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Updated: 18.12.2012 15:51
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Gut, dass wir gekämpft haben . Interview mit Axel Peters von der NGG (*)

Axel Peters hat als hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär den Streik von Anfang bis Ende begleitet, betreut und mitorganisiert. Das Interview hat am 11. Oktober 2006 stattgefunden.

Welches Resümee zieht ihr als Gewerkschaft aus diesem langen Streik?

Die Geschlossenheit unter den Streikenden war bemerkenswert. Hinzubekommen, dass sechs Monate lang fast keiner der am Streik Beteiligten Streikbruch macht, ist schon eine Sensation. Für uns als Gewerkschaft stellen sich aber auch allgemeine Fragen. Wir haben dieses nahezu perfekte Streikbruchmanagement der Firma erlebt. Da hatte niemand mit gerechnet. Solche Streikbruchpläne von Arbeitgebern können wir schwer durchkreuzen. Ein herkömmlicher Streik, den alle gemeinsam beginnen und beenden, kann nicht die einzige Möglichkeit bleiben. Wir müssen von Anfang an mit den Belegschaften auch andere Streiktaktiken erörtern.

In den ersten Tagen gab es Versuche der Streikenden, die LKWs an der Ausfahrt zu hindern. Es gab auch andere Ideen, wie der Streikbruch verhindert werden könnte. Sind solche Ideen noch mal weiter diskutiert worden?

Es war für viele eine totale Frustration, zu sehen, wie die LKWs vom Hof fuhren und zurückkamen. Es gab gleich am ersten Tag eine kurzfristige spontane Behinderung der Auslieferung. Dann haben sich die Streikenden für mehrere Tage auf Zebra-Streifen-Betreten verlegt, bis die Polizei das verboten hat. Aber die Öffentlichkeit hatte von diesem Streik Kenntnis und es gab Menschen, die diesen Streik gegen einen internationalen Konzern und eine internationale Investorenfirma politisch als »antikapitalistischen Kampf« einordneten und deshalb die Streikenden unterstützten. Keiner der Streikenden war traurig, wenn Hilfe von Außen kam.

Euer Vorschlag der flexiblen Streiktaktik stieß bei Streikenden auf Skepsis. Bei der moderierten Streikversammlung im Februar kam es zu heftiger Kritik aus der Belegschaft.

Auf der Versammlung haben wir die Verhandlungszwischenstände dargelegt, um abzufragen, ob jeder einzelne und alle zusammen mit diesen Punkten ­leben konnten. Einige Leute meinten: »Mit solchen Ergebnissen gehe ich nicht rein.« Wir mussten darlegen, dass wir, um ein besseres Ergebnis zu erreichen, die Streiktaktik ändern müssten. Wir wissen, dass auf Arbeitgeberseite viele glaubten, die kleine Gewerkschaft NGG könnte diesen Streik nicht lange finanzieren. Eine völlig falsche Einschätzung. Wir haben alles in un­seren Kräften Stehende gemacht, um diesen Streik organisatorisch abzu­sichern. Über sechs Monate haben wir die Standards geschaffen: Catering mittags und abends, immer ein Dach über dem Kopf, immer schön warm, immer Strom und Gas, immer noch gute Laune und immer noch einen Hauptamtlichen dabei. Es war nicht einfach, den Streik mit einem für alle akzeptablen Ergebnis gemeinsam zu beenden, aber nach sechs Monaten hatten wir einen Tarifvertrag, der von der Mehrheit getragen wurde.

Einige KollegInnen haben in dem Streik sehr selbständig gehandelt. Gab es da von Seiten der Gewerkschaft »Kontrollverlustängste«?

Wir waren sehr froh, dass z.B. ein Kollege nach relativ kurzer Zeit als Presse­sprecher fungierte. Ihm war die Rolle zugefallen, er hat sie gut ausgeübt, alle haben es akzeptiert und er hat es auch wunderbar gemacht. Am Anfang war es relativ schwierig, Kollegen zu gewerkschaftlichen Versammlungen mit hinzubekommen. Dort hat erst mal der Hauptamtliche geredet. Mit der Zeit haben die Kollegen auch ohne Hauptamtlichen Reden gehalten. Sie haben dann selbst neue Termine organisiert und vereinbart. Ich denke nicht, dass es da auf unserer Seite Angst vor Kontrollverlust gab. Es gab viele Situationen, wo wir einfach organisatorisch gucken mussten, was wir mit den ganzen verschiedenen Solidaritätsbesuchen bei uns am Streikzelt machen. Wir haben gesagt, dass natürlich die Streikleitung, bestehend aus den hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionären und der betrieblichen Streikleitung, entscheidet, was genau zu geschehen hat.

Ein Grund für den massiven Streikbruch war ja anscheinend, dass die Kommunikation zwischen Düsseldorf und den von ver.di organisierten Standorten nicht funktioniert hat.

Von der sehr breit strukturierten Gewerkschaft ver.di haben wir fast vom ersten Tag an viel Unterstützung bekommen. Aber ausgerechnet zu dem Bereich, der die anderen Gate-Gourmet-Betriebe betreut, gab es leider wenig Verbindung. Wir bekamen aus Betriebsratskreisen aus Frankfurt-Zeppelinheim schon sofort Solidaritätsgrüße und beste Wünsche, aber erst nach einiger Zeit merkten wir dann, dass aus diesem Betrieb auch Streikbrecher kamen, und ich bin mir noch nicht mal sicher, ob der Betriebsratsvorsitzende das selbst vom ersten Moment an wusste.

Wir haben mit dem Leiter der Tarifkommission für Gate Gourmet bei ver.di gesprochen. Der hat gesagt, dass es ein Fehler der NGG war, den Streik zu beginnen, und dass sie mit ihren Tarifverhandlungen erst mal abwarten, was da rauskommt.

Wir werden ver.di nicht fragen, wann wir streiken. Es war kein Fehler, diesen Streik zu beginnen. Schließlich war das schon monatelang ein Pulverfass.

Was meinst du mit Pulverfass?

Etwa ein halbes Jahr vorher war die Situation schon unerträglich. Der Betriebsrat hat dann eine Betriebsratsdiskussion veröffentlicht, wo für alle erkennbar war: Was macht diese Situation mit uns persönlich, wie geht's uns dabei eigentlich? Als das dann an den Schwarzen Brettern hing, haben viele festgestellt: So wie ich mich die ganze Zeit insgeheim fühle, so geht's offensichtlich allen. Von dem Moment an, wo das jedem Einzelnen klar war, dass das wirklich alle so sehen, wurden die Leute auf diesen wöchentlichen Meetings aggressiver und artikulierten auch, wie unmenschlich sie es in diesem Betrieb empfinden. Dann begannen im Sommer die Tarifverhandlungen, nach jeder Verhandlung wurden die Leute aggressiver und wollten dann auch, dass etwas passiert. Das spürte die Firmenleitung, es hagelte Abmahnungen und alle möglichen merkwürdigen Extrakontrollen, und der Umgangston wurde immer rauher. Bis am Abend vor Streikbeginn hatte sich das noch zugespitzt. Da wurde nur noch rumgeschrieen, insbesondere im Fahrer- und Supervisorbereich. Es gab dann auch noch diesen halböffentlichen Schriftwechsel zwischen der LTU und dem Betriebsrat oder der Firmenleitung, der dann auch ausgehängt worden ist: Wer streikt, riskiert seinen Arbeitsplatz.

Euer Verhältnis zu den UnterstützerInnen war am Anfang relativ offen. Später ist es spürbar abgekühlt.

Über die Dauer des Streiks sind informelle Strukturen gewachsen und es gab gut gemeinte Unterstützungsaktivitäten, z.B. Busfahrten nach Frankfurt und solcherlei Dinge, wo die Initiative nicht von der NGG kam. Mit dem Aufwand, den wir geleistet haben, waren wir schon an der absoluten Obergrenze. Bei der Vielzahl der Unterstützungsaktivitäten konnten wir nicht alle Kontakte durchgehend pflegen. Für die Streikenden war jede Unterstützung wichtig.

Nach den Streiks gegen Entlassungen und Betriebsschließungen bei Opel und AEG gibt es neue Diskussionen in den Gewerkschaften. Kommt da was in Bewegung?

Wir sind konfrontiert mit dem riesigen Erpressungspotential der internationalen Konzerne. Das Kapital fließt immer dort hin, wo es sich am besten vermehrt. Wer als Betriebsratsmitglied oder Gewerkschaftsvertreter Verantwortung trägt, der muss da abwägen. Es mag die eine oder andere Situation geben, wo man sagt: Ok, wir geben ein bisschen was ab von dem erreichten Standard, um die Arbeitsplätze zu erhalten. Ich halte das für eine legitime Überlegung. Gleichzeitig weiß eigentlich jeder, dass es eine Illusion ist, damit auf Dauer Arbeitsplätze zu retten. Das Kapital wird nicht aufhören, nach China fließen zu wollen, oder sonst wohin. Ich halte den Sanierungstarifvertrag vor drei Jahren persönlich durchaus für richtig. Das hatte mit Arbeitsplatzsicherheit zu tun. Aber wir haben gesehen, wie sehr man dabei auf die Nase fallen kann. Insbesondere wenn Kontrollmechanismen durch den Betriebsrat nicht funktionieren. Man kann so was probieren, aber es gibt keine Garantie, dass es einem irgendwann gedankt wird, und dass der Unternehmer es der Belegschaft positiv zurückzahlt. Mittelfristig wird den Gewerkschaften politisch nichts anderes übrig bleiben, als der Öffentlichkeit die komplizierten Zusammenhänge des kapitalistischen Systems vor Augen zu führen. Manche sagen: Ist es nicht schon so im Lande, dass die Menschen schon längst allesamt eigentlich wissen, mit was für einem Scheißsystem wir es zu tun haben? Vielleicht brauchen die Menschen ein Bild von einer alternativen solidarischen Gesellschaft und mehr glaubwürdige Hoffnungsträger.

Du hast gesagt, es war nicht falsch, den Streik anzufangen. Wie würdest du im Nachhinein den Streik insgesamt bewerten?

Es war gut, dass wir gekämpft haben. Für uns alle ist allein die Erinnerung, dass wir mit geradem Rücken geschlossen so lange Zeit für die Interessen und die Menschenwürde dort gestanden haben, ein Meilenstein in der eigenen Lebenserfahrung. Für die Organisation NGG ist es auch ein wichtiger Eckpfeiler in der Historie. Dass wir als eine der kleinsten Gewerkschaften so eine organisatorische Leistung vollbringen, das hat uns die Achtung aller anderen gebracht. Es ist im Grunde sensationell, dass dieser Streik nach einem halben Jahr einmütig mit diesem Ergebnis beendet werden konnte. Es gibt an jedem Ergebnis etwas zu meckern. Aber trotz alledem sind wir einheitlich nach diesem Streik wieder in den Betrieb gegangen. Wir haben die Gewerkschaftsfahne am ersten Tag gehisst, und als wir sie nach sechs Monaten wieder runtergeholt haben, war sie nicht zerfetzt.

Auszug aus dem Buch (Seiten 243-246) exclusiv im LabourNet Germany:

Auf den Geschmack gekommen .... Sechs Monate Streik bei Gate GourmetAuf den Geschmack gekommen .... Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet

Das von Flying Pickets herausgegebene Buch erschienen gerade eben im Dezember 2006 bei Assoziation A (ISBN 3-935936-54-0, 264 Seiten, 12.00 €). Siehe dazu:


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