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"Gute Idee, Herr Strinz!"

Zur Geschichte des jüngsten Streikerfolgs bei Opel Bochum

Von Mag Wompel

 

Als der Opel-Vorstandsvize Wolfgang Strinz gegenüber Phoenix-TV am 13. Januar dieses Jahres sagte, "Ein Streik in unserem Hause würde innerhalb eines oder von 2 Tagen unsere 17 europäischen Werke stilllegen", ahnte er wahrscheinlich nicht, wie schnell seine Theorie in die Praxis umgesetzt werden würde. Dabei ist zwar längst bekannt, wie anfällig globalisierte, just-in-time-verkettete Produktionsprozesse sind, doch getestet wurde dies in Europa noch nicht. Die Belegschaft von Opel Bochum hat es nun probiert - und war selbst von der Wirkung überrascht.

Nach ziemlich exakt 30 Stunden eines spontanen, illegalen Streiks der (noch) 13.500 KollegInnen in allen drei Bochumer Werken (zwischen dem 14. Juni, 6 Uhr, und dem 16. Juni 2000, ca. 22 Uhr) standen zwar nicht alle 17 Opel-Standorte still, aber vom zweiten Tag an ruhte nach und nach doch die Produktion in den wichtigsten Werken (Rüsselsheim, Kaiserslautern, Eisenach, Antwerpen und Ellesmere Port) und zudem lange über den Streik hinaus. Frühestens am darauf folgenden Montag, teilweise erst am Dienstag Mittag, lief die Produktion wieder einigermaßen normal an. Opel selbst vermeldet ca. 10.000 (allein in Bochum über 4.000) ausgefallene Autos und damit 300 Mio. DM Verluste - mit Kosmetik gegenüber den Shareholdern ist dabei zu rechnen. Zu diesen Kosten müssen auch die Ausfälle bei den Zulieferern sowie die langfristigen Kosten für den verzögerten Modellneuanlauf hinzugerechnet werden- und natürlich die erstreikten Zugeständnisse des größten Konzerns der Welt. Sie verhindern einen noch ungewissen Teil der Einsparungen der Personalkosten durch die Ausgründung der Bereiche Einkauf und Powertrain (Motoren und Getriebe) in gemeinsame Holdings mit dem neuen Partner Fiat.

So gab Strinz am 20. Juni gegenüber der Westfälischen Rundschau zu, so richtig deutlich sei erst jetzt geworden, "welche starke Rolle Bochum als Komponentenwerk einnimmt." Die Belegschaft weiß es nun auch. Da die Partnerschaft zwischen Opel und Fiat ab dem dritten Jahr je 2,5 Mrd. DM (ab dem fünften Jahr sogar je 4 Mrd. DM - FR vom 20. Juni 2000) Einsparungen bringen soll, dürfen allerdings die direkten Kosten der in der Rahmenvereinbarung, die den Streik beendete, gemachten Zugeständnisse kaum ins Gewicht fallen. (Siehe zur Rahmenvereinbarung <http://www.labournet.de/branchen/auto/gm-opel/rahmenvertr.html>.) Doch worum ging es genau?

 

Kleiner Anlass - großer Knall?

Nicht nur für das Bochumer Opel-Werk gab es in den letzten Jahren schon häufiger gute Gründe für Proteste und Arbeitsniederlegungen. Der aktuelle Grund kam vergleichsweise schleichend daher. Denn die Nachricht von der geplanten Zusammenarbeit zwischen GM und Fiat fand am 13. März diesen Jahres - im allgemeinen Fusionstrubel - zunächst wenig Beachtung. Erst im Mai trugen wachsende Gerüchte über den damit einhergehenden Personalabbau zur Verwirrung der Belegschaft und zu Unmut über die (unzureichende) Informationspolitik des Management wie auch des Europäischen Betriebsrates (EBR) von GM/Opel bei, von dessen Verhandlungen mit GM, Opel und Fiat erst langsam etwas durchsickerte.

"Schluss mit lustig! Das Opel-Werk II darf nicht ausbluten!" - so lauteten Reaktionen darauf, dass durch GM und Fiat alle Komponentenwerke untersucht wurden, um größtmögliche Einsparungen zu erreichen. Das bedeutete auch, dass womöglich Tausende Arbeitsplätze bei Opel akut gefährdet waren. So forderten Beschäftigte des Opel-Werkes II in einem Flugblatt am 26. Mai 2000: "Alle Informationen müssen auf den Tisch! Die Bochumer Belegschaft muss unverzüglich in einer Belegschaftsversammlung umfassend informiert werden!"

Diese berechtigte Forderung nach Informationen über das eigene Schicksal führte zur ersten Arbeitsniederlegung gegen die Folgen der Fusion, als am 26. Mai 2000 im Werk II von Opel Bochum gut 1.000 KollegInnen (nahezu die ganze Frühschicht) von 11 bis 12 Uhr die Arbeit niederlegten und von der Werksleitung Antworten auf ihre Fragen zu den Folgen der Fusion von Opel und Fiat verlangten. Die Werkleitung bestätigte, dass ca. 2.000 KollegInnen im Werk II von einem Joint-Venture zwischen GM und Fiat betroffen sein sollten. Diese Nachricht war der Belegschaft zu dünn. Am 30. Mai nahm im Werk II dann die komplette Belegschaft der Frühschicht an der Info-Stunde für Vertrauensleute teil, um "ihr Informationsrecht über die Folgen der beschlossenen GM/Fiat-Allianz wahrzunehmen". Dadurch kam zwischen 8.30 und 9.50 Uhr die Produktion zum Erliegen. Diesem Vorbild folgten die übrigen Werke und Schichten in Bochum. Es gab am 30. und 31. Mai 2000 insgesamt vier Produktionsausfälle von je über einer Stunde. Dies war ein erstes Signal dafür, dass die Arbeitsplatzvernichtung im Zuge der Fusion nicht widerstandslos hingenommen werden sollte.

Die KollegInnen wurden jedoch immer wieder mit dem Hinweis auf laufende Verhandlungen auf unterschiedlichen Ebenen vertröstet. Unter dem sich verbreitenden Motto "Wir wollen eine Belegschaft bleiben" erkämpfte die Bochumer Opel-Belegschaft schließlich eine vorgezogene Belegschaftsversammlung, die am 8. Juni zwischen 14.45 und 22.45 Uhr im Werk I stattfand. Sie bedeutete große Produktionsausfälle für Opel, da die Nachmittagsschicht in den Werken I und II stand und es teilweise auch zu Ausfällen in den Nachtschichten kam. BR und GBR gaben sich auf der Versammlung mit an die Stimmung angepassten Parolen zwar einerseits kämpferisch ("der Rhein hat nicht so viel Wasser, um den Brand an der Ruhr zu löschen"), verhandelten jedoch andererseits gleichzeitig bereits in Richtung einer sozialverträglichen Besitzstandswahrung nach dem Ford-Vorbild (siehe <http://www.labournet.de/branchen/auto/ford/visteon-bv.html>) und verwiesen auf die Nachrichten von der Aussichtsratssitzung am nächsten Dienstag in Rüsselsheim. Allerdings muss auch der Geschäftsleitung im Laufe der Versammlung klar geworden sein, was ein Kollege in Worte kleidete: "das ist hier die dritte und letzte Warnung - wenn Dienstag nichts Konkretes passiert, steht hier am Mittwoch die Bude!" (Für Details der Belegschaftsversammlung siehe <http://www.labournet.de/branchen/auto/gm-opel/fusion-bo4.html>.)

Zu dieser außerordentlichen Aufsichtsratssitzung zum Thema Allianz GM/Fiat am 13. Juli fuhren ca. 150 KollegInnen aus Bochum nach Rüsselsheim, um den Forderungen der Belegschaft Nachdruck zu verleihen - und waren enttäuscht darüber, wie wenige KollegInnen aus Kaiserslautern und Rüsselsheim sie unterstützten, aber auch über die unklaren Aussagen von Management wie GBR. Währenddessen war in Bochum die Wiederaufnahme der Arbeit nach der Pfingstpause bestimmt von der gespannten Neugierde auf Neuigkeiten aus Rüsselsheim. Einige hofften dabei auf die für den folgenden Tag anberaumte Sitzung des "Manufacturing Committee" (sog. Lenkungsausschuss des GM-EBR), andere auf Aktionen: "Sie haben 90 Tage Zeit gehabt für Antworten und keine gegeben - nun sollten wir antworten!"

Ein spontanes Treffen von ca. 30 kritischen Vertrauensleuten am Pfingssonntag im IG Metall-Haus in Bochum trug indessen dazu bei, die Forderung der Belegschaft zu konkretisieren. Hier wurde nämlich ein gemeinsam von Rudolf Müller (EBR-Vorsitzender) und Dr. Thomas Klebe (IG Metall) verfasstes Papier diskutiert (siehe <http://www.labournet.de/branchen/auto/gm-opel/fusion-egm3.html>), das eine mit GM Europe zu vereinbarende und so offenbar vom Manufacturing Committee auch beschlossene Richtlinie beinhaltete. Die teilnehmenden KollegInnen lehnten diesen - als offizielle Lösung der IG Metall zu betrachtenden - Entwurf mehrheitlich ab, weil er einerseits die Akzeptanz der Filetierung von Opel beinhaltete und andererseits ausschließlich auf den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen sowie Besitzstandswahrung für die bestehende Stammbelegschaft setzte.

 

"Wenn wir jetzt nicht kämpfen, wann denn sonst?"

Die Nachricht von den erneuten Nicht-Informationen seitens des Managements und der Aufsichtsratssitzung machte seit Beginn der Frühschicht am 14. Juni im Werk II von Opel Bochum die Runde, und gegen 8 Uhr war es dann so weit: Die komplette Belegschaft des Werks II versammelte sich, um vom Betriebsrat Informationen zu erhalten - die Produktion stand kurz darauf in allen Bochumer Werken still. Der breite Tenor lautete: "Wir bleiben hier, bis wir die Antworten hören, die wir hören wollen"

Unterdessen verhandelte der Bochumer Betriebsratsvorsitzende in Rüsselsheim, und die Belegschaft wartete auf die Verlesung des Rahmenplan-Entwurfs, auf den sich das GM-Euro-Forum ür die abgestimmten nationalen Verhandlungen geeinigt hatte: 1) Löhne und Gehälter bleiben bei einem Wechsel in die Joint Ventures unverändert. Dies wird für fünf Jahre garantiert; 2) Betriebsrentenpläne bleiben erhalten; 3) fünf Jahre lang soll es auch keine Nachteile bei sozialen und sonstigen Leistungen geben; 4) keine betriebsbedingten Kündigungen im Zusammenhang mit den Joint Ventures. Bekundet wurde auch die Absicht, das Vertretungsrecht von Betriebsrat und Aufsichtsrat auf die Joint Ventures auszudehnen - soweit dies im nationalen Rahmen rechtlich jeweils möglich sei.

Daraufhin wurde die Bochumer Belegschaft dringend aufgefordert, wieder an die Arbeit zu gehen. Der Bochumer Personalchef erntete dafür jedoch nur Pfiffe. Als ein Betriebsrat fragte: "Wollt ihr wieder arbeiten?", schallte ihm ein einfaches "Nein" entgegen. Die am meisten betroffenen KollegInnen im Werk II forderten einfach: "keine GmbH und Schluss". Den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen hätte die Belegschaft zudem sowieso im Standortsicherungsvertrag - und ist trotzdem immer weiter geschrumpft! Also sang die Bochumer Belegschaft: "Wir haben die Schnauze voll" und lehnte diesen Kompromiss einstimmig ab. Ihre Forderung konkretisierte sich nun wie folgt: "Opel bleibt Opel; ein Betrieb, eine Belegschaft - unbefristet"

Nach dem vergeblichen Versuch des Betriebsratsvorsitzenden, die Belegschaft zur Arbeit zu bewegen, stand in Bochum am Donnerstag, den 15. Juni, immer noch die Produktion still, während in Rüsselsheim weiter verhandelt wurde. Erst gegen 22 Uhr verlas der von den Verhandlungen aus Rüsselsheim zurückgekehrte Betriebsratsvorsitzende Jaszczyk - zuerst im Werk II - den Verhandlungskompromiss, den die Belegschaft als eine "richtige Antwort" akzeptieren konnte. Das ausschlaggebende Neue: GM wird an den zu gründenden Holdings nicht mehr wie geplant mit 50 Prozent, sondern nur noch mit 30 Prozent beteiligt sein. Durch die 20 Prozent, die die Opel AG halten wird, zählen die GmbH's weiterhin zu Opel und können wie ein "gemeinsamer Betrieb" behandelt werden. (Siehe die Chronik des Streiks unter <http://www.labournet.de/branchen/auto/gm-opel/fusion-streik.html>)

 

David gegen Goliath: 1:0

Was wurde damit erreicht? Hinsichtlich der geplanten "synergetischen" Zusammenarbeit zwischen Opel und Fiat in den beiden strategischen Bereichen ändert sich zunächst durch die abgetrotzte Rahmenvereinbarung nichts. Insgesamt 10.500 Arbeitsplätze (davon 4.500 in fünf Werken bei Fiat) werden in die neu zu gründenden GmbH's verlagert, und an dem angekündigten Personalabbau (allein in Bochum ca. 2.000) wird sich (ohne Widerstand) nichts ändern. Dagegen würde nur Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich helfen, die zwar für die IG Metall nun für drei Jahre vom Tisch ist, aber wie wir hier sehen, auch anders erkämpft werden könnte.

Die schon bald einzurichtenden Holdings von GM und Fiat werden in den Niederlanden sitzen, einer Freihandelszone für Holdings. Dies bietet zusätzliche Steuervorteile zu denjenigen, die sich aus der Rechtsform der GmbH's und der damit verbundenen steueroptimierenden Mobilität von Gewinnen und Verlusten innerhalb eines Konzerns ohnehin ergeben. Es geht dabei um Steuergelder, die Bund, Land und Kommune fehlen werden, und wir alle werden dies zu spüren bekommen - ob in den Sozialleistungen, im Kulturetat oder sonst.

Der in nur zwei Tagen erreichte Erfolg der Bochumer Belegschaft gegen den weltgrößten Konzern darf dennoch nicht unterschätzt werden. Zunächst ist davon auszugehen, dass diese Rahmenvereinbarung für deutsche Standorte GM`s Pläne durchkreuzte, zuerst eine europäische Rahmenvereinbarung abzuschließen, um dann nationale Verhandlungspartner in den Wettbewerb zu schicken. Die vorliegende Rahmenvereinbarung dürfte nun eine - ziemlich hohe - internationale Meßlatte darstellen. In diesem Sinne hat die erfolgreiche Aktion bei Opel Bochum bereits Wirkung gezeitigt: Auch bei GM in Brasilien kam es zu ersten Arbeitsniederlegungen wegen der befürchteten Ausgliederungen und Arbeitsplatzverluste durch die Allianz von GM und Fiat. (Siehe dazu http://www.labournet.de/branchen/auto/gm-opel/fusion-bras-d.html)

Auf einen weiteren, eher langfristigen Erfolg wies ausgerechnet die "Financial Times Deutschland" vom 19. Juni 2000 hin: "Die Opel-Belegschaft hat mit ihrem Protest gegen die Allianz vergangene Woche das Kalkül der GM-Konzernherren durchkreuzt (...) (Das) dürfte das Ziel der US-Boys, unrentable Werke dicht zu machen und die übrigen besser auszulasten, auf Jahre blockieren."

Der größte Erfolg aber ist und bleibt: Ein Betrieb - eine Belegschaft. Diese Zusicherung liegt nun unbefristet vor - entgegen dem voreiligen ersten Kompromiss der Gewerkschaft, der auf fünf Jahre Bestandsschutz hinauslief. Damit gelten alle kollektiven Vereinbarungen weiter, auch für eventuell neu einzustellende KollegInnen, und es gibt - selbst bei einem Weiterverkauf der GmbH's - keine Spaltung der Belegschaft. Diese Forderung war von der mitverhandelnden IG Metall bereits aufgegeben worden. Damit besitzt nun die Bochumer Belegschaft bessere Gegenwehrbedingungen und größeres Selbstvertrauen für den Kampf gegen die weiteren Angriffe. Und mit diesen ist zu rechnen, denn die genannten Verluste werden wieder eingefahren und die Einsparungsversprechen erfüllt werden müssen.

 

Alles erreicht, alles vorbei?

Bei aller Begeisterung über den Erfolg gilt es allerdings nicht, sich entspannt zurückzulehnen. Zwar hat die eingehende juristische Prüfung der Rahmenvereinbarung die von vielen in der Belegschaft berechtigterweise befürchteten Haken (Weiterverkauf der GmbH's, Neueinstellungen) ausräumen können, und die zugesicherte juristische Konstruktion eines gemeinsamen Betriebs ist eine grundsätzliche, einklagbare Verpflichtung. Sie muss allerdings in die Einzelverträge der jeweiligen Standorte aufgenommen werden und darf nicht durch gesonderte Betriebsvereinbarungen für die GmbH's verwässert werden. Die Bochumer Belegschaft hat aber aus Erfahrung großes Misstrauen und weiß um die Gefahr der Verhandlungen während der Werksferien sowie um die Notwendigkeit, wachsam zu bleiben und die weiteren Verhandlungen die ganze Zeit kritisch zu begleiten. So lautet die aktuelle Forderung an den Betriebsrat, nichts zu verabschieden, ohne die Belegschaft in einer gemeinsamen Belegschaftsversammlung gefragt zu haben.

 

Warum ausgerechnet Opel Bochum?

Hieraus wird schon verständlich, warum dieser Streik in Bochum und nicht an einem anderen Opel-Standort erfolgte. Er scheint nämlich ein Ergebnis von Lernprozessen der Belegschaft, die auf Erfahrungen mit Standortsicherungsverträgen, einer weitgehenden Arbeitszeitflexibilisierung sowie in den letzten zwei Jahren immer wieder eskalierenden Auseinandersetzungen um Übernahme von KollegInnen mit befristeten Verträgen und die damit verbundene angespannte Personalsituation sowie Leistungsverdichtung zurückblicken kann. (Siehe hierzu<http://www.labournet.de/branchen/auto/gm-opel/index.html#bochum>.) Die Bochumer Belegschaft war in den letzten Jahren oft empört über das Vorgehen ihrer Betriebsratsmehrheit, Verzichtsvereinbarungen abgeschlossen zu haben. Es hat nun den Anschein, als ob sie aus dieser Erfahrung heraus zumindest sehr genau auf ihr Recht auf Information pocht und darauf, nur noch schriftlichen Verträgen Glauben zu schenken. Und es scheint ihr, jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt, gelungen zu sein, an allen Entscheidungen beteiligt zu werden.

Es kann dabei nur spekuliert werden, inwieweit diese Unzufriedenheit mit BR, VKL und IG Metall ein solches konstruktives Ventil gefunden hat, weil es hier eine lange Tradition von verschiedenen Fraktionen im Betriebsrat gibt, wodurch unterschiedliche Positionen und ihre Diskussion zum Alltag der Belegschaft gehören. Dies kann weiter entwickelt werden, denn der Streik führte auch zu neuen Lernprozessen.

 

Lernprozesse - nicht nur für Bochum

In Zeiten - wenn überhaupt - lauer Warnstreiks ist die Rolle solcher Aktionen als "Schule" nicht zu unterschätzen. So war dies für die meisten der jüngeren KollegInnen in Bochum der erste "richtige" Streik. Besonders beachtenswert ist, dass sich hieran auch alle Auszubildenden beteiligt haben, obwohl sie massiven Drohungen seitens der Lehrwerkstatt ausgesetzt sind, ihre Übernahme sei gefährdet.

Aber auch andere Erfahrungen werden nun breit verarbeitet: "Wir wissen jetzt, wie man es macht und besser machen sollte". Zu den positiven Erfahrungen zählen dabei der hohe Grad der Selbstorganisation, wie z.B. die stündlichen Informationsversammlungen und alle Initiativen, die Zeit des Streiks positiv zu gestalten. Hinzu kommen auch die selbstorganisierten sonntäglichen Treffen der Vertrauensleute, die zwecks kritischer Begleitung der Verhandlungen fortgesetzt werden sollen.

Andererseits gab es auch negative Erfahrungen. So bleiben die Versuche einiger Betriebsräte, nach faulen Kompromissen die Belegschaft wieder zur Arbeit zu bewegen, wohl noch länger im Gedächtnis haften. Enttäuschung gibt es aber auch über mangelnde Unterstützung: über die vermeldete Ruhe im österreichischen Werk Aspern oder über die KollegInnen in Rüsselsheim und Kaiserslautern, wo die Arbeit jeweils gerade für eine Stunde ruhte - eine "Warnung", der nie weitere Schritte folgten. Die Bochumer Belegschaft weiß zwar, dass sie in der Lage ist, "für alle die Kastanien aus dem Feuer zu holen" - doch muss es so sein und bleiben? Ebenfalls heftig fällt die Kritik an der IG Metall aus. Hätte sie nicht für den Informationsfluss zwischen den Standorten sorgen müssen? Die Abteilung Internationales der IG Metall wäre hierfür europaweit zuständig gewesen. Aber auch in Bochum tat sich - außer einer Würstchenlieferung - nichts. Eine am entscheidenden zweiten Streiktag stattfindende Bochumer IG Metall-Versammlung endete ohne die vorgeschlagenen Soli-Fonds oder eine Solidaritätserklärung.

Doch auch manches, was man hätte besser machen können, steht teilweise bereits fest. Viele bedauern, die Frage der Entfristung aller Kolleginnen nicht in die Verhandlungen eingebracht zu haben - doch das kann ja noch nachgeholt werden. Auch hätte ein gemeinsam begonnener Streik gemeinsam in einer Abschlussversammlung beendet werden müssen. Dies und eine gewählte Streikleitung hätten die Irritationen und Gerüchte vermeiden helfen können, die bereits während der zweitägigen Aktion Verwirrung stifteten.

Und an der weit verbreiteten Tendenz, nur für sich kämpfen zu wollen, werden wir wohl alle noch arbeiten müssen. Aufrufe zur Solidarität auch mit den Fiat-KollegInnen fanden nämlich längst nicht so viel Beifall, wie die Parole "Wir wollen Opelaner bleiben". Bild titelte am 18. Juni: "Opel - eine stolze deutsche Firma geht unter?" und traf damit durchaus die Sorge vieler KollegInnen. Auch einige Betriebsräte arbeiteten mit daran, die Wut auf die "Bosse in Detroit" zu lenken. Dabei gilt: "Eigentlich kann es uns egal sein, welches Emblem wir auf den Arbeitsanzügen tragen, Hauptsache, die Konditionen stimmen." (Info der GoG vom Juni 2000; siehe <http://www.conaktion.de/gog/gog.htm>.) Es bleibt noch viel zu tun, um Wut auf das Wirtschaftssystem zu schüren, das die Konzerne unterschiedslos zu Angriffen gegen uns zwingt - und solange werden wir diese abwehren. Künftig hoffentlich zusammen.

Vorabdruck im LabourNet Germany aus express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftspolitik, Ausgabe 6/2000


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