letzte Änderung am 10.05.2002

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Vom Patient zum Kunden

Nadja Rakowitz kommentiert ver.dis Position zur Gesundheitsreform, Teil II

 

Der erste Teil in der letzten Ausgabe des express endete mit der Diskussion der DRGs als Finanzierungsgrundlage für Krankenhäuser und der Befürchtung, dass dadurch der Pflegenotstand in der Bundesrepublik noch verschärft werden wird. Im hier folgenden Teil wird auf die zunehmende Tendenz, den Patienten zum Kunden zu machen, eingegangen.

 

Im Zusammenhang mit den DRGs und deren Auswirkungen auf die Arbeitsplätze gerade im Pflegebereich wies Ulla Derwein am Runden Tisch auf einen weiteren Aspekt hin, nämlich die Arbeitsbedingungen der Ärzte im Krankenhaus: Im Oktober 2000 hat der Europäische Gerichtshof entscheiden, dass es sich beim Bereitschaftsdienst von Ärztinnen und Ärzten um vollwertige Arbeitszeit handelt. Das wird Konsequenzen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen haben. Derwein forderte, »den sich aus dem EuGH-Urteil ... ergebenden Stellenbedarf, der zwischen 19000 und 25000 Stellen geschätzt wird, sowohl bei der im Jahre 2001 stattfindenden Kalkulation der DRGs als auch bei der Bemessung der Budgets der Krankenhäuser zu berücksichtigen.«[1]

Nachdem das Arbeitsgericht Gotha geurteilt hat, dass das EuGH-Urteil »unmittelbar für alle Arbeitnehmer«[2], also auch in Deutschland gilt, fordert das auch der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Das EuGH-Urteil verbiete es, dass die wöchentliche Arbeitszeit 48 Stunden überschreitet. Hierzu zählten die Arbeitsbereitschaft, die Bereitschaftsdienste und die Überstunden.[3] Bsirske rechnet weiterhin vor, dass die im Momente herrschenden »illegalen Verhältnisse mit unmenschlich langen Schichten für Ärzte und Pflegepersonal« dazu geführt hätten, dass sich inzwischen zwei Mrd. bezahlte und geschätzte 2,4 Mrd. unbezahlte Überstunden angesammelt hätten, die – gerade angesichts vier Millionen Arbeitsloser – abgebaut werden müssten. Die Personalmehrkosten, die es bei den zukünftigen Verhandlungen zu berücksichtigen gelte, würden sich, so Bsirske, auf schätzungsweise 1,7 Prozent belaufen.[4] Dringend erforderlich sei, »dass sich die Arbeitgeber bereit erklärten, mit der Gewerkschaft ver.di im Rahmen des EU-Rechts geltende tarifvertragliche Regelungen über die Gestaltung der Arbeitszeit zu entwickeln, in denen Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit anerkannt würden.«[5]

Bis vor kurzem war es allerdings so, hierauf weist das Positionspapier des ver.di-Bundesvorstands ausdrücklich hin, dass die bindende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Anrechnung der Bereitschaftsdienstes auf die Wochenarbeitszeit durch die Arbeitgeber und die Bundesregierung konsequent ignoriert wurde und der Schutz vor Überarbeitung nach wie vor mangelhaft ist: »Die Patientinnen und Patienten werden nicht selten von Personal behandelt, das schon mehr als 24 Stunden im Dienst ist. Aus diesem Grunde fordert ver.di von der Politik entschiedenes Vorgehen gegen den Einsatz völlig übermüdeten Personals.« (S.13)[6]

Hier ist in der letzten Zeit Bewegung in die Sache gekommen. Am 8. März 2002 sind auf Initiative der Bundesgesundheitsministerin die Gewerkschaft ver.di, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, Vertreter der Spitzenverbände der Krankenkassen, der Deutsche Pflegerat und der Marburger Bund zu einem »Arbeitszeitgipfel« zusammengekommen. In einer gemeinsamen Erklärung wurden dabei eine »pragmatische Umsetzung vor einer Novellierung des Arbeitszeitgesetzes auch im Sinne der Rechtsprechung des EuGH« vorgezogen.[7] Hierzu sollen, so Ulla Schmidt, die »mit dem Fallpauschalengesetz zusätzlich bereitgestellten Mittel genutzt werden. Diese Zwei-Jahres-Programm stellt den Krankenhäusern insgesamt 200 Mio. Euro zur Verfügung, mit denen bis zu 10000 neue Stellen finanziert werden können.«[8] Über den Einsatz der Mittel solle noch in diesem Jahr beraten werden. Wie die Differenz zwischen diesen 10000 und dem nicht nur von ver.di berechneten Bedarf von bis zu 25000 Stellen organisiert und finanziert werden soll, bleibt unklar. ver.dis Forderung an die Arbeitgeber knüpft an die Gemeinsame Erklärung an: »Wir müssen jetzt zu Tarifabschlüssen kommen, die mit dazu beitragen, dass das Arbeitszeitgesetz eingehalten und das EuGH-Urteil umgesetzt wird.«[9] Parallel dazu müssten, das fordert Winfried Beck vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte, die »hierarchischen Verhältnisse im Krankenhaus durch kollektive Leitungsorgane in allen Ebenen ersetzt« und »unbefristete oder zumindest für die Dauer der Weiterbildung sichere Arbeitsplätze garantiert werden.«[10]

Qualitätsmanagement – der Patient als Kunde

 

Im Positionspapier wird gefordert: »Wir wollen, dass Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen Einzug hält«. (S. 10) Denn die Qualität der Arbeitsbedingungen und die Qualität der Arbeit hängen unmittelbar zusammen. Qualitätsmanagement müsse deshalb sowohl die Ergebnisse für PatientInnen, die Information und Beteiligung der Beschäftigten und PatientInnen sowie auch die Bereitstellung und Verwendung von personellen und materiellen Ressourcen umfassen. Dazu gehöre auch die erforderliche Qualifikation und Routine sowie der Grad an Transparenz, mit der Entscheidungen gemeinsam mit den PatientInnen getroffen würden. Strukturen, Verantwortlichkeiten, die Kommunikationswege sowie die Prozesse innerhalb und zwischen den Einrichtungen des Gesundheitswesens müssten nachvollziehbar sein. (S. 10) Noch einmal wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Qualität der Leistungen nicht von der Arbeitssituation der Beschäftigten getrennt werden kann. Für ver.di sind »Arbeitszufriedenheit, Arbeitsgestaltung, Organisation und Führung ... ebenfalls zentrale Merkmale eines Qualitätsmanagements«. Der Aufbau bedarfsgerechter Versorgungsstrukturen verbessere die Leistungen und die vorhandenen Mittel könnten dann sinnvoll ein-gesetzt werden. (S. 10) »Dennoch brauchen wir die Solidarität aller bei der Weiterentwicklung der Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung.« (S. 10)[11] Sowohl das »ebenfalls« als auch das »dennoch« bedürften jedoch angesichts der durchgehend affirmativen Bezugnahme auf das »Qualitätsmanagement« einer Erklärung – deuten sie doch darauf hin, dass offensichtlich mit Qualitätsmanagement in der Debatte etwas ganz anderes gemeint ist als das eben beschriebene. Darauf wird im Positionspapier aber nicht eingegangen. In den »betriebsnäheren« Veröffentlichungen sind die Einschätzungen dagegen sehr viel kritischer. Lothar Gallow-Bergmann fragt, was sich hinter der in SGB V, §§ 135ff festgelegten Verpflichtung der Krankenhäuser, »einrichtungsintern ein Qualitätsmanagement einzuführen und weiterzuentwickeln« verbirgt.[12] Er hält es nicht für einen Zufall, dass Qualitätsmanagement gerade heute forciert wird, da er darin eine Tendenz der »fast vollständigen Unterwerfung auch dieses Bereiches der Gesellschaft unter die Gesetzmäßigkeiten des freien Marktes« erkennt.[13] Einen starken Schub werde diese Entwicklung in den kommenden Jahren mit der völligen Umstellung der Krankenhausfinanzierung durch die Einführung der DRGs erhalten. Im Zusammenspiel mit der Deckelung der Budgets ist zu befürchten, dass es in den Krankenhäusern zu Einschränkungen nach ökonomischen Kriterien kommt.

Gallow-Bergmann macht das z.B. an einem wesentlichen Ziel des Qualitätsmanagements fest, »die Bezeichnung ‘Kunde’ für PatientInnen und Angehörige in unseren Köpfen zu verankern.« Dabei werde geschickt angesetzt an dem berechtigten Unbehagen an dem Begriff Patient, der diesen zu einem Leidenden und manchmal auch Unmündigen gemacht habe. »Zu Recht wird darin enthaltene reduktionistische Sicht des Menschen kritisiert.«[14] Die angebotene Alternative, den Patienten in einen Kunden zu verwandeln, reduziere den Menschen aber noch mehr, denn »Kundenbeziehungen« sind Geldbeziehungen. »Der Kunde ist solange König, wie er zahlungskräftig ist.« Die Frage sei aber, was der »Kunde« Patient beurteilen kann und wie mit dem Informations- und Kompetenzgefälle zwischen Arzt und Patient umzugehen ist. Die Kundenorientierung betreibe insofern bloß »Fassadensanierung«, als sie gar kein Interesse habe, dieses Gefälle abzubauen, sondern genau von der Hauptsache abzulenken und den Blick nur auf die Fassade zu richten, nämlich auf Komfortleistungen im Krankenhaus etc. »Demgegenüber müsste es gerade Ziel der Beschäftigten sein, für den mündigen Patienten einzutreten und sich einer Unterordnung der zwischenmenschlichen Beziehungen unter den oberflächlichen Aspekt des Geldes zu widersetzen.«[15] Was das bedeute, könne man, so Gallow-Bergmann, in Großbritannien und den USA beobachten: »Eine menschenverachtende Zweiklassen-Medizin mit heruntergekommenen Billigangeboten für die Armen und Luxusmedizin für diejenigen, die sich’s leisten können.«[16]

Nur vor dem Hintergrund der Bestrebungen, den Krankenhausmarkt zu liberalisieren, sei die Einführung des Qualitätsmanagements zu verstehen. »Es wird so getan, als könnten mit Qualitätsmanagement all die voraussehbaren negativen Auswirkungen eines liberalisierten Krankenhausmarktes in den Kliniken selbst aufgefangen und quasi ungeschehen gemacht werden.«[17]

In diesem Sinne kommt Gallow-Bergmann zu dem Schluss: »Das beste Qualitätsmanagement wird sein, die politischen Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit mit den wirklichen Verhältnissen in den Kliniken zu konfrontieren und die Beseitigung von Missständen zu fordern«[18], und zum anderen einen »emanzipatorischen Qualitätsbegriff« einzuklagen bzw. eine gesellschaftliche Debatte darüber anzustoßen. Die Gewerkschaft ÖTV hatte noch im Jahr 2001 eine Broschüre vorgelegt, in der sie einen solchen emanzipatorischen Qualitätsbegriff erläutert: »Die Qualität der Leistung im Gesundheitswesen ist dann daran zu messen, inwieweit sie diesem ‘emanzipatorischen Anspruch’ gerecht wird. Als allgemeine Orientierung ist hier das WHO-Leitbild zugrunde zu legen: Gesundheit als Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens.«[19]

Soweit geht das Positionspapier natürlich nicht. Es endet mit der Forderung, die Arbeitsplätze attraktiver zu gestalten. Dazu müssten sich »Anzahl und Qualifikation der Beschäftigten ... am Versorgungsbedarf orientieren«. Eine Reform der Ausbildung in den Gesundheitsberufen sei erforderlich. Weiterhin fordert ver.di Erhalt und Weiterentwicklung der Tarifverträge, angemessene Entlohnung und Rückkehr zur Refinanzierung der Tarifbeschlüsse durch die Kostenträger. (S. 12) Ob ver.di dafür sorgen und kämpfen wird, dass diese Forderungen für die ca. vier Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen eingelöst werden, wird sich in der kommenden Tarifrunde zeigen. Hier wird sich ver.di allerdings wieder als die Gewerkschaft der Beschäftigten profilieren müssen und nicht – wie jetzt in der Gesundheitsreform-Kampagne – als »große Versichertenorganisation« und »Anwalt der Patienten und Patientinnen« ...

 

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 4/02

Anmerkungen:

 

1) Bei Gesundheitsreform überwiegen Gemeinsamkeiten. ver.di-Bundesvorstandsmitglied Ulla Derwein im Gespräch mit Ulla Schmidt, in: Infodienst Krankenhäuser, Nr. 12, hrsg. ver.di, Hannover 6/2001, S. 5.
2) Wolfgang Pieper, EuGH-Urteil: »Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit«, in: Infodienst Krankenhäuser, Nr. 11, Hannover 6/2001, S. 20 – Bislang argumentierten die Arbeitgebervertreter so, dass das EuGH-Urteil, das durch die Klage von Ärzten in Spanien ausgelöst wurde, auf deutsche Verhältnisse nicht anwendbar sei, weil sie bezweifelten, »ob der Bereitschaftsdienst in Spanien in der ärztlichen Grundversorgung überhaupt mit dem Bereitschaftsdienst in Deutschland vergleichbar wäre.« Ebd., S. 19
3) Wolfgang Pieper, ver.di fordert Schaffung von rund 25000 Arbeitsplätzen in Krankenhäusern, in: Infodienst Krankenhäuser, Nr.12, Hannover 6/01, S.11
4) Vgl. Ebd.
5) Vgl. Ebd.
6) Alle in Klammern stehenden Seitenzahlen beziehen sich auf diesen Text: ver.di (Hrsg.): »Gesundheit solidarisch finanziert. Forderungen und Vorschläge für ein gesundes Gesundheitssystem«, Positionspapier des Bundesvorstands der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, in: Soziale Sicherheit. Zeitschrift für Arbeit und Soziales, Nr. 1/2002
7) Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums Nr. 27 vom 4.03.2002, in: www.bmgesundheit.de (Stand: 18.03.002)
8) Ebd. – Da bei diesem »die tatsächliche Arbeitszeit der Ärzte an den Kliniken nur völlig unzureichend in die Kalkulation der Fallpauschalen eingeht«, wird es allerdings die Lage eher noch verschlimmern, so auch die Einschätzung des Präsidenten der Ärztekammer Nordrhein Jörg-Dietrich Hoppe. Vgl. Hoppe übt harsche Kritik am neuen Fallpauschalengesetz, in: Ärzte Zeitung vom 18.03.2002
9) Ebd.
10) Woher kommt die Wehrlosigkeit der Klinikärzte gegenüber den katastrophalen Arbeitszeiten?, in: Frankfurter Rundschau vom 31. Januar 2002
11) Hervorhebung in den letzten beiden Zitaten von N.R.
12) Lothar Gallow-Bergmann, »Qualitätsmanagement« – der entfesselte Markt wirft seine Schatten voraus: Der Mensch oder das Geld im Mittelpunkt? in: Infodienst Krankenhäuser, Nr. 11, Hannover 4/2001, S. 12
13) Ebd.
14) Ebd.
15) Ebd.
16) Ebd.
17) Ebd. – »Was nicht nur völlig illusionär ist, sondern auch ein verstecktes Eingeständnis der Ideologen des freien Marktes, dass der Markt eben doch nicht alles zum besten regelt ...« Ebd.
18) Ebd., S. 14
19) Gewerkschaft ÖTV (Hrsg.), Gewerkschaftliche Anforderungen an Qualität und Qualitätsmanagement im Gesundheits-wesen, Stuttgart 2001, S. 6

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