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Updated: 18.12.2012 15:51
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Der Fisch stinkt vom Kopf her - zu Niels Kadritzke: Die Empörung der Griechen ist verständlich - und zu schlicht (taz: "Alle haben mitgefressen")

EU: "Der Fisch stinkt vom Kopf her" - Mehr Verständnis für den Aufstand der neoliberal "Angeleiteten"

Zunächst zu der "Anti-These" "Die Griechen sind selbst schuld" von Niels Kadritzke (TAZ vom Samstag, 25.6.11: http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/alle-haben-mitgefressen/ externer Link): Die Empörung der Griechen ist verständlich - aber auch zu schlicht. Das Erzübel dieses Staatssystems war auch den Griechen, die jetzt zu Empörten wurden, stets präzise bewusst: Das Land leistete sich einen aufgedunsenen und ineffektiven Staatsapparat, dessen Kosten die Steuereinnahmen - angesichts einer Klasse von Steuerhinterziehern - ständig und bei weitem überstiegen. Das ist der Grund, warum viele Griechen, die ihre Politiker heute als Lügner verfluchen, sich zugleich selbst belügen...

An der Argumentation von Niels stört mich, was auch als Arroganz aufgefasst werden könnte, vor allem diese Dimension der wiederum bloßen Nationalisierung der Probleme auf die Griechen selbst.

Es ist doch eine EU, die die Konsequenz einer gemeinsamen Währung - des Euro - mit ihrer bloß neoliberalen Ideologie nicht verstanden hat und somit mit einer bloßen marktradikalen Ideologie diesen gemeinsamen Währungsraum vor die Wand gefahren hat.

Ein typisches Beispiel für die Beteiligung der Finanzmärkte an der finanziellen Misere in Griechenland ist diese Verschleierung der Staatsschuld durch die Investmentbank Goldman Sachs, was bei der Nominierungsvorstellung des zukünftigen EZB-Präsidenten Draghi vor dem EU-Parlament noch einmal hochkam (http://www.nachdenkseiten.de/?p=9796#h03 externer Link). Dieses alleinige Dogma einer "Heiligkeit" der Märkte in der EU verstellt doch die Aussicht auf politische Lösungen. Noch einmal betont durch EU-Präsident Baroso zu den wieder nur neoliberal gestrickten Lösungsvorschlägen der EU zu Griechenland: "Es gibt keinen Plan B". Womit wieder diese "Alternativlosigkeit" zur Marktlösung unterstrichen wird.

Wenn sich in dem Raum einer gemeinsamen Währung eben die einzelnen Volkswirtschaften wie kommunizierende Röhren zueinander verhalten, bleibt diese Reduzierung auf eine bloß nationale Sicht der Dualität von Markt und Staat eben "beschränkt" - im wahrsten Sinne des Wortes.

Diese wechselseitige Sicht - und auch "Schuld" - von Defizit und Überschuss-Ländern (= Deutschland) geht auf diese Weise verloren - wenn wir uns unter dem "Dach" einer gemeinsamen Währung zusammengefunden haben, ist dieses Zusammenspiel jedoch notwendigerweise mit einzubeziehen.

Griechenland hat eben schon wahnsinnig gespart - wie der DGB noch festhält (http://www.nachdenkseiten.de/?p=9779#h04 externer Link) - und genau dieses Eindrehen in eine "Schraube" des ökonomischen Niedergangs nach unten zerstört auf Dauer den gemeinsamen ökonomischen "Zusammenhang" (http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_63_2011.pdf externer Link pdf-Datei).

Dies hat auch Gerd Grözinger in der TAZ schon besser deutlich gemacht - wobei er betont, dass die bisherigen Defizite der EU bezüglich eines vernünftigen gemeinsamen "Finanzregimes" für die einzelnen Staaten durchaus gestellt werden dürfen - bzw. müssen (http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/wie-europa-gerettet-werden-koennte/ externer Link). Es war doch gerade die EU, die in ihrer puren ideologischen Blindheit einen solchen Weg, der jetzt von Niels Kadritzke so heftig kritisiert wird, in ihrer "Staatsfeindschaft" mehr gefördert als konstruktiv verändert hat. Jetzt diesen neoliberalen Schwachsinn, der unsere Eliten seit 30 Jahren befallen hat - und weshalb Habermas die EU zu Recht als "Elite-Projekt" kritisiert (vgl. gerade auch noch einmal Stephan Schulmeister: http://www.fr-online.de/politik/meinung/doppelpass-mit-milliarden/-/1472602/8578272/-/index.html externer Link oder auch auf http://www.nachdenkseiten.de/?p=9845#h02 externer Link (= Ziff. 2 c) - allein dem "verführten" Volke ins Stammbuch zu schreiben, ist vielleicht tatsächlich ungerecht (auch vor allem die Ziff. 1b: http://www.nachdenkseiten.de/?p=9539#h01 externer Link).

Stephan Schulmeister verweist deshalb so angemessen auf diesen neuen Wahnsinn der Marktdynamik mit den Ratingagenturen und der Spekulation mit den CDS - just seit 2009, als für die Investmentbanken das verheerende "Spiel" mit den Immobilienkrediten sein Ende gefunden hatte (siehe oben "Doppelpass mit Milliarden"). Hier wird die Zinsbelastung für alle PIGS-Staaten nebst den weiteren Spekulations-"Kandidaten" durch die Finanzmärkte ins unerträgliche gesteigert (http://tvthek.orf.at/programs/1211-ZIB-2/episodes/2552637-ZIB-2 externer Link - dort die ersten drei Abschnitte der ZIB-Sendung des ORF).

Und Baroso hat die "Chuzpe", dies auch heute noch von Seiten der EU als "alternativlos" hinzustellen!

Die Verdienste von Niels Kadritzke, uns präzise die Probleme Griechenlands näher gebracht zu haben,dürfen nicht hoch genug eingeschätzt werden (siehe z.B. http://www.labournet.de/internationales/gr/generalstreik_bahl1.html sowie auch noch http://www.nachdenkseiten.de/?p=9602 externer Link), aber vielleicht sollte jetzt nicht der Blick allein verengt auf diese nationale griechische Misere so heftig vertieft werden - wie es "spiegelbildlich" aus einer nationalen Sicht von Deutschland aus betrieben wird (http://www.nachdenkseiten.de/?p=9650 externer Link), sondern dies gerade perspektivisch auf einen gemeinsamen europäischen Horizont doch noch erweitert werden.

Auf diese Art geht sonst der Blick auf das immer doktrinärere Wirtschaftsregime in Europa verloren (http://www.labournet.de/diskussion/eu/wipo/bahl_wr.html), womit sich diese Schraube einer sozialen Verelendung in Europa (!), einer der reichsten Regionen der Welt - mit einem Ausgangspunkt in Deutschland - sich immer weiter eindreht - als "Schock ohne Therapie" (http://www.nachdenkseiten.de/?p=9274 externer Link) und wir aus Deutschland - analog zu Keynes nach dem ersten Weltkrieg - dieses Mal wieder "spiegelverkehrt" rufen können "Vae victis", weil wir dieses Mal als "Nation" ökonomisch auf der "Siegerseite" stehen, und die Vorteile dieser Position - jedenfalls momentan - ebenso arrogant auskosten - damit aber immer weiter jede Gemeinsamkeit in Europa sprengen, was auf längere Sicht gesehen auch die deutsche Wirtschaft schädigen wird (http://www.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl5.html). Ein Weg, den Europa schon einmal gegen jede Vernunft beschritten hatte...

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 28.6.2011


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