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Updated: 18.12.2012 15:51
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»WorkChoices« - keine Wahl für Arbeiter

Donna McGuire* über Australiens Arbeitsgesetzgebung als Prototyp einer neoliberalen Konterrevolution, Teil I

Australische Arbeiter und ihre Gewerkschaften stehen angesichts eines drastischen Gesetzespakets, das kürzlich von der australischen Regierung eingeführt wurde, mitten in einem Kampf um die Verteidigung ihrer Grundrechte und Arbeitsbedingungen.

Die gesetzliche Novellierung der Arbeitsbeziehungen, die 2005 unter dem Titel »Work Choices« trotz der starken Opposition aus Kommunen, Kirchen und Gewerkschaften von der australischen Regierung im Parlament durchgepeitscht wurde und im März 2006 in Kraft trat, stellt die radikalste Veränderung der Arbeitsplatzverhältnisse in Australien seit 100 Jahren dar.

Australiens Schiedsgerichtssystem - ein Versuch industrielle Gerechtigkeit zu erreichen

Die »WorkChoices«-Gesetzgebung droht das System zwingender Einigungs- und Schiedsverfahren, das bislang das Fundament australischer Arbeiterrechte und Arbeitsbedingungen bildete, vollständig auszuhöhlen.

Historisch war die Macht, Arbeitsgesetze in Australien zu verabschieden, zwischen dem nationalen Parlament und den Parlamenten der Bundesstaaten geteilt. Die Länderregierungen hatten nur begrenzte Interventionsmöglichkeiten bei Konflikten, die jenseits der Grenzen ihrer jeweiligen Bundesstaaten lagen.

Diese Kräfteverhältnisse basieren auf einem System von gesetzlich vorgeschriebenen Übereinkünften und Schiedssprüchen, das zu Beginn des letzten Jahrhunderts als Ergebnis der öffentlichen Empörung über die Gewaltförmigkeit und den sozialen Sprengstoff der industriellen Auseinandersetzungen am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist. [1]

In einer Serie von Kämpfen, die als »Great Strikes« bekannt wurden, hatten die Unternehmer mit Unterstützung der Regierung und assistiert von Polizei und Militär den ökonomischen Niedergang im Rahmen der großen Depression zum Anlass genommen, die Ausbreitung von Gewerkschaften in größeren Unternehmen zu stoppen und die Organisierungsfähigkeit der Gewerkschaften zu zerstören.

Die Gewerkschaften wurden geschlagen, doch Gewalt und Einschüchterung, die gegen sie und ihre Unterstützer angewandt wurden, waren so überwältigend, dass sie eine Gegenreaktion in den Kommunen provozierten und zu dem Entschluss führten, das Ungleichgewicht der Macht zwischen Arbeit und Kapital anzugehen.

Die Gewerkschaften lernten die bittere Lektion, dass gewerkschaftliche Organisierung allein nicht genug war ohne politische Macht und institutionelle Unterstützung. Die Arbeiterpartei wurde gegründet, und das erwähnte System von Einigungs- und Schiedsverfahren, basierend auf unabhängigen Kommissionen (sog. »industrial relations commissions«), wurde auf bundes- und nationalstaatlicher Ebene etabliert.

Es war ein System, mit dem Gerechtigkeit in den Arbeitsbeziehungen und Frieden gesichert werden sollte. Gewerkschaften führten im Namen ihrer Mitglieder Auseinandersetzungen um Fragen des Arbeitsverhältnisses. Wenn die vorgeschriebene Einigung zwischen Arbeitnehmern (vertreten durch ihre Gewerkschaft) und Arbeitgebern fehlschlug, wurde der Streitfall durch einen endgültigen und bindenden Schiedsspruch der unabhängigen Kommissionen entschieden.

Die Entscheidungen, die von einer solchen Kommission zur Regelung des Streitfalls getroffen wurden, hatten Rechtscharakter. Sie schufen gesetzlich durchsetzbare Maßstäbe für Bezahlung und Arbeitsbedingungen in spezifischen Industriezweigen, Berufen oder an bestimmten Arbeitsplätzen. Dies beinhaltete die Entgeltniveaus entlang von Qualifikation und Tätigkeitsmerkmalen, die Arbeitszeiten, Bestimmungen zu Teilzeit- und Gelegenheitsarbeit, Überstunden-Zuschläge und Vertragsstrafen, Regelungen für Urlaub, Krankheit und Mutterschutz, Bonus-Urlaub für langjährig Beschäftigte, (betriebliche) Renten- und Pensionsregelungen, Kündigungen, gewerkschaftliche Bildungsmöglichkeiten, Bedingungen für Lehrlinge und Praktikanten sowie verschiedene andere wichtige Aspekte des Arbeitsverhältnisses.

Die Entscheidungen bundesstaatlicher Kommissionen wurden zu bundesstaatlichem Recht, diejenigen der »Australischen Kommission für Arbeitsbeziehungen« (Australian Industrial Relations Commission; AIRC) zu nationalem Recht.

Zusammen mit den von Gewerkschaften verhandelten Tarifverträgen (in Australien oft Unternehmens-Tarifverträge genannt) wurden solche Entscheidungen zum wesentlichen Instrument einer kollektiven Festlegung zwingender Minimalbedingungen von Beschäftigung in Australien, insbesondere auf der Ebene von Branchen und Berufsgruppen. Sie bildeten auch die Basis für Minimalstandards in den Tarifverhandlungen, die üblicherweise unternehmens- oder arbeitsplatzbezogen abgeschlossen werden.

Auf der nationalen Ebene spielte die AIRC zudem eine wichtige Rolle bei der Festsetzung nationaler Mindestlöhne. Als unabhängige Institution war die AIRC gesetzlich verpflichtet, eine große Bandbreite ökonomischer Faktoren bei der Festlegung von Mindestlöhnen zu berücksichtigen, inclusive der Einwände von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Regierung. Dieses System fußt auf der Existenz geschulter Gewerkschaftsfunktionäre bzw. -anwälte, die den Kommissionen Argumente präsentieren. Während es durchaus eine Tradition militanter Aktionen gab, nahmen diese Aufgaben nur wenige Gewerkschaftsfunktionäre wahr. Die Aufgabe dieser Funktionsträger war es, gewerkschaftliche Stärke zu demonstrieren, sobald es im Rahmen des Einigungsverfahrens misslang, die gewünschten Resultate zu erreichen. Bezahlte Gewerkschaftsoffizielle übernahmen also die letzte Verantwortung und Autorität dafür, Probleme der Mitglieder zu lösen und die politische Richtung der Gewerkschaften vorzugeben.

In seinem neuen Buch über die australische Gewerkschaftsbewegung, »Power at Work«, betont Michael Crosby, dass die Rolle der Gewerkschaften und ihrer Mitglieder in diesem Prozess nicht unterschätzt werden sollte. Es sei fraglich, ob dieses Verhandlungssystem die substanziellen Erfolge der Gewerkschaften sowohl für Mitglieder als auch für Nicht-Mitglieder in den letzten 100 Jahren zur Folge gehabt hätte, wenn die Verhandlungen der Gewerkschaftsfunktionäre nicht gezielt durch Demonstrationen gewerkschaftlicher Stärke unterstützt worden wären. [2] Erfolge, die für bestimmte Arbeitsplätze erzielt wurden, wurden von Gewerkschaften dazu benutzt, ähnliche Erfolge über ganze Branchen und in vielen Fällen für alle Lohnabhängigen umzusetzen.

Nichtsdestotrotz, so wird in einigen Analysen der industriellen Beziehungen argumentiert, habe die Anpassung an dieses einzigartige System dazu geführt, dass die Gewerkschaftsbewegung wenig in der Hand hatte, um mit dem organisierten Widerstand von Regierung und Unternehmen, die sich der Durchsetzung von Niedriglöhnen und einer Anti-Gewerkschafts-Agenda verschrieben haben, umzugehen.

Von industrieller Gerechtigkeit zu korporatistischen Arbeitsgesetzen

Das System der Arbeitsbeziehungen in Australien mag seine Schwächen gehabt haben, aber es funktionierte gut, solange das Schiedsgerichts-Verfahren zur Anwendung kam, und es ermöglichte den Gewerkschaften, wichtige Erfolge für australische ArbeiterInnen - Gewerkschaftsmitglieder genauso wie Nicht-Mitglieder - zu erzielen.

Seit Mitte der 1980er Jahre jedoch wurde die Anwendung dieses zentralisierten Systems von Schiedsverfahren und Urteilssprüchen stetig weiter eingeschränkt: zunächst durch die Schaffung unternehmensbezogener Tarifverhandlungen, in letzter Zeit vor allem durch Änderungen der Arbeitsgesetze, die von der australischen Regierung eingeführt wurden. Seit 1996 wird Australien von einer Koalition aus Liberaler und Nationaler Partei mit John Howard als Premierminister an der Spitze regiert. In dieser Phase wurden die wesentlichen Gesetzesänderungen verabschiedet, mit denen das bisherige System und der Einfluss der Gewerkschaften unterlaufen werden sollten.

Eine der auffälligsten Veränderungen bestand in der Einführung der »Arbeitsplatzvereinbarungen« (Australian Workplace Agreements; AWAs), eines Systems nicht-gewerkschaftlicher Tarifverhandlungen und individueller Verträge, die den gleichen gesetzlichen Status haben wie gewerkschaftlich ausgehandelte Tarifverträge. [3]

Die AWAs wurden geschaffen, um Gruppen von Arbeitnehmern oder einzelne Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, mit ihren Arbeitgebern direkt zu verhandeln, ohne die Unterstützung einer Gewerkschaft. Arbeitnehmer können einen Verhandlungsführer benennen, der sie unterstützt und in ihrem Namen verhandelt, aber dies muss kein Vertreter einer Gewerkschaft sein, und ihre eigene Gewerkschaft ist auch nicht einbezogen in den Abschluss des Vertrags.

Gleichwohl hatten diese Veränderungen bislang noch keine dramatischen Effekte, weil der Großteil der australischen Arbeitsgesetze immer noch auf Ergebnisse des Schieds- und Einigungsverfahrens zurück geht und, flankiert von Tarifverhandlungen und der Existenz der unabhängigen Kommissionen, arbeitsrechtliche Standards und Mindestlöhne definiert.

So muss jede zwischen Beschäftigten und ihren Arbeitgebern ausgehandelte Vereinbarung, ob mit oder ohne Beteiligung der Gewerkschaften abgeschlossen, einem so genannten »no disadvantage test« unterzogen werden, mit dem sichergestellt wird, dass Gesamtlöhne und Arbeitsbedingungen nicht ungünstiger sind als die Konditionen bei vergleichbaren Industriezweigen, Berufen oder Arbeitsplätzen.

Außer in der Bergbauindustrie gab es für Arbeitgeber wenig Anlass, solche nicht-gewerkschaftlichen Tarifvereinbarungen oder AWAs einzusetzen. Die meisten Unternehmer waren zufrieden damit, dass die Arbeitsverhältnisse ihrer Beschäftigten bundesstaatlichen oder nationalen Arbeitsrechten unterlagen und dass Tarifvereinbarungen mit den Gewerkschaften ausgehandelt wurden.

Nimmt man die leitenden Angestellten mit Managementfunktionen aus der Statistik aus, beinhalten gewerkschaftlich ausgehandelte Kollektivverträge für die Lohnabhängigen im Allgemeinen bessere Konditionen als die AWAs.

Mit der Einführung der »WorkChoices«-Gesetzgebung trachtet die Bundesregierung nun danach, ein einziges nationales System von Arbeitsrechten zu schaffen, das Arbeitnehmer aus dem Schutz staatlicher Arbeitsgesetze herausnimmt und den Einfluss von Gewerkschaften, Kommissionen und arbeitsrechtlich wirksamen Schiedssprüchen in Bezug auf Löhne und Arbeitsbedingungen beschränkt.

Die neuen Gesetze zu den Arbeitsbeziehungen stützen sich auf den verfassungsmäßig verankerten Auftrag der Kontrolle und Regulierung von Beschäftigungsbedingungen bei bestimmten, meist im Ausland gegründeten »Unternehmens-Gesellschaften« durch die Bundesregierung. Alle Unternehmen, die als Handels-Gesellschaften definiert bzw. mit einer ACN (Australian Company Number) registriert sind, fallen nun automatisch unter die neuen Arbeitsgesetze, unabhängig davon, in welchem Bundesstaat sie ihren Sitz haben. Das bedeutet u.a., dass die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer in diesen Unternehmen nicht mehr über einheitliche staatliche Rechte bzw. entsprechende Kollektiv-Vereinbarungen geregelt werden.

Die WorkChoices-Gesetze umgehen das in der Verfassung verankerte System von Einigungs- und Schiedsverfahren, das insbesondere mit der Zielsetzung entwickelt wurde, einheitliche Arbeitsgesetze in Australien zu schaffen. Es ist kaum vorstellbar, dass die australischen Verfassungsväter jemals im Blick hatten, die Macht bestimmter Unternehmen könnte irgendwann dazu benutzt werden, die Arbeitsrechte und -bedingungen nahezu der gesamten Arbeitsbevölkerung zu regulieren.

Die Übernahme dieser Form korporatistischer Strukturen durch eine Mehrheit von Unternehmen in Australien bedeutet, dass bis zu 70 Prozent der australischen Lohnabhängigen unter die WorkChoices-Gesetzgebung fallen könnten, einschließlich der Beschäftigten von Privat-Schulen, Wohltätigkeits- und anderen Non-Profit-Organisationen. Ausgenommen sind lediglich Einzel-Verkäufer und bestimmte Teilhaber-Unternehmen, in denen die Haftung nicht an die Unternehmensgesellschaft übergeht, sondern bei Einzelpersonen verbleibt, sowie Regierungsangestellte; es sei denn, auch hier entscheiden sich Landesregierungen dafür, ihre Zuständigkeit an die Bundesregierung zu übertragen, wie im Bundesstaat Victoria geschehen.

Der australische Wissenschaftler Ron McCallum warnte bereits frühzeitig, dass diese Form des »Korporatismus«, also der Anbindung australischer Arbeitsgesetze an bestimmte Unternehmensformen, die allgemeinen Arbeitsgesetze zum untergeordneten Spezialfall des Unternehmensrechts degradieren werde, einzig geschaffen mit dem Ziel, den Interessen der Unternehmen zu dienen, statt denen von ArbeiterInnen und der breiteren Gesellschaft. [4]

Wirkung von »WorkChoices«

Die orwellsche Betitelung »WorkChoices« reduziert die Wahlmöglichkeiten von Arbeitern deutlich. Durch die gezielte Förderung individueller Verträge gegenüber gewerkschaftlich ausgehandelten Tarifvereinbarungen bzw. Regelungen, die über Schiedsspruch zustande kommen, verschiebt sich das Kräftegleichgewicht einschneidend zu Gunsten der Arbeitgeber.

Einschränkung von Arbeitnehmerrechten

Die Rechte der Lohnabhängigen werden als Erste verschwinden. Die »WorkChoices«-Gesetzgebung schränkt die Koalitionsfreiheit und das Recht auf Tarifverhandlungen in verschiedener Hinsicht massiv ein. Dies bedeutet einen eklatanten Verstoß Australiens gegen seine internationalen Verpflichtungen im Rahmen der ILO-Konventionen und macht es zu dem Land unter allen westlichen Demokratien, das die ILO-Konventionen am wenigsten beachtet. [5]

Die neuen Gesetze beschränken Arbeitnehmer und ihre Repräsentanten bei Verhandlungen und der Aufnahme von Arbeitskampfmaßnahmen, wenn es um die Durchsetzung von unternehmensübergreifenden bzw. branchenweiten Tarifverträgen (oft als Pattern bargaining, Musterverhandlung beschrieben) geht. Solche Vereinbarungen bedürfen jetzt der Genehmigung der Regierung (genauer: des Office of Employment Advocate (OEA)). [6]

Sie verbieten es zudem auch, dass eine ganze Reihe von Angelegenheiten überhaupt tariflich verhandelt und geregelt werden. Darunter fallen dem WorkChoices-Gesetz zufolge:

  • Regelungen zur Teilnahme an gewerkschaftlichen Bildungsmaßnahmen,
  • Rechtsmittel gegen ungerechtfertigte Entlassung,
  • die verbindliche Teilnahme von Gewerkschaften an Streitschlichtungsverfahren,
  • Regelungen zu Outsourcing und Fremdvergabe,
  • jegliche Bestimmungen zur Regelung von Arbeitskampfmaßnahmen während der Laufzeit einer Vereinbarung,
  • Einzugsverfahren für Gewerkschaftsbeiträge in Verbindung mit Lohn- und Gehaltsüberweisungen,
  • Bestimmungen zur Begrenzung von AWAs oder zur Überführung solcher Verträge in gewerkschaftlich verhandelte Tarifvereinbarungen.

Faktisch sind all jene Angelegenheiten verboten, die nicht direkt das Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber betreffen. Beschäftigte, ihre Vertretungen oder selbst die Arbeitgeber können mit Geldbußen in Höhe von bis zu 33000 australischen Dollar belangt werden, sollten sie den Versuch machen, die inkriminierten Angelegenheiten zu verhandeln oder per Vereinbarung zu regeln - selbst wenn beide Seiten dies wollten.

»WorkChoices« setzt zudem enge Grenzen für die Formen von Arbeitskampfmaßnahmen, die zur Unterstützung von Tarifverhandlungen ergriffen werden dürfen, indem die Wahrnehmung des gesetzlich geschützten Rechts auf Streik nun daran gekoppelt wird, dass eine Mehrheit von ArbeiterInnen in einer geheimen Wahl dafür stimmt. Gleichzeitig erhalten die Arbeitgeber das Recht, ArbeiterInnen während der Verhandlungsdauer auszusperren, und sie können einen Antrag stellen, einen - gesetzlich zulässigen - Streik zu unterbinden, wenn sie glauben, dass er ihr Geschäft nachteilig beeinflusst.

Die gewerkschaftlichen Zugangsmöglichkeiten zum Arbeitsplatz sind ebenso eingeschränkt wie die Möglichkeiten der Beschäftigten, gewerkschaftliche Vertretung und Beratung in Anspruch zu nehmen. Gewerkschaften haben Arbeitgeber über die genauen Hintergründe einer Beschwerde und die Identität des Beschwerdeführers zu unterrichten - und Arbeitgeber können entscheiden, wann und wo Gewerkschaften Zutritt erhalten. Dies erschwert die Organisierung und Mitgliedergewinnung am Arbeitsplatz ebenso wie die gewerkschaftliche Kontrolle, ob Unternehmen industrielle Vereinbarungen einhalten.

Individualisierung des Beschäftigungsverhältnisses

Mit den »WorkChoices«-Gesetzen werden individualisierte gegenüber kollektiven Verhandlungen in verschiedener Hinsicht gefördert. Arbeitgeber können Individualverträge nach dem Prinzip »Friss oder stirb« anbieten, d.h. neue Bewerber sind besonders angreifbar.

Selbst wenn es einen Tarifvertrag für bestimmte Arbeitsplätze gibt, kann der Unternehmer Beschäftigten noch einen abweichenden Einzelarbeitsvertrag anbieten. In jedem Fall ersetzen AWAs alle Bestimmungen, die in Form von Schiedssprüchen der Kommissionen oder von Kollektivvereinbarungen getroffen wurden.

Haben die Arbeitnehmer einmal einen Individualvertrag abgeschlossen, können sie während der Dauer der Beschäftigung bei dem betreffenden Arbeitgeber nicht mehr zurück zu einem Tarifvertrag oder einer Kommissionsregelung für dieses Beschäftigungsverhältnis.

Steht die Verlängerung oder Erneuerung eines Arbeitsvertrags an, müssen die Beschäftigten individuell versuchen all jene Bestimmungen zu verhandeln, die vormals kollektiv oder über Schiedsspruch geregelt waren. Arbeitgeber allerdings können sich dagegen entscheiden, eine neue Vereinbarung zu verhandeln. Alles was sie tun müssen, ist, die Arbeitnehmer darüber 90 Tage vorher zu informieren. In diesem Fall kann es passieren, dass die ArbeiterInnen vertraglich auf die fünf neuen Minimalbedingungen zurückgeworfen sind. (siehe unten).

Arbeitnehmer ohne kollektiven Rückhalt haben, und das ist das erklärte Ziel von »WorkChoices«, keinerlei »freie Wahl« mehr, ob sie die von den Unternehmen diktierten Verträge und Abmachungen akzeptieren. Es ist einfach, diese Lohnabhängigen zu erpressen, einen Individual-Arbeitsvertrag zu unterschreiben und den Zugang zu den Vorteilen kollektiver Verträge - bessere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und eine stärkere Stimme für die ArbeiterInnen - zu versperren.

Das Sicherheitsnetz von Standards und Bedingungen wird durchlöchert

Faire Löhne und Arbeitsbedingungen sind das nächste, was verschwindet. Dieses Gesetzespaket zerstört das >Sicherheits-Netz< in Bezug auf Löhne und Arbeitsbedingungen, auf das die ArbeiterInnen angewiesen sind, wenn sie faire Mindeststandards in Australien schaffen wollen.

Die Anzahl von Regelungstatbeständen, die über die Rechtsprechung der Kommissionen gefasst werden können, wurde deutlich reduziert auf 16. Gleichzeitig wurde der AIRC die Befugnis zur Festlegung von nationalen Mindestlöhnen entzogen und auf eine von der Regierung eingesetzte so genannte »Fair Pay Commission« (FPC; Kommission für gerechte Bezahlung) übertragen.

Anders als die AIRC ist die FPC nicht daran gebunden, ein Set ökonomischer Indikatoren oder Einwände der Gewerkschaften zu berücksichtigen, und insofern ist es unwahrscheinlich, dass sie das gleiche Entwicklungsniveau bundesweiter Lohnsteigerungen halten wird. Sie kann zwar die Mindestlöhne nicht unter das bestehende Niveau absenken, aber sie hat auch keinerlei Verpflichtung, sie zu erhöhen.

Diese Veränderungen werden wahrscheinlich im Laufe der Zeit einen dramatischen Einfluss haben, und zwar insbesondere auf die Arbeitsbedingungen jener ArbeiterInnen, die lediglich auf die Schiedssprüche zurückgreifen können, um ihre Löhne, Arbeitsbedingungen und die jährlichen Lohnerhöhungen, die bislang durch die AIRC im Rahmen des Inflationsausgleichs vorgenommen wurden, zu sichern. Über 25 Prozent der australischen Erwerbsfähigen sind immer noch unter den Rahmenbedingungen von Schiedssprüchen beschäftigt, zumeist solche in Niedriglohnbereichen wie dem Gastgewerbe oder Einzelhandel.

Die Reduzierung von Fällen, die über Schiedssprüche geregelt werden können, wird darüber hinaus auch Implikationen für die Tarifverträge haben, da dieses System von Urteilen bislang Kollektivvereinbarungen untermauert hat.

Bis zur Einführung von WorkChoices galt der bereits erwähnte »No-disadvantage-Test«, eine Art Meistbegünstigungsklausel. Ziel dieses Verfahrens war es, möglichst breit, über einzelne Kommunen hinaus akzeptierte Standards für Fragen der Arbeitszeit, des Mutterschutzes, der Kündigung und anschließenden Erwerbslosigkeit zu schaffen.

In Zukunft ist es vollkommen legal, wenn nicht-gewerkschaftliche Kollektivvereinbarungen und AWAs den arbeitsrechtlichen Entscheidungen der Kommissionen widersprechen oder diese unterschreiten und die Einhaltung der Schiedssprüche letztlich zu einer freiwilligen Angelegenheit machen.

Nach den neuen Gesetzen wird jede neue Arbeitsplatzvereinbarung nur noch fünf Minimalkriterien genügen müssen:

  • ein Mindestlohn - gegenwärtig 12,75 australische Dollar pro Stunde (für junge Arbeiter unter 21 weniger);
  • vier Wochen Jahresurlaub, von denen zwei auf Antrag des Beschäftigten als Lohn ausgezahlt werden können
  • 10 Tage bezahlte persönliche/kurbedingte Abwesenheit (einschließlich krankheitsbedingter Fehlzeiten)
  • 38-Stundenwoche im Durchschnitt (mit einem Ausgleichszeitraum von einem Jahr, damit Überstunden vermieden werden)
  • 52 Wochen unbezahlter Erziehungsurlaub nach der Geburt oder Adoption eines Kindes

Das heißt, dass viele der bisher über Schiedssprüche oder kollektive Unternehmensvereinbarungen geregelten Arbeits- und Vertragsbedingungen nicht mehr eingeschlossen sind: bezahlter Mutterschaftsurlaub, Abfindungen, Dienstplanregelungen und freie Tage, die Bezahlung für gesetzliche Feiertage, Anrechnung von Feiertagen auf Urlaubs- und Entgeltregelungen, Überstundenbezahlung, Zuschläge für Schicht- und Wochenendarbeit, Essen, Reisekosten, Werkzeugkosten, höhere Verpflichtungen, Rechte und Bezahlung von Teilzeit-Beschäftigten, sonstige Zuschläge.

In jedem einzelnen Fall werden die Beschäftigten bei einem AWA mit der Personalabteilung individuell verhandeln müssen, wenn sie solche Ansprüche nicht verlieren wollen.

Ist die Effektivität der Schiedssprüche erst einmal gemindert und gibt es keine unabhängigen Schiedsrichter mehr, die über die Entwicklung der Bestimmungsfaktoren für die jährlichen Lohnerhöhungen wachen, erwartet die australischen ArbeiterInnen eine zunehmende Einkommensungleichheit und insbesondere weniger Schutz für Beschäftigte in den Niedriglohnbranchen. Die von der Regierung als Alternative zu den Schiedssprüchen festgesetzten Minimalbedingungen stellen jetzt schon eine deutliche Senkung der Standards dar.

Abnahme der Arbeitsplatzsicherheit

Die Arbeitsplatzsicherheit wird weiter abnehmen, da es erklärtes Ziel der Gesetzgebung ist, Gelegenheitsarbeit ebenso wie die Praxis, Arbeiter als selbstständige Subunternehmen anzustellen, zu fördern. Zugleich haben die Arbeitnehmer viele ihrer bisherigen Schutzrechte gegenüber ungerechtfertigter Entlassung verloren. Für Unternehmen mit weniger als 100 Beschäftigten wurde der Schutz vor ungerechtfertiger Entlassung unter der WorkChoices-Gesetzgebung abgeschafft, während Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten eine ganze Reihe von »operationalen« Gründen als Rechtfertigung für die Umgehung des Kündigungsschutzes vorlegen können.

In Kombination ergibt sich aus diesen Veränderungen die Schaffung einer Niedriglohnökonomie, die das Verhältnis von Kapital und Arbeit drastisch zu Lasten der Lohnabhängigen verschieben wird, während zugleich die Möglichkeiten der ArbeiterInnen, gemeinsam vorzugehen, um Löhne und Arbeitsbedingungen zu sichern, weitgehend eingeschränkt werden.

Übersetzung: Kirsten Huckenbeck, Jörg Waschatz

Teil II folgt im nächsten express

* Donna McGuire arbeitet für die »Queensland Independent Education Union« in Australien und hat im vergangenen Jahr an der Universität/Gesamthochschule Kassel einen Masters-Abschluss im Aufbaustudiengang »Labour Policies and Globalisation« absolviert.

Literatur:

Kampagnen-Website der ACTU: www.yourrightsatwork.com.au externer Link

Crosby, Michael (2005): »Power at Work: Rebuilding the Australian Labour Movement«. The Federation Press: Annanndale

Peetz, David (2006): »Brave New Workplace«. Allen und Unwin: Crows Nest

The Federal Government's Industrial Relations Policy: Report Card on the Proposed Changes by 17 of Australien's leading academic researchers in the fields of industrial relations und Arbeit market issues 2005 (www.econ.usyd.edu.au/wos/IRchangesreportcard/ externer Link)

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 7-8/06


(1) Peetz, David (2006): »Brave New Workplace«, S. 160

(2) Crosby , M. (2005): »Power at Work«, S. 38

(3) Formen industrieller Vereinbarungen unter »WorkChoices« beinhalten:

  • Tarifverträge zwischen einem Arbeitgeber und einer Gewerkschaft bzw. mehreren Gewerkschaften, die Arbeitnehmer am Arbeitsplatz vertreten, abgeschlossen durch Gewerkschaften, die im Namen der Arbeitnehmer verhandeln;
  • Tarifverträge, die zwischen einem Arbeitgeber und einer Gruppe von Arbeitnehmern, für die die Vereinbarung gelten soll, abgeschlossen werden, ohne dass die Gewerkschaften an den Verhandlungen beteiligt werden müssen;
  • das »Australian Workplace Agreement« (AWA), das einen individuellen, schriftlichen Vertrag zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer darstellt;
  • gewerkschaftliche und nicht-gewerkschaftliche Vereinbarungen für neue Branchen; und
  • einzelne Tarifverträge, die mehrere Unternehmen abdecken, aber diese müssen von der zuständigen Abteilung der Regierung, dem »federal government's Office of Employment Advocate« genehmigt werden (www.oea.gov.au externer Link).

(4) Professor Ron McCallum (2005): »The Australian Constition and the shaping of our federal and state labour laws«, S. 5-7. (www.econ.usyd.edu.au/content.php?pageid=14896 externer Link)

(5) Zur vollständigen Debatte darüber, wie diese Gesetzgebung gegen internationale Arbeitsgesetze verstößt, siehe die Eingabe des »International Centre for Trade Union Rights« (ICTUR) an den australischen Senat im Rahmen der Senats-Untersuchung zum »WorkChoices«-Gesetz 2005 (www.ictur.Arbeitnet.org/Senatesubmission.htm externer Link)

(6) Diese Regierungsabteilung (OEA) ist eigens geschaffen worden, um die unter WorkChoices abgeschlossenen Arbeitsverträge zu dokumentieren. Theoretisch könnte sie Vereinbarungen auch ablehnen, wenn diese unzulässige Regelungen beinhalten, doch die Gewerkschaften kritisieren die OEA, weil sie in dieser Hinsicht sehr einseitig zu Gunsten der Unternehmer entscheidet.


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