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Updated: 18.12.2012 15:51
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Guter Lohn? Gute Arbeit?

Geert Naber* über den Briefmarkt und die Deutsche Post nach der Mindestlohn-Einführung

Deregulierung von Märkten begünstigt Lohn- und Sozialdumping. Das veranschaulicht ein Blick auf die deutsche Briefbranche. Vor zehn Jahren trat ein Postgesetz in Kraft, das die Abschaffung des traditionellen Postmonopols besiegelte und die Liberalisierung der Briefdienstleistungen vorantrieb. Die Deutsche Post AG, hervorgegangen aus der schon Mitte der 1980er Jahre eingeleiteten Dreiteilung und Privatisierung der Deutschen Bundespost, sah sich daraufhin zunehmender Konkurrenz durch neue Briefdienstfirmen ausgesetzt. Deren Geschäftsmodell setzte zumeist auf einen preislichen Unterbietungswettbewerb mit Hilfe minimaler Personalkosten. Die Konsequenz: Das Gros der Neulinge am Briefmarkt zahlte Löhne weit unter dem Einkommensniveau der Arbeitskräfte, die bei der Deutschen Post Briefe sortieren und zustellen. Sehr schnell zeigte sich auch, dass sozialstaatlich geschützte Arbeitsverhältnisse nicht ins strategische Konzept der neuen Briefdienstleister passten. Der Minijob-Anteil belief sich 2004 auf über sechzig Prozent. »Atypische Beschäftigungsformen«, gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Unsicherheit, Instabilität und Fremdbestimmung, wurden zu etwas ganz Typischem bei den Post-Konkurrenten. (Vgl. auch die Berichte in express, Nr. 7-8/2006 und 1/2007)

Sich gegen die prekären Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen, war den Beschäftigten kaum möglich. Die Leitungsebenen der neuen Briefdienstfirmen erwiesen sich als überaus einfallsreich, wenn es darum ging, gewerkschaftliche Betätigung und die Gründung von Betriebsräten zu behindern. Von ver.di unternommene Versuche, Unternehmen wie die PIN Group oder TNT Deutschland zum Abschluss von Tarifverträgen zu bewegen, liefen ins Leere. Was einen gewerkschaftlichen Strategiewechsel zum Resultat hatte: Unterstützt durch den Unmut, der sich in der Bevölkerung über die »bad jobs« in der Postbranche breit machte, legte sich ver.di für staatlich festgelegte Mindestlöhne im Bereich der Briefdienstleistungen ins Zeug. In der Folge wurde diese Branche Ende letzten Jahres in das »Arbeitnehmer-Entsendegesetz« aufgenommen und zur Zahlung »anständiger« Stundenlöhne (acht bis 9,80 Euro) für das Sortieren und Zustellen von Briefen verpflichtet – gegen den heftigen Widerstand der neuen Briefdienstleister und der mit ihrer Unterstützung im Herbst 2007 ins Leben gerufenen »Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste« (GNBZ).

Mindestlohn, TNT und Deutsche Post

Anfang dieses Jahres trat die »Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Briefbranche« in Kraft. Dies feierte ver.di als großen Erfolg. Anlass zur Freude bestand auch, als der Scheingewerkschaft GNBZ kürzlich von den Arbeitsgerichten fehlende Tariffähigkeit attestiert wurde. Und dass die besonders gewerkschaftsfeindliche PIN Group in die Pleite rutschte, löste in ver.di-Kreisen ebenfalls Genugtuung aus. Trotzdem ist nun in der Briefbranche keinesfalls »alles im Lot«. Es ist wichtig, diesen Wirtschaftszweig weiterhin kritisch zu beäugen. Den Regelungen zum Post-Mindestlohn droht nämlich die Aushebelung. Besonderen Tatendrang legt dabei TNT an den Tag. Der größte aller rund 800 Post-Wettbewerber [1] lässt sich allerlei Tricks und Kniffe einfallen, um weiterhin Dumpinglöhne zahlen zu können: Arbeitsverträge werden umformuliert und »sachnahe Haustarifverträge« mit einer »christlichen Gewerkschaft« abgeschlossen, offenbar ermutigt durch eine – bisher nicht rechtskräftige – Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts. Dieses hatte im März 2008 die Allgemeinverbindlichkeit des Post-Mindestlohnes angefochten. Sollte das Oberverwaltungsgericht Berlin diesem Beschluss folgen, dürften Dumpinglohnstrategien auf dem Briefmarkt bald wieder gang und gäbe sein.

Kippt der Post-Mindestlohn, werden die Einkommen bei den Beschäftigten der Deutschen Post stark unter Druck geraten. Deshalb ist zu hoffen, dass das Berliner Oberverwaltungsgericht die »Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Briefbranche« für rechtens erklärt. Aber: Auch ein weiterhin per Mindestlohn regulierter Briefmarkt wird den »Gelben Riesen« nicht davon abhalten, seine Briefsparte im Sinne kapitalistischer Profit- und Rationalisierungslogiken zu modernisieren. Die Deutsche Post hat zwar viele Geschäftsfelder und gehört mittlerweile zu den ganz Großen der globalen Logistik- und Transportbranche, das Rückgrat des Bonner Konzerns bildet jedoch nach wie vor das Sortieren und Zustellen von Briefen auf dem einheimischen Markt. Dass die Post-Spitze bei ihrem Bemühen um höhere Renditen und Aktienkurse vornehmlich den Unternehmensbereich Brief ins Visier nimmt, kann deshalb nicht verwundern.

Zustellen und Sortieren beim Gelben Riesen

Ein besonders schroffer Rationalisierungs- und Kostensenkungskurs ist in der Briefzustellung zu beobachten. Hier baut die Deutsche Post seit Jahren kontinuierlich Arbeitsplätze ab. [2] Und das Ende der Fahnenstan-ge ist offenbar noch längst nicht erreicht. Momentan versucht die Konzernleitung in geradezu hektischer Ma-nier, die Arbeitsabläufe in der Zustellung zu »optimieren«. Damit einher geht ein rigoroses Sparprogramm. Das Personalbudget für das Jahr 2009 verlangt von den regionalen Niederlassungen eine weitere Reduzierung des ohnehin schon knappen Personalbestands in der Zustellung. Immer weniger Briefträgerinnen und Briefträger sollen immer größere Postmengen austragen. Das wird eine noch größere Arbeitsbelastung bedeuten, ein weiteres Anschwellen der Überstundenberge bewirken und gravierende Probleme in Punkto Zustellqualität mit sich bringen. Briefe und Zeitungen dürften noch häufiger als bisher mit Verzögerung ankommen. Noch mehr Kundenbeschwerden und Presseberichte über leer gebliebene Briefkästen sind vorprogrammiert. Dass diese Entwicklung im Widerspruch zur gebetsmühlenhaft proklamierten »Kundenorientierung« steht, ist der Post-Spitze offenbar gleichgültig.

Wie stellt sich die Situation in der Briefsortierung dar? Dieses Glied der Postlogistik wird geprägt durch die in den 1990er Jahren an den Rändern der Ballungsräume errichteten Briefzentren (BZ). Hierbei handelt es sich um »Sortierfabriken« mit hoch automatisierten Produktionsabläufen. Auch in der Briefsortierung betreibt die Deutsche Post in großem Stil Personalabbau, menschenleere Briefzentren werden daraus aber nicht resultieren. Zum einen, weil nicht alle Briefe »maschinenfähig« sind und deshalb teilweise manuell sortiert werden müssen. Zum anderen, weil auch die Sortieranlagen der jüngsten Generation nicht ohne die steuernden und unterstützenden Potenziale des »Faktors Mensch« funktionieren würden. Von einer Arbeit erleichternden Wirkung der Sortiermaschinen kann freilich nicht die Rede sein. Die Briefzentren führen vor Augen, dass die Entwicklung und Anwendung arbeitssparender Technik unter kapitalistischen Vorzeichen keinesfalls eine »Humanisierung der Arbeitswelt« zur Folge hat. Gerade in den Bereichen der Briefzentren, wo neueste Maschinerie zum Einsatz kommt, sind die Arbeitskräfte einem beträchtlichen Zeit- und Leistungsdruck ausgesetzt. Als besonders belastend erweist sich das Arbeiten an den in den letzten Jahren in Betrieb genommenen »Gangfolgesortiermaschinen«.

»First Choice« und Leistungslohn

Das Briefgeschäft wird sich, ungeachtet aller technischen Neuerungen, auch zukünftig nur unter Einsatz zahlreicher Arbeitskräfte rentieren. Die Deutsche Post unternimmt deshalb einiges, um ihr Personal im Sinne moderner Managementkonzepte zu beeinflussen. So wird seit einigen Monaten intensiv für »First Choice« geworben. Dieses Konzernprogramm, das sich aus der Ideenwelt des »Toyotismus« und der »lean production« speist, bedient sich blumiger Worte. »First Choice« will eine »neue Unternehmenskultur«, die den Gelben Riesen von einer »exekutierenden« in eine »lernende« Organisation transformiert. Die Belegschaften sollen dazu motiviert werden, sich an der »Verschlankung« der Arbeitsabläufe zu beteiligen – mit der Aussicht auf eine win-win-Situation. »First Choice« begreift sich nämlich nicht nur als eine Strategie zur Effizienz- und Gewinnsteigerung. Das Konzernprogramm verspricht zugleich sichere und attraktive Arbeitsplätze. Ein fragwürdiges Versprechen angesichts der in anderen Unternehmen mit »lean production« gemachten Erfahrungen: In vielen Fällen lief die Einführung schlanken Produzierens auf forcierten Personalabbau und noch mehr Intensivierung der Arbeit hinaus. Dies hilft erklären, warum sich unter den Postlerinnen und Postlern die Begeisterung für »First Choice« in Grenzen hält.

»First Choice« ist nicht das einzige Instrument, mit dem ein Wandel der Unternehmenskultur bewerkstelligt werden soll. Hingewiesen sei auf die Veränderungen der Entgeltsysteme, die das Post-Management in den letzten Jahren vorgenommen hat. Überall im Konzern wurden die Vergütungsregelungen umstrukturiert: hin zu mehr »Leistungsbezug« und »Marktorientierung«. Davon blieben auch die Briefzentren nicht verschont. Hier kam es, anknüpfend an die Aufspaltung des Lohns in ein Grund- und in ein variables Entgelt, zur Einführung regelmäßiger Leistungsbeurteilungen: Jeweils zu Jahresbeginn werden die Sortierkräfte in den BZ von den Vorgesetzten benotet, anhand eines standardisierten Bewertungsbogens mit drei Kriterien (Arbeitsquantität, Arbeitsgüte, Arbeitsweise). Die Beurteilung in den einzelnen Merkmalen erfolgt auf Basis einer Punkteskala, die vier Beurteilungsstufen aufweist und die Addition der merkmalsbezogenen Noten zu einer Gesamtziffer vorsieht. Sie ist maßgeblich für die Höhe des einmal pro Jahr ausgezahlten variablen Entgelts. Das Resultat der Leistungsbeurteilung wird dem/der Benoteten im Rahmen eines »Mitarbeitergesprächs« mitgeteilt und begründet.

In der Zustellung und in den Briefzentren arbeiten noch viele »Altbeschäftigte«, die Besitzstandszulagen erhalten. Für das Einkommensniveau dieser Postlerinnen und Postler spielt die Zahlung eines variablen Entgelts keine große Rolle. [3] Der Anteil der »Besitzständler« am Gesamtpersonal wird allerdings in den kommenden Jahren immer weiter schrumpfen. Deshalb steht zu befürchten, dass sich die entsolidarisierenden Wirkungen der Leistungsbeurteilungen bald stärker als bisher in der Postbelegschaft bemerkbar machen und einer Leistungs- und Konkurrenzfixierung Auftrieb geben werden: »Der Einzelne kann seinen Lohn nur dadurch steigern, dass er seine Arbeit sowie die diversen Verhaltensanforderungen, die zusätzlich als Leistungskomponenten in die Bewertung eingehen, überdurchschnittlich, d.h. schneller und beflissener als die Kollegen erfüllt. Da zusätzlich die Praktizierung des Mitarbeitergesprächs über die Einstufung empfohlen wird, hat man mit diesem Bewertungsverfahren nicht nur die übliche Methode der Stimulierung von Konkurrenz unter den Arbeitern um einige qualitative Momente erweitert, sondern zugleich auch den Freiheits- und Gleichheitsillusionen neue Nahrung gegeben, wonach die gesellschaftlichen Unterschiede auf den Unterschieden individueller Leistung beruhen.« [4]

Sozialpartnerschaft ade

Die »marktorientierten Modernisierungen« im Bereich der Briefsortierung und -zustellung gehen beim Gelben Riesen mit der »marktorientierten Aufgabe« ganzer Geschäftsfelder einher. So wird sich die Deutsche Post komplett vom eigenen Filialnetz trennen. Bis Ende 2011 sollen die restlichen 750 posteigenen Filialen und ehemaligen Postämter abgegeben werden an so genannte Postpartner, vornehmlich aus dem Einzelhandels- und Supermarktgewerbe. Die bisher in den Filialen Beschäftigten sollen an anderer Stelle im Konzern eingesetzt werden. Vom Konzern entlassen werden hingegen rund 15000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den USA. Sie erhalten Kündigungsschreiben, weil sich die Posttochter DHL aus der inneramerikanischen Beförderung von Expresssendungen zurückzieht.

Welche Konsequenz zieht die Konzernspitze aus dem kostspieligen DHL-Desaster? Sie hat jüngst eine Verschärfung des laufenden Kostensenkungsprogramms angekündigt. Diese Verschärfung wird hierzulande (vorerst) keine Entlassungen mit sich bringen – aufgrund eines tarifvertraglich verankerten Beschäftigungspakts, der bis Mitte 2011 betriebsbedingte Kündigungen ausschließt. Befürchtet werden muss aber, dass die Konzernführung ihre Modernisierungs- und Rationalisierungskonzepte für die Briefsparte demnächst noch rigoroser umzusetzen versucht. Die Bereitschaft zu Kooperation und Kompromissen mit Betriebsräten und Gewerkschaften dürfte in der einst stark sozialpartnerschaftlich geprägten Post weiter nachlassen. Diese Radikalisierung der Unternehmenspolitik erfordert eine Radikalisierung gewerkschaftlichen Handelns. »Und radikal heißt in diesem Zusammenhang, eine andere Begründungsperspektive von Arbeitspolitik zu entwickeln. Sie geht von den Erfordernissen und Bedürfnissen der Arbeitskraft und den autonomen Ansprüchen der Arbeitssubjekte an die Gestaltung ihres Lebens und ihrer Arbeit aus. Nur wenn es gelingt, die Qualität der Arbeit in ihrer Eigensinnigkeit gegenüber marktzentrierten Ansprüchen und Steuerungsformen in Stellung zu bringen – und damit auch als eigensinnige Perspektive der ›Arbeitssubjekte‹ – nur dann können die Chancen wachsen, die gegenwärtige Ohnmacht zu durchbrechen und Arbeitspolitik wieder stärker in die Offensive zu bringen.« [5]

* Geert Naber arbeitet bei der Deutschen Post (Briefzentrum Oldenburg) und ist ver.di-Mitglied

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11/08


(1) Im Unternehmensbereich »Adressierte Briefsendungen« verfügt TNT Deutschland über 4000 eigene Zustellerinnen und Zusteller. Außerdem ist der Ableger der niederländischen Post an über 150 Zustellpartnerunternehmen mit regionalem Aktionsradius beteiligt. Die Zahl der Zustellerinnen und Zusteller, die für TNT bundesweit pro Woche rund 41 Mio. nichtadressierte Werbesendungen in die Briefkästen stecken, beläuft sich auf etwa 36000.

(2) In den letzten zehn Jahren sind beim Gelben Riesen über 33000 Vollzeitarbeitsplätze in der Zustellung verschwunden. Zurzeit beschäftigt die Deutsche Post etwa 80000 Zustellerinnen und Zusteller.

(3) Ein eventuell zu zahlendes Leistungsentgelt wird gegen die Besitzstandszulage verrechnet. Da der Besitzstand fast immer höher ausfällt als ein möglicherweise zu zahlendes Leistungsentgelt, wird letztlich an die meisten »Altbeschäftigten« kein Leistungsentgelt gezahlt.

(4) Sebastian Herkommer / Heinz Bierbaum: »Industriesoziologie. Bestandsaufnahme, Kritik, Weiterentwicklung«, Stuttgart 1979, S. 185

(5) Dieter Sauer: »Arbeiten unter (Markt-)Druck: Ist noch Raum für innovative Arbeitspolitik?«, in: WSI-Mitteilungen, Heft 4/2005, S. 179-185, hier S. 184


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