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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Mit dem Ende der Mittelschichtsgesellschaft zur gänzlichen "Delegitimierung" (Entziehung der Berechtigung) für diese finanzkapitalistische Wirtschaft? Etwas weiterführend bis hin zum "Wohlstand für alle" (von 1957) könnte das vielleicht auch interessieren, denn diese in der letzten Zeit stagnierende bis schleichende Erosion der Mittelschicht manifestiert im Grunde auch die durch die neoliberale Politik - nach dem Ende von Bretton Woods 1971 - immer weiter manifest geschwächten Gewerkschaften - übrigens war die Situation - wirtschaftshistorisch - für die Gewerkschaften eben unter Ludwig Erhard eine ganz andere, d.h. viel wirkungsmächtigere. Seine Wahlkampfschrift schrieb Erhard 1957 - und Otto Brenner (1956) und Georg Leber (1957) wirkten als Gewerkschafter zur gleichen Zeit. (Vgl. dazu noch einmal "Trauer um den Gewerkschafter Georg Leber als Trauer um "seine Zeit" in einer anderen ökonomischen "Ära": www.labournet.de/diskussion/wipo/finanz/trauer_bahl.html) Die Tatsache, dass die Arbeitgeber (IW) sich in diese Diskussion jetzt so reinhängen, zeigt, dass diese "Zahlen" sehr stark die auf uns zukommende politische Auseinandersetzung um die Bedeutung der Mittelschichtsgesellschaft für die allgemeine Legitimation für unsere heutige finanzkapitalistisch überformte - "alternativlos marktkonform" - Marktwirtschaft prägen werden - obwohl es sicher gut wäre, wenn die Zahlen dann für die ganze "neoliberale Ära" - ab diesem "Ende von Bretton Woods 1971" - genau vorliegen würden. Und noch besser wäre es auch noch den Aufstieg in den 20 Jahren vorher (jene "große Kompression" von Paul Krugman) zu dokumentieren. Aber jetzt erst einmal zu den jetzigen Befunden. Wohin driftet die Mittelschicht? Aufgehängt an "Zahlen machen Politik" / Ein Kommentar von Steffen Mau Der Autor des Buches "Lebenschancen. Wohin driftet die Mittelschicht" macht auf den Unterschied der Aussagen zweier Studien zum Schrumpfen der Mittelschicht aufmerksam - eine vom DIW, die zu einem Schrumpfen der Mittelschicht gelangt (www.nachdenkseiten.de/?p=5906#h01 sowie noch http://www.boeckler.de/32014_107755.html - mit www.boeckler.de/22578_22585.htm und eine spätere - sozusagen als "Antwort" - vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW): vgl. www.nachdenkseiten.de/?p=14276#h04 ) und muss feststellen, dass es gelingt mit den unterschiedlichen Ausgangszahlen zu dem "geschönten" Ergebnis des IW zu kommen, das als Basisjahr das deutsche "Ausnahmejahr 1991" hernimmt - und daher zu dem Ergebnis kommt: keine Erosion - so wird eine historische Anomalie zum statistischen Artefakt - und zur medialen Meldung (eigentlich Falschmeldung - aber keiner schaut genau hin). Und Steffen Mau meint, wenn man die Entwicklungen der jüngeren Zeit realistisch betrachten wollte, müsste man eben auf bis zum Anfang der 80-er Jahre zurückreichende Daten zugreifen.... Auch dass die Abwärtsmobilität aus der Mittelschicht höher ist als die Aufwärtsmobiltät hätte man erwähnen müssen... Was bleibt: Zahlen machen Politik. Wenn man die Dinge ein wenig anders betrachtet, kommt oft das Gegenteil dabei heraus. Und: Die Einkommensmitte bleibt, das räumt auch diese Studie ein, zunehmend hinter den Einkommensreichen zurück. Seit dem Ende der 90-er Jahre gibt es kein Wachstum der Realeinkommen bei den Haushalten der Mitte, während die Spitzen kräftig zulegen konnten. Für die Mittelschicht eine gänzlich neue Erfahrung (?), welche das lange Zeit überzeugende Integrations-Narrativ der sozialen Marktwirtschaft beschädigt - meint Steffen Mau (http://www.fr-online.de/meinung/gastbeitrag-zahlen-machen-politik,1472602,17044000.html ) Politische Folgen dieser Erosion der Mittelschicht Und es wird weiterhin ganz zentral darauf ankommen, wie diese schrumpfende Mittelschicht diese Erfahrung verarbeitet? Wilhelm Heitmeyer hat diese Entwicklung in den 10 Bänden "Deutsche Zustände" sauber und erschreckend bilanziert (vgl. "Eine kleine Entstehungsgeschichte zur "verrohten und sozial-vereisten gehobenen Mittelschicht": www.nachdenkseiten.de/?p=7652 ) Und so schreibt Heitmeyer als Bilanz seiner zehnjährigen Arbeit zum Beginn des Jahres 2012: "Die Würde des Menschen ist antastbar. Die Aktivitäten bestimmter politischer Bewegungen und Parteien bleiben - trotz zivilgesellschaftlichen Engagements - für bestimmte Gruppen - auch schon in unserer freien, demokratischen Gesellschaft - lebensgefährlich." (Vgl. den Schluß bei www.wirtschaftundgesellschaft.de/?p=1145 ) Es wird ein trauriges Kapitel unserer Republik bleiben, wie schrecklich die Medien z.B. mit der Sarrazin-Hype (www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33301/1.html oder der Sloterdijk-Provokation: www.nachdenkseiten.de/?p=4317 ) diese Abstiegsängste der Mittelschicht in menschenfeindlichen Hass auf andere - wie Hartz-IV-Empfänger und Migranten umzuwandeln. Und als Nachtrag noch die aktuelle Diskussion um "Wohlstand für alle" Vom Wirtschaftsweisen Peter Bofinger auf dem INET-Kongress in Berlin (siehe Link weiter unten) bis zum aktuellen Star der Linken, Sarah Wagenknecht. (Siehe vor allem Sarah Wagenknecht, "Freiheit statt Kapitalismus" - dort das zweite Kapitel "Das gebrochene Versprechen Ludwig Erhards", S. 47 ff. ) werden "alle" zu VerehrerInnen von Ludwig Erhard mit seiner für den Wahlkampf 1957 geschrieben Streitschrift "Wohlstand für alle" (vgl. dazu allgemein Ulrike Herrmann "Warum nicht Roosevelt": http://www.neues-deutschland.de/artikel/236485.warum-nicht-roosevelt.html ). Auch Peter Bofinger hat diesen Bezug zu Erhards "Wohlstand für alle" auf dem Berliner INET-Kongress aus der Perspektive eines Anhängers der Keynesianischen Analyse für heute getan - einfach unter Bezug auf diese Keynesianisch geprägte "Ära" der rund 20 Jahre nach dem Weltkrieg II mit einer weitaus größeren Gleichheit. (Vgl. ca. die letzten drei Seiten (= 13 bis 15) vor allem in dem Abschnitt "Die verlorene Gleichheit" vom www.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl29.pdf ) So ging auch Ulrike Herrmann in ihrer Kritik an der marxistischen Sicht von Sahra Wagenknecht mit dem Bezug auf den US-Präsidenten Roosevelt vor. (Vgl. zu Roosevelt`s "New Deal" plastisch in der gebotenen Kürze noch Stephan Schulmeister auf den Seiten 7 ff. in dem Interview mit Thorsten Hild www.wirtschaftundgesellschaft.de/?p=4942 ) Schulmeister hebt gerade die Fähigkeit des Politikers Roosevelt hervor, sich ganz praktisch durch die sozialen Probleme der Menschen berühren zu lassen - und nicht von Theorien mit hohem Abstraktionsgrad, die nur die dahintersteckenden Interessen zu verschleiern in der Lage sind. Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 5. September 2012 |