letzte Änderung am 11. Juli 2002

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ver.di versus Bsirske

Nadja Rakowitz über eine gesundheitspolitische Farce

Unter dem schönen Motto: »Wir brauchen wirkliche Reformen, bei denen es auch Verlierer gibt« hat der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske am 13. Juni diesen Jahres zusammen mit Personalräten und verschiedenen Wissenschaftlern – federführend darunter: Karl W. Lauterbach von der Uni Köln – ein Papier veröffentlicht[1], das seitdem in der Öffentlichkeit[2] als ‘das’ Gesundheitskonzept der Gewerkschaft ver.di diskutiert wird. So war es wohl auch gedacht – wenigstens von Bsirske.

Das ursprüngliche Positionspapier von ver.di, über das wir im express Nr. 3 und 4 ausführlich berichteten[3], hatte zum Ergebnis, dass in Einrichtungen des Gesundheitswesens der »Einfluss von Markt und Wettbewerb durch Regeln« einzudämmen und durch »qualitative Vorgaben« zu steuern sei, damit das Gesundheitswesen sich am Bedarf der Patienten orientieren könne. In dem jetzt veröffentlichten Bsirske-Papier wird zwar in den ersten Abschnitten noch an den solidarischen Errungenschaften des deutschen Gesundheitssystems festgehalten, im Weiteren dann jedoch für den »Ausbau des Systems des leistungsorientierten Wettbewerbs der Krankenkassen« plädiert. Um diesen zu fördern und auszubauen, sollen, wenn es nach Bsirske geht, genau jene »Einkaufsmodelle« eingeführt werden, die noch in dem Positionspapier deshalb – zu Recht – kritisiert wurden, weil die Krankenkassen »sich am Preis orientieren« und dann medizinische Billiganbieter auf den Markt kommen. Zudem werde, so das ver.di-Papier vom Dezember, die Qualität der Leistungen leiden, weil die Anbieter als erstes am qualifizierten Personal sparen werden. Wer im Gesundheitswesen arbeitet, weiß, dass dieser Mechanismus längst praktisch eingesetzt hat und durch diese Einkaufsmodelle nun noch weiter verstärkt und ausgeweitet werden wird.

Dagegen will das Bsirske-Papier uns weismachen, dass der Wettbewerb in diesem Bereich für etwas sorgen soll, für das er auch sonst nicht garantiert: für Qualität. Das Ganze wird dann einfach Qualitätswettbewerb genannt, und weil man es für die Gewerkschaft behauptet, bekommt der Wettbewerb noch das Adjektiv solidarisch verpasst. In Sätzen wie: »Wir benötigen Kostenkontrolle durch Qualitätssicherung ...« wird allerdings deutlich, dass die geforderte Qualität, die vermeintlich dem Patienten zugute kommen soll, nur Mittel ist. Der Zweck – und das zieht sich durch das ganze Papier – ist die Kostenkontrolle. Während das ver.di-Papier die ganze Propaganda von der Kostenexplosion noch als ideologisch und ungerechtfertigt gekennzeichnet hatte, wird hier also in den Kanon der Arbeitgeber eingestimmt. Die Kostenkontrolle wird zum obersten Zweck der Gesundheitspolitik erklärt. Um diesen Zweck noch besser erfüllen zu können, fordert das Bsirske-Papier, dass der Sicherstellungsauftrag, der bis jetzt noch bei den kassenärztlichen Vereinigungen liegt, auf die Krankenkassen übertragen wird. Damit wird der Preis der ärztlichen bzw. medizinischen Leistung noch unmittelbarer von der Instanz kontrolliert, die am Ende zahlt.

Dazu passt auch die jetzt von Bsirske geforderte »Stärkung tatsächlicher Eigenverantwortung des Patienten«. Auch dies ein klassisches Thema der Liberalen, die damit nur mühsam verschleiern, dass Eigenverantwortung nichts anderes als individuelle Zuzahlung meint. Um die Eigenverantwortung des Patienten zu stärken, sei, so das Bsirske-Papier weiterhin, eine umfassende Information des Patienten notwendig – sowohl über seine Erkrankung als auch über die verschiedenen »effizienten Leistungserbringer« und die »möglichen wissenschaftlich gesicherten (evidenzbasierten) Behandlungsmöglichkeiten« Voraussetzung. Darin zeigt sich zum einen eine naive Wissenschaftsgläubigkeit bezüglich einer Medizin, die auf »Evidenz« basiere, und zum anderen die ideologische Vorstellung vom idealen Patienten als Individuum mit universalem Marktüberblick. Das ist genau jenes Individuum, das man in den Vorstellungen der Apologeten der bürgerlichen Ökonomie wiederfindet. Der Patient der Zukunft – ein walrasianischer Auktionator!

Aber nicht nur Wettbewerb und Liberalismus haben hier Einzug gehalten, anscheinend auch eine moderne Form des Absolutismus in der Gewerkschaft. Auch wenn das ursprüngliche Papier zur Gesundheitsreform von einer Arbeitsgruppe erarbeitet, den Gremien vorgelegt und von diesen abgesegnet wurde, kommt jetzt einfach der Vorsitzende und legt (s)einen eigenen Entwurf vor, der offensichtlich der Position, wie sie in dem ver.di-Papier vertreten wird, an wesentlichen Punkten widerspricht. So wird jetzt Politik gemacht. Und das von dem gleichen Frank Bsirske, der anlässlich eines Besuchs beim Mannheimer Zukunftsforum davon gesprochen hatte, dass er viel von der Vorstellung der Gewerkschaft als sozialer Bewegung und gesellschaftspolitischer Kraft halte, aber keine potemkinschen Dörfer aufbauen wolle. So etwas lasse sich nicht gegen die eigene Basis, sondern nur mit dieser umsetzen. Wer ist also der Verlierer bei der nächsten Reform?

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6-7/02

Anmerkungen:

1) Vgl. »Wir brauchen wirkliche Reformen, bei denen es auch Verlierer gibt. ver.di-Chef Frank Bsirske, Personalräte und Wissenschaftler fordern strukturelle Veränderungen im Gesundheitswesen«, in: Frankfurter Rundschau vom 13. Juni 2002

2) So z.B. Elisabeth Niejahr: »Fast revolutionär. Mit einem Gesundheitskonzept mischt die Gewerkschaft ver.di im Wahlkampf mit«, in: Die ZEIT, Nr. 25/2002 vom 18. Juni 2002

3) Vgl. Nadja Rakowitz: »....das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce«, in: express Nr. 3/2002 und N.R.: »Vom Patienten zum Kunden«, in: express Nr. 4/2002

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