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Updated: 18.12.2012 15:51
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Das Elend der deutschen Gewerkschaften - und die TAZ: Wenn aus der Wut Widerstand wächst / Die Gewerkschaften an den Pranger ?

Der Streik in Frankreich und Deutschland: "Der Franzose hat das Recht... und der Deutsche begeht eine "unerlaubte Handlung".... Das Elend der deutschen Gewerkschaften - und die TAZ: Wenn aus der Wut Widerstand wächst / Die Gewerkschaften an den Pranger ?

Wenn aus der Wut Widerstand wächst / Die deutschen Gewerkschaften an den Pranger? externer Link
Diesen Aufmacher bei der TAZ vom 25./26. April 2009 nehme ich jetzt einfach zum Anlass, dazu einige Bemerkungen zu machen, denn alles, was dazu so "schön" geschrieben und geredet wird, strotzt vor Unkenntnis - was darauf zurückzuführen ist, dass es "eine transnational vergleichende Analyse - und damit auch Perspektive - für die unterschiedlichen Bedingungen der Gewerkschaften" und ihrer Arbeiter- und Angestelltenschaft gerade auch im europäischen Rahmen einfach nicht gibt - und das ganze Problem auf eventuelle "kulturelle Unterschiede" zurückgeführt wird. So meint, die sonst sehr kluge Ulrike Hermann in einem Kommentar externer Link, die Deutschen verhandeln eben lieber....

Ich möchte ja nicht extrem unhöflich zu einer jungen Dame sein, das ist aber absoluter Quatsch - außer man nimmt mit Sanktionen bewährte Rechtsordnungen einfach so als "verinnerlicherten" kulturellen Bestandteil der Deutschen. Und das ist natürlich schwer veränderbar - nur wenn man den Zugang findet zu den jeweiligen Rechtsordnungen, so tut sich die Möglichkeit von alternativen Perspektiven doch eher auf - oder?

Christian Semler externer Link als Alt-68-er geht da schon weniger "rücksichtsvoll" mit den Arbeitnehmern um - speziell immer wieder im Vergleich zu Frankreich - und meint, sie sollten doch jetzt einfach anfangen, den zivilen Ungehorsam zu üben - angesichts der Tatsache, dass so offensichtlich der "Vertrag" für eine Existenzsicherung (für alle) von der Politik und der Wirtschaft aufgekündigt wurde.

Das setzt wiederum die Gewerkschaften unter einen enormen Erwartungsdruck - dem sie dann - unter dem Druck dieser "real existierenden" Rechtsordnung - nicht genügen können - und sie somit in Zukunft in den weiteren Auseinandersetzung in enorme Legitimationsschwierigkeiten bringen könnte. Das bringt die Gefahr mit sich, dass letztlich der Konflikt um die optimale Krisenpolitik in die Beschäftigten selbst hineinverlegt wird - bzw. zwischen die Beschäftigten und Arbeitslosen und die Gewerkschaften getragen wird. Wahrlich auch keine erbauliche Perspektive.

Über allem schwebt natürlich die für die Entwicklung einer sozialen Perspektive aus der Krise heraus wichtige Frage von sozialem Druck - als Gefahr von "sozialen Unruhen" von Michael Sommer (DGB) und Gesine Schwan (Kandidatin für die Bundespräsidentschaft) in die Debatte geworfen externer Link.

Und dann wird von der TAZ auch gleich die Frage aufgeworfen externer Link, ob die Gewerkschaften jetzt "hellwach oder im Tiefschlaf" sich befinden.

Und es bleibt dann nicht aus, dass von der Sozialistin Redler die Notwenigkeit von Generalstreiks - wohl wie derzeit in Frankreich - aufgeworfen wird.

Ja, warum können wir das nicht so wie die Franzosen?

Weil bei uns in der Nachkriegsentwicklung - vielleicht sollte man es als postfaschistisches "Residuum" betrachten - aus lauter Angst vor der Wut des Bürgers ein Streikrecht durch die Rechtssprechung entwickelt wurde, dem ich gerne den Namen "Nipperdeyschen Käfig" gebe. Jener Prof. Nipperdey der maßgeblich das deutsche Arbeitsrecht prägte (vgl. Michael Kittner,"Arbeitskampf", S.605 ff.) schuf diese rechtlich Konstrukt. So wurde nach deutschem Recht der Streik "tatbestandsmäßig" eine unerlaubte Handlung, der im Ausnahmefall "sozialadäquat", d.h. erlaubt sein kann. (Kittner , S. 606 )

Und dies ist nicht nur belangloses "Larifari", sondern kann im Zweifelsfalle für die Gewerkschaften - denen in Deutschland allein das Streikrecht zusteht - existenzbedrohend sein. Die IG Metall unter ihrem Vorsitzenden Otto Brenner musste dies dann in dem Streik um die Lohnfortzahlung in Schleswig Holstein "hautnah" erleben - mit der Folge von horrenden Schadensersatzforderungen (Vorsitzender Richter auch wieder Nipperdey)(vgl. Kittner , S. 633 f. - siehe dort auch den "Bayern-Streik" von 1954,S.616 f.).
Diese Konsequenz des Schadensersatzes bei nicht "rechtmäßigem" Streik hinterließ geradezu traumatische Wirkungen auf die IG Metall (Kittner, S. 635) - und damit insgesamt für die deutschen Gewerkschaften. Fortan stand die Frage, ob ein Streik zulässig ist, ganz oben an bei allen Auseinandersetzungen.

In Frankreich ist - bei anderen Rechtstraditionen - das Streikrecht ein Recht des Individuums - sozusagen wenn zwei oder drei zusammen sind... Es muss nur so massenhaft - von all den einzelnen Bürgern - wahrgenommen werden, dass es Wirkung zeigt. Die Gewerkschaften spielen in solch einem Zusammenspiel "naturgemäß" eine andere Rolle.

Schauen wir dazu einmal genauer hin: Beim "CPE-Streik" 2006 (es ging um ein Gesetz, das Jugendlichen einen besonderen ,schlechteren Kündigungsschutz gewähren wollte) streikten am ersten Demotag 700 000. Am zweiten Streiktag waren es schon über eine Million und am dritten strömen schon über 2 Millionen auf die Straße. Zwischendurch - wir sind ja im Fernsehzeitalter - hielt der Premierminister eine Rede vor 11 Mio. Zuschauern im Fernsehen - und "fütterte" so mit seinen Begründungen den Protest... Ergebnis war: Das Gesetz wurde zurückgezogen.

Man stelle sich jetzt einmal die sog. "Arbeitsmarktreformen" - unter dem Namen "Hartz" bekannt - in Deutschland mit solchen gewerkschaftlichen Einflussmöglichkeiten vor!
(Zur Einführung siehe "La Greve en France" von Jean-Paul Jues (Reihe "Que sais-je ?") und Stephane Sirot "La Greve en France" - Une histoire...)

Thematisch ist das Streikrecht dort in Frankreich begrenzt - aber sonst gegen alle Institutionen einsetzbar. Das Verbot eines politischen Streiks oder auch die bei uns so genannten "wilden Streiks" kann es deshalb schon "per definitionem" gar nicht geben.

Deutlich wird dies noch einmal an einem weiteren historischen Scheitelpunkt der sozialen Auseinandersetzungen - dem symbolischen Jahr 1968. Während jenseits von ein paar "wilden Streiks" die deutschen Beschäftigten daran nicht beteiligt waren (siehe dazu Bernd Gehrke/ Gerd-Rainer Horn (Hrsg.): "1968 und die Arbeiter" - Studien zum "proletarischen Mai" in Europa -
sowie Gerd-Rainer Horn: "Die Arbeiter und "1968" in West- und Südeuropa externer Link in der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschehen") kann für Frankreich eine so tiefgreifende soziale Erschütterung mit Streiks über Wochen, ja über Monate festgestellt werden, dass der Staatspräsident de Gaulle den nationalen Notstand ausrufen wollte. (Siehe dazu "68 - une Histoire collective (1962 - 1981)" von Philippe Artieres et Michelle Zancarini-Fournel (als Herausgeber.)

Vielleicht versucht man/frau sich einmal genauer auf die Spuren dieser Unterschiede zu machen, bevor man/frau mit diesem radikalen Gerede in dieser Krise - so als könnte man ganz einfach nur loslegen - nur "Schaden" anrichtet.

Aber bevor man dann einfach das franzöische Streikrecht nur fordert - wie der Verdi-Kollege aus Stuttgart am 28. März, um einmal die Wut loszuwerden, würde ich einfach noch empfehlen - bei aller Sympathie für die Franzosen - den Blick in Europa noch zu erweitern - und für die möglichen Alternativen auch das "Nordische Modell" noch einzubeziehen und auch bei der deutschen Situation wäre es doch sinnvoll, zu versuchen, die Ausgangslage genauer einzuordnen, um einen angemessenen Weg aus der Krise heraus - speziell auch für Deutschland - finden zu können .... und etwas Symbolik

P.S.: Ja, man kann auch einmal mit Blick auf die unterschiedlichen Traditionen zwischen Deutschland und Frankreich einen Rückgriff auf die Romantiker in der Malerei nehmen, die damals zu ihrer Zeit (1824 bzw. 1830) - im Gegensatz zu manchen "Vor"urteilen - auch politische Programm-Bilder malten. Wer also Spass an dieser Symbolik hat, der rufe sich doch erst einmal das Bild von Eugene Delacroix "Die Freiheit führt das Volk an" (oder : "...auf die Barrikaden") in Erinnerung - und stelle es dann in diesen totalen Kontrast zu dem deutschen Romantiker Caspar David Friedrich, der als Sympathisant des demokratischen Aufbruchs dann dieses Bild "Das Eismeer" malte, wo es nur so voll bitterer "Erstarrung" eiskalt "kracht". Nur muss dies auf ewig so bleiben?

Ein Zwischenruf von Volker Bahl


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