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Updated: 18.12.2012 15:51
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An die Grenzen Europas

Reisebericht einer Gruppe von antirassistischen AktivistInnen und AkteurInnen aus Netzwerken rund um Migration und Prekarisierung

Bezuschusst durch die Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt in Berlin

"An die Grenzen Europas" reiste vom 22. September bis 02. Oktober 2006 eine Gruppe von antirassistischen AktivistInnen und AkteurInnen aus Netzwerken rund um Migration und Prekarisierung (das europäische Netzwerk frassanito, kein mensch ist illegal, noborder, Euromayday, gewerkschaftsnahe BildungsarbeiterInnen und Organizer) nach Andalusien und in das nördliche Marokko. Im Mittelpunkt dieser Reise standen die Arbeits- und Lebenssituationen der MigrantInnen auf beiden Seiten des Mittelmeeres sowie die Auswirkungen der Verschärfung der europäischen Grenzkontrollen an den spanischen Außengrenzen. Zur Zeit unserer Reise war der Jahrestag des sog. Sturm auf die Zäune in Melilla und Ceuta, deren Bilder im September/Oktober 2005 die europäische Öffentlichkeit erschütterten.

Auf unsere Reise interessierte uns der Alltag des Migrationsgeschehens, sei es der unerlaubte oder erlaubte Grenzübertritt, die Arbeits- und Ausbeutungsverhältnisse in den Gewächshäusern Andalusiens, die Situation der TransmigrantInnen in der marokkanischen Metropole Tanger.

Wie hat sich die Grenzsituation in den letzten Jahren verändert? Welche Formen der Selbstorganisation von MigrantInnen gibt es? Welche Formen der gewerkschaftlichen Unterstützung und seitens der Menschenrechts-Organisationen bestehen? Wie arbeiten diese, welche Maßnahmen ergreifen sie für die Durchsetzung besserer Arbeits- und Menschenrechtsbedingungen? - diese Fragen begleiteten uns auf unserer Route von Malaga, El Ejido und Almeria, über Tarifa nach Tanger und Ceuta.

Tomaten aus Almeria - Arbeiten und Leben unter Plastik

Andalusien, die südlichste Region Spaniens, war noch bis in die frühen 1980er Jahre als die aus- und abwanderungsreichste Region Spaniens bekannt. In den letzten Jahren hat sie sich zur Grenzregion gewandelt, geprägt von Immigration, Transit-, und saisonaler Migration aus dem Maghreb, Schwarzafrika, Osteuropa und Lateinamerika. Über 100.000 MigrantInnen sind auf andalusischen Erdbeerplantagen in Huelva, in den Gemüsegewächshäusern der sog. Costa Plastico oder im Hotel- und Dienstleistungsgewerbe der andalusischen Tourismusindustrie beschäftigt.

Unsere Fahrt Richtung Almeria führt durch ein Meer aus Plastik. Auf über 32.000 Hektar erstrecken sich die mit Folien überzogenen Gewächshäuser. Es handelt sich um die weltweit größte Konzentration von industriellem Gemüsebau unter Plastik. Auf dieser Fläche werden etwa drei Millionen Tonnen Treibhausgemüse pro Jahr produziert. Mehr als die Hälfte davon ist für den Export bestimmt. Eine zerstörte Umwelt, eine von Pestiziden und üblen Gerüchen gesättigte Luft, verschmutztes Grundwasser, eine Landschaft ohne Grünflächen, ohne Bäume.

In der Hochsaison im Winter bringen täglich tausend Lastwagen Tomaten, Gurken, Paprika und anderes Gemüse nach Zürich, Wien, Berlin, London. Die großen Gewinner in diesem Geschäft sind wenige Supermarkt- und Großhandelsketten, wie z.B. METRO. Sie kontrollieren heute 70 bis 80 Prozent des europäischen Lebensmittelmarktes und drücken die Erzeugerpreise ständig nach unten.

Dieses "Wirtschaftswunder" ist nur durch die Beschäftigung von billigen, entrechteten Arbeitskräften möglich: Rund 80.000 MigrantInnen - etwa die Hälfte davon "Sans Papiers", ohne Aufenthaltsgenehmigung. Sie arbeiten als TagelöhnerInnen, oft nur für ein paar Stunden täglich, zu niedrigsten Löhnen und viele ohne Arbeitsvertrag.

Die Lebensbedingungen der Zugewanderten sind katastrophal. Aufgrund der sozialen und rassistischen Ausgrenzung finden die meisten keine Unterkunft in den Ortschaften. Mitten im Plastikmeer hausen Tausende in selbst gebastelten Verschlägen aus Karton- und Plastikresten, oder in verlassenen landwirtschaftlichen Gebäuden, ohne Trinkwasser, ohne Toiletten, ohne Strom.

Zu Besuch bei der SOC

Unser Ziel ist das Büro der andalusischen Landarbeiter-Gewerkschaft SOC (Syndicato de Obreras/os del Campo) in El Ejido. Seit dreissig Jahren treten die SOC für die Rechte von LandarbeiterInnen in Andalusien ein, ihre Grundforderungen zielen auf eine umfassende Bodenreform und Rechte der LandarbeiterInnen. Die SOC ist keine herkömmliche Gewerkschaft. Tarifverträge schließen in der Regel die sozialistischen und kommunistischen Verbände ab. Die SOC versteht sich eher als eine Organisation, die auf die Einhaltung der bestehenden Verträge pocht bzw. dafür sorgt, dass überhaupt Verhandlungen aufgenommen werden und die Ausbeutungs- und Lebensbedingungen der Arbeiterinnen öffentlich werden. Sie agiert eher als Anlaufstelle mit einer kleinen hauptamtlichen Struktur und agiert als Fokus, wenn es um Streik- und Protestorganisierungen geht.

Ursprünglich eine andalusische Gewerkschaft für vor allem spanische Landarbeiter ist die Organisation seit einigen Jahren in einem massiven Wandlungsprozeß, um zum einen den Anforderungen der neuen LandarbeiterInnen gerecht zu werden und zum anderen ihre Unterstützung zu gewinnen.

Angefangen mit nur einem Gewerkschaftsbüro in Almeria, konnte 2005 in El Ejido ein zweites Büro käuflich erworben werden mit finanzieller Unterstützung des Europäischen Bürgerforums und einer internationalen Unterstützungskampagne. Kein Eigentümer war bereit an die SOC in der von Einschüchterungen und Repression geprägten Atmosphäre ein Büro zu vermieten.

In El Ejido treffen wir zwei Gewerkschaftsvertreter der SOC, die uns von ihrer Arbeit berichten. Diese reichen von der Unterstützung der ArbeiterInnen bei Überschreitungen der Arbeitszeiten, bei Krankheiten und gesundheitlichen Langzeitschäden als Folge vom Umgang mit den eingesetzten Pestiziden, bei Problemen mit mangelhaften Unterkünften bis zu Hilfestellungen beim Einreichen von Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen. Ein Teil der Arbeit besteht darüber hinaus in der Bekanntmachung und Anzeigestellung von gewalttätigen Übergriffen auf MigrantInnen und deren Begleitung bei Klagen vor Gericht. Angesichts des rassistischen Klimas in der Region sind sie daher zahlreichen Anfeindungen und Drohungen ausgesetzt. Anfang des Jahres 2005 wurde ein Mitglied der SOC von fünf spanischen Jugendlichen ermordet.

Während unseres Gesprächs kommen immer wieder Leute ins Büro. Hier trifft man sich, diskutiert, organisiert oder sucht Rat und Unterstützung von den SOC-Leuten. Ein Internetplatz und Telefonmöglichkeiten sind ebenso vorhanden. Ihre Informationen und Einladungen zu Versammlungen verteilen die SOC-Leute über Flugblätter und Plakate, vieles wird mündlich weitergegeben.

Abdelkader Shasha von der COC hat nicht viel Zeit, so können wir eine spannende Frage nicht vertiefen: die Spannungen und Ressentiments zwischen den 'alteingesessenen' marokkanischen und später sub-sahaurischen Beschäftigten und den 'neuen' osteuropäischen LandarbeiterInnen, die nach dem Streik 2001 verstärkt mit Kontingentvereinbarungen angeworben wurden. In ihrer Arbeit versuchen sie die osteuropäischen Beschäftigten ebenso anzusprechen und organisieren auch Versammlungen, um die 'Neulinge' in die Situation vor Ort einzuführen.

Abdelkhader muss nach Almeria zu einem Koordinierungstreffen mit anderen SOC-MitarbeiterInnen. Wir verabreden uns mit einem weiteren Kollegen für den späten Nachmittag in Almeria.

Nicht mehr auf der Durchreise

In Almeria treffen wir Spitou Mendy, der seit vier Jahren bei der SOC ist, momentan für einen Monat bezahlt. Er kommt aus dem Senegal, hat studiert und war auch dort schon gewerkschaftlich organisiert. Mit Spitou fahren wir in einen Ortsteil von El Ejido, am Rande der Gewächshäuser. Hier leben mittlerweile 70% ImmigrantInnen - nicht alle sind auf der Durchreise. Anders als in den chabolas, den improvisierten Hütten mitten in den Gewächshäusern, gibt es hier von MigrantInnen betriebene kleine Läden und Bars, die den Wunsch nach Bleiben bezeugen. Daneben natürlich die obligatorischen Callshops mit Länderlisten an den Schaufenstern. Telefoniert wird hauptsächlich in den Senegal, nach Ghana, Gambia, Mauretanien, Nigeria, Rumänien, Ukraine. Wir lernen die beginnende Etablierung der ersten schwarzen Gemeinwesen in der Region kennen.

Mit Spitou erleben wir einen Organizer pur. Es gibt anscheinend niemanden, der ihn nicht kennt. Oft bleibt er stehen für ein kurzes Schwätzchen, trifft Verabredungen, fragt nach, wie es den Leuten geht. Spitou berichtet von einigen, die für eine Zeit Mitglied bei der SOC waren, dann aber wieder wegbleiben, weil der Mitgliedsbeitrag zu hoch ist oder weil sie gerade kein drängendes Problem haben. "Es ist nicht leicht, die Leute bei der Stange zu halten", meint er. Aber er hat trotzdem zu vielen Kontakt, fährt herum und versucht, neue Mitglieder für die SOC zu gewinnen.

Zusammen besuchen wir einige der zahlreichen Appartements, in denen meist acht, neun junge Männer zusammen ein paar Zimmer und Küche teilen. In einer treffen wir auf acht Senegalesen, die alle aus dem gleichem Dorf kommen und zusammen aufgewachsen sind. "Wir haben uns hier wieder getroffen, den Weg hierher hat jeder allein gemacht", erzählt uns einer. Sie kommen auf der Suche nach einem besseren Leben. Zur Zeit können sie wieder in den Plantagen arbeiten, es ist Gurkenzeit. Zuvor gab es eine Zwangspause, da im Reifungsprozess des Gemüse nur sehr wenige Arbeitskräfte gebraucht werden. Das bedeutet Warten, kein Lohn und Langeweile. Aber um in den Genuss der Regularisierung zu kommen, müssen die ImmigrantInnen einen Arbeitsvertrag von mindestens sechs Monaten vorweisen, um so eine Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen. So bleiben sie bei einem Arbeitgeber - auch wenn dieser gerade keine Arbeit für sie hat -, da er derjenige ist, der den Regularisierungsantrag stellen muss.

Keine Legalisierung ohne Arbeit

In Spanien gab es bereits mehrere Legalisierungen Papierloser MigrantInnen, die erste fand 1991 statt, im gleichen Jahr wie die Einführung der Visumspflicht von MarokkanerInnen. Sie dienen den jeweiligen Regierungen zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung, der sog. Schattenwirtschaft, die in Spanien sehr ausgeprägt ist. Die Wirtschaft profitiert von den MigrantInnen und hat ein bedingtes Interesse an den Legalisierungen. Die spanische Wirtschaft hat eine ungebremste Nachfrage nach Arbeitskräften, trotz der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit in Spanien (2004 ca. 11 %, im Vergleich 1991: 22%). Es gibt einen grossen Arbeitsmarkt für undokumentierte Beschäftigte, da die Arbeitgeber diese zu Niedrigstlöhnen arbeiten lassen, ohne Sozialabgaben und Verträge. Die SOC-Mitarbeiter berichten, dass einige Arbeitgeber der Gewächshäuser für die Ausstellung eines Arbeitsvertrages bis zu 3000,- € von den LandarbeiterInnen verlangt hätten. Viele Arbeiter wären deswegen zu ihnen gekommen, aber letztlich konnten sie ihnen auch nur den Rat geben, zu zahlen. Ohne Arbeitsvertrag keine Legalisierung und damit auch keine Chance auf einen dauerhaften Aufenthaltsstatus.

Im Unterschied zu den bisherigen Legalisierungen, wo jeder persönlich einen Antrag stellen konnte, mussten bei der letzten die Arbeitgeber den Antrag einreichen. Bedingungen dafür waren Straffreiheit der MigrantInnen (illegaler Aufenthalt ist in Spanien nicht strafbar), ein Arbeitsvertrag von mindestens sechs Monaten und der Nachweis eines festen Wohnsitzes.

Die Frist zur Einreichung von Legalisierungsanträgen begann am 7. Februar und endete am 7. Mai 2005. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 690.679 Anträge eingereicht. Nachdem die Legalisierung in den ersten Wochen unerwartet langsam anlief, kündigte die spanische Regierung im April eine Lockerung der Bestimmungen an. Anstelle des Auszugs aus dem kommunalen Einwohnerregister konnten seitdem auch andere Dokumente als Nachweis über einen Aufenthalt in Spanien vor dem Stichtag 8. August 2004 vorgelegt werden. Vor allem in den letzten Tagen vor Ablauf der Frist bildeten sich vor den Behörden lange Schlangen. Obwohl die Anträge von den Arbeitgebern einzureichen waren, erschienen zunehmend auch betroffene MigrantInnen.

Die Regierungspartei PSOE zeigte sich angesichts der fast 700.000 gestellten Anträge zufrieden.

Zusätzlich sei laut Arbeits- und Sozialministerium die Legalisierung des Aufenthaltsstatus von Familienangehörigen der Antragsteller zu erwarten, wobei von einer Gesamtzahl von 400.000 Personen ausgegangen wird. Durch die neu erfassten Arbeitsverhältnisse werden in den Sozialversicherungskassen jährliche Mehreinnahmen in Höhe von 1 bis 1,5 Mrd. Euro erwartet.

Legalisierung im Kreuzfeuer

Kritik gab es von mehreren Seiten: Die Oppositionspartei Partido Popular (PP) beschuldigte die Regierung, mit der Legalisierung eine Sogwirkung für den weiteren Zuzug undokumentierter EinwandererInnen geschaffen zu haben. Unerwähnt blieb dabei, dass auch unter der PP-Regierung von 1996 bis 2004 mehrere Legalisierungen durchgeführt wurden.

Auch von Seiten der EU-Mitgliedstaaten gab es Druck. Sie warfen der spanischen Regierung vor, dass die Legalisierung Auswirkungen für die anderen EU-Staaten habe und legalisierte MigrantInnen etwa nach Frankreich oder Deutschland weiterreisen könnten. Sprecher der Europäischen Kommission wiesen jedoch darauf hin, dass die jetzt in Spanien legalisierten MigrantInnen frühestens in fünf Jahren, also ab 2010, volle Personenfreizügigkeit in der EU genießen.

Die spanische Regierung kündigte an, dass es unter Ministerpräsident Zapatero keine weiteren Legalisierungen geben werde. Stattdessen sollten nun verstärkt Arbeitsplatzkontrollen durchgeführt und zügige Abschiebungen ermöglicht werden. Innerhalb eines Jahres seien etwa 200.000 Kontrollen vorgesehen. Bei Verstößen sollten Strafgelder von bis zu 60.000 Euro pro illegal beschäftigtem ausländischem Arbeitnehmer verhängt werden.

In den Diskussionen mit den SOC-MitarbeiterInnen tritt die Problematik der bisherigen Legalisierungen von anderer Seite zu Tage. Einerseits erleichtern sie vor dem Hintergrund ausbeuterischer illegaler Beschäftigungsverhältnisse das Leben der MigrantInnen erheblich. Sie verschaffen ihnen eine stärkere rechtliche Stellung gegenüber den ArbeitgeberInnen, wirken dem Lohndumping entgegen und erhöhen die Zugänge in der spanischen Gesellschaft auf Absicherung, Ausbildung und Bewegungsfreiheit. In erster Linie nützen sie aber den ArbeitgeberInnen, die in Form einer derartigen Amnestie straffrei ausgehen für ihre ausbeuterischen illegalen Arbeitsverhältnisse. Sie fordern entsprechend sofortige Legalisierungen aller undokumentierter MigrantInnen, unabhängig von Arbeitsverträgen und Dauer des Aufenthalt.

Diese Position vertreten auch die MitarbeiterInnen von Acoge Algeciras , die wir am folgenden Tag unserer Reise treffen.

Unterstützung

Acoge ist ein in Andalusien ansässiger Verband mit zehn Mitgliedsvereinen zur Unterstützung von ImmigrantInnen. Acoger bedeutet Aufnehmen, Empfangen, aber auch Beschützen. 1991 wurde die Visumspflicht für MarokkanerInnen eingeführt, zur gleichen Zeit landeten die ersten Pateras mit Flüchtlingen an der Südküste. Die Acoge-MitarbeiterInnen begrüssten sie mit Willkommenstransparenten an den den Stränden von Tarifa und Algeciras. Ein solidarisches Zeichen angesichts einer wachsenden rassistischen Stimmung in der Bevölkerung im Umbruch von der Auswanderungs- zur Einwanderungsregion. In dieser Zeit begannen kirchliche und linke Gruppen, sich zu organisieren und die Flüchtlinge zu unterstützen. Zum Beispiel die Pateras por la Vida (Boote für das Leben), ein informeller Zusammenschluss von MigrantInnen aus dem Rif-Gebirge, die Überfahrten von Marokko organisieren, aber auch das Weiterkommen an den Behörden vorbei. Als 1997 die ersten Leute wegen Unterstützung Illegalisierter zu Geldbußen verurteilt wurden, startete Acoge eine Selbstbezichtigungskampagne, die Verfahren wurden daraufhin eingestellt. Dennoch hat es auch seither immer wieder Androhungen und Verurteilungen von Unterstützern gegeben.

Acoge Andalucia tritt ein für die volle Anerkennung der BürgerInnen von MigrantInnen und begleitet sie bei der Verwirklichung. Die Hauptaktivitäten sind im Sozial-, Förderungs- und Bildungsektor angesiedelt. Das reicht von der Essenvergabe, Beratung und Orientierungshilfen, Begleitung bei Behördengängen, Betreuung von Abschiebehäftlingen, von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen, Spanischkursen, Hausarbeitshilfen für SchülerInnen, Ausbildung von MultiplikatorInnen bis zur Förderung der Selbstorganisierung von MigrantInnen. Ebenso fördern sie die Koordinierung und Vernetzung aller auf diesem Gebiet engagierten Organisationen und Vereine, auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene. Die Arbeit wird in grossem Maße auch von ehrenamtlichen Mitgliedern geleistet.

Im Gespräch erfahren wir, dass mittlerweile vermehrt Leute aus Bolivien, Peru, Dominikanische Republik und Kolumbien über Marokko migrieren. Die Angebote von Acoge richten sich jedoch weniger an die TransitmigrantInnen als vielmehr an die, die bleiben wollen

Acoge ist ein freier, unabhängiger Träger, finanziert aus Mitgliedsbeiträgen, privaten und öffentlichen Zuschüssen und Spenden. Unsere Frage, ob eine unabhängige die Arbeit trotz öffentlicher Gelder möglich sei, bejaht die Mitarbeiterin. Im Zuge der Legalisierung habe es allerdings eine kürzende Ausnahme gegeben. Zwar hätten sie die Leute im konkreten im Prozess unterstützt, da sie natürlich Erleichterungen für die MigrantInnen bedeuteten. Aber gegen das Verfahren (die Legalisierung hiess Normalion) an sich erhoben sie auf politischer Ebene Einspruch und behielten sich eine verfassungsrechtliche Klage vor. Die öffentliche Finanzierung für diese Beratung wurde daraufhin gestrichen. Wie sehr die behördliche Geldvergabe auch weitere Auswirkungen auf die Arbeitsweise hat, blieb offen. Deutlich wurde aber, dass es im Rahmen von Acoge immer auch AkteurInnen gibt, die sich angesichts zugespitzter Situationen für unkonventionelle Wege jenseits behördlicher Vorgaben entscheiden, wie z.B. Fluchthilfen - und nicht die NGO als Ganze.

Im Gespräch mit den Acoge MitarbeierInnen erläutern sie uns den Umgang mit Illegalität in Spanien. MigrantInnen ohne Papiere werden bei unerlaubten Grenzübergang in den CETIs, den Temporären Aufenthaltszentren für ImmigrantInnen interniert. Kann ihre Nationalität nicht innerhalb von 40 Tagen festgestellt werden, dürfen sie nicht abgeschoben werden. Dies gilt auch, wenn die Herkunftsländer kein Rückführungsabkommen mit Spanien abgeschlossen haben. Sie erhalten dann zwar einen Ausweisungsbescheid, werden aber auf freien Fuß gesetzt. Ein Leben in der Illegalität ist die Folge für alle, die kein politisches Asyl erhalten oder bei einer erneuten Legalisierung erfolgreich sind. Sie werden zwar nicht abgeschoben, haben aber auch keine Chance, sich eine Existenz aufzubauen. Drei Jahre dürfen sie den Behörden nicht auffallen, da ihnen mit ihrer Ausreiseaufforderung der Zutritt zum spanischen Territorium erst nach drei Jahren wieder erlaubt wird. "Ningunear", das spanische Wort für "jemanden zum Niemand machen", trifft den Kern dieses Umgangs. Im Unterschied zu Deutschland können sich in Spanien die Menschen ohne Papiere zwar medizinisch versorgen lassen, doch findet ihr Leben ansonsten ebenso im Schatten einer Gesellschaft statt, die ihnen grundlegende Rechte verwehrt. Acoge versucht angesichts dieser Situation, eine Anlaufstelle für die ImmigrantInnenzu sein.

Unser Gespräch bei Algericas Acoge endet mit der Vision einer europäischen BürgerInnenschaft, deren Rechte nicht an Arbeitsnachweise oder Herkünfte gekoppelt sind.

Transitmetropole Tanger

Von Tarifa aus führt die Fähre nach Tanger. Marokko, als Auswanderungsland schon lange bekannt, hat sich in den vergangenen fünfzehn Jahren zu einem wichtigen Transitland für MigrantInnen auf dem Weg nach Europa gewandelt. Mit seiner besonderen geografischen Lage ist es ein politisches und wirtschaftliches Bindeglied zwischen Afrika und Europa. Im Hafen von Tanger kann man über die Straße von Gibraltar zur Südküste Spanien hinüber blicken. Gerade mal 14 km von Afrika entfernt, erscheint Europa zum Greifen nah. Und doch ist es für viele, die bereits Jahre auf den Absprung warten, Lichtjahre entfernt.

Am Strand von Tanger spielen ,quasi 10 Fußballplätze nacheinander, Jugendliche verschiedensten Alters und Hautfarbe miteinander Fußball. Einige sitzen am Strand und es ist nicht unwahrscheinlich, dort jemand zu treffen, der auf eine Passage nach Tarifa oder die lange Route nach Malaga wartet.

Ins Wasser geht keiner, denn niemand möchte in der eigenen Kloake baden. Nachdem König Hassan Tanger herunterkommen ließ, hat nun sein Sohn und Nachfolger König Mohammed Tanger als Wassersportfreund wieder entdeckt. Er möchte den Jetset in die einst blühende und pulsierende Stadt zurück holen und gegenüber Spaniens Costa del Sol als eine günstigere Konkurrenz im Massentourismus etablieren. Zu diesem Zweck werden Abwasseranlagen gebaut, der Frachthafen verlegt und ein Jachthafen eingerichtet. Im Bau befindliche Hotelhochhäuser prägen bereits jetzt die Küstenlinie.

In Tanger treffen wir den Journalisten Alfred Hackensberger, der in dieser Stadt lebt und zahlreiche Berichte zur ganzen Problematik bisher veröffentlicht hat. Wir beginnen mit einer Stadtführung durch die Medina. Es ist Ramadan. Wir erleben auf den Strassen Tangers hektisches Treiben, bis plötzlich bei Sonnenuntergang Ruhe einkehrt. Es ist die Zeit des Fastenbrechens, die Strassen werden menschenleer und erst gegen acht füllt sich alles wieder mit Leben. Bis in die tiefe Nacht sind die kleinen Bazarläden geöffnet und Menschen sitzen in Bars oder schlendern auf den Strassen.

Der Traum vom Bigboy-Life

Am nächsten Morgen treffen wir Jeffrey aus Nigeria, der seit zwei Jahren in Tanger lebt und ebenfalls auf eine Gelegenheit wartet. Zusammen mit sieben anderen lebt er in einem Zimmer in einer Pension. Oft sind diese Zimmer ohne Strom und mit Löchern statt Toiletten. Wer sich kein Zimmer leisten kann, oder keinen Vermieter findet, lebt in den nahe gelegenen Wäldern um Tanger. Dort campieren sie unter katastrophalen Bedingungen, ohne Strom, ohne ausreichend Wasser, unter Zelten aus Plastikfolien oder unter freiem Himmel. Einzig die Ärzte ohne Grenzen unterhalten dort einen Mobilservice zur medizinischen Notversorgung. Oft gibt es Razzien in den improvisierten, selbst bewachten Camps. Dann wird ihnen alles abgenommen, erzählt Jeffrey, Geld und Handys, geschlagen wird man sowieso.

Während unseres Gesprächs ist Jeffrey sehr nervös. Ständig die Angst, er könnte aufgegriffen, kontrolliert werden. "Wenn die Polizei dich entdeckt, dann bringen sie dich zur Grenze zu Algerien nach Oujda. Es ist nicht einfach als Schwarzer in Marokko zu leben und in den letzten Jahren hat es sich verschlechtert. Eine normale Arbeit erhältst du nicht, du musst dich über Handel und Gelegenheitsjobs durchschlagen. Es ist schwierig, schwierig, schwierig." Die TransmigrantInnen aus Schwarzafrika - ins besondere die nigerianischen Jungs mit ihren Jeans und T-Shirts - fallen in Tanger sofort auf. Für die marokkanischen Behörden sind sie Freiwild. Sie haben keine Rechte, niemanden, der für sie eintritt.

Seit die EU die Zusammenarbeit mit Marokko intensiviert hat und sich auch die diplomatischen Beziehungen zwischen Spanien und Marokko mit der Regierung Zapateros verbessert haben, geht die marokkanische Polizei gegen die ImmigrantInnen vor. Laut einer Studie von "Ärzte ohne Grenzen" geht die Hälfte aller Behandlungen auf die Einwirkungen von polizeilicher Gewalt zurück. Nach ihren Einschätzungen leben zeitweise bis zu 1500 Immigrantinnen aus Schwarzafrika in der Region Tanger. Wer ohne Papiere aufgegriffen wird, wird in die Wüste deportiert, nicht weit von der Grenzstadt Oujda ins Niemandsland nahe der algerischen Grenze. Und dann geht alles von vorne los. Viele haben den Weg nach Tanger zurück, über 600km zu Fuß, bereits ein oder mehrere Male zurückgelegt.

Zurück in Tanger besteht das Leben weitgehend aus Warten. Wir sind überrascht, wie planlos Jeffrey eigentlich ist. Er wartet seit zwei Jahren auf eine Gelegenheit. Wie die aussehen könnte, kann er nicht sagen. Irgendwann wird sich etwas ergeben. Eine Information, ein Zufall, ein Anruf von einem Freund, was auch immer. Und dann wird es endlich nach Europa gehen. Auf die Frage, warum er seine Heimat verlassen hat, sagt er:" Ein Freund hat mich angerufen aus Spanien, ich soll kommen, alles ist gut und wir machen Bigboy-Life."

Immer wieder sammeln sich Schlangen vor Western Union, wo sich manche MigrantInnen die Überweisungen ihrer Familien abholen. Viele sind schon seit Jahren unterwegs und ihre Familien haben sich das Geld schwer abgeknapst, damit einer von ihnen es nach Europa schafft, um dann die heiß ersehnten Zahlungen zu bekommen. Die Rücküberweisungen von MigrantInnen in afrikanische Länder übersteigen die europäischen Entwicklungshilfegelder bei weitem und bilden wesentliche ökonomische Ressourcen für die Daheimgebliebenen. Und so wird weiter gesammelt für die Reise nach Europa.

In anderen marokkanischen Städten mit Universitäten wie Rabat oder Casablanca würde das tägliche Leben etwas einfacher sein. Die legalen StudentInnen aus Schwarzafrika ermöglichen den TransmigrantInnen ein leichteres Abtauchen in der Masse. Dort gibt es gelegentlich Jobs und Möglichkeiten, sich die Weiterreise zu finanzieren. Jeffrey erzählt von einem Freund aus seinem Dorf, der in Casablanca einen wesentlich angenehmeres Leben führen kann. Doch dort ist man zu weit weg von der Grenze, nicht mehr auf dem Sprung nach Europa.

Minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge aus Sicht der UNICEF

Später treffen wir Mohammad Serifi, den Koordinator von Unicef für das Programm Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Die Unicef hat zusammen mit der Soziologin Mercedes Jimenez Alvarez, eine Studie über Migrationsstrategien von minderjährigen marokkanischen MigrantInnen und deren Situation in Spanien herausgegeben. Mohammad Serifi erläutert uns, dass es in Spanien eine mediale Inszenierung vom Phänomen maghrebinischer Strassenkinder gibt, die bereits in ihren Herkunftsländern auf der Strasse gelebt hätten. Mohammad Serifi widerspricht dem vehement. Seiner Meinung nach seien die Kinder in Marokko zwar auf der Strasse, kehrten aber von Zeit zu Zeit immer zu ihren Familien zurück. Aufgrund der seit den 80er und 90er Jahren begonnenen massiven Landflucht in die städtischen Ballungsgebiete sei es nur vielen Familien nicht mehr möglich, die grundlegenden Bedürfnisse aller Familienmitglieder zu gewährleisten. Viele Kinder seien darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.

In ihrer Studie verknüpfen Mohammad und Mercedes die spanischen Einreisebedingungen mit den jeweiligen Strategien der Familien. Da sich die Migration nach Europa zunehmend schwieriger gestalte, das spanische Ausländergesetz aber einen Abschiebeschutz für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge vorsehe, hätten die Familien ihre Kinder geschickt. Er spricht von an die Gesetze des Migrationsregimes angepassten Strategien, die sich als flexibel erweisen. Lediglich Kinder und Jugendliche mit Familien in Marokko könnten abgeschoben werden, entsprechend gäben sich die Kinder als familienlos auf. Die spanische Regierung plane daher, ein Auffanglager in Tanger für die Minderjährigen ohne Familien einzurichten. "Das untergräbt die UN-Kinderschutzkonvention, die auch der spanischen Staat unterschrieben hat, in massivster Weise", kritisiert Serifi.

Spanien versuche daher die menschenrechtsverletzende Abschiebepolitik mit einem Diskurs über die "Strassenkinder" zu rechtfertigen, der lediglich deren delinquentes Verhalten und ihre Resistenz gegen jegliche Bildungs- und Erziehungsprogramme fokussiert. Hierin tauchen sie zuallererst als AusländerInnen auf, die Kosten verursachen und derer man sich schnell wieder entledigen will. Mohammad Serifi pocht hingegen auf die Einhaltung der UN-Kinderschutzkonvention und fordert, die "Strassenkinder" in erster Linie als Kinder und Jugendliche wahrzunehmen, als selbständige Akteure mit eigenen Wünschen und Vorstellungen von einem besseren Leben, die ein Recht auf Erziehung und Bildung haben. Er möchte die Aufmerksamkeit der Diskussionen auf die Gründe und Strategien von Migration lenken, gleichzeitig aber auch auf den Arbeitskräftebedarf von Europa, der die Abschottung der Grenzen so unsinnig mache.

In ihrer Arbeit in Marokko hat sich die Unicef daher vor allem zum Ziel gesetzt, auf das Recht auf Bildung und die Einhaltung der UN-Kinderschutzkonvention zu appellieren. Marokko sei ein armes Land, trotzdem müsse für alle Kinder Schulbildung garantiert werden. Zur Veränderung der Situation von Kinder und Jugendlichen sei Erziehung und Bildung ein zentrales Moment, um eine Perspektive für sie in Marokko entstehen zu lassen.

Dem entsprechend besteht ein Großteil ihrer Arbeit im Klinken putzen bei Wirtschaftsverbänden, Ministerien, Behörden, Eltern und Schulen, um in Gesprächen ein Umdenken zu erreichen.

Der Sturm auf den Zaun - Ein Besuch in Ceuta ein Jahr danach

Die Fahrt von Tanger nach Ceuta führt durch die marokkanische Berglandschaft. Die spanische Exklave mit rund 75.000 EinwohnerInnen liegt mitten in marokkanischen Gebiet und ist ein Anachronismus aus Kolonialzeiten. Hier wird die Trennung Europas vom Süden am deutlichsten, bestehend aus einem mittlerweile sechs Meter hohen, von spanischer und marokkanischer Grenzpolizei bewachten Doppel-Grenzzaun. Die Kopfgeburt Grenze wird beim Blick auf die Uhr deutlich. Wir haben Tanger um 7 Uhr morgens verlassen und erreichen es nach 1 ½ Stunden Fahrt um 10:30. In Tanger wäre es 8:30 H, aber in Ceuta ist spanische Zeit, 2 Stunden verschoben. Am Grenzposten sind häufig lange Schlangen von Pendlern. Nur marokkanische Anwohner der nahen Region Nador haben Zutritt nach Ceuta. Teilweise arbeiten sie im Dienstleistungssektor, teilweise kaufen sie im steuerfreien Ceuta ein, um es in Marokko wieder zu verkaufen. Der Zoll lässt sie nur mit dem durch, was sie am eigenen Körper tragen können. Entsprechend werden zahlreiche Klamotten übereinander gezogen über die Grenze gebracht.

Die Innenstadt Ceutas sieht aus wie jede Fussgängerzone einer grösseren spansichen Stadt. Dank der Steuerfreiheit reihen sich in der Haupteinkaufsstrasse Tabak, Schmuck- und Modegeschäfte aneinander. Im sonstigen Stadtbild vermischen sich jedoch spanische und mauretanische Einflüsse. Die Aussenbezirke der gerade mal 23 Quadratkilometer umfassenden Stadt Ceuta werden vor allem von arabischen Menschen bewohnt. Für die spanischen Militärangehörigen und ihre Familien bietet Ceuta sicherlich ein komfortables Leben im warmen Klima am Meer und den spanischen Lebensstandards.

Doch Bekanntheit haben Ceuta - und ihr Pendant Melilla 400km weiter südlich - in den letzten Jahren als Eingangstore für MigrantInnen aus aller Welt in die EU erlangt.

Karmeliter in Ceuta

"Dies ist ein trauriger Tag. Heute ist der Jahrestag des Ansturms der Immigranten auf den Zaun in Ceuta und Melilla", begrüsst uns Paula Domingo vom Orden der Karmeliterinnen. Paula Domingo ist eine energisch wirkende Frau. Seit sechs Jahren betreibt die Nonne mit zwei anderen Schwestern eine Anlaufstelle für ImmigrantInnen, die den Sprung über den Zaun oder den Weg durchs Wasser nach Ceuta schaffen. Sie sind die einzige NGO in Ceuta, die humanitäre Unterstützung sowie rechtliche Beratung und Information für die Flüchtlinge anbieten.

"Es war nie einfach für die ImmigrantInnen nach Ceuta zu gelangen. Allerdings ist es in den letzten Jahren immer schwieriger geworden", erzählt Paula Domingo. Seit die sozialistische Regierung in Spanien an der Macht sei, haben sich auch die spanisch-marokkanischen Beziehungen deutlich verbessert. Geändert haben sich damit auch die Haltungen der marokkanischen Grenzschützer. Sie nehmen ihr Aufgabe nun sehr genau, während sie noch bis vor zwei Jahren manchmal selbst Löcher in den Zaun schnitten, um die spanischen Grenzschützer zu ärgern und den MigrantInnen den Weg nach Spanien zu erleichtern. "Seit Januar 2005 wurde die Repression für MigrantInnen immer stärker. Die Wälder rund um Ceuta (Bel Younech), in denen viele ihre Lager aufgeschlagen hatten, wurden regelmäßig von der marokkanischen Polizei durchsucht und zerstört. Afrikanische MigrantInnen, die von der Polizei aufgegriffen wurden, wurden an die algerische Grenze deportiert. Sie konnten nicht in Marokko weiterleben, gleichzeitig aber auch nicht in ihre Herkunftsländer zurück gehen. Dies war die Situation, in der sie sich entschieden, den Sprung über den Zaun zu mehreren zu wagen."

Der Ansturm auf den Zaun

Paula Domingo berichtet uns von der Nacht vom 28. auf den 29. September 2005, als mehrere hundert afrikanische Migranten in einer kollektiven Aktion versuchten, mit selbstgebauten Leitern die Grenzzäune um Ceuta und Melilla zu erstürmen. In Ceuta gelang etwa 240 Menschen der Sprung über den Zaun. Mehr als 20 von ihnen wurden dabei schwer verletzt. Bis Mitte Oktober kamen 14 MigrantInnen in Folge der Auseinandersetzungen ums Leben. Einige starben an den Folgen von Schussverletzungen durch marokkanische oder spanische Grenzbeamte, andere erlagen ihren Verletzungen, die sie sich beim Klettern über den Zaun zugezogen hatten. Weder die spanische noch die marokkanischen Behörden haben bis heute die Verantwortung für den Einsatz scharfer Munition übernommen.

Die marokkanischen Behörden begannen unterdessen, sowohl die aus Spanien zurückgeführten als auch auf marokkanischem Boden aufgegriffene MigrantInnen abzuschieben. Über 2.500 Personen wurden in Flugzeugen aus Marokko in ihre Herkunftsländer deportiert, weitere 1.200 MigrantInnen in einer Nacht- und Nebelaktion in Bussen in die Nähe der algerischen und mauretanischen Grenzen gebracht. Da die MigrantInnen mit AktivistInnen und den MitarbeiterInnen von Médecins Sans Frontières per Handy in Verbindung standen, gelang es diesen, den Bussen zu folgen und somit den Verbleib der MigrantInnen ausfindig und publik zu machen. Auch Paula Domingo war den Konvois gefolgt und berichtet von MigrantInnen, die einfach in der Wüste ausgesetzt worden waren, ohne Wasser und ohne jegliche Orientierung zu haben, wo sie sich befinden. Sie traf auf welche, die mehr als 500 Kilometer zu Fuß von Oujda nach Fez entlang der Eisenbahnlinien zurück gelegt hatten. "Die umliegenden marokkanischen Dörfer hatten Anweisung erhalten in der Nacht kein Licht anzuschalten, damit sich die MigrantInnen nicht an ihnen orientieren können." erzählt sie.

Das Szenarium der Invasion

"Allerdings hat die "große Invasion" nie stattgefunden!" betont Paula Domingo. "Das ganze Medienspektakel wurde nur inszeniert um den erneuten Grenzaufbau, die verstärkten Grenzkontrollen und die Todesfälle zu rechtfertigen. Im letzten Jahr kamen 1.500 MigrantInnen nach Ceuta, circa 2.000 nach Melilla und 10.000 auf die Kanaren," rechnet sie uns vor. In diesem Jahr sind es bisher 24.000 Menschen, die die Kanaren per Boot erreicht haben. Vergleicht man das mit den 600.000 MigrantInnen, die auf anderen Wegen jährlich nach Spanien einreisen, so wird deutlich, das dass nur einen kleinen Bruchteil der Migration ausmacht, der in den Medien zur Invasion hochstilisiert wird.

Migration findet trotzdem statt

"Den Zaun zu überwinden, das ist fast unmöglich geworden." betont Schwester Paula. "Trotzdem kommen in der Regel pro Woche bis zu zwanzig ImmigrantInnen nach Ceuta. Der Großteil von ihnen sind Menschen aus Asien, die entweder in Autos versteckt oder mit gefälschten Papieren die Grenzübergänge überqueren. So eine Überquerung kostet circa 2-3000 €, für die meisten Schwarzafrikaner unerschwinglich. Eine neue Methode ist über das Meer in die Exklave hinein zu schwimmen." Mit Neoprenanzug und im Schlepptau eines guten Schwimmers gelangen die ImmigrantInnen in die Stadt. Zum Zeitpunkt unseres Besuches haben es drei Leute in der Nacht geschafft.

Mittlerweile haben insbesondere afrikanische MigrantInnen ihre Reiserouten geändert und stechen vom Senegal aus im "Cayuco", wie die ausgedienten Fischerboote genannt werden, mit Ziel auf die kanarischen Inseln in See.

Aufs Festland

In Ceuta leben zur Zeit unseres Besuchs etwa 700 ImmigrantInnen, die Mehrzahl von ihnen aus Indien und Pakistan. Wer es über den Zaun oder übers Wasser geschafft hat hineinzukommen und einen Asylantrag zu stellen, wird zunächst im CETI (Centro de Estancia Temporal de Immigrantes) untergebracht. Die meisten AntragstellerInnen werden von dort nach mehreren Monaten aufs spanische Festland gebracht, mit der üblichen Aufforderung, Spanien binnen einiger Wochen wieder zu verlassen. Allerdings hat es immer wieder Fälle gegeben, berichtet uns Paula Domingo, wo eine Antragsstellung verhindert wurde, indem die über den Zaun Kommenden direkt wieder durch eine Tür im Zaun von der Guardia Civil nach Marokko zurückgeführt wurden.

Zum Abschluss unseres Gesprächs appelliert Paula Domingo an die Verantwortung der europäischen BürgerInnen. Die Karmeliterinnen haben zwei Monate auf einer Fahrt die Routen der ImmigrantInnen zurückverfolgt und zahllose Gespräche mit Leuten auf der Flucht geführt. "Die Leute wollen nicht gehen, sie wollen Schulbildung, ein gutes Leben, endlich Perspektiven für ihr Leben und das ihrer Familien." Europa soll Afrika sich entwickeln lassen. Dafür braucht es mehr Zusammenarbeit und Vernetzung von solidarischen Organisationen. Enquentro sin fronteras ( ELIN ), eine von Paula mitbegründete Vereinigung marokkanischer und spanischer Menschen sieht hierin ihr wesentliches Ziel.

Resümee

9 Tage sind eine kurze Zeit und doch genug um einen kleinen Eindruck zu gewinnen. Im wesentlichen war die Reise für mehr Informationen sehr aufschlussreich. Die zahlreichen Gespräche und Treffen ergaben genügend Anknüpfungspunkte und Einsichten in das sich verändernde Migrationsgeschehen, aber auch einen Einblick, wie sich die einzelnen Akteure jeweils darin bewegen.

Für eine perspektivische Vernetzung konnte diese Form der Begegnung jedoch nur ein kleiner Schritt sein. Dafür waren die von uns besuchten Gruppen und Organisationen oft zu weit vom eigenen Handlungsrahmen entfernt, war die Zusammensetzung unserer Gruppe bezogen auf die besuchten Organisationen zu heterogen. So blieben wir manchmal in den Treffen auf einer repräsentativen Ebene stecken, ein Austausch fand manchmal nur bedingt statt. Unsere Reise war entsprechend begleitet von der Auseinandersetzung um die Gratwanderung zwischen "Bildungsreise" und dem Anliegen und Möglichkeiten einer perspektivischen Vernetzung.

Sehr eindringlich war der Blick von Afrika nach Europa. Angesichts von lediglich 14 km Distanz erschien uns die Abschottung Europas umso absurder. Die grosse Warteschleife Tanger für viele TransitmigrantInnen, die sich nach ihren bereits Jahre währenden Routen so nah am Ziel wähnen und doch gleichzeitig so fern von einem besseren Leben sind. Wir gewannen einen Eindruck von der Gleichzeitigkeit verschiedener Perspektiven auf den gleichen Ort: die MarokkanerInnen in Tanger fühlen sich nicht als AfrikanerInnen, die Menschen aus Schwarzafrika glauben in Tanger schon fast in Europa angekommen zu sein - und alle sind aber weit von Europa entfernt.

Das Wissen um die prekären, oft miserablen Lebens- und Arbeitsbedingungen für MigrantInnen und Flüchtlinge in Europa verbreitet sich zunehmend in afrikanischen Ländern. Und auch das Wissen um die Schwierigkeiten und Gefahren der Migration angesichts des verstärkten Migrationsregimes. Doch weiterhin werden sich viele wegen der Perspektivlosigkeit in ihren Ländern auf den Weg machen .

In den Gesprächen erfuhren wir von dem flexiblen Umgang mit den sich verändernden Grenzsituationen. Auf die jeweilige Aufrüstung und Verstärkung der Grenzen wird mit anderen Wegen und Strategien reagiert. Der Traum von Europa, der Wunsch nach einem besseren Leben durchläuft, durchkreuzt und attackiert dieses Migrationsregime. Neue Fluchtrouten werden gefunden, neue Wege der Aneignungen finden statt - auch um den Preis des eigenen Lebens.

Diese Perspektive von einer Autonomie der Migration kollidierte auf der anderen Seite mit Erfahrungen, wie wir sie z.B. mit Jeffrey gemacht haben, der in seinem Traum vom BigBoy-Life in Europa in Handlungsunfähigkeit erstarrt ist. Zum Teil waren wir erstaunt von der Idealisierung des goldenen Europas und der gleichzeitigen Planlosigkeit, wie dort hinkommen und was dort machen.

Auf unserer Fahrt durch die Plastikfelder Andalusiens und in den Gesprächen mit der SOC und Acoge konnten wir unser Wissen des Migrationsgeschehens in Spanien vertiefen.

Interessant war für uns auch, wie sich die jeweiligen Akteure im Komplex Legalisierung bewegen. Hinsichtlich der jüngsten Regularisierung beeindruckte uns bei den lokalen Akteuren, wie Acoge oder die SOC der unterstützende Pragmatismus und die politische Positionierung zugleich. Im Rahmen einer europaweiten Kampagne für Legalisierung können deren Erfahrungen zu einer sich hierzu vernetzenden Auseinandersetzung beitragen.

Auf dem Europäischen Sozialforum 2006 in Athen wurde ein dritter Transationaler Aktionstag gegen Migrationskontrolle und für eine Europaweite Legalisierung von MigrantInnen und Flüchtlingen beschlossen. Dieser fand am 7. Oktober in zahlreichen europäischen Städten statt, ein Jahr nach den eskalierten Ereignisse in Ceuta und Melilla. Aber auch in Mauretanien, Marokko, Tunesien und Benin gab es Aktivitäten gegen die europäische Migrationspolitik der Aufrüstung und Externalisierung der Grenzen um Europa nach Osten und in den Süden. Bereits im Januar 2006 hatten afrikanische und europäische Organisationen im Rahmen des Weltsozialforums einen gemeinsamen migrationsbezogenen Aufruf veröffentlicht. Ein weiteres Treffen von migrantischen und antirassistischen Organisationen fand im Juni in Rabat statt, als Gegenkonferenz zum Afrikanisch-Europäischen Gipfel der Staaten.

Diese Begegnungen haben alle eines zum Ziel: wenn der europäischen Export von Migrationskontrolle auf den afrikanischen Kontinent gestört oder gar gestoppt werden soll, wenn alle Menschen ein Recht auf Bewegungsfreiheit haben, wenn "kein mensch illegal ist" und wenn die zahllosen Illegalisierten in Europa das Recht auf Rechte haben, braucht es eine wachsende Vernetzung auf transnationaler Ebene. Und auch Reisen an die Grenzen Europas.


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