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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Occupy the movement! Diskussionsbeitrag zu den aktuellen Perspektiven von "Occupy"-, "Indignados"- und Besetzungs-Bewegung Ausführliche u. überarbeitete Fassung eines Debattenbeitrags, welcher am heutigen Donnerstag in gekürzter Form im Rahmen einer kleinen Serie in der Berliner Wochenzeitung ,Jungle World' erschien: http://jungle-world.com/artikel/2011/46/44344.html Alle reden vom Finanzkapital, aber kaum jemand scheint eine Ahnung zu haben, wobei es darum wirklich geht. In den Augen von Manchen, unter anderem auch manchen Aktivist/inn/en in den diffusen sozialen Bewegungen der letzten Wochen - Stichworte "Occupy", "Empörte" und Platzbesetzungen -, steht das Wort für das ultimative Böse. Unter anderem deswegen, weil sie oft keinen Begriff von Kapitalismus an und für sich haben. Aber woher sollte das kritische Bewusstsein auch kommen, wenn der Marxismus lange Zeit verdrängt worden war und soziale Kämpfe weitgehend ausblieben, wie in Deutschland und den USA? Andere wiederum meinen, den Begriff überhaupt nur in den Mund zu nehmen, zeuge schon von antisemitischen Halluzinationen, und einer Unterscheidung zwischen "schaffendem" und "raffendem Kapital". Ein begriffliches Gegensatzpaar, das der NSDAP-Ideologe Gottfried Feder dereinst schuf. Beide Ansätze sind unsinnig. Natürlich ist es Unfug, einen Sektor des weltweit dominierenden ökonomischen Systems herauszugreifen und zum Grundübel zu erklären, ohne auch nur ansatzweise fundierte Kritik am Kapitalverhältnis als solchem zu üben. Ebenso ist es bodenloser Unsinn, bei Auftauchen des Begriffs sofort hysterisch "Antisemitismus" zu kreischen und den braunen Mob am Werk zu sehen. Ein Vorwurf, der im Übrigen bei manchen Autoren bereits derart zum Allround-Konzept und Welterklärungsersatz geworden ist, dass man bei einem Text - kennt man den Verfasser und das Thema - die Pointe immer schon im Voraus kennt. Natürlich war es von vornherein klar, dass Manfred Dahlmann in der letzten Ausgabe der Jungle World, vgl. http://jungle-world.com/artikel/2011/45/44303.html , hinter den aktuellen Bestrebungen zur (wie auch immer ausfallen und zu bewertenden) Kritik am "Finanzkapital" sicherlich Antisemitismus sehen musste. Insofern stört daran eigentlich nur noch, dass die Pointe in seinem Artikel so spät fällt, und man bis kurz vor dessen Schluss ausharren muss. Auch wenn der Rest seiner Argumentation eher schmückendes Beiwerk für diese Krönung darstellt. Auch André Anchuelo insinuiert ferner in einem früheren Jungle -Artikel einen solchen scheinbar zwingenden Zusammenhang zwischen (meinetwegen falscher) Finanzkapitalkritik und Antisemitismus, wobei er mit einiger Suggestionskunst arbeitet: " Auch Lafontaine lobte nun das ,Gemeinschaftseigentum', das die ,Antwort auf viele Fragen unserer Zeit' sei. Allerdings stellt die Linkspartei diese Fragen meist nur im Bezug auf die Banken und Börsen und bedient damit häufig ein dichotomes Denkschema, in dem der ,gute Produktionssektor' dem ,bösen Finanzkapital' gegenübersteht. Da überrascht es denn auch kaum, dass Lafontaine offenbar immer noch nicht begriffen hat, was seiner Partei in der Antisemitismusdebatte des vergangenen Sommers eigentlich vorgeworfen wurde. (.) " - Vgl. http://jungle-world.com/artikel/2011/43/44215.html Auch Karl Marx, dem man nur mit viel Fantasie mangelnde Ahnung vom Kapitalverhältnis und/oder antisemitische Ideologie wird unterstellen können, benutzte den Begriff vom Finanzkapital und beschrieb dessen spezifische Funktionsmechanismen ausführlich. Denn dieses spielte schon immer eine spezifische Rolle: Jede wirtschaftliche Aktivität benötigt bisweilen einen Vorschuss an Finanzen, da sie ihre "geldwerten" Erträge erst im Nachhinein einbringt. (Auch in einer komplexen nicht-kapitalistischen Ökonomie wird es in Zukunft eine solche Kredit-, also Vorschussfunktion wohl in irgendeiner Weise brauchen.) Ein Kommandohebel Jene Kapitalfraktionen, die heute darüber entscheiden, wer die nötigen Vorschüsse erhält - sei es nach betriebswirtschaftlichen, sei es nach politischen und strategischen Kriterien - besetzen also einen wichtigen Kommandohebel. Nur haben die Funktionen des Banken-, Versicherungs- und allgemein des Finanzkapitals zu Marxens Zeit mit jenen im frühen 21. Jahrhunderts kaum noch etwas gemeinsam. Zu den Besonderheiten der Entwicklung des globalen Kapitalismus der letzten Periode, und seiner seit 2007 zu Tage tretenden Krisenerscheinungen, ist die explosionsartige Ausweitung und nachfolgende krisenhafte Kontraktion des Kreditsektors. Dessen Bedeutungsgewinn war zunächst eine direkte Konsequenz des zunehmenden Hinterherhinkens der Löhne in den reichsten Staaten hinter den Konsumanreizen. Üblicherweise herrscht in einer kapitalistischen Ökonomie ein Widerspruch zwischen der Funktion des Lohns als "Kosten"variable für das Kapitel einerseits, und als Voraussetzung für den Konsum - und damit Quelle späterer Einkünfte der Kapitalinhaber - auf der anderen Seite. Die Spannung zwischen beiden, zwischen der Tendenz zur Absenkung der Lohnkosten und der Notwendigkeit ihres Anwachsens zum Unterhalt des Systems, war eine stete Quelle von Krisenphänomen. Doch die Umbrüche von 1989 und der Zusammenbruch staatssozialistischer Ökonomie im früheren sowjetischen Block, sowie die "Öffnung" der ehemals staatssozialistischen Ordnung in China, führten zur Herstellung eines in der Form bis dahin nie dagewesenen Weltmarkts. Auf diesem weitgehend vereinheitlichten und "offenen" Weltmarkt glaubten viele Unternehmen, dem oben geschilderten Widerspruch entgehen zu können. Indem lohnabhängige Produzenten einerseits, Konsumenten andererseits nicht mehr in denselben Ländern gesucht werden, glaubte man, den Grundwiderspruch aufgelöst zu haben. Es schien egal zu sein, wenn die Löhne und Einkommen in einem Land - über das für Konsum notwendige Mindestmaß hinab - sinken, denn Konsumenten findet man woanders. Allerdings wischte diese Flucht nach vorne auf die Dauer die Krisenphänomene nicht weg, sondern reproduzierte sie im Weltmaßstab - und potenzierte dadurch ihre eventuelle Wirkung. Bis es soweit kommt - und bislang kam es noch nicht zu einer wirklich destabilisierenden, globalen Krise in ihrer ganzen möglichen Tiefe -, überbrückte der Kreditsektor die zu Tage tretenden Probleme. In den bislang reichsten Ländern, also den früheren westlichen Industrieländern, die sich zum Teil desindustrialisierten, bestehen nach vor die stärksten Konsumpotenziale. Doch es ist gleichzeitig nun einmal so, dass viele Industrieproduktionen abwanderten (nicht nur aufgrund der "Billiglöhne" in bestimmten Ländern, sondern auch, um die Produktionsstandorte an die "expandierenden Märkte" anzunähern: Stahl wird in Europa in abnehmendem Ausmaß benötigt, weil dort die bauliche Infrastruktur weitgehend "steht", während er in Asien zunehmend verbraucht wird). Und dass sich ein noch vor 30 Jahren in den ehemaligen "Metropolen" unbekanntes Massenelend und ein extremer Niedriglohnsektor dort breitmachen konnten. Deswegen - unter anderem deswegen - konnten diese Konsumpotenziale im Prinzip nicht ausgeschöpft werden. Also überbrückte man die hinterherhinkende Nachfrage durch Kredit. So lange, bis es ab 2007 krachte, weil sich herausstellte, dass nicht alle der jahrelang "hinterhergeworfenen" Kredite zurückgezahlt werden können. Von der "Finanzkrise" zur Krise der Staatsfinanzen Das explosionsartige Wachstum der Kreditfunktion hatte aber inzwischen auch die bürgerlichen Staaten selbst erreicht. Denn auch diese hatte sich im Kreditparadies bedient, unter anderem, um damit die ebenfalls in ungekannte Ausmaße gewachsenen Steuernachlässe und -geschenke für Kapitalinhaber und Vermögensbesitzer zu finanzieren und um ausbleibende Steuereinkünfte aus dem Produktionssektor zu ersetzen. In den letzten 30 Jahren explodierten also die Staatsverschuldungen. Nachdem der Kreditsektor jedoch ab 2007 selbst in die Krise taumelte, sahen die Staaten genötigt, ihn zu "retten". Just daran entzündete sich der Protest, da diese Milliarden teure "Rettung" von bedeutenden Teilen der Gesellschaft als illegitim erlebt wurde. Nicht unbedingt durch bewusstes Erkennen der Zusammenhänge, wohl aber aufgrund des Eindrucks, da werde viel Geld hineingeblasen, das für gesellschaftlich sinnvollere Zwecke vorgeblich "fehlen" werde. Hinzu kam die Wahrnehmung, dass jene, die leitende Funktionen in diesem "geretteten" Sektor besetzen, im Vergleich zu anderen arbeitenden Menschen astronomisch gut bezahlt werden. Dies löste ein, zunächst diffuses, Unwohlsein aus. Diese "Rettung", die ein Absaufen des Systems vermeiden sollte, hätte prinzipiell auf unterschiedliche Weise erfolgen können. Man hätte den Sektor etwa auch seiner bisherigen privaten Kontrolle entziehen und aus Gründen des Systemerhalts unter Aufsicht der bürgerlichen Staaten, also der ideellen Gesamtkapitalisten, nehmen können. Dies erfolgte aber nicht, sondern es wurde eine gegenläufige strategische Entscheidung getroffen. Denkwürdig ist etwa die Vorgehensweise der französischen und der britischen Regierung: Diese rekapitalisierten auf dem Höhepunkt der ersten Finanzkrise 2008 zwar "ihre" Banken, schossen ihnen also neues Eigenkapitel zu. Dabei verzichteten sie aber explizit darauf, mit dem steigenden staatlichen Anteil am Eigenkapital der Banken auch den Stimmenanteil der öffentlichen Hand zu erhöhen, und damit ihren Stimmenanteil. Vielmehr schufen sie einen ganz neuen Beteiligungstyp, durch den zwar der Kapitalanteil der öffentlichen Hand steigt, aber ohne Stimmrecht. Vor diesem Hintergrund wurde die zweite Phase der aktuellen Krise gezündet: jene der Staatsfinanzen. Nachdem die Staaten ihre Verschuldung auf rasante Weise gesteigert hatten, um die Banken zu "retten", werden sie nun durch Organe des Finanzkapitals selbst an die Gurgel genommen. Denn man erklärt ihnen, dass man ihnen nur bedingt zutraue, auch zurückzuzahlen. Die großen Kreditrating-Agenturen wie Moody's, Standards & Poor's und Fitch Ratchings - welche selbst Ausschüsse der Finanzbranche sind - erlauben sich nunmehr, die bürgerlichen Staaten selbst unter Aufsicht zu nehmen. Die Drohung, ihre Note als Abbild ihrer "Kreditwürdigkeit" zu verschlechtern und dadurch ihre Kredite schlagartig zu verteuern, wirkt wie eine Peitsche auf die bürgerlichen Politiker. Aktuell ersetzt in der innenpolitischen Debatte vieler Staaten die Drohung mit diesem Folterinstrument nunmehr das politische Argument. Der sozialdemokratische Präsidentschaftskandidat François Hollande will in Frankreich jene Teile des staatlichen Schulwesens, die durch die aktuelle Regierung zerstört wurden, durch Wiedereinrichtung verschwundener Lehrerposten reparieren? Die Regierung antwortet darauf mit einer Angstkampagne: "Mit den Sozialisten wird Frankreine seine Bestnote (AAA) sofort verlieren!" Gleichzeitig erklärt Moody's, Frankreichs "triple A"- Note für drei Monate "unter Beobachtung zu stellen". Diese Aufsicht genügt, um Präsidentschaftskandidat Hollande seine Ankündigung des Geldausgebens - für einen gesellschaftlich relativ sinnvollen Zweck - umgehend zu dementieren: OK, man werde zwar vielleicht 60.000 Lehrerposten von 80.000 verschwundenen wieder schaffen; aber nur, um anderswo 60.000 Stellen abzubauen. Unklar bleibt nur, ob unter Krankenschwestern, in Psychiatrien, bei der Post oder in anderen öffentlichen Einrichtungen. (Dass unterdessen die konkurrierende Agentur Standard & Poor's Frankreichs Note vergangene Woche einfach mal "aus Versehen" herunterkorrigierte, ließ unterdessen auch bürgerlichen Politikern das Herz in die Hose rutschen.) Radikale (Teil-)Schnitte, auch unterhalb der Revolutionsschwelle durchführbar Der Kapitalismus hat sein neues Politbüro gefunden. Um es am Werk zu sehen, muss man nicht nach China fahren, ins Freilichtmuseum des Industriekapitalismus mit stalinistischem Überbau. Es genügt ein Blick in Richtung Westen. Nicht gewählte und auf keinerlei Weise demokratisch legitimierte Instanzen haben bürgerliche Staaten - mit parlamentarischer Demokratie und kapitalistisch strukturierter Ökonomie - in einer bisher nicht dagewesenen Weise unter die Fittiche genommen. Der Mechanismus stellt einen qualitativen Sprung gegenüber bisherigen Formen der Kontrolle durch die herrschende Klasse, welche sich durch ihre private Verfügung über ökonomische Kontrollhebel auszeichnet, dar. Eine Kritik am Wirken des Finanzkapitals ist also notwendig und legitim, darf aber natürlich nicht vom generellen Kapitalverhältnis - dessen innere Widersprüche diesem Sektor erst zu seiner Bedeutung verhalfen - abstrahieren. Diese Gefahr mag in Deutschland durch die räumliche Konzentration des Bankenkapitals, etwa im Raum Frankfurt, bei dort sich kristallisierenden Protesten gegeben sein. In Frankreich nahm der, bislang im Rahmen der aktuellen "Occupy"-Bewegung nur zaghafte, Protest nicht diese Richtung. Es hängt - neben der Existenz stärkerer Strukturen einer erfahrenen sozialen und politischen Opposition - auch mit den objektiven Gegebenheiten zusammen Am 4., 5. und 6. November versuchten die "Occupy"-Aktivisten etwa, das Pariser Geschäftsviertel La Défense zu besetzen, wo sie mit erheblicher Polizeigewalt konfrontiert wurden und mindestens einen Schwerverletzten verzeichneten. Seitdem kamen sie an jedem Abend wieder, bevor sie zu Anfang dieser Woche (am 15./16. November) zeitgleich mit den Platzbesetzer/innen in New York, Zürich und London gewaltsam geräumt wurden. Dass sie vor Ort nur mit der Banken konfrontiert gewesen wären, lässt sich schlecht behaupten, denn die Aufnahmen zeigen deutlich, wie die Aktivisten vor den Hochhaustürmen führender Erdöl-, Rohstoff-, Atom und anderer Konzerne (TOTAL, AREVA.) ausharrten und attackiert wurden. Letztere haben ihre Hauptsitze nun einmal am selben Ort wie die französischen Großbanken. Finanzkapital und allgemeines Kapitalverhältnis hängen natürlich miteinander zusammen. Dennoch ist es denkbar, Schnitte anzusetzen, die sinnvoll wären, ohne sofort das grundsätzlich richtige Maximalziel einer revolutionären Abschaffung des Kapitalismus zu verwirklichen. Etwa die Schaffung eines unter öffentlicher Kontrolle stehenden Kreditsektors mit alleiniger Verfügungsgewalt über die Kreditfunktion, gegebenenfalls nach kontrolliertem Pleitegehen-Lassen der bestehenden Banken, um den Schraubstock wieder zu öffnen. Voraus müsste ein Schuldenschnitt gehen, also eine explizit politische Entscheidung zur Rückzahlung der - als grundsätzlich illegitim zu betrachtenden - "Schulden". Oder jedenfalls ein politischer Entschluss, unter den Schulden eine Bestandsaufnahme durchzuführen, welche dieselben in "legitime" und "illegitime" sortiert - um danach zu entscheiden: Schulden, die aufgenommen wurden, um Schulen zu errichten oder Umweltprojekte durchzuführen, können als legitim betrachtet werden; solche, die zur "Rettung" des Bankensektors aufgenommen wurden, werden nicht zurückbezahlt. (Ginge es nach uns, dürften sicherlich einige Herren beispielsweise von der ,Deutschen Bank' nebenbei für die nächsten 150 Jährchen einem Bernard Madoff hinter Gittern Gesellschaft leisten. Aber das nur als Nebenaspekt.) Denn bis dahin droht fast jegliche soziale Forderung mit dem Verweis auf Ratingagenturen und Staatsschulden abgeblockt zu werden. Wollte man zynisch sein, könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dies sei wunderbar, weil es reformistische Illusionen zerstöre und die Revolution beschleunige - nur hat dies noch nie funktioniert. Historisch mussten Linke, die sich von einer drastischen und allgemeinen sozialen Verschlimmerung politisch bessere Perspektiven hofften, konstatieren, dass die SA-Aufmärsche dann doch schneller organisiert waren als die soziale Revolution. Zwar ist auch eine staatliche Kontrolle noch keine Vergesellschaftung, und für einen emanzipatorischen Gesellschaftsentwurf - möge man ihn Selbstverwaltungssozialismus oder anders nennen - muss die Staatsautorität ebenso überwunden werden wie die Kapitalmacht. Unter gegebenen Umständen bleibt sie aber das geringere Übel, da eine Kontrolle der öffentlichen Hand wenigstens noch eine politische und gesamtgesellschaftliche Debatte über ihre Zielsetzungen zulässt; welche bei einer Verfügungsgewalt durch private Eigentümer sofort entfällt. Dass Markt- gegenüber Staatskontrolle das mit Abstand größere Übel sein kann, erweist sich, wenn man nur an das Szenario einer Vollprivatisierung von Schulen, Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen denkt. (Historisch mag dies dort anders gewesen sein, wo die staatliche Planung - an jeglichen gesellschaftlichen Bedürfnisse und jeder demokratischen Kontrolle vorbei - bereits zum absolut ausufernden Moloch geworden war wie in der UdSSR. Diese Konstellation gehört jedoch definitiv der Geschichte an.) Das Problem mit der Weigerung, Forderungen zu formulieren Aktuell mögen bedeutende Teile der Bewegungen, die das Unbehagen wachsender Bevölkerungsteile artikulieren, weder "revolutionäre" noch "reformistische" Forderungen erheben. Dies ist kritikwürdig, da natürlich das pure Ablassen von Unbehagen noch keinerlei Perspektiven eröffnet. Es ist aber nachvollziehbar, dass es sich bei dieser Weigerung, Forderungen zu konkretisieren, um eine historische Erbschaft früherer Epochen von Kämpfen handelt. Die russischen Kommunisten 1917, aber auch Leninisten unterschiedlicher - unter anderem maoistischer - Couleur um und nach 1968 setzten auf die vermeintlich einfache Übernehme der Staatsmacht, um selbige als Instrument des historischen Fortschritts einzusetzen. Doch dem steht heute eine Negativbilanz der staatssozialistischen Regimes entgegen, wofür welche auch heute ein greifbares "Modell" in der Welt (anders als scheinbar in den Jahren um 1968) fehlt. Andere Bewegungen setzten auf den "Marsch durch die Institutionen", Reformen innerhalb der bestehenden Systems und eine schrittweise Verwandlung des Kapitalismus von innen heraus. Auch solche Ansätze sind schmählich gescheitert, und die Regierungsbilanz der französischen Sozialisten unter François Mitterrand zuzüglich KP ab 1981 ist aus linker Sicht ebenso negativ wie jene von "Rot-Grün" in Deutschland. Nicht erst seit heute setzen deswegen spontan entstehende Bewegungen auf das Diffuse, Gefühlige, um sich weder auf denen einen noch den anderen Weg begeben zu müssen. Ein Teil der in den 1970er Jahren entstandenen sozialen Bewegungen driftete, im Namen von Rüstungs- und ökologischen Drohungen, ab den frühen Achtzigern in Endzeitstimmung und eine wenig revolutionäre "Hauptsache, Uberleben"-Haltung ab. Wolfgang Pohrt nannte dies damals in KONKRET "die Untergangsvision als Stahlbad", welche die Anpassung der früheren Systemkritiker an das Bestehende - wenn sie einmal ihr biologisches Überleben konstatiert hätten - vorbereite. In den 2000er Jahren kreierte der Autor John Holloway für die globalisierungskritische oder "altermondialistische" (für eine andere Welt eintretende) Bewegung das Konzept: "Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen." Dieses bewusste Ausweichen vor der Machtfrage ist, an längerfristigen historischen Perspektiven gemessen, ein Fehler: Wollen wir nun die Machtverhältnisse im bestehenden System brechen, oder nicht? Aber es taucht in den letzten Jahrzehnten immer wieder, als Resultat aus dem Scheitern von Stalinismus und Sozialdemokratie gleichermaßen, auf. Emanzipatorische Linke können und müssen gleicherma b en in bestehenden Bewegungen Spielräume austesten, und - wie Peter Jonas richtig fordert, vgl. http://jungle-world.com/artikel/2011/44/44238.html - sich daneben organisieren. Sie müssen nach Kräften versuchen, irrationale und rein gefühlsbetonte Ansätze zurückzudrängen. Rechte oder braune Verschwörungstheoretiker, die die neuen Bewegungsansätze natürlich ebenfalls als Spielfeld entdeckt haben, müssen wiederum kompromisslos bekämpft werden. In Paris, wo eine bislang eher schwache Bewegung ab Mai dieses Jahres die spanischen "Empörten" der Puerta del Sol nachzuahmen versuchte, tauchten etwa Anhänger des antisemitischen Ideologen Alain Soral vorübergehend auf. Doch sie bekamen nach kurzer Zeit von organisierten Linken auf die Mütze. Das schlechteste Rezept wäre dagegen, ihnen das Feld zu überlassen und ihnen faktisch zuzustimmen, wenn sie versuchen, sich als alleinige Alternative zum Bestehenden zu profilieren. Diskussionsbeitrag von Bernard Schmid vom 17.11.2011 |