letzte Änderung am 16. März 2004

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Das Dilemma 'sozialistischer' Gewerkschaftsarbeit

Ein Kommentar zum Interview „Fließendes Wasser“ im letzten Express von Hubert Herfurth*

So begrüßenswert der Schwerpunkt „Türkei“ im letzten Express war, so wenig gelang aber der Blick hinter die Kulissen. Die Klarheit in der Arbeiterbewegungsgemeinde kann so m. E. nicht erhöht werden. Fast 15 Jahre nach dem unrühmlich, endgültigen Ende der Oktoberrevolution offenbart der Ausdruck „fließendes Wasser“ im Guten eine Aufgabe, wie er im Schlechten der Selbsttäuschung dient: denn noch liegen wir auf Eis, eingefroren und unbeweglich im Denken wie im Tun – lebendiges Wasser macht einen anderen Eindruck. Wie also könnte die Aufgabe aussehen?

1.

Wie inzwischen ja auch in der landesinternen Szeneberichterstattung üblich, gibt es nur noch GewerkschafterInnen, eine Differenzierung in die zugrunde liegenden (partei)politischen Richtungen entfällt, obwohl es diese ja noch immer gibt und obwohl die unter der Hand fortbestehende politische Differenzierung auch das Handeln der entsprechenden Menschen immer noch bestimmt. So existieren die drei Gewerkschafter im Interview auch nur als solche, eben als Gewerkschafter an sich- obwohl sich ja gerade die politische Szene in der Türkei über ganz anderweitige Festlegungen definiert. Einzig die 'falschen' GewerkschafterInnen finden Erwähnung, also die, die auf der anderen Seite stehen und die, die in eine irgendwie islamische Richtung gehen. Alle anderen Differenzen und Schwierigkeiten legen sich wie Nebel über das Gespräch und auch die Fragen vermeiden jede Luftbewegung, die den Nebel womöglich lichten könnte. Die im Vorspann schon fast beschworene organisatorische „Heterogenität“ kann im Interview jedenfalls nicht wiedergefunden werden und so bleiben auch die Probleme der Vereinheitlichung unklar.

2.

Aber immerhin: der Putsch ist gar kein ein so großes Problem wie gedacht, eher wird die Privatisierung als Behinderung der gewerkschaftlichen Aktivitäten wahrgenommen (die Ursache der Halbierung des Organisationsgrades von ca. 2,5 auf 1,2 Mill in den letzten Jahren wird hier gesehen) und daneben stehen dann schon die hausgemachten, die gewerkschaftsinternen Probleme, über die aber leider niemand so richtig reden will. Und so fällt die Zuordnung der Schwächen der Bewegung sehr schwer: welches Gewicht haben die subjektiven Gründe nun? Aber zumindest wissen wir jetzt von ihrer Existenz: die Bedeutung der Basis ist nicht groß genug (Mehmet S. 3), die gewerkschaftlichen Aktivitäten haben mit der politischen Massenbewegung gegen die Beteiligung am Irakkrieg bisher eher nichts zu tun (indirekt Resat S. 3) und im Prinzip gibt es eine Vertrauenskrise größeren Ausmaßes zwischen den Beschäftigten und 'ihren' Organisationen (Faruk S. 4).

3.

Ursachen? „Die bisherigen Gewerkschaftsführungen haben nicht wirklich die Menschen unterstützt, die den Kampf für soziale Rechte, für mehr Löhne und bessere Arbeitsbedingungen wollten oder geführt haben, sondern haben sich als Gewerkschaftsbürokraten verhalten“ (Faruk S. 4). „Diese Krise kann nur dann überwunden werden, wenn die Gewerkschaften nicht mehr ihre bisherige Arbeit, also vor allem Lohnverhandlungen als 'die' Gewerkschaftspolitik darstellen, sondern sich wieder als Klassenorganisationen begreifen. Das hieße die Durchsetzung der grundlegenden Interessen der arbeitenden Menschen in den Vordergrund zu stellen“ (Mehmet S.4). Zur eigenen Rolle als mehr oder weniger hauptamtlich Tätige in diesen Apparaten kein Wort.....

4.

So wenig wie die Ursachenanalyse hier über Allgemeinplätze hinaus kommt, so wenig sind die Lösungsansätze geeignet, eine wirkliche Veränderung auch nur anzudeuten. Der innere Zusammenhang zu den Ausgangsproblemen ist gar nicht vorhanden: so hält etwa Resat die Bildungsarbeit für entscheidend, damit an der Basis „ein stärkeres Bewußtsein für die Notwendigkeit gewerkschaftlicher Organisierung entsteht“. Eine andere Lösung scheint die vereinheitlichte Gewerkschaftsorganisation zu sein, also die Aufhebung der Trennung in verschiedene Organisationen. Wenn aber im Zentrum der Analyse steht, daß in den vorhandenen Organisationen einiges falsch läuft, so ist weder das eine noch das andere als Lösung einsichtig. Weder würden die Grundfehler der einzelnen Organisation mit einer sinkenden Organisationszahl beseitigt noch erscheint der Gedanke logisch, daß das fehlende Bewußtsein der Basis von dem Beitritt in die fehlerhaften Organisationen abhält. Da hat Faruk recht, wenn er das Desinteresse der Basis und die falsche Politik der Organisationen als Einheit betrachtet. Schade nur, daß seine eigene Frage weder für ihn selbst noch für die FragestellerInnen so wichtig ist, daß sie eine Antwort erzwingt.

5.

Denn in der Tat stellt sich die Frage nach dem Sinn und den Bedingungen von Gewerkschaft heute international und ganz grundsätzlich, denn es spricht vieles dafür, daß die Lebenspraxis der großen Bevölkerungsmehrheiten sich in vielen, auch ganz unterschiedlichen Ländern gerade am Punkt ihrer (gewerkschafts)politischen Vertretung gar nicht groß unterscheidet. Zumindest unterscheiden sich die erwähnten Allgemeinplätze nicht allzu groß vom Pendant bundesdeutscher Diskussionen, was ja auch durch die Art der Interviewführung bestätigt wird. Davon kann auch der am Ende obligatorische Lösungsausblick – internationale Zusammenarbeit stärken - nicht ablenken, das zeigt nichts so deutlich wie das Interview selbst: alle angesprochenen Probleme bleiben unangekratzt, eine wirkliche Erklärung wird nirgends versucht und heikle Fragen bleiben gleich ausgeklammert (z. B. EG Beitritt des Agrarlandes Türkei). Allein die Perspektive der angestrebten organisatorischen Vereinheitlichung steht im Mittelpunkt, ohne daß allerdings nachvollzogen werden kann warum.

6.

Dies wird m. E. auch so lange so bleiben, wie der selbstkritische Blick auf die eigene Verschränkung mit diesem Zustand ausbleibt: denn ist es nicht wahrscheinlich, daß `wir’ so lange umsonst mit irgendwelchen objektiven Notwendigkeiten die Massen zu einer Veränderung ihres Verhaltens agitieren, wie wir nicht erkennen wollen, daß unser eigenes Verhalten das Dilemma selbst bedingt? Mal als These: das was wir wollen, will die große Mehrheit nicht und das was die Mehrheit u. U. will, wollen wir nicht. Aus meiner Sicht spricht vieles für diese Sicht und nachdem wir so viele Jahre damit verbracht haben, gegen das Unmögliche anzurennen - könnte es da nicht Sinn machen, sich das Problem einmal aus dieser nicht ganz bequemen Perspektive anzuschauen? Als Frage: in welchem Zustand muß eine sich sozialistisch nennende Bewegung eigentlich sein, wenn es eine Vielzahl von Frauen in der Türkei heute offensichtlich vorzieht, im Rahmen islamischer Strukturen in Bewegung zu geraten?

7.

In einem länger zurückliegenden Artikel (Linke im Betriebsrat, Express 2/2001) brachte Wolfgang Schaumberg das Problem für die deutsche Szene unbewußt am Beispiel der Auseinandersetzung um die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes auf den Punkt: „Eine noch so anklagende (...) Kritik am gewerkschaftsoffiziellen Kurs gegenüber den Regierungsplänen kann sich nicht um die Frage drücken, warum diese Reform anscheinend die große Mehrheit der Beschäftigten wenig juckt. Überwiegt bei ihnen vielleicht (...) die resignative Wahrnehmung, mit dem novellierten Gesetz bekämen ihre betrieblichen Verwaltungsbeamten ohnehin nur ein paar neue Spielregeln? Unter den cleveren Wortführern – nicht nur in den verbliebenen Angestellten- und Fachbereichen – gibt es oft genug den Typus, der die Betriebsräte distanziert und bisweilen arrogant als letztlich doch machtlose "Mitbestimmungsfuzzis" oder als Selbstdarsteller in Co-Manager-Verkleidung belächelt und jede Diskussion über eine Reform des BetrVG als intellektuelle Selbstbefriedigung abwinkt. (...) Überall trifft man jedoch auch auf KollegInnen, Betriebsratsmitglieder und Vertrauensleute, die sich über die Machtlosigkeit der Betriebsräte einerseits, ihre Selbstüberschätzung sowie ihre so oft gelungene Umfunktionierung zum verlängerten Arm der Personalleitung andererseits ärgern. Diese KollegInnen wissen, wo ihre Macht liegt, fragen nach Alternativen und artikulieren immer wieder ihre Enttäuschung über ihre Gewerkschaft, deren Entwicklung und Politik sie als entscheidend (...) ansehen.“

8.

Die sich aus dieser Sichtweise, aus diesem „Wissen um die Macht“ sich entwickelnden Forderungslitaneien im Stile von „Gewerkschaft muß“, Gewerkschaft darf nicht“ sind bekannt und haben sich hinreichend totgelaufen. Die Meinung der Mehrheit im Betrieb juckte - ganz im Gegensatz zur Intention der Darstellung - nun wirklich keinen. Nicht mal Gegenstand einer vernünftigen Debatte wurde die Auffassung der „großen Mehrheit“! 'Wir' hatten doch recht und damit waren wir zufrieden und genau das ist das Problem, weil diese irrationale Rechthaberei uns von jedem Mehrheitsbezug ausschließt, da sie immer schon die Unterordnung der Massen unter die Vorgaben der revolutionären Kräfte - gleich welcher Couleur einschließt! Wolfgang war und ist ja kein Einzelfall auf den es hier einzudreschen gilt. Im Gegenteil: wir können ja froh sein, daß diese Analysen exisiteren, um aus ihnen zu lernen. Es ist ja unser aller Umgang mit der „großen Mehrheit“ gewesen: entweder es lief wie wir es wollten oder es lief nichts, denn dann wäre es eh falsch gewesen. Die einen lenken und die anderen werden gelenkt. Marx nannte das „Modeln“ und ging davon aus, daß die KommunistInnen so was gerade nicht machen würden. Leider hat er sich geirrt und so lange dieser Irrtum nicht korrigiert wird, ist an eine nachhaltige Änderung kaum zu denken. Eine internationale Zusammenarbeit, die sich nicht traut diese Probleme anzusprechen, wird die heimatlichen Fesseln kaum sprengen können.

Anmerkung: Der Beitrag bezieht sich auf: „Fließendes Wasser. Ein Gespräch mit türkischen Gewerkschaftern im Rahmen der Tie/express-Konferenz, erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/04.

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