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Updated: 18.12.2012 15:51 |
»Der Tsunami kommt bei blauem Himmel« Umbrüche der Zeitungsproduktion – das Beispiel FR, Teil I Die Zeitungslandschaft wird revolutioniert – nicht unbedingt zu ihrem Vorteil. Nicht nur bei der Berliner Zeitung und der Hamburger Morgenpost werden traditionelle Strukturen auf den Kopf gestellt, auch die Frankfurter Rundschau wird Abteilung für Abteilung in die Mangel moderner Managementkonzepte genommen. Von Verflachung der Hierarchien bis Verplattung der Inhalte – die ganze Palette möglicher Folgen dessen, was Martin Dieckmann im express 2-3/2008 als Umwandlung der Verlags- und Zeitungslandschaft zur »Content-Industrie« beschrieben hatte, ist denkbar. Keineswegs geht es nur um die Ablösung des im Rückblick idyllisierten Verlegers mit Verantwortung und staatsbürgerlicher Mission durch den gewissenlosen Heuschrecken-Tycoon. Und keineswegs werden die Wolken am blauen Himmel der schreibenden Teile der Zunft vorüberziehen. Auch wenn die Textproduzenten glauben, die Umbrüche träfen nur die anderen: Sicher ist, dass alle heiligen Kühe dieser Dienstleistungsbranche auf die profanen Schlachthöfe der Rationalisierung gezerrt werden. Wir wollten am konkreten Beispiel der Frankfurter Rundschau wissen, welche Konsequenzen der Prozess einer nachholenden Industrialisierung für »Inhaltsproduzenten« und »-konsumenten« haben kann: von den Arbeitsbedingungen über die Arbeitskampffähigkeit bis zur medienpolitischen Bedeutung. Das folgende Gespräch zwischen Rainer Maria Kalitzky, Lothar Birzer – beide BR-Mitglied und ver.di-Vertrauensmann –, Michael Breuer, BR-Ersatzmitglied, und Kirsten Huckenbeck fand am 5. Juni 2008 statt. Kirsten Huckenbeck: Im Dezember 2006 hatten wir anlässlich des Einstiegs von Neven Dumont-Schauberg (MDS) mit 50 Prozent plus einer Stimme bei der Mehrheitseignerin der FR, der sozialdemokratischen DDVG (Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft), die bis dahin 90 Prozent der Anteile hielt, über die damals erfolgten bzw. in Planung befindlichen Umstrukturierungen bei der FR gesprochen: Wechsel der Chefredaktion von Wolfgang Storz zu Uwe Vorkötter, Umstellung auf das kleinere Tabloid-Format und Personalabbau um 200 Stellen, nachdem zwischen 2001 und 2006 bereits 900 von 1650 Arbeitsplätzen abgebaut worden waren. Dazu gehörte auch die Umsetzung eines Sparkonzepts, das noch unter der DDVG ersonnen wurde und Ausgliederungen, den Einsatz von Leiharbeitskräften bis hin zu völlig neuen Konzepten für die Arbeitsorganisation in der Redaktion beinhaltete. In der Belegschaft wurde damals über Forderungen nach einem Sozialtarif diskutiert, und Ihr hattet Euch auf einen Streik – ein Novum in der FR-Geschichte – vorbereitet, doch ein Interessenausgleich in letzter Sekunde machte diesen überflüssig. Dieser Interessenausgleich beinhaltete, dass 100 Beschäftigte über Aufhebungsverträge gehen sollten. Jetzt scheint es so, als ob das FR-Management genau dort weiter macht, wo es damals aufgehört hat: Zum 1. Juli sollten nun die Bereiche Grafik, Layout, Bild, technische Redaktion und Produktionssteuerung mit rund 30 MitarbeiterInnen ausgegliedert werden in eine neue Gesellschaft, die FR-Design GmbH. In der soll ein schlechter Tarifvertrag zur Anwendung kommen. Außerdem sollten 16 Beschäftigte des Finanz- und Rechnungswesens sowie des Controllings ebenfalls zum 1. Juli ausgelagert werden, und zwar nach Köln in die MDS. Warum hat der damalige Interessenausgleich nicht zu einer Stabilisierung beigetragen, bzw. worin besteht der neuerliche Konflikt? Lothar Birzer: Der Interessenausgleich, den wir 2006 abgeschlossen hatten, beinhaltete außer den Aufhebungsverträgen noch weitere Maßnahmen, die in Gänze noch gar nicht umgesetzt sind. So stehen noch wichtige Punkte an, wie z.B. Besetzungsregelungen für die neuen Maschinen in der Zeitungsendverarbeitung oder die Vereinbarung, dass zwei Auszubildende im Bereich Mediengestaltung eingestellt werden, wo bis heute keine Ausschreibungen stattfanden – alles Punkte, die von der Geschäftsleitung bestritten bzw. nicht realisiert werden. Der größte Knackpunkt ist jedoch die Vereinbarung zum Bereich Controlling und Rechnungswesen. Es gab das Versprechen, dass diese Arbeitsplätze gesichert seien, wenn die EDV freiwillig komplett in eine neue GmbH wechsele – wobei man dazu sagen muss, dass hier bereits sieben Arbeitsplätze über die Einführung von SAP abgebaut worden waren. Wie viele Leute arbeiten in diesem Bereich insgesamt noch? Lothar Birzer: Es sind genau die 16 Leute, die jetzt – soviel zur Korrektur Deiner Eingangsfrage – nicht einfach ausgelagert, sondern betriebsbedingt gekündigt werden sollen. Es gibt also keine »Synergien« mit den Kölnern, sondern es geht schlicht um Entlassungen. Ein Großteil der 16 Kollegen hat die angebotenen Aufhebungsverträge auch bereits unterschrieben. Rainer Kalitzky: Ein Wort zur Qualität und Qualifikation dieser Arbeitsplätze in Controlling und Rechnungswesen: Das sind nicht irgendwelche Tätigkeiten, sondern sensible Schnittstellen, z.B. zwischen AbonnentInnen und Buchhaltung, vor allem aber zwischen Anzeigenkunden und Produktion, in denen es auch notwendig ist, langjährige Kontakte und Erfahrungen bzw. gewisse Lokalkenntnisse zu haben. Die können aber in Köln, wo dieses Tätigkeitsfeld künftig mit abgedeckt werden soll, nicht unbedingt vorausgesetzt werden. Lothar Birzer: Zurück zur Frage, warum die Vereinbarung zum Interessenausgleich nicht gehalten hat. So recht ich Rainer heute geben muss, und so leid es mir tut, wir haben eins unterschätzt: Es gab damals schon die Strategie, genauso zu verfahren, wie jetzt verfahren wird: Man macht erst den Interessenausgleich, bringt dann die Umstellung auf das Tabloid-Format in trockene Tücher und macht dann weiter. Dieser Plan muss, wie wir jetzt sehen, damals schon vorgelegen haben. Den Aussagen des Kölner MDS-Ge-schäftsführers Kiegeland von 2006, die Frankfurter hätten nicht kostenbewusst gearbeitet, und es habe die höchste Priorität, ihnen das zu vermitteln, lag eine langfristigere Planung zugrunde. Man wollte Ruhe, und nachdem das Tabloid gelaufen ist, folgen jetzt konsequent die nächsten Schritte. Haben denn die Umstellungen auf das Tabloid und die damaligen Maßnahmen aus dem Interessenausgleich ökonomisch etwas gebracht für die FR als Unternehmen? Rainer Kalitzky: Die Einsparungen durch die Personalmaßnahmen werden sich erst in drei bis vier Jahren konsequent auswirken. Erst dann kommen die Altersteilzeitverträge voll zum Tragen. Lothar Birzer: In Bezug auf die verkaufte Auflage kann man von einem Stopp des Abo-Rückgangs oder von einer Stabilisierung sprechen. Dies allerdings auf relativ niedrigem Niveau, wenn man berücksichtigt, dass Millionen Euro für die Werbekampagnen ausgegeben wurden und dass es vor allem der Einzelverkauf ist, nicht die Abonnement-Zahlen, die zum Verkaufsergebnis beitragen. Rainer Kalitzky: Ich zweifle die Zahlen, die uns vorgelegt wurden, grundsätzlich an. Es gibt auf Geschäftsführerebene Äußerungen, dass für eine verkaufte FR vier Exemplare gedruckt werden müssen. Wenn das stimmt, dann ist es natürlich die Belegschaft, die das in Form von Lohnkürzungen, sei es direkt oder indirekt, bezahlen muss. Lothar Birzer: Ein weiterer Punkt, warum das alles nicht so zu Buche geschlagen hat, den man nicht vergessen sollte: Es gab eine totale Fehleinschätzung der Geschäftsführung in Bezug auf die Mehrkosten, die die Umstellung auf das Tabloid verursachen würde. Die sind ziemlich nach oben geschossen. Michael Breuer: Man muss erklären, wodurch diese Mehrkosten entstanden sind: Einerseits wurden neue Leute eingestellt, z.B. im Bereich Photo, wo die FR entscheidende Verbesserungen vorgenommen hat. Man hat dem Bild im Verhältnis zum Text mehr Gewicht gegeben, und dafür brauchte man neue Leute. Als visueller Journalist muss ich sagen, dass das grundsätzlich auch nicht verkehrt ist, aber so etwas kostet natürlich auch viel Geld. Hinzu kommt, dass diese Photo-Redakteure bei Agenturen entsprechendes Material eingekauft haben, und gute Photos sind teuer. Diese Strategie wurde eine gewisse Zeitlang umgesetzt, bis man irgendwann feststellte, dass dieser Bereich zu teuer wurde und ihn entsprechend gedeckelt hat. Hinzu kommt außerdem, dass auch eine solch gravierende Umstellung wie die auf das neue Layout des Tabloids nicht von alleine funktioniert. Auch dafür wurden Kräfte benötigt, die von außerhalb eingestellt wurden. Ohne das Tabloid-Format selbst bewerten zu wollen, sind das Faktoren, die zunächst zu Mehrkosten und einer Verteuerung der Produktion geführt haben. Wenn nun nach ziemlich genau einem Jahr der Umstellung darüber gejammert wird, all das koste viel Geld, man habe aber kein Geld, dann halte ich es für im höchsten Maße unmoralisch, die Belegschaft dafür abzustrafen. Denn diese Belegschaft hat das Tabloid unterstützt und umgesetzt – muss aber doppelt dafür zahlen. Rainer Kalitzky: Lothar könnte sicher noch etwas darüber berichten, wie die Arbeitsorganisation sich verändert hat. Es gab – vor der Tabloid-Umstellung – organisatorische Veränderungen in der Redaktionsarbeit, die sich positiv auf die Arbeitskooperation ausgewirkt haben, nun aber zurückgenommen worden sind. Das betrifft die Gestaltungs-, Korrektur- und Eingriffsmöglichkeiten der ehemaligen Textredaktion... Lothar Birzer: Kurz gesagt: In vielen Bereichen sind Redakteure durch die sog. »De-Integration« entmündigt worden. Man hat ihnen Layouter zur Verfügung gestellt – und in diesem Bereich haben die Textredakteure nun keinen Einfluss mehr. Die Grundidee dabei war, für den einzelnen Redakteur mehr Raum und Zeit für die eigenen Beiträge, also die inhaltliche Arbeit wie Recherchen, Textbearbeitung etc. zu schaffen, indem man ihm diese gestalterische Arbeit abnimmt. So wurde es zumindest angekündigt. Wer sich genau anschaut, wie die Konzeption des Tabloids aussieht, wird feststellen – und dazu müssen wir uns nur die heutige Ausgabe anschauen – wie stark die Bilder mittlerweile das Blatt prägen und dass der Text dabei bisweilen zu kurz kommt. Insofern stellt sich die Frage, wo die gewonnene Zeit der Redakteure bleibt. Wo drückt sich dieses Mehr an Zeit noch aus? Wo kann die Text-Redaktion noch besondere Anliegen verfolgen, und wo erscheinen diese im Blatt? Es gibt in der Redaktion heftige Diskussionen darüber und auch die Einschätzung: Wir machen eigentlich nur noch die Pflicht, und für die Kür, die wichtig wäre für den Leser, haben wir keine Zeit mehr. Rainer Kalitzky: ... und darüber verliert die FR ihr Alleinstellungsmerkmal. In der Rundschau selbst findet man, selbst in der Leserbriefrubrik, keine Debatte über Stil und Richtung der FR. Öffentlich darüber diskutiert wurde vereinzelt in der ver.di-Mitgliederzeitung »M« bzw. dem DJU-Newsletter. FR-Redakteur Edgar Auth wehrt sich dort gegen den in einem Interview des ehemaligen FR-Redakteurs Günther Frech mit der Medienwissenschaftlerin Brigitta Huhnke geäußerten Vorwurf, es sei zu einer »Verflachung« der FR gekommen, die Recherchequalität habe abgenommen, und ihr sog. Alleinstellungsmerkmal als linksliberale, engagierte Tageszeitung sei verloren gegangen. Auth hat dem widersprochen, indem er auf eine Reihe von Beispielen, wie den Unicef-Skandal, Bushs Folterwerkzeuge, eine Serie über türkischstämmige MitbürgerInnen etc. verweist, die zeigen würden, dass die FR »ihr Profil seit Einführung des Tabloid-Formats noch geschärft« habe. Hier hingegen fiel eben der Begriff »Entmündigung« – wie passt das zusammen? Und wie sehen die RedakteurInnen diese Entwicklung? Gibt es in der Redaktion Diskussionen über das neue Profil der FR? Rainer Kalitzky: Für mich ist es verblüffend, wie loyal sich die Mehrheit der Redaktionskollegen nach dem Ende der Ära Storz zur neuen Linie geäußert und verhalten hat. Ich teile die Auffassung, dass die Rundschau nach wie vor das geschriebene Wort verkaufen und insofern auch Kritik von LeserInnen aufgreifen muss. Wenn jetzt z.B. kurze Texte als Fortschritt verteidigt werden, muss man aber fragen, was das de facto im Erscheinungsbild der FR heißt: Lifestyle-Beiträge, Magazine, große Headlines, eine Masse an Kurzmeldungen, die eher als Auffüllmaterial und weniger als Informationsmaterial dienen. Die Beiträge, die Edgar Auth anspricht, haben Seltenheitswert. Lothar Birzer: Der Kollege steht sicher nicht alleine mit seiner Position, aber es gibt in der Redaktion durchaus auch Kritik, jüngst z.B. an der Verschlechterung des Lokalteils – zu seicht, zu wenig politisch etc. –, die aber nicht offen formuliert wird. Es findet keine richtige Auseinandersetzung darüber statt. Wenn wir als Vertreter der Gewerkschaft oder als Betriebsräte solche Tendenzen ansprechen, gilt dies als illoyales und unqualifiziertes Niedermachen der FR. Wir haben kaum die Chance, inhaltliche Diskussionen über die Entwicklung des Blatts zu führen, u.a. weil man uns die Kompetenzen abspricht. Michael Breuer: Ich würde versuchen, dies ein wenig dialektischer zu betrachten: Ein Kollege hat damals bei der Umstellung auf das Tabloid gesagt, das sei eine mutige Entscheidung. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass das Tabloid die Konsequenz aus den Fehlern der Vergangenheit war. Die Rundschau befand sich in einem Dornröschenschlaf, der der Zeit nicht mehr entsprach. Sie war zu schläfrig im Umgang mit visuellen Aspekten der Blattgestaltung, hat es nicht mehr geschafft, mit optischen Mitteln die Neugier der LeserInnen zu wecken. Insofern war die wirtschaftliche Krise, in der sie sich befand, zugleich eine günstige Gelegenheit, Neues auszuprobieren, was anderen Zeitungen so ohne Weiteres nicht möglich ist. Auf der einen Seite hat man nun mehr sog. »bunte« Themen, die auch anders »aufgemacht« werden, die LeserInnen sollen »emotionalisiert« werden. Die Zeitung ist, so jedenfalls der Eindruck von nicht Wenigen innerhalb des Betriebs, aber auch von LeserInnen, lesbarer geworden. Sie ist dem Leseverhalten der Menschen entgegen gekommen: Während vor zehn Jahren noch rund 30 Minuten für die Lektüre von Print-Zeitungen ver-wandt wurde, sind es heute nur noch 20 Minuten, Tendenz weiter abnehmend... Reiner Kalitzky: Einspruch! Ich frage mich, ob es ausgerechnet Aufgabe der Frankfurter Rundschau ist, sich durch das Anschleichen an das »dem Leser« unterstellte niedrige Niveau aus der Misere zu ziehen. Ich nehme an, dass zum Stamm unserer LeserInnen immer noch viele Lehrer, viele aus der Gewerkschafts-, der Kirchen-, der Umweltbewegung, Bildungsbürger also gehören. Die würden solche Unterstellungen empört zurückweisen. Von Uwe Vorkötter gibt es die Parole: »Jünger, weiblicher, handlicher«, also: »Wir wollen ran an den jüngeren Leser, den weiblichen Leser« – und deswegen brauchen wir ein handlicheres Format. Ich denke, man will einfach einen handlicheren Inhalt präsentieren. Damit verprellt man zwar das bisherige Stamm-Klientel, doch das ist nun mal die neue Linie der Chefredaktion. Lothar Birzer: Damit sind wir bei der Frage der inhaltlichen Ausrichtung. Wenn ich Belege dafür finden soll, dass die FR nicht mehr für eine linksliberale Orientierung steht, sondern eben für etwas anderes, dann nehme ich z.B. den Titelblatt-Aufmacher mit der Forderung nach Neuwahlen in Hessen am 5. April, dem Tag vor der Konstituierung des neugewählten hessischen Landtages. Das wurde in der Redaktion von vielen kritisiert, aber niemand hat sich getraut, das offen anzusprechen. Es wurde der Mantel des Schweigens darüber gelegt. Hier muss man ein Versagen der innerbetrieblichen Demokratie, die sich auch in der gemeinsamen redaktionellen Blattkritik äußert, konstatieren. Rainer Kalitzky: ... und das korrespondiert miteinander, Michael. Michael Breuer: Dann will ich versuchen zu präzisieren, was ich mit Lesbarkeit meinte: Viele Leute aus meinem Bereich, der graphischen Informationsaufbereitung, hatten – auch unter Storz noch, der diesen Bereich stärker ausbauen wollte – den Eindruck, dass die visuelle Aufbereitung von Informationen in der FR schlecht war, weil den Text-Redakteuren das Fachwissen fehlte. Layout, Photo und Infographik waren in der FR traditionell, wenn man das so sagen darf, unterbelichtete Bereiche. Dieser Bereich wurde personell gestärkt und ausgebaut, doch viele der Leute, die unter Storz extra dafür eingestellt wurden, landeten erst in der PDF (Pressedienst Frankfurt, eine eigens gegründete Leiharbeitstochter der FR, die nicht den Zeitungstarifen unterliegt, sondern nach Leiharbeitstarif bezahlt; Anm. d. Red.) und sollen nun, nachdem ihre befristeten Verträge auslaufen, in die FR Design GmbH wechseln. Lothar Birzer: ... Nebenbei bemerkt sind das die Leute, die letztlich die Designpreise für die FR geholt haben, mit denen Vorkötter hausieren geht, um die Qualitätssteigerungen der FR zu bewerben. Michael Breuer: Die inhaltliche Diskussion darüber, ob die FR noch linksliberal sei, speist sich meines Erachtens aus einer anderen Quelle. Ich habe den Eindruck, dass dieses Etikett eine leere Hülle zu werden droht oder schon geworden ist, das man jedoch braucht, um das Klientel, das hinter und zu diesem Etikett steht, bei der Stange zu halten. Man meint es aber gar nicht mehr so, der Wert der Marke »linksliberal« wird gewissermaßen aus Reklamegründen hochgehalten. In sich ist der Betrieb aber bereits alles andere als linksliberal. Woran machst Du das fest? Michael Breuer: An der personalpolitischen Struktur, wie sie sich z.B. an der FR Design GmbH zeigt, an der inhaltlichen Qualität, wie sie sich in dem erwähnten Kommentar der Chefredaktion zu den Wahlen in Hessen ausdrückt, und an der Arbeitsorganisation, d.h. der Art und Weise, wie diese Inhalte durchgesetzt werden. Ich darf nebenbei an den kuriosen Umstand erinnern, dass alle Redakteure, auch ich als Infographiker, sich arbeitsvertraglich auf die Linksliberalität der FR verpflichtet haben. Würde das nicht bedeuten, dass es inhaltliches Kritik- und Konfliktpotential gibt, gerade auch unter den neu eingestellten KollegInnen, die für ein Zeitungsprojekt mit einem bestimmten inhaltlichen Profil verpflichtet wurden und sich nun einerseits in ihren Gestaltungsmöglichkeiten beschränkt sehen und andererseits mit der Differenz zwischen etikettiertem Anspruch und Blatt-Wirklichkeit konfrontiert sind? Oder muss man angesichts des Ausbleibens von Kritik eher umgekehrt fragen, ob die Neueingestellten ein solches identifikatorisches Verhältnis zu dem Produkt, d.h. ›ihrer‹ Frankfurter Rundschau überhaupt haben? Michael Breuer: Doch, sie haben ein Verständnis dafür, genauso wie diejenigen, die schon seit Jahr und Tag hier arbeiten. Viele haben jedoch ein Problem damit, den Anspruch dieser Tageszeitung und die Realität ihrer Arbeitsbedingungen noch zusammendenken zu können. Das geht nur um den Preis, dass sie anfangen, sich Elfenbeintürme zu bauen. Sie trennen also zwischen der Zeitung mit ihrem inhaltlichen Anspruch und dem Unternehmen. Beides auf diese Weise auseinander zu dividieren, ist aber nicht statthaft. Denn es ist die besondere Qualität des Produkts »Zeitung«, meinungsbildend wirken zu wollen – und diesen Anspruch kann man glaubhaft nur vertreten, wenn Anspruch und Wirklichkeit nicht vollkommen auseinander fallen, oder anders gesagt: Wir können von den LeserInnen der FR nicht mehr verlangen als von uns selbst. Um auf eine der Eingangsfragen zurückzukommen: Die Absicht, die der Umstellung auf das Tabloid zugrunde lag, bestand darin, einen Konkurrenzvorteil gegenüber anderen »Produkten« herauszuschlagen. Hat sich dies in irgendeiner Weise ökonomisch bemerkbar gemacht? Rainer Kalitzky: Wenn man von der These ausgeht, dass die Auflage ohne die Umstellung weiter gesunken wäre, dann würde die Umstellung dafür sprechen, dass es ökonomisch sinnvoll war. Lothar Birzer: Das gilt aber nur, wenn man die FR für sich betrachtet, nicht jedoch im Verhältnis zu den anderen überregionalen Tageszeitungen. Michael Breuer: Im Verhältnis zu den anderen Zeitungen hat sich nichts bewegt, jedenfalls nichts, was für uns als Außenstehende, ohne über konkrete Zahlen verfügen zu können, messbar wäre. Sie hat vielleicht einen Imagegewinn verbucht, der auch durch die Werbekampagne gestützt wurde, aber dass sich dies in einem messbaren wirtschaftlichen Erfolg niedergeschlagen hätte, würde ich bezweifeln. Ein Indiz dafür wäre auch, dass andere sich an diesem Modell orientieren würden. Das ist nicht der Fall. Rainer Kalitzky: Herr Vorkötter hat auf einer Betriebsversammlung vor rund zwei Monaten stolz berichtet, dass er in Wien auf einer Gala eine ganze Reihe von Design-Preisen einsammeln werde. Auf dieser Betriebsversammlung ist einer der Betriebsräte aufgestanden und hat ihm entgegengehalten, dass man sich für diese Preise nichts kaufen könne und dass dies zur ökonomischen Stabilität des Unternehmens nichts beitrage. Wenn er Kunstpreise einheimsen wolle, solle er die FR in einem Kunstmuseum ausstellen. Michael Breuer: Dennoch: Wenn die FR gleich in mehreren Bereichen – für die Titelbildgestaltung, die Infographik und das Layout – den European Newspaper Award erhält, dann ist das gemessen an dem vormaligen Dasein als gestalterische Schlaftablette ein ziemlicher Imagegewinn. Rainer Kalitzky: Das mag sein, aber erklär mir bitte, was das der Belegschaft bringt. Bislang bringt es ihr gar nichts, weil – Designpreis hin oder her – weiterhin gespart wird. Michael Breuer: Hier besteht aber kein kausaler Zusammenhang. Eine Kausalität ergibt sich nur daraus, dass das Tabloid finanziell sehr aufwändig war und die Belegschaft dies nun bezahlen soll. Rainer Kalitzky: Dem würde ich widersprechen. Der kausale Zusammenhang besteht darin, dass Herr Vorkötter schon 2004, als er noch bei der Berliner Zeitung saß und noch gar nicht an die FR dachte, vom Tabloid-Format geschwärmt hat. Zeitgleich hat sein erklärter »Lieblingsunternehmer«, Herr Neven Dumont gemeinsam mit dessen Sohn Konstantin, bekundet, ein nationales Blatt haben zu wollen, und zwar im Tabloid-Format – wie in den USA, wo der Sohn studiert hat. Und dann gibt es inhaltlich klare Positionierungen, die wir als Vertrauensleute haben und die der Belegschaft auch zur Verfügung stehen, die ideologisch genau das vorformulieren, was Du eben beschrieben hast: Dem Leser müssten mehr Bilder geboten werden, es dürfe ihm nicht so viel Text zugemutet werden, alles müsse graphisch ansprechender aufbereitet werden. An dieser Stelle gibt es einen klaren kausalen und konkreten Zusammenhang zwischen handelnden Personen, d.h. zwischen Unternehmer und gehobenem Redaktionsapparat. Herr Vorkötter hat für die Realisierung dieses Konzepts zudem Teile der Redaktion aus Berlin mitgebracht bzw. aus Köln eingekauft – und eben nicht auf die FR-Belegschaft gesetzt, die ja vorhanden war. Lothar Birzer: Um die Widersprüche noch komplexer zu machen: Alle Bereiche, die diese Preise bekommen haben, werden nun ausgegliedert in die neue GmbH. Das heißt, genau die Preisträger, die die Rundschau auch nach Aussagen der Chefredaktion wertvoll gemacht haben, sollen nun zum schlechteren Außenhandelstarif in der neuen GmbH arbeiten. ... bzw. arbeiten bereits zu Leiharbeitstarifen in der PDF, oder? Michael Breuer: Ja. Der Grund ist, dass man ganz bewusst die schreibenden Redakteure erst mal nicht mit der Überführung in eine GmbH angegriffen hat. Es gab zwar auch in diesem Bereich Andeutungen zu Umstrukturierungen, aber es ist sicher kein Zufall, dass es zunächst die anderen trifft, weil sie immer noch traditionell zum schwächeren Teil der FR gehören. Nicht alle schreibenden Redakteure akzeptieren diese KollegInnen als Teil der Belegschaft, so, wie es eigentlich sein müsste. Rainer Kalitzky: Was meinst Du damit? Michael Breuer: Solange schreibende Redakteure einen Layouter, Fotographen, Infographiker bzw. einen technischen Redakteur als jemanden begreifen, der für die schreibenden Redakteure »dienstleistet«, solange ist der Zeitungs- und Redaktionsgedanke nicht begriffen. Diese Leute können etwas, was andere nicht können. Das besteht zwar nicht im Schreiben, aber es ist genauso ein Bestandteil der Redaktionsarbeit. Rainer Kalitzky: Richtig weh tut dies, wenn das Konzept in Richtung Cross-Media geht, wo die FR eigentlich hin will. Denn zum einen fehlt es an der Fähigkeit, diese Qualifikationen richtig zu kombinieren in einer Redaktion, und zum anderen pfeift man auf diejenigen, die zum Gelingen des Ganzen beitragen könnten. Die behandelt man, wie wir in der Produktion sagen würden, wie Hilfsarbeiter. Michael Breuer: Für mich entspinnt sich hier ein ziemlich alter Konflikt, der sich jetzt auch in der GmbH manifestiert. In dem Augenblick, wo ich diese Leute zu Dienstleistern mache, grenze ich sie aus und rekonstruiere die alte Hierarchie zwischen schreibender Redaktion und dem »Rest«. Zu der Frage, was dieser Konflikt für die FR-Belegschaft als Gesamt-Belegschaft bedeutet, kommen wir im Zusammenhang mit der Arbeitskampffähigkeit noch. Jetzt aber zu einem Punkt, den Martin Dieckmann in seinem Referat vor dem Journalistentag der DJU als »Newsdesk-Modell« beschrieben hatte. Dazu hatten wir bei unserem letzten Gespräch noch spekuliert: Kann solch ein Modell bei der FR umgesetzt werden oder nicht? Wenn ich Martin Dieckmann richtig verstanden habe, funktioniert das Newsdesk-Modell nur, wenn die Beschäftigten auch tatsächlich kooperieren können, d.h. wenn sie in der Lage sind, ein ›komplettes‹ Produkt, z.B. eine Zeitungsseite, abzugeben, und wenn sie nicht auf ihren tradierten Hierarchien beharren. Das scheint bei der FR nicht der Fall zu sein, nach dem, was Ihr beschreibt. Rainer Kalitzky: Ja, dieses kooperative Modell ist auch von einem Teil der Chefs nicht gewollt. Michael Breuer: Ob das von den Chefs ausgeht, weiß ich nicht. Die Problematik liegt vielmehr in dem, was Lothar vorhin angesprochen hat: Die schreibenden Redakteure haben oft den Eindruck, dass ihnen etwas weggenommen wurde, z.B. in Bezug auf die Gestaltung der Seiten. Diese Vorstellung ist aber nur bedingt richtig. Dazu ein Beispiel: Ich bin Infographik-Redakteur. Meine Aufgabe ist es zu wissen, ob es zu einem bestimmten Thema eine Graphik gibt bzw. dies zu recherchieren. Dabei geht es zunächst nicht darum, ob diese Graphik ansprechend gestaltet ist, sondern um deren journalistische Botschaft, ihren Inhalt also. Der Infographikredakteur muss beurteilen, was eine Graphik auf einer bestimmten Seite sagen soll. Wenn allerdings in einer Redaktionskonferenz vorher schon ausgeschnapst wird, welche Infographik wo auf welcher Seite steht und was in die Graphik rein soll, dann wird der Textredakteur zum Infographik-Redakteur, und der Infographiker, der die vorgegebenen Vorstellungen umsetzen soll, wird reduziert auf das handwerkliche Erstellen einer Graphik. Ich habe bewusst übertrieben, doch solche Abläufe gibt es. Um die These von Martin Dieckmann zuzuspitzen: Man kann das Newsdesk-Modell so umsetzen, dass insgesamt eine Verbesserung des Produkts dabei herauskommt, weil verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen kooperieren. Man kann es auch als ‚eierlegende Wollmilchsau’ konzipieren, indem alle Beteiligten für alles zuständig sein sollen, mit dem Resultat, dass eine Dequalifizierung und eine Verschlechterung des Produkts eintritt. Um es zu illustrieren: Der Beginn dieser Entwicklung war der photographierende Textjournalist, mittlerweile kommt es vor, dass Photos zu Print-Texten aus Videos generiert werden, die für ein anderes Medium – das Internet z.B. – erstellt wurden. Welche Entwicklungen seht Ihr bei der FR? Gibt es solche Tendenzen zur Dequalifizierung, oder lässt sich eine neue Qualität der Kooperation erkennen? Lothar Birzer: Wir sehen hier mit der Entwicklung zum Content-Journalismus zunächst einmal einen neuen Weg, der aber nicht nur bei der FR beschritten wird. Bei uns wurde dieses Modell mehr oder weniger durch die Hintertür eingeführt. In Köln gibt es dafür ein Programm, das sich interessanterweise Syndicate nennt. Mit diesem Programm kann man z.B. überblicken, welcher Kollege wo an welchen Themen arbeitet, und dann prüfen, ob das interessant ist für die MDS-Zeitungen in Köln, Halle oder eben Frankfurt. Am Anfang wurde das auf der Chefredaktionsebene ziemlich hochgelobt – wir haben davon als Betriebsrat erst über einen Artikel des Mitteilungsblättchens MDS erfahren. Weder wurden wir informiert, ob datenschutzrelevante Probleme damit verbunden sind, noch ob es um einen Mitbestimmungstatbestand ging. Als wir die KollegInnen in der Redaktion darauf angesprochen haben, zeigten die sich völlig begeistert von der Möglichkeit, ihre Texte nun auch in Köln oder Halle oder sonst wo lesen zu können. Dass die Pläne seitens des Verlags und der Chef-Redaktion allerdings weiter gehen, liegt auf der Hand. Warum sollte z.B. die FR zwei Leute zur Olympiade nach China schicken, wenn gleichzeitig Kollegen aus Köln oder Halle dorthin fahren? Rainer Kalitzky: Wenn es dabei »nur« – zumindest bezogen auf die FR – um den Sport ginge, würde ich mir das noch gefallen lassen. Wenn es aber beispielsweise um die Berichterstattung über die internationalen Wehrkundetage oder wie immer die heute heißen in München geht, und das sage ich jetzt als politischer Vertrauensmann und als Leser der FR, zeigen sich dabei ganz andere Dimensionen. Die Redakteure der drei Blätter mit ihren unterschiedlichen Traditionen werden so etwas jeweils mit ganz anderen Augen betrachten. Martin Dieckmann hat in seinem Referat darauf hingewiesen, dass die Zeitung heute zu einem Transportmittel verkommt, um Ware an die Kunden zu vermitteln. Dabei ist entscheidend, ob die Kundenkreise in den jeweiligen Öffentlichkeiten, die die Zeitungen schaffen, erreicht werden. Der Inhalt wird zum Mittel. Umgekehrt heißt das, dass eben nicht mehr primär gefragt werden wird, welche Aufgaben sich publizistisch und journalistisch stellen, und wie es gelingen kann, dieses Anliegen auch zu finanzieren. Michael Breuer: Damit wird sich die Tendenz zur Abnahme der Medienvielfalt im Sinne einer Abnahme inhaltlicher Vielfalt verstärken. Lothar Birzer: Ich sehe in dieser Entwicklung vor allem wirtschaftliche Gesichtspunkte. Das zeigt sich z.B. an dem Plan, ein gemeinsames Büro der Frankfurter, Kölner und Hallenser Kollegen in Berlin einzurichten. Da-bei bleibt natürlich die ein oder andere Sekretärin auf der Strecke, aber auch das gemeinsame Berliner Büro insgesamt wird nicht mehr die Personalstärke der Einzelbüros der bisherigen Redaktionen haben. Rainer Kalitzky: Dieser ökonomische Druck wird ganz eindeutig auch als Totschlagargument benutzt, und zwar zu Lasten der inneren Pressefreiheit. Man könnte solche wirtschaftlichen Hintergründe auch offen als Notwendigkeiten thematisieren und gemeinsam darüber diskutieren, welche Lösungen es gäbe, um sich wirtschaftlich über Wasser zu halten. Stattdessen wird dies als Unterdrückungsinstrument in der Personalpolitik benutzt. Die Konsequenz ist, dass eine ganze Reihe von insbesondere Jüngeren über bestimmte Themen gar nicht mehr öffentlich redet. Wenn ich als Betriebsrat oder Vertrauensmann mit diesen Kollegen spreche, heißt es gleich vorweg: »Informationen nur unter der Hand«. Diese »Schere im Kopf« ist ein Phänomen, das vor allem unter den Gebildeten, weniger in der Produktion, also im Arbeiterbereich auftritt. Lothar Birzer: Ja, aber wir als Gewerkschafter kriegen das nicht auf die Reihe. Es gibt Kollegen, die aus Verlagen kommen, wo es sowieso schon keinen Tarif mehr gibt. Die freuen sich natürlich, dass es bei der FR so etwas überhaupt gibt – und sei es in der neuen GmbH mit ihren niedrigeren Außenhandelstarifen. Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6-7/08 |