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Updated: 18.12.2012 15:51
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Redebedarf bei Alstom

Kreativer Widerstand per Betriebsversammlung

Seit 1984 ist die Belegschaft bei Alstom Power GmbH in Mannheim (ehemals BBC/ABB) immer wieder gezwungen, sich mit der Forderung nach Personalabbau und Konzessionen im Zuge von Umstrukturierungen des Unternehmens auseinander zu setzen. Zuletzt hatte der Betriebsrat 2003 per Betriebsvereinbarung Kurzarbeit und Arbeitszeitverkürzung zugestimmt und damit eine Halbierung der ursprünglich geplanten Streichung von 700 der damals 2000 Stellen erreicht. Doch im März 2005 zeigte sich, dass der Vertrag das Papier nicht wert war, auf dem er stand. Alstom wollte erneut 900 der 2000 vermeintlich »sicheren« Stellen streichen. Doch BR und Belegschaft ließen sich etwas einfallen. U.a. nahmen sie sich Zeit, die Lage gründlich zu diskutieren - auf einer fünftätigen Betriebsversammlung.

Anton Kobel sprach mit Udo Belz, Betriebsratsvorsitzender bei Alstom in Mannheim, über diesen unkonventionellen Arbeitskampf in einer konventionellen Branche, über die Hintergründe des Drohpotentials von Alstom und die Perspektiven des Widerstands. Im Folgenden eine Zusammenfassung des Gesprächs.

Wohl kaum eine andere Belegschaft hat in den letzten 20 Jahren - zusätzlich zu den Streiks in Tarifrunden - so viele Arbeitskämpfe um ihre Arbeitsplätze geführt wie die von Alstom Power in Mannheim. Am 18. März 2005 war es wieder soweit. Dem Euro-Betriebsrat wurden von der Pariser Konzernleitung neue Restrukturierungspläne für das Mannheimer Werk vorgelegt. Demnach sollten 900 der derzeit noch 2000 Arbeitsplätze vernichtet werden. Dies sollte durch die Schließung wichtiger Abteilungen und Werke in Mannheim erreicht werden. Damit wären wichtige Funktionen und Fähigkeiten beseitigt worden, ohne die dann in den Folgejahren die meisten der vorerst 1100 übrigbleibenden Arbeitsplätze ebenfalls zur Vernichtung anstünden. Mittelfristig strebt der Konzern für Mannheim den Verbleib von noch rund 400 Beschäftigten in einem »lokalen Kundenbüro« an - um Aufträge von deutschen Kunden annehmen und »Finanzierungshilfen aus deutschen Steuergeldern (KfW, Hermes) für Exportprojekte« abwickeln zu können.

Diese Ankündigung mobilisierte die kampferfahrene Belegschaft - hatte doch der Betriebsrat nach monatelangen heftigen Auseinandersetzungen im November 2003 per Betriebsvereinbarung zum Interessenausgleich mit einer detaillierten Festschreibung aller zu erhaltenden Funktionen und Fähigkeiten die 2000 Arbeitsplätze abgesichert. Die Konzernleitung hatte sich zudem durch eine individuelle Zusage gegenüber jedem einzelnen Beschäftigten verpflichtet, bis zum 30. Juni 2007 auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten.

Die Konzession des Betriebsrates bestand 2003 darin, dass von den damals noch 2200 Arbeitsplätzen nicht, wie geplant, 700, sondern nur 350 abgebaut werden sollten. Tatsächlich waren es dann sogar nur ca. 200 - ohne Kündigungen, sondern durch Altersteilzeit.

Der betriebsbedingt notwendige Erhalt wichtiger Funktionen wurde durch Kurzarbeit vom Betriebsrat durchgesetzt. Der Betriebsrat wollte diese mehrjährige »Überwinterungsphase«, um die momentane Auftragsschwäche im Kraftwerksbau zu überstehen.

Da der Kraftwerksteil in Mannheim ursprünglich auf 5-6000 Beschäftigte ausgelegt war, würde ein weiterer Personalabbau unter 2000 Beschäftigte eine Deckung der Fixkosten unmöglich machen und damit das Ende jeder Konkurrenzfähigkeit bedeuten. Mit 1100 Beschäftigten - davon ca. 400 im weltweiten Service tätig - wäre in Mannheim kein weiterer Kraftwerksbau (Gas, Kohle bzw. eine Kombination aus beidem) mehr zu machen. Bei einem derartigen Personalabbau würden auch zu viele Kompetenzen fehlen.

In vielen Betriebsversammlungen, Sitzungen der IGM-Vertrauensleute und des Betriebsrates, den Info-Blättern usw. war jedem Beschäftigten der o.g. Zusammenhang deutlich geworden. Betriebsrat und Belegschaft mussten und müssen die »Rationalität ihres Betriebes« gegen die der Konzernleitung durchsetzen. Nur so sind die Arbeitsplätze zu erhalten. Entsprechend groß ist regelmäßig die Beteiligung der Beschäftigten an den Aktionen.

Kampf und Kampfformen in 2005

Nach der Ankündigung im März, 900 Arbeitsplätze zu vernichten, kam es zu zahlreichen Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen. Die Wut der Beschäftigten wegen des von der Konzernleitung geplanten Bruchs der Zusagen von November 2003 und die erneute Entschlossenheit zur Verteidigung der Arbeitsplätze fanden im Frühjahr ihren Höhepunkt in einer fünftägigen (!) Betriebsversammlung. Vom 25. bis 29. April 2005 diskutierte die Belegschaft ihre Situation. Täglich fanden im Anschluss an jede Versammlung Demonstrationen in die Innenstadt von Mannheim statt, an denen sich ein Großteil der Belegschaft beteiligte.

Und dies, obwohl die Geschäftsleitung die Betriebsversammlung vom Arbeitsgericht verbieten lassen wollte. Am 29. April hatte der Betriebsrat die Versammlung unterbrochen, um sie später fortzusetzen. Vor Gericht kam es dann zu einem Kompromiss: Die Versammlung endete am 29. April, und der Betriebsrat konnte für den 30. Mai zu einer weiteren, zusätzlichen Betriebsversammlung nach § 43 BetrVG einladen.[1]

Die erneute Betriebsversammlung fand dann auch an jenem Tag von 9 Uhr bis 14.30 Uhr statt. Nach einem Bericht des BR-Vorsitzenden Udo Belz und anschließender Diskussion der Belegschaft kam es zu einer Demonstration in die Mannheimer Innenstadt, an der sich auch Delegationen von anderen Alstom-Betrieben, u.a. aus Berlin, Stuttgart und Kassel, beteiligten und zu der Konzernbetriebsrat und IG Metall aufgerufen hatten.

Am Folgetag lud der Konzern-BR zur alternativen Pressekonferenz in Mannheim ein, nachdem am Vormittag desselben Tages die Konzernleitung in Paris eine Bilanzpressekonferenz abgehalten hatte. Der Konzern-BR erläuterte auf dieser Versammlung, dass Alstom in Deutschland seit Jahren Gewinne macht.

Auch in Mannheim sind von 2002 bis 2004 rund 325 Mio. Euro Gewinn erzielt worden (!), obwohl die Rechenkünste der Konzernleitung für 2004 erstmals ein Minus von 0,8 Mio. Euro ergeben hatten. Tatsächlich handelte es sich auch in 2004 um ein Plus von zig Mio. Euro. Dank der Profitabilität der deutschen Alstom-Betriebe stellt diese Gruppe nach den Banken den zweitgrößten Finanzier des Konzerns. Im Pariser konzern-internen Cash-Pool - quasi eine interne Bank - liegen derzeit über eine Milliarde Euro aus der deutschen Gruppe. Das Mannheimer Werk hat dazu gut ein Drittel beigetragen, trotz Kurzarbeit und Nichtauslastung.

Auch dieses Wissen macht die Belegschaft wütend und stark. Am 11. Juli 2005 riefen Betriebsrat und Vertrauensleute im »Mannheimer Appell - Widerstand gegen Globalisierung und Arbeitsplatzabbau« (siehe unten) Belegschaften und Gewerkschaften zu energischen Aktionen auf. »Wer kämpft, kann auch feiern«, so der Slogan eines Festes für die Familien und Freunde am 22. Juli 2005. Eine knappe Woche später begeisterte der Alstom-BR-Vorsitzende Udo Belz Hunderte von Beschäftigten aus dem Mannheimer Einzelhandel bei der zentralen Streikkundgebung. Er verdeutlichte die Gründe für den entschiedenen Kampf bei Alstom und dessen Bedeutung auch für die regionale Kaufkraft.

Der Kampf bei Alstom findet nicht nur im Betrieb, sondern auch in der Öffentlichkeit statt. Der BR nimmt jede Gelegenheit wahr, diese Auseinandersetzung darzustellen und für gemeinsame Aktivitäten zu werben, ob am 1. Mai oder bei Wahlkampfveranstaltungen. So begann auch die Betriebsversammlung am 26. September 2005 morgens um neun Uhr im Betrieb und endete um 17 Uhr nach einer Demonstration in der Mannheimer Innenstadt. Für Samstag, den 15. Oktober, sind die Menschen und Belegschaften im Großraum Mannheim zu einer weiteren gemeinsamen Demonstration mit Kundgebung aufgerufen.

Unbeeindruckt lassen den Betriebsrat, der in der Belegschaft absolutes Vertrauen und in der Öffentlichkeit ein riesengroßes Ansehen genießt, juristische Versuche der Geschäftsleitung. Diese erklärte im Juni vorm Mannheimer Arbeitsgericht, sie wolle mit dem Verfahren zum Verbot der mehrtägigen Betriebsversammlung eigentlich die Voraussetzungen für ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Betriebsrat schaffen. Der Betriebsrat konterte in seinem Info öffentlich: »Hier geht es ... offenbar darum, den Widerstand gegen die Unterdrückung der Arbeitnehmerrechte zu brechen. Man glaubt, wenn dieser Betriebsrat beseitigt werden kann, könnten alle Maßnahmen zur Unterdrückung der Arbeitnehmerrechte in diesem Betrieb einfacher durchgesetzt werden.« Dass das Unterfangen der Alstom-Geschäftsleitung, die fünftägige Betriebsversammlung für nicht zulässig erklären zu lassen, auch juristisch kaum haltbar war, zeigte sich allein schon in der Frist, die das Arbeitsgericht bis zur Klärung der Feststellungsklage am 30. September einkalkuliert hatte. Einen Tag vor diesem Termin hat Alstom nun die Klage selbst zurückgezogen.

Kein Kampf auf sinkendem Schiff ...

Die auch aktuell im Mannheimer Werk erwirtschafteten Gewinne zeigen ebenso wie die Umsatzerwartungen eine erfolgversprechende Perspektive. Der weltweite Energiebedarf lässt in der nächsten Zeit riesige Aufträge erwarten. Allein in Deutschland müssen bis 2020 ältere Anlagen im Umfang von ca. 60 großen Kraftwerksanlagen ersetzt werden. Der Alstom-BR informiert die Politiker und die Öffentlichkeit, dass die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke die Arbeitsplätze im konventionellen Kraftwerksbau gefährdet. Konventionelle Kraftwerke haben nachhaltig einen 2-3fachen Beschäftigungseffekt gegenüber AKWs. Von der großen Politik ist dringend eine Unterstützung der erforderlichen Investitionen in die Energieerzeugung gefordert.

Aufgrund des enormen Kapitalbedarfs beim Bau von Kraftwerken haben staatliche Finanzierungshilfen hier eine hohe Bedeutung. Entsprechend werden von der Bundesregierung Auflagen gefordert, die Finanzierungshilfen an unmittelbare Wirkungen für die hiesigen Arbeitsplätze koppeln. Ohne dies, so befürchtet der Konzern-BR, kassiere die Pariser Konzernleitung z.B. in Deutschland staatliche Finanzierungshilfen und vergebe die Produktion dann an konzerneigene Betriebe andernorts. Die Pläne für den Personalabbau in Mannheim wurden auch mit Konzernplanungen begründet, die eine Verlagerung der Produktion nach China, Indien und Mexiko vorsehen.

Auf die Frage, ob die Mannheimer Belegschaft mit ihrem Kampf nicht das Entstehen von Arbeitsplätzen und damit Wohlstand in weniger entwickelten Ländern verhindere, wies Udo Belz darauf hin, dass z.B. in Mexiko ein Metallarbeiter sechs Dollar pro Tag verdiene und in China 150 Millionen Wanderarbeiter zu Hungerlöhnen, ohne Recht auf Gewerkschaften und akzeptable Sozialstandards arbeiteten. Chinesische ArbeiterInnen erhielten 24 Cents pro Stunde vom US-amerikanischen Nike-Konzern. Es sei menschenunwürdig, zu einem solchen Lohnniveau konkurrenzfähig werden zu wollen, letztlich diene dies nur den Profitinteressen der Unternehmen, so Udo Belz. Er wies auch auf Polizeieinsätze in Polen gegen streikbereite Metallarbeiter hin: »Es geht nicht um steigenden Wohlstand für die Arbeitenden, sondern um beste Ausbeutungsverhältnisse. Geld ist genug da, es muss nur anders verteilt werden. Wir stehen für einen international abgestimmten Kampf. Eigentlich gehört die Welt auf den Kopf gestellt. Warum sollen wir künstliche Konkurrenten werden?«

... sondern im Monopoly der Konzerne

Die Alstom-Betriebsräte beobachten auch die Marktbereinigungen der beteiligten Konzerne Alstom und Siemens. Für die Zukunft ihrer Arbeitsplätze sind ferner die weltweiten Planungen in Bezug auf den Bau von AKWs bedeutsam. Es geht dabei um ein Volumen von 300-600 AKW bei Kosten von rund zwei Milliarden Euro je AKW, also um einen Gesamtwert von 600-1200 Mrd. Euro. Dabei spielen der französische Staatskonzern Areva und Siemens als Mitkonkurrenten eine entscheidende Rolle. Sie sind treibende Kräfte bei der Marktbereinigung und der Umstrukturierung der Konzerne. »Wer hier das Monopol hat, hat zehn Prozent Umsatzrendite in Aussicht.« All diese Kenntnisse und Erfahrungen motivieren die Mannheimer zu ihren vielfältigen Aktivitäten und führen zu ihrem »Widerstand ist unsere Pflicht«.

Anton Kobel

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 9/05


(1) Das BetrVG sieht zwingend eine Betriebsversammlung pro Quartal vor und ermöglicht eine dritte zusätzliche pro Halbjahr; Anm. d. Red.

Wir verweisen auf die Bericht zu der Belegschaftsversammlung im LabourNet-Special Kampf gegen den Stellenabbau bei Alstom 2005


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