Home > Diskussion > Gewerkschaftsstrategien > (intern.) Erfahrungen > Kampfform > ggbuch
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Pulsmessungen. Ein Nachwort (*)

Den Streik bei Gate Gourmet in Düsseldorf hatten einige KollegInnen gut vorbereitet. Mit ihrem taktischen Geschick und ihrer Sensibilität für die Gemütslage der KollegInnen haben sie die Manöver des Managements unterlaufen und die ArbeiterInnen dazu gebracht, die Faust aus der Tasche herauszuholen. Erst als »die ganzen Pulsmessungen erfolgreich beendet waren«, sind sie rausgegangen und haben »Basta!« gesagt. Der Streik entstand nicht aus einem vorher verabreichten »Bewusstsein« oder langwieriger Aufklärungsarbeit. Sie haben mit ihren KollegInnen geredet, am Puls gefühlt, und dann dafür gesorgt, dass es nicht beim ohnmächtigen Herzrasen bleibt, wie wir es heute in so vielen Betrieben erleben.

Gegen die geballte Kapitalmacht konnten sie sich im Streik nicht durchsetzen. Daher haben sie die Verhältnisse im Betrieb nach dem Streik nicht grundlegend zu ihren Gunsten verändern können. Der Kampf war ein kleines Signal, er hat anderen Mut gemacht und ihnen gezeigt, dass wir nicht alles schlucken müssen. Aber die Frage blieb offen, wie ArbeiterInnen wieder Macht entwickeln können. Kämpfen ist wichtig, um aus der Lähmung herauszukommen. Der Rückgang der Streiks in den letzten zwanzig Jahren war eine Verarmung und ein Verlust der Widerstandskultur. Aber »man muss auch gewinnen«, wie die KollegInnen von der U-Bahn in Buenos Aires sagen:

»Wenn du einen Schritt machst und gewinnst, dann fühlen sich die compañeros stärker für den nächsten Schritt. Jetzt haben wir über den letzten Konflikt geredet, und ich habe noch mal an den ersten Konflikt gedacht, und wie viel sich seitdem verändert hat. Beim ersten Konflikt sind die compañeros schon mitgegangen, aber sie hatten große Zweifel. Es ist falsch, zu glauben, dass wir gewinnen, weil da gute Leute am Werk sind. So läuft das nicht. Es muss Triumphe geben. Denn es gibt Orte, wo sehr gute Leute sind, wo sie aber keinen Konflikt gewinnen, und so kommen sie auch nicht vorwärts. Oder sogar umgekehrt: dass dann die Alten [Gewerkschafter] zurückkommen, die in Absprache mit den Chefs was erreichen. Man muss schon gewinnen, und dann versuchen, die fortgeschrittensten Punkte des Kampfes aufzunehmen und weiterzuentwickeln. Das ist die Kunst: rauszufinden, was das Fortschrittlichste ist, was nach einem Kampf bleibt, und sich darauf weiterzubewegen.« (www.wildcat-www.de/aktuell/a045subte.htm externer Link)

Bei Gate Gourmet gab es »gute Leute« - aber sie haben nicht gewonnen. Daher bleibt erstmal nicht viel zurück - keine gefestigte Organisierung von Arbeitermacht, kein geschlossenes Kampfkollektiv, und die Chefs beeilen sich, die bloße Erinnerung an den Streik und das solidarische Zusammenstehen im Vergessen des Alltagstrotts zu versenken. Es sind KollegInnen übrig geblieben, auf die wir in den nächsten Kämpfen immer wieder stoßen werden. Auch sie stehen vor der Frage, wie sich den Angriffen der Unternehmer wirksam etwas entgegensetzen lässt.

Dabei war der Ort des Streiks nicht schlecht gewählt, um die Machtfrage zu stellen. Deutlicher als in Düsseldorf hatte sich das in London-Heathrow gezeigt. In der gesellschaftlichen Debatte wird die Frage der Arbeitermacht durch Ideologien und Theorien vernebelt, die dem Kapital zur Seite stehen, wenn es die ökonomische Überflüssigkeit der ArbeiterInnen verkündet. In diesen Theorien verschwindet die Arbeit entweder von der Bildfläche, weil die »moderne Informationsgesellschaft« auf Handarbeit nicht mehr angewiesen sei, oder weil sich alles in »Dienstleistung« verwandele. Selbst linke Theoretiker beeilen sich, diese marktgängigen Ideologien nachzuplappern, und wähnen sich in einer Welt der »immateriellen« Arbeit, die nicht mehr ausgebeutet wird. Die Industriesoziologen, die auf Rechnung der Unternehmer durch die höchst materiellen Fabrikhallen ziehen, sehen ein neues Zeitalter der Harmonie zwischen Kapital und Arbeit gekommen, weil sich die Beschäftigten in der Teamarbeit frei entfalten und eigene Ideen entwickeln könnten.

All diese Schlagworte der kreativen Dienstleistungsgesellschaft, in der aus dem alten Malocher ein innovativer Kundenberater geworden sei, finden wir auch im Managementjargon bei Gate Gourmet. Die Geschichten, die uns die ArbeiterInnen erzählt haben, zeigen eine ganz andere Welt: eine perfidere Ausbeutung, die Beschlagnahmung des ganzen Lebens durch die Firma, die Durchsetzung des Kommandos von oben über die Streitereien und das Mobbing unten. »Catering« klingt so schön nach Dienstleistung, als würden hier nur ein paar Oliven für die Party garniert. Und doch ist es einfach Knochenarbeit, mit den alten Methoden der Stoppuhr und des Terrors der Vorarbeiter, bis an die Grenze des Erträglichen verdichtet und flexibilisiert.

Aber gerade deshalb wissen die ArbeiterInnen, dass es immer noch auf sie ankommt. Dass ein großes Räderwerk wie der Flughafen nicht von alleine reibungslos läuft. Und Flughäfen lassen sich nicht nach China verlagern - im Gegenteil. In dem Maße wie Fliegen zu einem Massenprodukt geworden ist, das sich nun auch ArbeiterInnen leisten können, ist die Arbeit am Flughafen zu einer Massenarbeit geworden und expandiert. Der Wegfall der vergünstigten Flüge für die ArbeiterInnen in den vielen ausgelagerten Bereichen ist ein symbolträchtiger Hinweis auf den Wandel der Arbeit in der Luftfahrt. Vom Boom der Billigflieger ist das Catering besonders betroffen, aber mit der weiteren Zunahme der Passagierzahlen wird an den Flughäfen und in der Luft mehr Arbeitskraft gebraucht. Sie soll immer billiger werden, aber befreit vom Flair der Luxusarbeit wird sie auch rebellischer.

Ein Rückblick auf die letzten zwanzig Jahre zeigt, dass sich die ArbeiterInnen in der Luftfahrt ihrer Macht bewusster geworden sind, dass sie schon von Berufs wegen eine stärker internationalistische Orientierung haben, und dass sie in ihren Kampfformen radikaler geworden sind. Als Air France 1993 einen Sanierungsplan mit Massenentlassungen ankündigte, stieß sie auf unerwartet heftigen Widerstand. Die ArbeiterInnen wagten es zum ersten Mal in der Geschichte dieser Airline »auf das Allerheiligste, die Landebahnen zu gehen. Nicht einmal im Mai '68 haben sie das gemacht« (ein Arbeiter vom Flughafen Paris-Orly, wildcat Nr. 63, 1993). Als die Sabena 2001 vor der Pleite stand, stürmten ArbeiterInnen mehrmals die Pisten oder blockierten Flugzeuge der Swissair, die der Sabena den Geldhahn zudrehte. Als im Mai 2001 die Piloten der Lufthansa für eine Lohnerhöhung von dreißig Prozent streikten, waren sie Teil einer weltweiten Welle von Arbeiterkämpfen in der Luftfahrt ( wildcat-zirkular Nr. 59/60, 2001). Der Einbruch der Luftfahrt nach dem 11.9. unterbrach zunächst den Kampfzyklus, aber mit dem erneuten Boom, vor allem der Billigflieger, kehrt auch die Militanz an die Flughäfen zurück. Am 28. Juli 2006 besetzten 800 Iberia-Beschäftigte die Rollbahnen des Flughafens El Prat in Barcelona, um gegen ihre Auslagerung zu protestieren, der die Gewerkschaften »sozialverträglich« zugestimmt hatten.

Von der Besetzung der Landebahnen haben sicherlich einige der Streikenden oder der UnterstützerInnen in Düsseldorf geträumt und es hätte dem Streik eine ganz andere Wendung gegeben - ähnlich wie es sich die Kampagnen gegen die Abschiebung von Flüchtlingen, die von Düsseldorf aus massiv laufen, wünschen. Auch Gewerkschafter sind sich bewusst, welche Macht in der Blockierung von Flughäfen liegt. 1992 wie 2002 wurden während der Tarifkämpfe im öffentlichen Dienst Flughäfen bestreikt, auch der Düsseldorfer. 2006 haben sie keine große Rolle gespielt, weil Auslagerungen und Privatisierungen die Streikfähigkeit von ver.di in diesem Bereich untergraben.

Flughäfen sind ein gutes Beispiel für Arbeitermacht, nicht das einzige. Auch in den klassisch-industriellen Branchen, dem Maschinenbau, der Auto- oder der elektrotechnischen Industrie sind die Fabriken in der Realität weit weniger verschwunden als aus den Köpfen. Selbst in denjenigen Kämpfen der letzten Jahre, in denen das Kapital die ArbeiterInnen einfach für überflüssig erklärte, bewies der Streikverlauf das Gegenteil: Bei Opel-Bochum wurde der wilde Streik im Oktober 2004 genau in dem Moment abgebrochen, als er zum Stillstand des gesamten europäischen Verbunds von General-Motors-Fabriken geführt hätte. Als der Kampf gegen die Schließung von AEG in Nürnberg zum Problem für die bereits nach Osteuropa verlagerte Produktion wurde, fand sich schnell eine Einigung, die unter den ArbeiterInnen auf ein sehr geteiltes Echo stieß. Aus Wut über den Abschluss setzt ein Teil der betroffenen KollegInnen den Streik im Betrieb mit dem Krankenschein fort.

Warum werden Kämpfe immer dann abgebrochen, wenn sie beginnen, wirksam zu werden? Oder warum werden sie erst gar nicht so geführt, dass sie effektiven ökonomischen Druck ausüben? Es ist nicht einfach Bösartigkeit oder bürokratische Korruption in den Gewerkschaften, sondern sie sind oder werden selber »gegängelt«, wie es einer der Streikenden ausdrückt (S. 166). Ein Großteil ihrer Macht beruht nicht auf der Solidarität und Kampfbereitschaft der ArbeiterInnen, sondern darauf, dass Gewerkschaften als halbstaatliche Institutionen arbeits- und sozialrechtlich integriert und »befestigt« sind. Für ihren organisatorischen Erhalt wiegt die Anerkennung als verlässliche Verhandlungspartner durch die Unternehmer und ihre Hofierung durch den Staat als Garanten des sozialen Friedens mehr als die Durchsetzungsmacht in wirksamen Kämpfen. Selbst angesichts eines dramatischen Mitgliederschwunds wäre es in ihrer organisatorischen Selbsterhaltungslogik zu riskant, auf eine Radikalisierung zu setzen. Umgekehrt liegt darin das Problem oder die Chance, dass sie die ihnen zugewiesene Kontrollfunktion immer schlechter erfüllen können. Das Ausmaß an Selbständigkeit, das die Streikenden bei Gate Gourmet praktizieren konnten, hatte sicher auch mit den begrenzten Kapazitäten einer kleinen Gewerkschaft zu tun, die in den letzten zehn Jahren ein Drittel ihrer Mitglieder verloren hat.

Hier stellt sich wieder die Frage, was aus dieser für einen kurzen Moment lebendigen Selbständigkeit und diesen Erfahrungen wird. Sie lassen sich nicht konservieren, auch nicht zwischen Buchdeckeln. Sie existieren nur als gelebte Praxis, die dann um sich greifen und sich weiterentwickeln kann, wenn sie sich in der Vervielfachung der Kämpfe verdichtet und verallgemeinert. Die Streikerfahrungen seit 2004 lassen hoffen, dass es zu einer solchen Vervielfältigung kommen könnte - von den Kämpfen bei Daimler-Chrysler und Opel 2004, über die Erfahrungen bei Alstom, Siemens München, die viertägige Blockade des Philips-Glühlampenwerkes in Aachen Ende Januar 2006, die neuen Momente in den Streiks im öffentlichen Dienst und an den Krankenhäusern, AEG-Nürnberg, CNH in Berlin-Spandau oder die Radikalisierung im Kampf gegen die Schließung der Bosch-Siemens-Hausgerätewerke in Berlin, um nur einige zu nennen. In diesem Rahmen muss der Streik bei Gate Gourmet gesehen werden. Die Perspektive einer Arbeiter- Bewegung ist zum Greifen nahe, und doch blockiert, wie es einer der Streikaktivisten von Gate Gourmet auf den Punkt bringt: »Allein erreichen wir nichts. Ein Streik in Essen, ein Streik in Düsseldorf, ein Streik woanders - das bringt eigentlich nichts. Man hätte die gewaltige Kraft der Streikenden zusammen einsetzen müssen. Aber darüber macht man sich zur Zeit keine Gedanken. Ich war in Essen, in Düsseldorf und in Aachen und habe beobachtet, wie das läuft. Überall wurde der Streik anders ausgeübt. Das reicht aber nicht, es war viel zu passiv. Wir müssen im wahrsten Sinne des Wortes näher rücken. Wenn es sein muss, sollten alle Streiks zusammen gemacht werden, damit man sieht, welche Kraft dahinter steckt. Aber das ist nicht passiert. Jeder streikt für sich selbst. Es fehlte der Zusammenhalt.« (Interview SoZ, Mai 2006)

Wir stehen nicht vor einem neuen kapitalistischen Boom, es hilft kein Abwarten oder Hoffen auf bessere Zeiten. Die besondere Spezie der »Heuschrecke«, mit der es die Gate-Gourmet-ArbeiterInnen zu tun hatten, ist kein bedrohliches Ungeziefer, wie es in der populistischen Propaganda von Sozialdemokraten und Gewerkschaften dargestellt wird, sondern nur ein weiteres Indiz für das schleichende Ende des kapitalistischen Gesellschaftszusammenhangs. Sie ziehen nicht weiter, um das nächste Feld glücksbringender Arbeitsplätze abzugrasen, sie beschleunigen nur den Ruin einer Welt, die auf mühseliger Arbeit und sinnlosen Konsumversprechungen beruht. Wenn die Pyramiden der Finanzspekulation zusammenbrechen, wird es wichtig sein, an den neuen, wenn auch noch isolierten Kämpfen gegen die vermeintliche Allmacht des Kapitals anknüpfen zu können. Damit wir verstehen, dass wir »den Laden umkippen können«, weil wir ihn aufgebaut haben.

In den Kämpfen entdecken Menschen neue Orte und neue Dimensionen ihrer Gesellschaftlichkeit, die jenseits von Gelderwerb und Arbeitsfleiß liegen. Eine neue Welt wird nicht vom Himmel fallen und kein Staat wird sie uns schaffen können. Wir werden sie nur selber produzieren können, indem wir endlich unsere Menschlichkeit selber herstellen. Selbst in einem so kleinen Streik wie bei Gate Gourmet haben die KollegInnen es einfach genossen, den Chefs, die sie täglich drangsalierten, ein schlichtes »Nein« zu sagen. Das ist noch keine neue Welt, aber diese Selbstbehauptung und dieses Ringen um Autonomie ist die einzige Substanz, aus der sie entstehen könnte.

Auszug aus dem Buch (Seiten 247-251) exclusiv im LabourNet Germany:

Auf den Geschmack gekommen .... Sechs Monate Streik bei Gate GourmetAuf den Geschmack gekommen .... Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet

Das von Flying Pickets herausgegebene Buch erschienen gerade eben im Dezember 2006 bei Assoziation A (ISBN 3-935936-54-0, 264 Seiten, 12.00 €). Siehe dazu:


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang