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Updated: 18.12.2012 15:51
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WARNing WalMart

Organisierung auch ohne Mehrheitsgewerkschaft

»Süßer Sieg« titelte »The Nation«, als sie am 6. Januar meldete, dass WalMart 172 Mio. Dollar Schadensersatz an ehemalige und noch Beschäftigte zahlen müsse, weil der Konzern ihnen obligatorische Mittagspausen nicht gewährt habe. Fast zeitgleich gab es weitere Sweeties für die wachsende Zahl der WalMart-KritikerInnen - und Saures für den größten Einzelhandelskonzern der Welt: Im Bundesstaat Maryland wurde ein Gesetz verabschiedet, dass WalMart dazu zwingt, mindestens acht Prozent der Lohnsumme für die Krankenversicherung seiner Beschäftigten aufzubringen - oder entsprechend höhere Beiträge an den öffentlichen Fonds für Nichtversicherte abzuführen. Und während den Gewerkschaften der Zugang zu dem für seine anti-gewerkschaftliche Politik berüchtigten Konzern weiterhin verschlossen bleibt, gerät dieser nun auch noch von anderer Seite unter Druck:

Nicht nur bei WalMart und anderen großen Einzelhandelsketten, sondern generell in allen Branchen, die von einem niedrigen Organisierungsgrad, schlechter Bezahlung, Beschäftigungsunsicherheit und miesen Arbeitsbedingungen geprägt sind, sind die ArbeiterInnen meist ein zerfaserter Haufen. In Zentralflorida hingegen kämpfen die WalMart-Beschäftigten gemeinsam - und manchmal ausgesprochen erfolgreich, wo sie kollektive Aktionen gegen konkrete Probleme im Betrieb und branchenweite Probleme thematisieren.

So wurden in einer Kleinstadt über 20 Prozent der Belegschaft der örtlichen WalMart-Filiale die Arbeitsstunden gekürzt. Die Beschäftigten verfassten eine Petition zur Rückgabe ihrer Stunden, sammelten dafür innerhalb von drei Tagen 390 Unterschriften und reichten sie bei der Kommune ein. Sie bekamen ihre Stunden zurück.

In South St. Petersburg wurde ein beliebter Kollege des Diebstahls beschuldigt und entlassen. Am folgenden Tag legte die Hälfte der Beschäftigten seiner Schicht die Arbeit aus Protest nieder. In einer anderen Filiale rannten 20 Beschäftigte dem Management die Tür ein, nachdem einer 70-jährigen Abteilungsleiterin der Arbeitsplan geändert worden war. Innerhalb weniger Tage bekam sie ihren alten Arbeitsplan zurück. (...)

Widerstand aufbauen

Diese Aktionen wurden von Mitgliedern der WalMart Workers Association (WWA) initiiert und angeführt, einer wachsenden Gruppe von 300 aktuellen und ehemaligen Beschäftigten aus über 40 WalMart-Filialen.

»Dies ist eine Protestbewegung von WalMart-ArbeiterInnen, die sich zusammenschließen, um Verbesserungen ihres Lebens bei der Arbeit und in ihren Kommunen zu erreichen«, sagt Rick Smith, Organizer bei WWA und Florida-Chef der Wal-Mart Association for Reform Now (WARN), einer Koalition kommunaler Gruppen von Beschäftigten und Hausbesitzern sowie Organisationen zur Armutsbekämpfung. »Es geht darum, dass WalMart-Beschäftigte zusammenhalten, für die Anerkennung ihrer Arbeit sorgen, Fahrgemeinschaften und gegenseitige Hilfe bei der Kinderbetreuung organisieren.«

Als Nicht-Mehrheitsgewerkschaft wartet die WWA nicht auf die gerichtliche Anerkennung einer gewerkschaftlichen Interessenvertretung im Betrieb, bevor sie kollektive Aktionen organisiert. Sie nutzt die unmittelbare Wut und Kreativität der Beschäftigten, um alltägliche Erfolge zu erzielen, aber auch um Druck für längerfristige Kampagnen aufzubauen. Diese Strategie hat ihren Ursprung bei Beschäftigten aus Branchen, in denen die Anerkennung von Gewerkschaften die Ausnahme darstellt: Angestellten von Einzelhandelsketten und staatlichen Stellen, von IT-Firmen etc.

»Wir haben ein Recht auf Organisierung, egal was der Arbeitgeber oder der Staat macht«, sagt Smith. Die WWA hat ihre Arbeit im April 2005 in Florida aufgenommen. Eine Anschubfinanzierung erhielt sie von den Gewerkschaften United Food and Commercial Workers (UFCW) und Service Employees International Union (SEIU), dem Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO sowie der Organisation Association of Community Organizations for Reform Now (ACORN), die u.a. für die Etablierung von Existenzlöhnen kämpft. Mitglieder der WWA bezahlen einen Beitrag von monatlich fünf Dollar.

In den meist ländlichen Gegenden mit niedrigem Organisierungsgrad fingen die WWA-Organizer bei Null an: Sie klapperten die Kommunen ab und klopften an die Türen, um herauszufinden, ob die Bewohner für WalMart arbeiteten oder jemanden kannten, der das tat.

Der strategische Fokus von WWA und WARN liegt auf Zentralflorida. WalMart plant eine vollständige »Sättigung« dieses Gebiets mit WalMart-Filialen. Vorgesehen ist eine extreme Dichte von einer Filiale pro zwei Meilen. Außerdem soll die Zahl der Supercenter in der Region nach Erkenntnissen von WARN bis 2010 verdoppelt werden.

Anstatt WalMart kategorisch abzulehnen, heißen WARN und WWA die Warenversorgung und die niedrigen Preise der Kette willkommen, vor allem in den Innenstädten. Sie fordern allerdings, dass WalMart die Standards der jeweiligen Kommunen einhält.

WARN agiert als Instrument der WWA, um kommunal Druck aufzubauen, und hat bislang fünf neue WalMart-Filialen gestoppt, deren Verletzung kommunaler Standards bereits Bestandteil ihres Ansiedlungsplans bildete. [1] Hierfür stellt WARN detaillierte Untersuchungen der geplanten Vorhaben an, baut starke Koalitionen mit unterschiedlichen Verbündeten auf und ist in den Kommunen stark verankert.

Kampagne »Arbeitslos melden«

Mit 1,4 Mio. Beschäftigten weltweit ist WalMart treibende Kraft für ein flexibilisiertes Heer von Arbeitskräften, die in Teilzeit und auf Abruf arbeiten und rund um die Uhr zur Verfügung stehen. [2] Die Arbeitswoche eines Vollzeit-Beschäftigten definiert WalMart zur Zeit als 34-Stunden-Woche, was es den Betroffenen nicht eben leicht macht, für die Beiträge zur Betriebskrankenversicherung von WalMart aufzukommen, und die »Partner« [3] häufig zwingt, einen zusätzlichen Job zu suchen - unvorhersagbaren Arbeitsplänen und familiären Verpflichtungen zum Trotz.

Einige WalMart-Filialen verfolgen eine Politik der »offenen Verfügbarkeit«, d.h. Vorgesetzte verlangen von den ArbeiterInnen die Unterzeichnung einer Erklärung, jederzeit für jegliche Schicht zur Verfügung zu stehen. Wer sich aufgrund familiärer Verpflichtungen oder zur Wahrung ihrer/seiner Selbstachtung weigert, wird mit Stundenkürzungen oder Kündigung bestraft.

Um dem grassierenden Problem inkonsistenter und willkürlich stundenreduzierter Arbeitspläne bei WalMart entgegen zu treten, hat die WWA eine Kampagne gestartet, mit der sie Beschäftigte ermutigt, Arbeitslosenunterstützung zu beantragen. Smith schätzt, dass sich in Reaktion auf die Kampagne bereits »hunderte, wenn nicht tausende« von WalMart-ArbeiterInnen arbeitslos gemeldet haben. Laut Smith setzen sie sich bei Gericht i.d.R. durch und kosten WalMart damit zehntausende Dollars - und wenn sie verlieren, zwingen sie das Unternehmen zu langwierigen und aufschlussreichen Berufungsprozessen. [4] Der Erfolg der Kampagne ist bereits spürbar: Eine Reihe von Filialen mit vergleichsweise reger Aktivität von WWA-Mitgliedern haben ihre Handhabung der Arbeitspläne schon wieder geändert.

In den Geschäften entstehen inzwischen auch betriebsinterne Organisierungskomitees der WWA, angeführt von Beschäftigten, die Beschwerdefälle gegen das Management gewonnen und ihre Jobs behalten haben bzw. für ihre Stundenkürzungen entschädigt werden. Bis dato wurde noch kein WWA-Mitglied wegen Organisierungsaktivitäten entlassen.

Die WWA will expandieren und zur American Workers Association werden, einer landesweiten Nicht-Mehrheitsgewerkschaft für Beschäftigte von Einzelhandels- und anderen Filialketten. (...)

Nick Robinson

Nick Robinson hat bei WalMart gearbeitet und war Steward der Montpelier Downtown Workers Union, einer Nicht-Mehrheitsgewerkschaft für Einzelhandels- und Dienstleistungsbeschäftigte in der Stadt. Er arbetet in einem Lebensmittelgeschäft in Burlington/Vermont.

Übersetzung: Anne Scheidhauer Quelle: Labor Notes, Januar 2006

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/06


(1) I.d.R. handelt WalMart bereits vor der Entscheidung für einen Standort mit den Kommunen »Sonderrechte« für sich aus. Dabei werden - begründet mit der Schaffung von Jobs und erhöhten Gewerbesteuereinnahmen - geltende kommunale Planungsrichtlinien (z.B. bzgl. Ort und Größe von Gewerbebauvorhaben oder Entschädigung der Betriebe, die ggf. weichen müssen) sowie Beschäftigtenrechte (bzgl. Lohnniveau u.v.m.) regelmäßig bereits im Vorfeld ausgehebelt. Anm.d.Ü.

(2) Das ist durchaus wörtlich gemeint, da viele WalMart Stores in den USA eine Öffnungszeit von 7/24 haben, also 24 Std. an 7 Tagen. Anm.d.Ü.

(3) Der Begriff »associates« wird von WalMart gerne euphemistisch zur Bezeichnung der Beschäftigten verwendet. Anm.d.Ü.

(4) Zur Erläuterung: Warum ist es für WalMart ein Problem, wenn sich Beschäftigte arbeitslos melden? Weil es viel Geld kostet: In jedem Staat der USA werden die Beiträge jedes Arbeitgebers zur Arbeitslosenversicherung mit dem so genannten »experience rating« anhand der Anzahl der in der Vergangenheit durch seine Schuld arbeitslos gewordenen Beschäftigten ermittelt (vergleichbar etwa mit der hiesigen Kalkulation der Beiträge zur KFZ-Versicherung aufgrund von Unfallstatistiken). Daher hat WalMart ein massives Interesse, ein Eigenverschulden am Ausscheiden seiner ArbeiterInnen anzufechten und dieses als »freiwillig« bzw. vom Beschäftigten selbst verschuldet darzustellen. Wenn aber vorher der Lohn einer betroffenen Beschäftigten durch Stundenkürzungen so weit gesunken ist, dass diese davon nicht mehr leben, geschweige denn die Familie ernähren kann, besteht eine realistische Chance darauf, dass das Ausscheiden aus dem Betrieb als nicht freiwillig anerkannt werden muss. Diese Anerkennung wird jeweils fallspezifisch vor Gericht geklärt.


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