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Männer aus Eisen

oder: gibt es ein linkes Erbe der Solidarnosc?

Von Stefanie Hürtgen, Teil II

Im letzten express berichtete Stefanie Hürtgen über verschiedene Veranstaltungen zum 20. Jahrestag der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen. Der erste Teil endete mit der Darstellung des Aufbruchs der Bewegung durch die Referenten Zbigniew Kowalewski und Artur Polanski auf der Veranstaltung des »Arbeitskreis Ost West«. Wir setzen den Bericht über diese Veranstaltung hier fort.

 

... und Niedergang in den 80ern

Dass also die 80er Jahre einen dramatischen Niedergang der Bewegung darstellten, darin waren sich die Referenten einig. So unterstrichen beide, dass Solidarnosc erst nach Ausrufung des Kriegsrechts ihr enges Verhältnis zur Kirche entwickelte. Zuvor waren zwar die meisten Arbeiter und Gewerkschafter katholisch gewesen, aber gewerkschaftliche Ideen hätten sich unabhängig und gegen den doppelten Druck von Partei und Kirche entwickelt. In den 80er Jahren dagegen, nach Niederschlagung der Bewegung, und angesichts anhaltender Repression und Hoffnungslosigkeit, »schlossen sich die Menschen in die Kirchen ein«, wie es Artur formulierte, »in dem Sinne, dass nun vom Herrgott Hilfe und ein Ausweg erwartet wurde«. Auch die neue Führung der Solidarnosc rückte mit der Kirche enger denn je zusammen – doch das sei wiederum nicht zu verstehen, ohne sich die gesamte »Mutation« (Zbigniew) der Solidarnosc von 1981-89 vor Augen zu führen. 1980/81 sei Solidarnosc eine linke Bewegung gewesen, so wieder Artur, und bis dahin wurden die Gewerkschaftsvertreter in geheimen Wahlen gewählt, Beschlüsse auf Vollversammlungen gefasst. Nun aber, in der Illegalität, berief Walesa allein eine neue Solidarnosc-Führung. Gänzlich ohne demokratische Legitimierung bestimmte er die ihm genehmen Mitstreiter. Die Linken der Solidarnosc dagegen waren im Ausland oder saßen im Gefängnis. Hinzu kam, wie Zbigniew ausführte: »Eine breite, demokratische Bewegung, die vor allem in den Betrieben verankert war, offen und ohne Geheimstrukturen, so etwas geht kaputt, wenn es von einer Militärmacht angegriffen wird«. Das Kriegsrecht, so Zbigniew weiter, brachte daher eine enorme Niederlage. »Solidarnosc war darauf nicht vorbereitet gewesen. Solidarnosc wurde einfach zerschlagen, auch wenn es einzelne Gruppen gab, die sich noch Solidarnosc nannten«. Zu solchen Gruppen zählten dann immer weniger betriebliche Kreise, als vielmehr ein breites Spektrum von Bürgerinitiativen und Künstlerzirkeln, wie bspw. die »Orangene Alternative« in Wroclaw. Doch die Isolierung der Gruppen führte nicht nur zur Abhängigkeit von der Kirche, die einen wichtigen Schutz vor Verfolgung bot, sondern auch von der neuen, selbsternannten Solidarnosc-Führung, die nun deutlich gemäßigter auftrat und als gesellschaftliches Projekt die westliche Marktwirtschaft propagierte. Zbigniew: »Nur ein Beispiel für die Konflikte, die es gab: Ich war z.B. der Meinung, dass man materielle Hilfe im Westen nicht bei den Regierungen, sondern bei den sozialen Bewegungen dort, v.a. den Gewerkschaften, suchen sollte. Doch die neue Untergrund-Führung der Solidarnosc entschied, sich Gelder bei den Mächtigen zu holen, sie haben das einfach durchgesetzt. Und das brachte natürlich auch eine inhaltliche Umorientierung in der Bewegung mit sich.« Es fand also durchaus ein Machtkampf statt, wobei die Linken doppelt angegriffen wurden: von Staat und Geheimpolizei – und von der nun rechten Gewerkschaftsführung, die danach trachtete, sich weiter zu etablieren. »Nimmt man all das zusammen, dann ist es nicht mehr so verwunderlich, dass von der linken Opposition nichts übrig geblieben ist.«

 

Die Gewerkschaftsbasis: antisemitisch oder Träger einer neuen Gewerkschaftspolitik?

Wirklich nichts? Darüber waren sich die Referenten bis zum Schluss uneins. »Was ist denn mit mir?«, fragte Artur rhetorisch, »ich bin Linker in der Gewerkschaft Solidarnosc, bin ich nicht da?« In der Tat, Artur engagiert sich nicht nur für soziale Verbesserungen innerhalb der Gewerkschaft, sondern ist in Wroclaw in einem antirassistischen, gewerkschafts- und parteienübergreifenden Netzwerk aktiv. Dieses hatte bspw. den Auftritt des italienischen Neo-Faschisten Fini verhindert, der von einigen Stadtvätern eingeladen worden war. In seinen Ausführungen deutete Artur seine Grundvorstellungen von einer modernen, sozial ausgerichteten Zivilgesellschaft an, in der z.B. der erschreckend verbreitete Antisemitismus vieler Polen keinen Platz hat: »Auf die Umfrage, ob sie Menschen jüdischer Herkunft von ihren Ämtern entheben würde, antworteten 38 Prozent der polnischen Bevölkerung mit ‘Ja’«, erzählte Artur, doch eben diese Einstellung sei nur mit einer gesellschaftlichen Bewegung, nicht mit Erziehung zu lösen. Es ginge doch darum, so Artur weiter, die Chance, die sich aus dem Wahlsieg der SLD ergeben hätte, zu nutzen, denn nun könne sich die Solidarnosc aus ihrer rechten parteipolitischen Verklammerung lösen und wieder zu einer fortschrittlichen Gewerkschaft werden. Das funktioniere aber nur, wenn sich die linken Strömungen in Solidarnosc stark machten.

Kaum etwas sei heute übrig von der Bewegung 1980/81, beharrte dagegen Zbigniew und verwies zur Illustration ebenfalls auf eine Reihe von Solidarnosc-Demonstrationen in den 90er Jahren, in denen antisemitische Parolen tonangebend waren. »Ich bin 1989 nach Polen zurückgekehrt, aber nicht zur Solidarnosc, denn die habe ich nicht mehr wiedererkannt. Sie ist heute eine Organisation, die von rechten, zum Teil von extrem rechten Parteien kontrolliert wird. Ich selbst arbeite heute mit der anderen Gewerkschaft zusammen, der OPZZ[1], also der Gewerkschaft, die früher mein Feind war. Und das tun nicht wenige der ehemaligen Solidarnosc-Linken.« »Ja, wir müssen die Gewerkschaft vom rechten Ballast befreien!« bestätigte Artur programmatisch. In den Jahren nach 1989 sei es nicht nur zu enormer sozialer Not, sondern auch zu einer Art Zerfall der gesellschaftlichen Strukturen gekommen, in deren Folge sich rechtsnationale Strömungen hätten durchsetzen können. Antisemitismus sei insofern nicht nur ein Problem der Solidarnosc, sondern der gesamten Gesellschaft. »Niemand der politischen Elite in Polen, von rechts bis links, spricht über das Problem des verbreiteten Antisemitismus«, bestätigte Zbigniew. »Es wird behauptet, das sei eine marginale Erscheinung. Nicht, weil sie das wirklich glauben, sondern weil alle, jetzt z.B. die Sozialdemokraten[2], Angst haben vor Schwierigkeiten für einen EU-Beitritt.«

Gibt es also gar keine fortschrittlichen Kräfte mehr in der Solidarnosc? Was ist mit den Mitgliedern? »Es stimmt«, gab Zbigniew auf diese Nachfrage zu, »nicht wenige Gewerkschaftsmitglieder in der Solidarnosc heute sind im besten Sinne authentische Gewerkschafter: Sie sind sozial ausgerichtet, auch international, und orientieren sich an allgemeinen fortschrittlichen Werten wie Menschenrechte usw. Ich weiß nicht, wie viele das wirklich sind, aber es gibt sie zweifellos.« Das Problem sei nur, dass man, wenn man auf einer von Solidarnosc organisierten Demo sozialistische Flugblätter verteile, Angst haben müsse, angegriffen zu werden. »Es gibt bei Solidarnosc nicht nur in der Führung einen aggressiven Anti-Kommunismus, sondern auch bei den Mitgliedern eine Stimmung gegen alles ‘Rote’, und das genau verhindert eine Zusammenarbeit zwischen den gegenwärtig nicht zahlreichen Linken in Polen, und den besten der heutigen Solidarnosc.«

»Aber das ist doch nicht verwunderlich«, ereiferte sich Artur, »über zehn Jahre kämpfte Solidarnosc gegen einen Staat und eine Partei, die sich selbst als links bezeichneten – und die die Menschen als ‘Kommunisten’ unterdrückten!« In der Tat – wer zu Osteuropa arbeitet, weiß, wie dort, weit mehr noch als im Westen, die Begrifflichkeiten durcheinander geraten sind: »Links«, und insbesondere »Kommunismus« verbindet die Mehrheit der Bevölkerung mit der konkreten Erfahrung massenhafter Repression und wirtschaftlichem Stillstand. »Rechts« sein bezeichnet dagegen eine Haltung der Auflehnung gegen die Oberen, im Namen traditioneller, kirchlicher Werte. Letztere können dann sowohl Vorstellungen von individueller Würde, grundlegender Menschenrechte und sozialer Gleichheit beinhalten – als auch Anschluss bieten für chauvinistische und antisemitische Denkmuster.

 

Für die Neudefinition eines linken Projekts

Die Diskussion hätte eigentlich weitergehen müssen. Denn wie in der Veranstaltung deutlich wurde, hingen die unterschiedlichen Ansichten der Referenten darüber, ob es heute ein linkes Erbe der Solidarnosc gibt, von den jeweils unterschiedlichen Vorstellungen davon ab, worin der Kern eines heutigen linken Projekts besteht. Während Zbigniew nach wie vor die Aufhebung des Privateigentums durch eine revolutionäre Arbeiterbewegung ins Zentrum dieses Projekts stellt, skizziert Artur eine fortschrittliche Zivilgesellschaft mit un-terschiedlichen Eigentums- und Vergesellschaftungsformen, in der z.B. das Wort »Kommunismus« als positiver Begriff nicht mehr vorkommt. Dass Zbigniew für seine Ideen weniger Anschlussmöglichkeiten und Partner sieht als Artur, ist somit kaum verwunderlich – und es ist vor allem keine nur polnische Angelegenheit: Auch in Westeuropa ist allein das gedankliche Hinterfragen von kapitalistischen Produktions- und Vergesellschaftungsmustern derzeit eher ein Hobby versprengter Marginalisierter. Welche kapitalismuskritischen Maßstäbe an ein neues linkes Projekt angelegt werden müssen, das gedankliche und soziale Sprengkraft beinhalten soll, und auf welche Weise die spezifischen Erfahrungen Osteuropas und seiner »linken« Vergangenheit einfließen sollen, welchen Platz dann noch Vorstellungen von »Kommunismus« haben – all das wurde an diesem Abend nicht mehr diskutiert. Es bleibt einer weiteren Veranstaltung vorbehalten.

Deutlich wurde allerdings, und darin waren sich die Referenten dann wieder vorbehaltlos einig, dass jegliches emanzipatorische Projekt längerfristig nicht ohne Osteuropa auskommt. »Polen und andere osteuropäische Länder sind längst in internationale Kapitalinteressen und neoliberale Politik eingebunden. Wenn wir bei der beginnenden Zusammenarbeit zwischen westlichen sozialen Bewegungen und Basisgewerkschaften weiter außen vor bleiben, dann schlägt das auf die fortschrittlichen Kräfte in Westeuropa zurück. Denn dann bleiben wir weiter der neoliberale Vorreiter Europas.«

 

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 3/02

Anmerkungen:

1) Die OPZZ (die polnische Abkürzung für: Gesamtpolnische Verständigung der Gewerkschaften) wurde 1984 gegründet, als konföderaler Zusammenschluss all derjenigen Gewerkschaften, die nach Verhängung des Kriegsrechts als offizielle Alternative zur Solidarnosc aufgebaut worden waren.

2) Gemeint ist hier wieder die SLD, die so genannte PVAP-Nachfolgepartei, die bei den letzten Wahlen im September 2001 die Wahlen gewonnen hat.


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