letzte Änderung am 22. Oktober 2003

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»Die Trittbretter größer bauen«

Ein Gespräch über die Erfahrungen mit ver.di / Teil I

Vom 19.–25. Oktober 2003 findet im Berliner Kongresscentrum der nächste ver.di-Bundeskongress statt. Es ist der erste reguläre seit Gründung von ver.di im Juli 2001. Dies und zwei Jahre ver.di sind Grund genug, Bilanz zu ziehen: Hat die Fusion die Erwartungen, die viele in sie gesteckt haben, erfüllt – oder doch die Befürchtungen, die manche gehegt haben? Was bedeutet die Fusion für die Arbeit vor Ort? Welche Erfahrungen haben insbesondere Ehrenamtliche, Betriebsräte oder Personalräte mit der »Matrixorganisation« gemacht? Wie stellt sich das Verhältnis zu den KollegInnen der anderen »Quellgewerkschaften« dar, und was hat sich vielleicht im Verhältnis zu den Mitgliedern geändert? Darüber haben wir mit Gitta Süß-Slania (ehem. ÖTV), Landesvorsitzende von ver.di Baden-Württemberg und demnächst auch Mitglied des ver.di-Gewerkschaftsrates auf Bundesebene, und Kurt Seez (ehem. HBV), Bezirksvorsitzender von ver.di Mannheim, gesprochen. Von ihnen wollten wir auch wissen, wie es weiter geht in und mit ver.di »vor Ort«, und was für sie die drängendsten gewerkschaftspolitischen Themen sind. Die Fragen stellten Kirsten Huckenbeck und Axel Stamm.*

 

Bevor wir über die inhaltlichen Fragen reden: Könntet Ihr uns kurz etwas darüber erzählen, wie Ihr zu ver.di gekommen seid und was Ihr derzeit macht – bei ver.di und beruflich?

Gitta: Ich bin mittlerweile 25 Jahre in der Gewerkschaft. Ich habe den normalen Weg über Vertrauensleute- und Personalrätearbeit gemacht und bin im Jugendamt der Stadt Mannheim Personalratsvorsitzende. Dort habe ich die Mitverantwortung für etwa 1050 KollegInnnen. Das Jugendamt ist aus meiner Sicht das Herzstück des sozialen Bereichs der Stadtverwaltung. Die Stadtverwaltung hat insgesamt 6700 Beschäftigte, dort sind wir der größte Bereich.

Außerdem bin ich Mitglied im Gesamtpersonalrat der Stadt. Im Zusammenhang mit der ver.di-Gründung wurde ich, nachdem ich bei der Alt-ÖTV Bezirksvorsitzende war, Landesvorsitzende in Baden-Württemberg. Damit ist das ehrenamtliche Pendant zum hauptamtlichen Vorstand gemeint – da ist der Titel Landesleitung.

Politisch hoffe ich, dass ich ein paar Wurzeln habe, die ich nicht vergessen habe. Ich könnte mir meine Arbeit nicht ohne ein politisches Standbein vorstellen.

Kurt: Ich bin seit 1970 in der Gewerkschaft organisiert und habe am 1. April 1970 bei Hertie angefangen. Die damalige BR-Vorsitzende suchte unbedingt Nachwuchs. Ich habe ihr damals in meiner Eigenschaft als Techniker technische Geräte installiert und instandgesetzt, da wusste ich überhaupt noch nicht, was eine Gewerkschaft ist. Ich hatte dazu auch keinerlei Verbindungen. Sie hat mich zur Teilnahme an der BR-Wahl überredet, ich wurde in den BR gewählt und stellvertretender Vorsitzender – in einem Betrieb mit damals 1612 Beschäftigten am Standort Mannheim.

Im Betriebsrat haben sie mich dann erst mal drei Jahre nur auf Schulungen geschickt. Diese drei Jahre haben mir sehr gut getan. Auf dieser Basis hast Du dann nämlich auch mit dem Personalleiter im Betrieb mal reden können.

Dann hat mich der damalige Gesamtbetriebsrat von Hertie überredet, im Gesamtbetriebsrat (im Folgenden GBR; Anm. d. Red.) mitzumachen. Dort bin ich dann in den Ausschuss für neue Technologien und Ausbildungssysteme gekommen. Gemeinsam mit der Gesamtjugendvertretung, die ich auch betreut habe, haben wir ein neues Ausbildungssystem entwickelt: »Tip mit System«. Das war ein komplettes Karteikartensystem für die Ausbildung, für das wir mit Hertie auch den europäischen Bildungspreis bekommen haben. Dieses System wurde u.a. an die griechische Kaufhauskette Mignon verkauft – und auch hier in allen Kaufhäusern umgesetzt. Dann bin ich stellvertretender GBR-Vorsitzender geworden, war im Aufsichtsrat und im Wirtschaftsausschuss. Im Betrieb bin ich, nachdem die Kollegin in Rente gegangen war, ihr Nachfolger als Vorsitzender geworden. Das war etwa 1981. Ja, und seitdem haben wir viel gemacht: Wir haben Konzepte entwickelt, wie Häuser gehalten werden können, z.B. über neue Verkaufssysteme, und wir hatten heiße Auseinandersetzungen um McKinsey und mit Bain & Company. Die hatten z.B. das Einsparpotential in den Verwaltungen untersucht und in der Folge die Verwaltungsarbeit in den Verkauf verlagert. Dann sind sie gegangen und haben das Einsparpotential als Prämie eingesteckt. Der Verkauf hat sich tot geschafft, weil er die ganze Arbeit von der Verwaltung mit übernehmen musste. Irgendwann haben die Hertie-Erben dann trotzdem gesagt: »Jetzt ist Schluss, wir verkaufen das Unternehmen.«

Hertie ist damals an die Karstadt AG verkauft worden?

Kurt: Ja, erst an Karstadt, und dann wurde Karstadt an Quelle verkauft. 18 Häuser sind auf die Schließungsliste gekommen, und das erste waren wir. Denn bei uns gab es einen starken Betriebsrat, wir haben fast bei jeder Aktion mit gestreikt. Das war das eine, was denen gestunken hat. Genauso haben wir uns aber auch um neue Verkaufssysteme gekümmert, haben die auf den Prüfstand gestellt, haben das untersuchen lassen von Fachleuten und gezeigt, was so nicht geht, oder wo die sogar Geld sparen können. Das war das andere, was ihnen manches Mal gestunken hat.

ver.di: ein gemeinsames Dach, aber 13 gläserne Wände?

Wie ging es weiter mit Deinen ehrenamtlichen Tätigkeiten bei der Gewerkschaft?

Kurt: Erst war ich in der HBV Bezirksvorsitzender. Dann hieß es: »ver.di kommt«. Da haben wir uns ja bei der HBV in Mannheim deutlich zurück gehalten. Denn so, wie uns die Matrix erklärt worden ist, bedeutete das für uns eine Einengung, weil nicht mehr, wie vorher bei der HBV, das ganze Gremium für alles zuständig war – für die Finanzen, für die Werbung, für Aktionen etc. Wir haben damals eher 13 gläserne Wände gesehen statt »ein Team und eine Verantwortung«. Im Nachhinein betrachtet ist es ja auch fast so. Für uns Ehrenamtliche war der Haufen auch viel zu groß und zu unübersichtlich. Und die ÖTV war für uns viel zu dominant. Auf einmal ist dann aber darüber geredet worden, dass die HBV den Bezirksvorsitzenden stellt.

Du kamst also vom Bezirksvorstand der HBV in den Bezirksvorstand von ver.di?

Kurt: Ja, das war zunächst für mich schwer vorstellbar, weil ich mit der Matrix Schwierigkeiten hatte – nicht mit den KollegInnen, das war sogar besser, als das teilweise vorher an die Wand gemalt worden ist.

Das Stichwort »Matrix-Organisation«, d.h. 13 Fachbereiche, die jeweils auf Bezirks-, Landesbezirks- und Bundesebene organisatorisch miteinander verzahnt sind, führt uns zu unserem ersten großen Thema: Euren Erfahrungen zwei Jahre nach der Fusion zu ver.di. Gibt es die berühmten »Synergieeffekte«, also die Stärkung der Gewerkschaft durch die engere Kooperation zwischen den fünf beteiligten Quellgewerkschaften?

Gitta: In mancher Hinsicht könnten sich Synergieeffekte ergeben, wenn die »subjektive Seite«, also die han-delnden Menschen, effektivere Zusammenarbeitsformen entwickeln würden. Das ist im Rahmen der Matrix aber schwierig. Wir haben vor etwa zwölf Jahren, damals noch bei der ÖTV, zwar selbst Matrix-Strukturen eingefordert, weil wir unsere Abteilungsleitungen entmachten wollten. Um im Bereich der Öffentlichen Verwaltung eine breitere Verantwortungsstreuung zu erreichen, wäre das Matrix-Modell sehr tauglich gewesen. Das, was ver.di jetzt als Matrix geschaffen hat, war für mich jedoch immer nur ein Übergangsmodell. Denn die einzige Alternative wäre das gewesen: Die Große frisst die Kleinen. Wenn ich das nicht machen will, muss ich mir eine Organisationsform überlegen, und da war für die Mütter und Väter von ver.di die einzig denkbare Form offenbar die Matrix-Struktur. Eigentlich ist die Matrix der Versuch, eine demokratische Form zu schaffen, ohne zu berücksichtigen, ob der Demokratieaufwand, den man sich antut, einen ganz anderen Effekt hat. Nämlich unendlich viel Selbstbeschäftigung miteinander, unendlich viel Quotierung, unendlich viel Pseudo-Ausbalancierung.

Und: Es arbeiten darin Menschen mit unterschiedlichen politischen Kulturen. Die großen politischen Ausein-andersetzungen – und damit meine ich nicht Betriebspolitik – werden in ver.di z.B. geführt über die KollegIn-nen von der Alt-ÖTV, die Ehrenamtlichen. Wenn ein ÖTV-Hauptamtlicher mich z.B. konfrontieren würde mit einem Sendungsbewusstsein, wie es einem in anderen Mutterorganisationen begegnet, da gäbe es Konflikte...

Bei der HBV gab es dagegen aus meiner Sicht ein sehr ausgeprägtes Vertrauensverhältnis zwischen Ehren- und Hauptamtlichen, und zwar unter dem Gesichtspunkt: Die Ehrenamtlichen ziehen im Betrieb, und die Hauptamtlichen ziehen politisch.

Kurt: Ja, so war’s.

Gitta: Das wäre in meiner Vorstellungswelt nie so vorhanden gewesen. Nicht, weil das gut oder schlecht ist, sondern weil unsere Arbeitssituation eine andere ist. Wenn Du in einer Kommune beschäftigt bist und in einem kommunalen Betrieb nicht politisch arbeitest, wirst Du mit so einer Arbeitsteilung als Betriebs- oder Personalrat vor Ort gar nicht überleben. Ich brauche Hauptamtliche für meine Arbeit nicht unbedingt. Hauptamtliche müssen nicht auf jeder Personalversammlung etc. präsent sein. Sie müssen aus meiner Sicht auch gar nicht omnipotent sein. Sie müssten aber unbedingt eine Entlastung im Einzelfallgeschäft sein, in all den juristischen Sachen, wo nur die Organisation ihren Stempel drunter setzen kann.

Also: Das Verhältnis Ehrenamt und Hauptamt ist sehr verschieden. Und ich glaube, dass dies einer der Punkte ist, wo es krachen wird in der Organisation. Im Moment höre ich z.B. Forderungen wie die: »Die Hauptamtlichen müssen geschult werden, um die Ehrenamtlichen zu schulen.« Dagegen würde ich auf jedem Kongress in die Bütt gehen und Luther-Eigenschaften entwickeln.

Kurt: Ich bin das von HBV her bislang völlig anders gewöhnt. Wir hatten eine ganz andere Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen. Auch in Bezug auf die Zusammenarbeit im Bezirksvorstand war das nie ein solches Thema – außer auf Landesbezirksebene, wo öfter das Problem aufkam, was der Hauptamtliche bzw. der Ehrenamtliche zu sagen hat und wo die Grenzen sind. Wir waren aber im Bezirksvorstand auch immer stark genug, die Hauptamtlichen zurückzupfeifen, denn wir hatten die ja auch gewählt. Sie wurden nicht automatisch eingesetzt, wie bei der Gründung von ver.di.

»Die Buchhalter überleben, nicht die Politischen«

Ihr würdet also beide das vorläufige Fazit ziehen, dass es durch die Fusion zu einer stärkeren Verselbständigung der Hauptamtlichen gegenüber den Ehrenamtlichen gekommen ist und umgekehrt?

Gitta: Ja, und ich glaube, dass das ein typisches Matrix-Strukturproblem ist, weil die Verantwortung nicht mehr an einem Ort zusammenläuft. Man könnte ja die Idee haben, dass die Menschen hier in Mannheim sich zusammen um die Mannheimer Gewerkschaftspolitik kümmern, so ist die »Ebene« auch konzipiert. Aber die Matrix-Struktur führt dazu, dass der einzelne Gewerkschaftssekretär, was seine Dienst- und Fachaufsicht angeht, dem Landesfachleiter verantwortlich ist, der in Stuttgart sitzt. Ob die Stuttgarter wissen, was vor Ort passiert, ist fast schon egal, weil die Fachbereichs-Hauptamtlichen sich innerhalb ihrer Hierarchien abstimmen müssen in Bezug auf Budgetfragen. Es gibt also einen zwingenden Abstimmungsgrund, der liegt im Geld. Ob die sich auch zu politischen Dingen abstimmen, das wissen die Götter, und an dieser Stelle können unterschiedliche Interessen zum Tragen kommen. Angreifbar sind diese Interessen aber nur, wenn damit Budgetprobleme verbunden sind. Vor Ort reklamieren wir – Kurt, ich und andere – politisch zwar so etwas wie eine gemeinsame Verantwortung. Doch im Zweifel kann der zuständige Gewerkschaftssekretär XY sagen: »Das finden wir hochinteressant, aber erst mal stimme ich mich mit meinem Vorstand im Fachbereich ab.«

Dieses Abschotten in Fachbereichen passiert derzeit in ganz intensiver Form, z.B. in den Fachbereichen der früheren DPG oder der früheren HBV. Da sind auch die Ehrenamtlichen genau nach dem Muster ausgewählt. Da hat nicht interessiert, ob ich eine politische Identität habe oder Erfahrungen in einem Groß- oder einem Kleinbetrieb. Da war die Loyalität zur Idee des Fachbereichs relativ entscheidend. Nicht nur in Baden-Württemberg. Die Frage ist: Was kommt danach? Nach 2007 (dem Zeitpunkt der ersten freien Wahlen bei ver.di, Anm. der Red.) erwarte ich hier den großen Schlag des gordischen Knotens. Aber ich befürchte dabei Schlimmstes. Da werden die durchquotierten Gremien es entweder geschafft haben, weil die Ehrenamtlichen richtig ausgesucht wurden – und die wurden entweder ausgesucht oder wie bei mir in Kampfabstimmungen gewählt –, oder es wird die echt Gewählten und damit wieder Majoritäten geben.

Kurt: Dann wird manches auseinander fliegen, was ich gleich von Anfang an besser gefunden hätte.

Gitta: Aber das hätte bedeutet: In Mannheim spielt die HBV ein Stück weit eine Rolle, die IG Medien nahezu keine, die DAG bis an den Punkt Null, und die ÖTV hätte gesagt: »Was wollt Ihr eigentlich, wir sind hier über die Hälfte.« Das muss man sich auch mal praktisch überlegen. Wir leiden im Moment alle unter der Matrix, weil das ein Riesen-Buchhalteraufwand ist. Momentan würden die Buchhalter überleben und nicht die Politischen. Das ist derzeit der Preis, nicht machtpolitisch agieren zu wollen. Also müssen wir jetzt schon für die Zeit danach überlegen, wie die Buchhalter und die Politischen zusammen kommen und fragen, wie wir politisch überleben können. Das muss zu Lasten der Buchhalter gehen, d.h. zu Lasten der Fachbereiche. Wir müssen also die Ebene stärken, weil dort das politische Geschäft zu koordinieren ist – sogar nach Satzung. (Fachbereichsübergreifende Themen müssen auf den jeweiligen »Ebenen« – Bezirk, Landesbezirk, Bund – politisch koordiniert werden; Anm. d. Red. )

Kurt: Wenn man sich alleine ansieht, wie viele politische Themen wir in letzter Zeit diskutiert haben, die wir systematisch abarbeiten müssten – da bleibt im Organisationsprozedere und den Abläufen und Richtlinien manches auf der Strecke. Von Sitzung zu Sitzung diskutieren wir über Organisationsabläufe und über das ganze Personelle. Da fliegt Dir der Hut fort. Früher war das ein Klacks: Einmal gehörte es zum Alltagsgeschäft, zum anderen standen personelle Themen nicht so im Vordergrund. Nach dem Übergang habe ich mich noch mal hingesetzt und die alten Themen durchgesehen, was wir so gemacht und geplant haben, da findest Du Dich nicht mehr wieder in der jetzigen Organisation. Wir haben in HBV vor allem die politischen Sachen diskutiert, gemeinsame Aktionen und die Werbung: Wie gehen wir mit dem Mitglied um, was bieten wir dem Mitglied, wie bringen wir das ans Mitglied rüber? Das waren unsere großen Sorgen. Das Mitglied bleibt momentan einfach auf der Strecke. Das ist das, was mich furchtbar stört. Da kann ich einfach nicht sagen: »Jetzt ordnen wir uns diesem Druck der Organisationsabläufe einfach unter.«

Heißt das, dass politische und betriebliche Themen bei Euren Treffen als Ehrenamtliche systematisch unter den Tisch fallen?

Kurt: Ja, das geht auch den anderen Bezirksvorstandsmitgliedern so. Dir brennen die Probleme auf den Fingern – wie der Gitta die Gemeindefinanzen –, weil das in die Betriebe rein muss. Davon leben wir bzw. haben wir mal gelebt. Dafür hast Du dann in so einer Bezirksvorstandssitzung fünf Minuten Zeit. Den Rest diskutieren wir über Formalia, und das, wo keiner von denen, die jetzt dabei sind, die acht Bände, oder wie viele es auch sind, an Richtlinien und Satzung gelesen hat. Der Streit geht teilweise auch um das Nicht-Wissen...

»Zu klein für eine Matrix-Organisation«

Das hört sich so an, als ob Ihr jetzt in ver.di wechselseitig nicht mehr voneinander mitbekommt als vorher oder bestenfalls genauso viel – z.B. über Arbeitskämpfe, Betriebsschließungen, Personalabbau etc. in den verschiedenen Betrieben Mannheims?

Gitta: Die Spitzenfunktionäre kriegen viel mehr mit als vorher. Die Frage ist nur, ob die eine Notwendigkeit sehen, daraus noch etwas vor Ort, in ihrem Betrieb zu machen – etwa unter dem Gesichtspunkt der Solidarität. Ich könnte mir vorstellen, dass da ein kleines bisschen mehr an Solidarität möglich geworden ist, aber den großen Synergieeffekt in der politischen Zusammenarbeit, den hast Du nicht.

Kurt: Nachdem Du die anderen Ehrenamtlichen mittlerweile kennen gelernt und Dir Dein eigenes Bild gemacht hast, würde mich interessieren: An welchen Problemen könnten wir uns denn finden? Bei welcher Aktion können wir uns gemeinsam mit einbringen und das mit unterstützen? Oder wo können wir voneinander etwas lernen? Das wären für mich Synergieeffekte. Nicht die ganzen Richtlinien und die Satzung. Mich hätten z.B. Gittas Hintergründe für ihre Entscheidungen in bestimmten Auseinandersetzungen interessiert. Da hast Du aber gar keine Zeit zu. Genau solche Hintergründe wären für die politische Diskussion wichtig, und das bleibt auf der Strecke. Wir werfen uns die Brocken bei bestimmten Themen nur so um die Ohren, ohne wirklich zu diskutieren.

Gitta: Noch mal zu Deiner Frage, ob es Synergieeffekte gibt. Ich würde sagen: Es gibt sie im Prinzip, und jetzt kommt das berühmte »ja, aber«. Natürlich hast Du im Prinzip bei einer anderen Menge von Menschen, die eine andere Arbeit machen kann, auch eine andere Vertretungssituation. Du hast andere Möglichkeiten, Stärken und Schwächen zu nutzen, Du bist weniger auf Einzelkämpfer angewiesen. Du kannst sagen: »Für den einen ist das okay, weil der das gerne und gut macht, der andere gibt grundsatzpolitische Erklärungen ab, weil er z.B. die Agenda 2010 rauf und runter gelesen hat, den Dritten kannst Du auf eine Personalversammlung schicken, wo es um juristische Themen geht, weil das ein Kollege oder eine Kollegin mit einer juristischen Ader ist, die aus dem Stehgreif Urteile vorliest.« Und dann schauen wir einfach, wie wir wen am geschicktesten einsetzen können. So hätte ich mir Synergieeffekte vorgestellt, und so muss es im Prinzip auch gehen.

Es kann aber so nicht gehen, weil Du lauter kleine Einheiten hast, zugehörig zu den Fachbereichen. Die kleinste Einheit in Mannheim beispielsweise ist 0,15 einer Stelle, eine andere Einheit ist 0,4 einer Stelle in einem Fachbereich XY. Da hast Du keinen Synergieeffekt mehr. Du musst nämlich gucken, wie Du, wenn Du gerade nicht kannst, weil Du Urlaub hast oder krank bist, mit Deinen 0,4 innerhalb Deines Fachbereichs vertreten wirst, oder vielleicht vertritt jemand von einem anderen Fachbereich, die 0,8 einer Stelle hat und Zeit hat, weil sie gerade nicht mit den restlichen 0,2 ihrer Stelle beschäftigt ist, mich und meinen Fachbereich. Wir sind einfach zu klein für so etwas.

Zu klein für eine Matrix-Organisation?

Gitta: Ja, wir haben zu viele Fachbereiche. Hätten wir weniger Fachbereiche und größere Einheiten, wäre das nicht so dramatisch. Du könntest z.B. relativ problemlos die Fachbereiche Bund, Land und Gemeinden zusammenfassen, weil sie den gleichen politischen Adressaten haben. Sie bewegen sich im gleichen Rahmen diverser Gesetze und Vorschriften. Sie haben, was Arbeitsweisen angeht, relativ ähnliche Sozialisationen – da gibt es viele Nähen. Dann kann man sich überlegen, wie man den Bereich der Freien Träger unterbringt – Tageseinrichtungen für Kinder sind überall die großen Freien Träger oder die Kommunen – und ob man den unbedingt an den Bereich andockt, wo ansonsten die Kirchen sind.

Kurt: Passt gar nicht...

Gitta: ... ja, nicht kompatibel. Aber da hat man der ÖTV motzige Bereiche auseinandergenommen. Meine Szene z.B. galt als Motzer-Szene. Da hoffe ich auf den Gewerkschaftsrat und darauf, dass wir an dieser Stelle eine Güte der Debatte hinkriegen, ohne diese Konkurrenzen, die die Hauptamtlichen ja haben müssen – weil bei denen ganz viele geköpft worden sind. Menschlich verstehe ich da viel, das sind wirklich Katastrophen. Die Aufgabe wird sein, genau zu prüfen, wo Stärken und Schwächen sind und wie man die Struktur vereinfachen kann. Da könnte man eine Menge Landes- und Bundesfachbereichsleiter einsparen – und damit Geld sparen. Aber die großen Konflikte werden gar nicht mal unbedingt hier liegen. Denn alle Ehrenamtlichen, auch wenn sie immer motzen, wurden ja bei der ver.di-Gründung mit irgendeinem Pöstchen beglückt. Das war Teil der Befriedungsstrategie. Und die Ehrenamtlichen werden an der Stelle plötzlich meinen, dass die Bundesfachbereichskonferenz natürlich die Federführung zu übernehmen hat. Das wird wieder eine Debatte werden, und zwar diesmal nicht im Bereich der Haupt-, sondern im Bereich der Ehrenamtlichen. Da wird es gesteuerte Allianzen geben. Und ich weiß nicht, ob dieser Bundesvorstand und dieser Gewerkschaftsrat es lernen werden, sich intern miteinander zu streiten und eine einheitliche Sprache nach außen zu entwickeln.

Denn im Moment gibt es mit der Matrix-Organisation noch zu viele Möglichkeiten, sich zu verstecken. Hauptamtliche haben ein Talent entwickelt, sich abzuducken. Nimmt man z.B. die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst. Sieben Fachbereiche waren betroffen. Es gab Kritik in Baden-Württemberg. Zwei Hauptamtliche der Landesleitung hatten die Zustimmung zum Ergebnis abgenickt. Was passiert? Von den beiden ist die eine auf dem linken Vernetzungsticket unterwegs, der andere auf dem Antilinken-Vernetzungsticket. Beide lernen: Ich agiere einfach nicht, sondern ich lade mir den Hauptamtlichen aus dem Bundesvorstand ein und lasse den das Ergebnis rechtfertigen, weil der dann die Prügel aus Stuttgart und aus Mannheim kriegt. Und die beiden tauchen ab. Ich halte das für einen großen Schaden. Das führt dazu, dass sich eine nicht-offene Kommunikation als Teil der Organisationsstruktur entwickelt. Das macht eine Organisation kaputt, wenn der Aufwand zu groß wird, sich informell zu verständigen. Und wir haben zu viel Aufwand durch die Matrix.

Wir brauchen an der Stelle eine Minimierung der Struktur. Und bis 2007 den Wegfall der Gewerkschaftsquote an Stellen, wo sie Demokratie ausdrücken sollen, aber Instabilität verursachen.

 

Teil II des Gesprächs folgt im nächsten express

Das Gespräch wurde im Auftrag von ver.di Mannheim für die Internetseite des Bezirks geführt: www.verdi.de/baden-württemberg/mannheim

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 9/03

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