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Illusionen über Unternehmensbeteiligung zerstört

Beschäftigte von United Airlines ziehen Bilanz

Von Malik Miah und Barry Sheppard*

 

Die Diskussion über die Ausweitung verschiedener Formen von "worker capital", seien es Erfolgs- bzw. Kapitalbeteiligungen von Beschäftigten an Unternehmen, Umwandlungen von Entgeltbestandteilen im Rahmen betrieblicher Fondssparmodelle wie bei VW oder in tarifliche Renten- bzw. Pensionsfonds wie bei der IG BCE und der IG BAU, ist derzeit zwar wieder in die Versenkung der Experten-Runden verschwunden, dürfte jedoch gerade angesichts der angestrebten Homogenisierung auf europäischer Ebene nichts an Relevanz eingebüßt haben. Offen ist dabei immer noch, ob die Gewerkschaften den ‘Trend zur Zweitaktie’, zu neuen Formen der Vermögensbildung einfach passieren lassen will oder ob sie, so Zwickels Vorstoß im April d.J., dafür entsprechende tarifliche Rahmenbedingungen schaffen müsse. Darüber hinaus scheint diese Debatte jedoch auch von der alten Hoffnung, den Tiger nicht nur reiten zu wollen, sondern auch reiten zu können, genährt zu werden. Heinz Putzhammer, Vorstandsmitglied des DGB, ging es jedenfalls zum einen darum, das "Geschäft" der Altersvorsorge "nicht nur den Banken und Versicherungen zu überlassen" (dagegen könnte er sich, sobald die rosarote Riesterrente zur Abstimmung steht, einsetzen), und zum anderen den Einfluss der Arbeitnehmervertretungen auf die Anlagemöglichkeiten auszubauen (FR, 1. April 2000, S. 15). Als Vorbild dienten Putzhammer, der selbst keine Aktien hat, gewerkschaftliche Beteiligungen an Pensionsfonds in den USA. Ein Blick über den Teich, ins gelobte Land der "Kapitalbeteiligung aus Arbeitnehmervermögen", wo die KollegInnen hinreichend Erfahrung sammeln konnten:

Die Fluggäste ärgern sich über United Airlines, die größte Fluggesellschaft der Welt. Seit Mai hat das Unternehmen fast 9.000 Flüge abgesagt – meist erst dann, als die Passagiere bereits am Flughafen oder auf dem Weg dorthin waren. Wenn Flüge starten, dann kommen sie meist zu spät. United ist inzwischen die unpünktlichste aller Fluglinien: Im Mai waren 57 Prozent aller Flüge verspätet. Das Management macht drei Entschuldigungen geltend: das schlechte Wetter, die Probleme bei der Flugverkehrskontrolle und den PilotInnenmangel. Da von den beiden ersten alle Flugunternehmen betroffen sind, wird also mit dem Finger auf die PilotInnen gezeigt. Darüber hinaus kritisiert das Management, dass die FlugzeugmechanikerInnen zu viele technische Probleme bemängeln würden.

Tatsächlicher Hintergrund der Krise ist, dass United es in Kauf nimmt, die eigene Kundschaft kurzfristig zu vergrätzen, um dafür in den Tarifverhandlungen mit den PilotInnen, MechanikerInnen und anderen ArbeiterInnen mit harten Bandagen kämpfen zu können. Die 10.000 PilotInnen werden von der "Air Line Pilots Association" (ALPA) repräsentiert. Ihr Tarifvertrag ist im April ausgelaufen. Die "International Association of Machinists" (IAM) repräsentiert 49.000 MechanikerInnen und andere ArbeiterInnen; deren Tarifvertrag endete im Juli. Auch die dritte Gruppe der Beschäftigten, die der FlugbegleiterInnen, ist gewerkschaftlich organisiert, steht aber aktuell nicht in Verhandlungen. Der "Railway Labor Act" schreibt vor, dass Angestellte von Fluglinien sich verlängerten Tarifverhandlungen unterziehen müssen, bevor sie in Streik gehen dürfen. United Airlines-Chef James Goodwin bemerkte neulich, es dauere für gewöhnlich "Jahre", bis ein Tarifvertrag zu Stande käme. Das Management hat ein Interesse daran, diesen Prozess in die Länge zu ziehen; wenn sich nämlich der aktuelle wirtschaftliche Aufschwung seinem Ende zuneigt, verschiebt sich die Situation zu Ungunsten der ArbeiterInnen.

 

Die neuen ‘Eigentümer’

Die PilotInnen und MechanikerInnen sind deshalb so verärgert, weil ihnen vor sechs Jahren versprochen wurde, dass es solche hinausgezögerten Tarifverhandlungen in Zukunft nicht mehr geben würde, wenn die Beschäftigten dem sogenannten "Employee Stock Ownership Plan" (ESOP) zustimmten. Das damalige Management hatte uns diesen aufgedrängt als die einzige Möglichkeit, die Airline zu retten. Der ESOP bedeutete, dass PilotInnen und MechanikerInnen mittels massiver Konzessionen bei Löhnen und Arbeitsbedingungen Firmenanteile ‘kauften’. Auf diesem Wege erwarben Mitglieder der ALPA und der IAM sowie nicht gewerkschaftlich organisierte ArbeiterInnen insgesamt 55 Prozent des Unternehmens. Die FlugbegleiterInnen lehnten den ESOP ab, weil ihnen die Konzessionen zu weit gingen.

Zunächst gab es keine Gewähr dafür, dass wir jemals allein unser Lohnniveau von 1994 wieder erreichen würden. Lediglich die MaschinistInnen erstritten einen solchen "snap back" noch in der Mitte der Laufzeit ihres Tarifvertrages, während die anderen ArbeiterInnen die Aussicht auf jegliche Lohnerhöhung während der restlichen Laufzeit des Tarifvertrages aufgaben – das bedeutete einen Verlust von 25-30 Prozent gegenüber den Beschäftigten anderer Fluglinien. Im April bekamen jedoch Beschäftigte, die nicht gewerkschaftlich organisiert waren, Lohnerhöhungen von über 25 Prozent.

Die Firmenanteile, die wir dafür erhielten, waren keine gewöhnlichen Anteile. Sie können nicht gekauft und nicht verkauft werden. Sie können nur dann gegen ihren Marktwert eingelöst werden, wenn man in den Ruhestand geht oder kündigt. Außerdem erwirbt man mit diesen Anteilen kein Stimmrecht. Obwohl die Beschäftigten über 55 Prozent der Anteile verfügen, können sie damit also keine Firmenpolitik machen. Im Aufsichtsrat sitzen je ein Repräsentant der ALPA und der IAM. Doch United wird so geführt wie immer – unter der Kontrolle der großen institutionellen Anteilseigner und des Topmanagements.

Die verheerendsten Folgen des ESOP betrafen allerdings das gewerkschaftliche Bewusstsein: Viele ArbeiterInnen sahen in der gewerkschaftlichen Organisation keinen Sinn mehr, schließlich waren sie ja jetzt ‘Eigentümer’. Die gewerkschaftliche Solidarität war dahin. Das war ein Wendepunkt in den Beziehungen zwischen Beschäftigten und Management. Die meisten Beschäftigen – ob gewerkschaftlich organisiert oder nicht – glaubten, dass mit unserem Status als ‘Eigentümer’ eine ‘neue Art von Firma’ entstünde. Dem Management fiel nicht nur der Betriebsfrieden und eine beispiellose Kooperationsbereitschaft in praktisch allen Fragen in den Schoß, von den Arbeitsbedingungen bis hin zum contracting out, sondern es erhielt zudem massive Steuerabschreibungen. Doch die ‘neue Kultur’ der Miteigentümerschaft erwies sich als bloßes Wunschdenken. Und auch die Hoffnung, dass es künftig nicht mehr zu derartig in die Länge gezogenen Tarifverhandlungen kommen würde, erwies sich als Illusion.

Vor allem die PilotInnen hatten den ESOP als einen Schritt zur Übernahme der Firma gesehen; sie hatten die Firma erneuern wollen. Im Dezember stiegen sie in Tarifverhandlungen ein. Das Scheitern der Verhandlungen für einen nahtlos anschließenden Tarifvertrag und einen ESOP II ließ sie zum ersten Mal aus dem Traum von der ‘Eigentümerbeteiligung der Beschäftigten’ aufschrecken.

 

Übrig bleibt ein Scherbenhaufen

Auch bei den MaschinistInnen waren die großen Illusionen bald zerstört. Die Realität sieht so aus, dass das Management uns lange Tarifverhandlungen aufzwingt, während wir zu den Bedingungen des alten Vertrages weiter arbeiten sollen. Infolge dessen herrscht bei PilotInnen und MaschinistInnen beträchtlicher Unmut, der sich u.a. darin ausdrückt, dass die meisten PilotInnen keine Überstunden mehr machen – diese sind nach dem alten Vertrag nämlich freiwillig – und die MechanikerInnen immer mehr fehlerhaftes Material melden. Diese Situation bringt die GewerkschaftsvertreterInnen, die für den ESOP Politik gemacht hatten, gewaltig in Bedrängnis, so dass sogar diese jetzt anfangen, das Management zum Abschluss zu drängen.

In den sechs Jahren des ESOP sind die Nettoeinnahmen bei United um das 16fache, die Gewinne um das 30fache gestiegen, primär wegen der boomenden Ökonomie. Obwohl die Gewerkschaftsoffiziellen – vor allem bei der IAM – mit dem Management unter einer Decke stecken, wurden durch die Rekordprofite auch die Erwartungen der neuen ‘Eigentümer’ geweckt. Die Basis ging davon aus, dass wir Lohnerhöhungen um 25-30 Prozent bekommen würden, um unser Lohnniveau dem der anderen Airlines anzugleichen. Die IAM- und die ALPA-Führungen waren sich dieser Stimmung bewusst. Ihre Jobs standen auf dem Spiel. Tatsächlich warfen die PilotInnen ihre Führung hinaus und ersetzten sie durch die jetzige, militantere. Bei der IAM wäre so etwas nicht möglich. Die Mehrheit der MechanikerInnen identifiziert sich nicht mit dem Verhandlungskomitee und der Führungsspitze. Das ist ein Grund dafür, dass es bei der IAM von United nun zwei Organisationsbereiche gibt: einen für MechanikerInnen und Reinigungspersonal; und einen anderen für das Boden-, das Lager- und das Servicepersonal. Darüber hinaus ist dies auch der Grund dafür, dass bei den MechanikerInnen inzwischen Bemühungen zu erkennen sind, der IAM die Vertretungsberechtigung abzuerkennen. (Bei Northwest Airlines gipfelte ein ähnlicher Prozess letztes Jahr im völligen Bruch mit der IAM, nachdem die Führung mit einem schlechten Tarifvertrag nach Hause gekommen war.) Die zentrale Aufgabe des IAM-Verhandlungskomitees liegt somit jetzt darin, ein Päckchen zu schnüren, das gut genug ist, um die MechanikerInnen davon abzuhalten, ihr die Unterstützung zu entziehen.

 

Der Kauf von US Airways

Ein weiterer Schlag ins Gesicht der Beschäftigten war die Entscheidung des Aufsichtsrates, US Airways zu kaufen – gegen die Stimme des ALPA-Repräsentanten. Der Repräsentant der IAM, John Peterpaul, stimmte hingegen für den Kauf und verspielte damit die einzige Möglichkeit zur Einflussnahme, die die Beschäftigten durch den ESOP in die Hand bekommen hatten: Hätten beide Gewerkschaftsvertreter mit Nein gestimmt, wäre die Fusion blockiert gewesen. Die Basis reagierte verärgert. Peterpaul hielt sich in seiner Rechtfertigung an die Verlautbarungen der Geschäftsführung, man habe handeln müssen, weil US Airways sonst von American Airlines oder einer anderen Airline gekauft worden wäre. Die IAM-Führung behauptet nun, die Übernahme sei darüber hinaus an ihre Zustimmung gebunden. Das ist aber nicht ganz richtig, denn nach Peterpaul’s Votum kann die Fusion auch ohne weitere Verträge stattfinden.

United Airlines wird den Aktionären von US Airways 11,6 Milliarden Dollar zahlen: 4,3 Milliarden direkt und 7,3 Milliarden Dollar durch die Übernahme der Schulden von US Airways. Dieser Betrag hätte den Großteil unserer Forderungen nach ausstehenden Lohnerhöhungen decken können. Doch der Aufsichtsrat weigerte sich sogar, den Beschäftigten von United die gleiche zweijährige Arbeitsplatzgarantie einzuräumen, die er denjenigen von US Airways gewährt hat. Schon allein deshalb hätten die PilotInnen einen entsprechenden neuen Tarifvertrag nicht unterzeichnet. Immerhin vertritt die IAM-Führung – nach einem Aufschrei an der Basis – inzwischen dieselbe Position.

 

Und jetzt?

Drei Faktoren sind jetzt entscheidend dafür, wie es weitergeht: das Verhalten der Führungen der beiden Gewerkschaften, der öffentliche Druck sowie die Aktionen der Basis. Die ALPA-Führung, die von ihren Mitgliedern kontrolliert wird, räumt inzwischen ein, dass es ein Fehler war, dem ESOP zuzustimmen. Ihr Vertreter im Aufsichtsrat ist aktiver Pilot und wurde von den Mitgliedern direkt gewählt. Der Vertreter der IAM im Aufsichtsrat ist kein aktiver Arbeiter. Er wurde vom geschäftsführenden Vorstand der IAM einfach delegiert. Daher unterscheidet sich seine Funktion nicht wesentlich von derjenigen der anderen Aufsichtsratmitglieder.

Die Bundesvorsitzenden der IAM sind auf Grund eines undemokratischen Regelwerks nicht rechenschaftspflichtig. Das hat geheime Verhandlungen ermöglicht und dazu geführt, dass es praktisch unmöglich ist, Bezirksvorsitzende zu entlassen, außer indem man der IAM die Vertretungsberechtigung aberkennt. Wir haben allerdings das Recht, über unsere Tarifverträge abzustimmen; das ist das wichtigste Instrument, um die Firma zur Verbesserung unserer Situation zu zwingen.

Zwar könnte das Management die Fusion, die es unbedingt haben will, ohne Tarifabschluss bekommen, aber es weiß auch, dass öffentlicher Druck die Regierung dazu veranlassen könnte, das Geschäft platzen zu lassen. Deshalb behaupten Leute wie Goodwin, sie seien bereit, ihren Beschäftigten "branchenführende" Verträge zu garantieren. Am 10. August kündigte United an, man werde bis zum Jahresende 1.300 neue PilotInnen einstellen – eine der Forderungen der PilotInnen. Für das Management dürfte allerdings eher Ausschlag gebend sein, dass bei den Fluggästen weder übermüdete PilotInnen im Cockpit besonders populär sein dürften, noch ein Unternehmen, das seine MechanikerInnen dazu zwingen will, technische Probleme nicht zu melden. Die Aircraft Mechanics Fraternal Association bemüht sich momentan energisch darum, die IAM bei den MechanikerInnen von United abzulösen. Die meisten bisher Übergewechselten wollen damit vor allem ihrem Misstrauen gegenüber der IAM Ausdruck geben.

Die Aktionen der Basis werden für die weitere Entwicklung eine zentrale Rolle spielen. Sie können dem Topmanagement zeigen, dass es mit uns nicht machen kann, was es will. Noch ist nicht entschieden, ob dies eine kurze Krise sein wird oder der Beginn eines langwierigen Tarifkonflikts.

 

*Die Autoren sind Mechaniker im Maintenance Operations Center von United Airlines in San Francisco.
(Quelle: Labor Notes, Nr. 9/2000)
Übersetzung: Anne Scheidhauer
Erschienen in: Express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit - Ausgabe 10/2000

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