Home > Diskussion > Arbeit: Aktionen > 2006 > DGB > dgb_genschel
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Das geht nur ganz anders! Oder gar nicht!

Wie weiter mit den Sozialprotesten nach den Herbstaktivitäten?

Es ist mal wieder so weit: Nach den Großdemos Anfang April 2004 und den Protesten gegen die so genannte Bolkesteinrichtlinie im Februar 2006 rufen der DGB und in ihm zusammengeschlossene Einzelgewerkschaften am 21.10.06 auf, in fünf Städten dafür zu demonstrieren, "Deutschland sozial zu gestalten". Schon alleine dieses Ziel zeigt, dass der DGB seine zugewiesene Rolle als Sozialpartner der Herrschenden nicht aufzugeben bereit ist, obwohl sie ihm schon längst aufgekündigt wurde.

Die Mobilisierungsthemen wie u.a. Gesundheitsreform, Rente, Mindestlohn, Ausbildung und Verarmung der Arbeitslosen verraten eine traditionelle Gewerkschaftszentrierung und dass eine politische Zuspitzung nicht gewollt ist. Aber es wird noch besser: das Motto "Das geht besser. Aber nicht von allein" brüskiert schlichtweg Erwerbslose und die so genannten Sozialproteste. Hartz IV als ein zentrales Regierungsprojekt der "Radikalisierung von Unsicherheit" (vgl. ak 508) und des Abbaus sozialer Rechte kommt nur noch in der unverbindlichen Formulierung "Wir wollen, dass Arbeitslose nicht verarmen und zu Lohndumping gezwungen werden" vor. Als ob sie nicht schon verarmt wären.

Zwei Wochen vor den Demonstrationen setzt DGB-Chef Michael Sommer noch einen drauf. Quasi im Schulterschluss mit Stimmen der Großen Koalition fordert er, dass Zuverdienste von ALG-II-EmpfängerInnen gekappt werden müssten, da die bisherigen Regelungen zu einem nicht mehr kontrollierten Kombilohn geführt hätten. Der Ruf nach Erwerbsarbeitsplätzen mit Löhnen, die zur Existenz reichen (und notfalls aus Steuermitteln ergänzt werden müssen), statt Stütze plus die beschissenen Existenzbedingungen minimal verbessernden Zuverdienstmöglichkeiten, mutet da nicht nur defensiv an. Die aktuelle Forderung von Sommer spielt mal wieder die Interessen und Bedürfnisse von Erwerbslosen gegen die vermeintlichen Interessen und Bedürfnisse von Erwerbstätigen gegeneinander aus.

Mobilisierungsfaktor soziale Bewegungen

So weit, so schlecht. Wir bekommen bestätigt, was wir schon immer wussten: Gewerkschaften sind keine verlässlichen Bündnispartner im Kampf gegen die wachsenden Zumutungen der Prekarisierung und schon gar nicht sind sie politische Partner für den Kampf um ein "politisches Gemeinwesen", das an sozialer Gerechtigkeit und dem Recht auf Rechte, das Allen zusteht, orientiert ist. Dennoch läuft eben doch nicht alles wie bisher. Anlass genug, sich zu fragen, an welchem Punkt "wir" stehen und ob das, was uns der DGB in seiner geplanten Demonstration als Ziel verkauft, nicht ebenso Ausdruck der Schwäche "sozialer Bewegungen" ist.

Linke Teile im DGB haben sehr wohl im Vorfeld der geplanten Demonstrationen VertreterInnen sozialer Bewegungen eingeladen, um ihre Konzepte vorzustellen. Sicher, alles unter den Bedingungen des DGB - es gab keine öffentlichen Einladungen, diskutiert wurde undemokratisch in halböffentlichen Räumen mit selbst ernannten BewegungsvertreterInnen und ohne offenes Ende. Eigentlich konnten und sollten die Pläne des DGB "nur abgenickt" werden. Das ist nun weniger erstaunlich, denn die eingangs genannten Konzepte sind eben immer auch Ergebnisse von Kämpfen im Apparat, der dann nicht mehr auf gleicher Augenhöhe beraten und planen kann.

Das Wichtige aber ist, dass sich hier für "soziale Bewegungen" die Möglichkeit bot, (Aktions-)Pläne um die Herbstaktivitäten herum zu entwerfen. Es ging nicht darum, als ein Bündnis "Gemeinsames" zu planen, als vielmehr eine über die Grenzen der Gewerkschaft hinausgehende politische Bühne zu haben. Ob dies als aus Eigeninteresse linker Gewerkschaften (Erhalt von Positionen im Apparat) oder als politische Einsicht in die gewerkschaftliche Schwäche zu interpretieren ist, ist an dieser Stelle unerheblich. Ergebnis dieser von verschiedenen Seiten eingehegten Zusammenarbeit ist, dass abhängig von den Konstellationen vor Ort - und die sind, sowohl was den DGB als auch das Selbstverständnis und die Stärke der sozialen Bewegungen betrifft, in Dortmund anders als in Berlin - unterschiedliche Aktivitäten geplant werden [1].

Es gilt zu reflektieren, was in den vergangenen Monaten kaum deutlicher werden konnte - die fehlende Dynamik von Bewegung und Intervention, das Ausmaß an Verunsicherung und Resignation, die Mühsal des langen Atems und der Politik der verschiedenen Ebenen:

1. Der Blick auf die Arbeitsformen und Arbeitsteilungen von "sozialen Bewegungen" und Gewerkschaften gibt einiges zu denken auf: Die Teilnahme an den nicht-öffentlichen, von den Gewerkschaften einberufenen Treffen wurde als eine potenzielle Teilhabe an Macht verstanden, die aber die Anerkennung von eben dieser Macht braucht, um sich überhaupt als ermächtigt zu fühlen. Das ist hier nicht psychologisch gemeint, sondern soll die verrückte Weise deutlich machen, in der nun von "den sozialen Bewegungen" Mobilisierungsaufgaben des DGB übernommen werden, nur um das linke Projekt "Zusammenarbeit Gewerkschaften und soziale Bewegungen" nicht scheitern zu lassen. Nicht die Möglichkeit wurde gestärkt, parallel zu den (schwächelnden) gewerkschaftlichen Kämpfen eigene Forderungen und Perspektiven, Vorstellungen einer Politik von unten und im Zusammenschluss mit ganz anderen AkteurInnen (wie z.B. denjenigen sozialen Bewegungen, die nicht unter die "Sozialproteste" fallen) durch eine selbstverständliche (und nicht erbetene) Teilnahme in "bunten Blöcken" oder in dezentralen Aktionen auf die Straße zu bringen. Vielmehr wird sich an der Erlaubnis vom DGB abgearbeitet, eigene Transparente mitzubringen, RednerInnen zu stellen und eigene Demonstrationen zu organisieren.

Lokale Bedingungen politischen Eigensinns

Um hier nicht falsch verstanden zu werden: Es war und ist aus der Perspektive der Sozialproteste, der sozialen Bewegungen, der radikalen Linken unerlässlich, die Mobilisierung des DGB zum 21. Oktober zu nutzen. Dennoch sagt die immer wieder und nachhaltig eingenommene Bitstellerposition mehr über die Schwäche "sozialer Bewegungen" aus als über die eigentliche Stärke der Gewerkschaften.

2. Die Zusammensetzung der von den Gewerkschaften eingeladenen und von ihnen so gesetzten VertreterInnen sozialer Bewegungen ist bisher an keiner Stelle substanziell aufgebrochen worden. Sicher wurden die Ergebnisse in die verschiedenen Kontexte der "Sozialproteste" mehr oder weniger kommuniziert. Und es sind genau diese, die sich um eine Repräsentanz im Herbst mit ihren wenigen Mitteln und zu geringen Kapazitäten bemühen, die Aktionswoche dezentral und vor Ort in ihrer politischen Arbeit umzusetzen.

Der Herbst zeigt, dass es den "Sozialprotest-Gruppen" zunehmend obliegt, die "sozialen Bewegungen" zu sein. Das ist zu einem Teil ihnen selbst zuzuschreiben, da die politische Chance, die z.B. in den Herbstprotesten lag, nicht genügend in andere Bewegungsspektren kommuniziert wurde. Das eigentliche Problem dieser Art "fehlenden Zusammenhangdenkens" ist eher Ausdruck einer kaum lebendigen Bewegungskultur.

Viele Bündnisse sind inzwischen zu reinen Sozialprotestbündnissen geworden, deren Aufgabe es ist, neue Politiken im Spannungsfeld von Not, lokalen Selbstorganisierungsprozessen, politischer Aktion und Vertretung zu erfinden. Resultat ist, dass sich Politik hier schnell auf so genannte Betroffenheitspolitik oder auf defensive Unmittelbarkeitsvorstellungen reduziert und wahnwitzige Selbstüberschätzungen oder sektiererische Populismen die Selbstdarstellung bestimmen - wie u.a. die Einschätzungen nach der Demo vom 3. Juni 2006 zeigen. Dies ist Ergebnis eines "Alleingelassen-Werdens" wie auch einer sozialpolitischen Situation geschuldet, in der neue und alte Armut zum dauerhaften Alltagsphänomen wird. Diese muss verstärkt individuell bewältigt werden, während gleichzeitig der Prekarisierungsprozess mit enormem ideologischem Aufwand und immer neuen Spaltungen betrieben wird.

Die "interne" Frage in den Sozialbündnissen, ob man sich besser nicht auf die gewerkschaftlichen Demonstrationen einlassen sollte, weil der Schwerpunkt auf der lokalen Arbeit und der notwendigen Entwicklung von Selbstorganisierung liegen müsse, die durch eine Beteiligung an den Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften behindert würde - wie es von einigen Gruppen im Bündnis vertreten wurde - ist pragmatisch nachvollziehbar und als Schwerpunktsetzung notwendig. Jedoch ist dies perspektivisch eine "falsche" Gegenüberstellung. Denn nicht nur braucht Selbstorganisierung auch Bühnen und Repräsentanz, sondern politisch nachhaltige Selbstorganisierung braucht Bündnispartner - und hier sind nicht nur die Gewerkschaften gemeint. Zwar bleiben Bühnen und Repräsentanz leer, um nicht zu sagen zahn- und konfliktlos, wenn sie nicht durch real existierende soziale Kämpfe und Auseinandersetzungen angetrieben werden. Letztere werden aber erst zu sozial wirklichen Kämpfen, wenn sie auf die sozialen Gruppen und die Orte der Intervention übergreifen.

3. Die Frage, die sich nun stellt - nämlich, was also tun? -, kann z.Z. wohl niemand adäquat beantworten. Auf der Hand liegt, dass Bedingungen politischen Handelns und Möglichkeiten gemeinsamer Fragestellungen viel mehr als bisher in unseren politischen Blick rücken müssen. Hier ist es nicht hilfreich, Konzepte stark zu machen, die politisches und gemeinsames Handeln moralisch einfordern oder gar erzwingen, wie es beispielsweise im Vorschlag, "auf eine verzweifelte Situation mit extremen Mitteln - einen Hungerstreik - zu reagieren, nahe gelegt wird [2]. Wenn auch eventuell kurzzeitig Medienaufmerksamkeit und Solidarisierungseffekte erzielt werden können, bleibt doch die eigentlich politisch brisantere Frage, wie die "verzweifelte Situation" zu Stande gekommen ist, unbeantwortet. Ebenso wenig hilfreich ist es, "eigene Themen" - so wichtig sie auch sein mögen - anderen einfach zu erklären und darauf zu hoffen, dass hier automatisch "Synergie- oder Mithohleffekte" erzielt werden können, ohne selbst den Versuch zu unternehmen, sich auf andere politische Logiken einzulassen. Dieses Problem deutet sich m.E. immer wieder in der anlaufenden G8-Kampagne an.

Politische Jahresfliegen vs. Anspruch auf ein gutes Leben

Wenn es stimmt, dass das, was sich derzeit im zahnlosen Herbst artikuliert - das vorläufige Ende der Welle sozialer Proteste darstellt, die mit Agenda 2010 und Hartz IV begonnen hat - , heißt dies weder, dass "sozialer Protest" vorbei ist, noch dass keine Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen sind. Ohne "das Lokale und Besondere" idealistisch zu verklären, scheint hier der Ort zu sein, dass Bedingungsgefüge in den Augenschein zu nehmen, aus dem sich sozialpolitischer Eigensinn und die Macht des Faktischen, Verzweiflung und Grenzen der Politik zeigt.

Dies alles ist keine akademische Frage, sondern eine Frage, wo und mit wem längerfristige Perspektiven entwickelt werden. Dafür braucht es inhaltliche Ideen. Denn wenn die Vorstellungen, Träume und Ansprüche an das Leben praktischen Raum bekommen sollten, d.h., immer auch in soziale Praxis übersetzt und dort ausprobiert werden müssen, braucht es mehr als die defensive Trias-Forderung: Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung und Grundeinkommen, braucht es mehr als ein Kampf um (Macht-)Positionen zwischen den politischen AkteurInnen.

Dies ist immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen, ob bei einer Demo mit den Gewerkschaften oder bei Zusammenkünften wie der geplanten "Aktions- und Strategiekonferenz der sozialen Bewegungen" am 2./3. Dezember in Dortmund. Hier gilt es auch in der G8-Kampagne anzuknüpfen, wenn diese nicht einfach zu einer weiteren, wenngleich politische Aufregung versprechenden Jahresfliege werden soll. Umgekehrt kann die mit dem G8-Treffen einhergehende Thematisierung struktureller Verhältnisse genutzt werden, das zum Thema zu machen, was die Ansprüche auf ein gutes Leben und eine soziale Praxis immer wieder spaltet, einschränkt und verunmöglicht. Das Recht auf bedingungslose Grundrechte und Demokratie ist nicht einfach eine Vermittlungsaufgabe der BewegungsakteurInnen, sondern muss offensichtlich von ihnen selbst erst wieder als Anrecht und politisches Ziel erkämpft werden.

Corinna Genschel

Erschienen in in ak - Analyse + Kritik - 510 vom 20.10.2006

Anmerkungen:

(1) Siehe u.a. www.sozialforum-berlin.de externer Link, www.die-soziale-bewegung.de externer Link,
www.protest2006.de externer Link

( 2) Siehe hierzu
www.die-soziale-bewegung.de externer Link sowie www.labournet.de


AK Logoak - analyse & kritik
Zeitung für linke Debatte und Praxis
Nachdruck nur mit Zustimmung.
Informationen zur Bestellung und Service externer Link
 ak - analyse und kritik
 Rombergstr. 10, 20255 Hamburg,
 Tel.: +49-40-4017 0174, Fax.: +49-40-4017 0175,
 Email redaktion@akweb.de
 Im Internet: http://www.akweb.de externer Link


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang