entlassen wurden. In der Niederlassung in Chengdu bspw. wurde 20 Prozent aller Beschäftigten gekündigt. Am 22. Oktober kündigte WalMart Entlassungen an, 100 Beschäftigte in Shenzhen, Shanghai, Putian und Dongguang erhielten die Kündigung. Spreadtrum, das erste 3G-Unternehmen im Nasdaq, hat im September seine Belegschaft in Peking um 30 Beschäftigte reduziert, weitere Entlassungen folgten in der Shanghaier Unternehmenszentrale. Doch keine dieser oder der folgenden Entlassungswellen betraf so viele Beschäftigte wie bei Huawei. Darunter war zunächst die Senje Group, ein Unternehmen, das Ausstattung für die Feuerbekämpfung herstellt, und in dem mehr als 200 Beschäftigte gedrängt wurden, ihre Kündigungen einzureichen, nur um kurz darauf wieder eingestellt zu werden. Auch Chinese Southern Airlines plant die Entlassung von 900 KontraktarbeiterInnen, von denen die meisten bereits mehr als zehn Jahre für das Unternehmen arbeiten – immer noch auf der Basis von Gelegenheits- oder Zeitarbeitsverträgen. Noch interessanter ist der Fall ZTE, neben Huawei einer der größten Telekommunikationsunternehmen: Das Unternehmen gab bekannt, dass seine Personalplanung zur Debatte stehe, denn »das neue Arbeitsvertragsgesetz«, so ein ZTE-Manager, »setzt uns alle gleichermaßen unter Druck«.

Die Rolle der Gewerkschaften

Viel Aufmerksamkeit erhält in dieser Hinsicht die Rolle, die die Gewerkschaften spielen. Der ACFTU (All Chinese Federation of Trade Unions) hat seinen Regionalverband in Guangdong und die für den Stadtbezirk Shenzhen zuständige Gewerkschaftsniederlassung dazu angehalten, diesen Fall zu untersuchen. Am 9. Oktober trafen sich Vertreter der Gewerkschaft in Guangdong mit dem zweiten Vorsitzenden von Huawei und Personalzuständigen des Unternehmens. Beide Seiten kamen darin überein, drei Anliegen mit Vorrang zu behandeln: die Einrichtung eines Sozialversicherungssystems, die Einberufung eines Belegschaftskongresses und abschließende Tarifverhandlungen. Ein Ergebnis des erzielten Konsenses besteht darin, dass Huawei auf die umstrittene Maßnahme »freiwilliger Kündigungen« verzichet. Nach Angaben von Huawei wird das genaue Datum dieses Verzichts jedoch erst nach dem Votum des bevorstehenden Belegschaftskongresses bekannt gegeben, da der vorliegende Plan mit Zustimmung der Beschäftigten verabschiedet worden sei. Außerdem forderte der ACFTU eine bessere Informations- und Öffentlichkeitsarbeit für das neue Arbeitsvertragsgesetz sowie eine genauere Überwachung von Unternehmen, um künftig solche Fälle vermeiden zu können.

Zugleich führte die Arbeitsbehörde in Shenzhen Untersuchungen bei Huawei durch. Deren Ergebnisse wurden landesweit an alle Arbeitsbehörden übermittelt, wobei es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass sie auch darüber hinaus veröffentlicht werden. Am 8. November gab Yan Baoquing, Vorsitzender der Rechtsabteilung der Arbeitsbehörde, öffentlich bekannt, dass die Verträge zwischen Huawei und den 5100 Beschäftigten nicht als aufgelöst betrachtet werden, da die Beschäftigten das Unternehmen nicht wirklich verlassen hätten. Weitere juristische Klärungen und Konsequenzen in diesem Zusammenhang sind in der Diskussion und werden noch vor Inkrafttreten des Arbeitsvertragsgesetzes Anfang Januar erwartet: Derzeit beraten Staatsrat, betroffene Ministerien und politische Vertreter der lokalen Ebene über rechtliche Auslegungsspielräume, Konkretisierungen bei der Einführung des Gesetzes und verwaltungsrechtliche Regulierungen. In der Debatte seien nach Angaben von Chang Kai, Direktor des Instituts für Arbeitsbeziehungen an der Renmin-Universität in Beijing und führender Kopf in der Forschergruppe, die offiziell mit der Entwicklung des neuen Gesetzes beauftragt wurde, insbesondere Übergangsregelungen für bestehende Arbeitsverhältnisse und die Bedingungen für eine zeitliche Begrenzung von Verträgen, aber auch ein Vorschlag des ACFTU, wie der befürchteten Umgehung von Mindestlöhnen mittels Abbau von betrieblichen Sozialleistungen, Erhöhung der Arbeitsintensität oder der Arbeitszeit begegnet werden könne – etwa in Form eines landesweiten Pensum- oder Besetzungssystems.

Die Kontroversen um das Arbeitsvertragsgesetz

Die Kontroversen um das Arbeitsvertragsgesetz sind im Zusammenhang mit den Vorgängen bei Huawei ebenfalls wieder aufgelebt. Im Zentrum steht dabei nach wie vor die Frage, ob das neue Arbeitsrecht die Beschäftigten zu sehr begünstige. Der Fall Huawei, so Dong Baohua, Professor an der East China University of Political Science and Law, sei ein alarmierendes Signal, und dies sei erst der Anfang: Das Arbeitsvertragsgesetz werde gravierende und langfristige Nachteile für normale Beschäftigte mit sich bringen, wenn das grundlegende Prinzip nicht geändert werde. Dong argumentiert, dass die restriktiveren Regelungen zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, wie sie im neuen Arbeitsvertragsgesetz geschaffen worden seien, zu einer starren Personalpolitik der Unternehmen führen würden, so dass die ursprüngliche Absicht des neuen Gesetzes sich in ihr Gegenteil verkehre. Zu viele Restriktionen hinsichtlich der Beschäftigungsverhältnisse würden zurück in die Zeiten der Planwirtschaft und gerade in modernen Unternehmen zu einer sinkenden Effektivität des Ressourcenmanagements und einer verlangsamten Entwicklung führen.

Im Unterschied dazu argumentiert Chang Kai, die Entlassungen hätten lediglich gezeigt, dass die Personalpolitik der Unternehmen irrational sei. Er wies auf drei negative Konsequenzen der Vorgehensweise von Huawei hin: Das Unternehmen habe seinem Image geschadet, da der Vorgang in der Öffentlichkeit als Versuch der Umgehung des Arbeitsgesetzes wahrgenommen werde. Es habe den Betriebsfrieden zerstört, da nicht alle Beschäftigten wieder eingestellt würden. Und nicht zuletzt sei die Aktion mit hohen Kosten verbunden, und es hätten bessere Alternativen bestanden, wenn die Gesetze befolgt worden wären.

»Es wurde zwar davon ausgegangen, dass es in einigen Unternehmen kurz vor Inkrafttreten des Arbeitsvertragsgesetzes zu Entlassungen kommen würde, doch eine landesweite Welle von Kündigungen steht außer Frage«, so Chang. Um vielfach bei den Unternehmen bestehende Missverständnisse auszuräumen, erinnerte Chang daran, dass sowohl das Arbeitsvertragsgesetz als auch das weiterhin gültige Arbeitsrecht von 1994 es den Unternehmen erlaubten, Personal abzubauen, solange dies im gesetzlichen Rahmen erfolge. Unbefristete Verträge seien nicht gleichbedeutend mit lebenslanger Beschäftigung. Er wies außerdem darauf hin, dass unbefristete Verträge der Sicherheit der ArbeiterInnen dienten, nicht zuletzt, um harmonische Arbeitsbeziehungen in den Unternehmen aufrecht zu erhalten, und dies sei langfristig definitiv auch das Beste für die Unternehmen.

Im Endeffekt hat Huawei nun weder die Möglichkeit, das Gesetz auszutricksen, noch kann es mit dieser Masche erfolgreich Personalpolitik betreiben. Sowohl bei den vorangegangenen Entlassungen als auch bei den nachfolgenden Fällen scheint die Überreaktion der Unternehmen vor allem deren falschem Verständnis des Arbeitsvertragsgesetzes geschuldet zu sein. Letztlich hängt dies mit der grundsätzlichen Verfasstheit der chinesischen Arbeitsbeziehungen zusammen. In einer Phase der frühen Industrialisierung, wie sie für China heute charakteristisch ist, agieren Unternehmen bzw. Arbeitgeber unreif, oft gesteuert von ihren unmittelbaren Interessen, wie sie durch ein kurzsichtiges Management nahegelegt werden, und unter Absehung von der Bedeutung des Humankapitals. Weil es keine repräsentativen Gewerkschaften gibt, haben Beschäftigte keine wirkliche Verhandlungsmacht, so dass selbst diejenigen, die ein Bewusstsein ihrer Rechte haben, kaum in der Lage sind, die Auseinandersetzung mit dem Kapital einzugehen. In einer solchen Situation ist die Regulierung der Arbeitsbeziehungen und insbesondere rationale staatliche Intervention von hoher Bedeutung, oder in den Worten von Chang: Gesetze würden gemacht, »um sie anzuwenden, nicht um sie zu umgehen«. Der Druck, der von dem neuen Arbeitsvertragsgesetz ausgeht, stelle für die Unternehmen eine Möglichkeit dar, ihr Management zu modernisieren. Abgesehen von der Notwendigkeit weiterer Aufklärung und Schulung für die Unternehmen sei es für die Gesellschaft insgesamt unverzichtbar, sicherzustellen, dass die Kosten des »Rechtsbruchs« spürbar höher lägen als die Ausgaben für gesetzestreues Verhalten.

Übersetzung: Kirsten Huckenbeck

* Siqi Luo lebt derzeit in Frankfurt am Main und ist Doktorandin der Industriesoziologie an der dortigen Johann Wolfgang Goethe-Universität.

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/07


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