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Erfurt – München - Suhl, 19.10.2001

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der folgende Text enthält ausführliche Informationen zum Beschluß des Gewerkschaftsrates (im folgenden: GR) über die Erhöhung der Gehälter der ver.di-Wahlangestellten. Zunächst findet Ihr eine von uns kommentierte Darstellung des Sachverhalts, dann folgen unsere Vorschläge für das weitere Vorgehen, um eine Rücknahme des Beschlusses zu erreichen. Das Ganze ist zwar etwas umfänglich geworden, aber wir meinen, daß eine sachgerechte und einigermaßen umfassende Argumentation nötig ist, um genügend ver.di-Mitglieder für eine Rücknahme des Beschlusses zu mobilisieren.

 

Der Sachverhalt nebst unserem Kommentar:

Ver.di beschäftigt insgesamt 84 sogenannte Wahlangestellte: 19 Bundesvorstandsmitglieder sowie 13 LandesbezirksleiterInnen und 52 stellvertretende LandesbezirksleiterInnen.

Der Gewerkschaftsrat hat gemäß § 41 Abs. 4h und § 73 Abs. 3 der ver.di Satzung die Aufgabe, die Anstellungsbedingungen für Wahlangestellte festzulegen. Eine Neufestlegung der Anstellungsbedingungen ist auch unseres Erachtens nötig, da die Wahlangestellten seit der ver.di-Gründung auf Basis der unterschiedlichen Anstellungsbedingungen ihrer jeweiligen Herkunftsgewerkschaft arbeiten. Das bedeutet: unterschiedliche Bezahlung bei gleicher Tätigkeit. (Dies gilt im übrigen nicht nur für die Wahlangestellten, sondern für alle Beschäftigten von ver.di.)

Der GR hat nun auf seiner Sitzung am 29.10.2001 mit 56 zu 44 Stimmen folgendes beschlossen:


"Eckpunkte für die Anstellungsbedingungen für die Mitglieder des Bundesvorstands und die Wahlangestellten gemäß § 73 Abs. 3 der ver.di-Satzung sowie deren Vergütungsregelung

In-Kraft-Treten am 1. Oktober 2001

Die Allgemeinen Anstellungsbedingungen (AAB) für die Beschäftigten der ver.di gelten für die Wahlangestellten in ihrer jeweils gültigen Fassung, soweit der Gewerkschaftsrat keine abweichenden Regelungen beschließt.

Es ist Absicht, dass auch die neue AAB baldmöglichst In-Kraft-Treten kann.

Vergütungsregelung  
Vorsitzende/r 27.000 DM
Stellv. Vorsitzende 23.600 DM
Ressortleiter/in Personal/Finanzen
(sofern nicht stellv.Vorsitzende)
21.600 DM
Fachbereichsleiter/innen auf Bundesebene 20.250 DM
Landesbezirksleiter/innen 14.250 DM
Stellv. Landesbezirksleiter/innen 12.100 DM

Prüfauftrag: Leistungsbezogene Einkommenskomponente
In den nächsten zwei Jahren wird über eine begrenzte variable Komponente von den 100% entschieden und deren Kriterien festgelegt.

Wahlangestellte erhalten 35 Urlaubstage.
Die Urlaubsgewährung richtet sich nach den Allgemeinen Anstellungsbedingungen (AAB) für die Beschäftigten der ver.di.
Es wird kein Urlaubsgeld gezahlt.
Es werden 13 Monatsgehälter gezahlt."


Soweit der Auszug aus dem uns vorliegenden Beschluß.

Das Präsidium des GR teilte zu diesem Beschluß folgendes mit:


"Das Präsidium des Gewerkschaftsrates hat in seiner Sitzung am 29.08.01 Vorschläge für Eckpunkte zur Regelung der Anstellungsbedingungen als Empfehlung an den Personalausschuss des Gewerkschaftsrates diskutiert und einstimmig verabschiedet.

Der Personalausschuss hat am 30.08.01 die Vorschläge des Präsidiums diskutiert und die Eckpunkte für eine Regelung der Anstellungsbedingungen bei einer Gegenstimme beschlossen.

Der Gewerkschaftsrat hat die Vorschläge des Personalausschusses in seiner Sitzung am 27.09.01 in Berlin ausführlich und kontrovers diskutiert.

Breiten Raum nahm dabei die Frage ein, ob eine Regelung für die Wahlangestellten vor einer Vereinbarung des Bundesvorstandes mit dem Gesamtbetriebsrat über die allgemeinen Anstellungsbedingungen der Beschäftigten (AAB) getroffen werden sollte. Der BV hat in diesem Zusammenhang seine Bereitschaft zu sofortigen und zügigen Verhandlungen mit dem GBR erklärt.

Dem Gewerkschaftsrat waren die in diesem Zusammenhang abgegebenen Stellungnahmen des Gesamtbetriebsrates bekannt.

Intensiv wurden ferner die vorgeschlagene Höhe und Differenzierung der Struktur der Vergütung für Wahlangestellte diskutiert.

Da das Thema zu diesem Zeitpunkt bereits Gegenstand verschiedener Presseveröffentlichungen gewesen war, wollten die GR-Mitglieder mehrheitlich dieses Thema nicht einer wochenlangen öffentlichen Diskussion aussetzen sondern -so oder so- noch in der Sitzung entscheiden.

Der Gewerkschaftsrat hat schließlich mit einer Mehrheit von 56 ja- gegen 44 nein-Stimmen die anliegenden Eckpunkte beschlossen. Gegenüber der Empfehlung des Präsidiums und des Personalausschusses wurde die Vergütung für die Mitglieder des Bundesvorstandes um 10 %, für die LandesbezirksleiterInnen und ihre StellvertreterInnen jeweils um 5% gekürzt.

....

Wie das Abstimmungsergebnis deutlich zeigt, hat sich der Gewerkschaftsrat seine Entscheidung nicht leicht gemacht. Der Gewerkschaftsrat erwartet jetzt, dass Bundesvorstand und Gesamtbetriebsrat ihrer Aufgabe, die Anstellungsbedingungen für die Beschäftigten zu regeln, zügig nachkommen."


Im Klartext heißt dies: Der ver.di-Bundesvorsitzende erhält eine knapp 61prozentige (!) Erhöhung, satte 10.220 DM. Bisher bekam er 16.780 DM, ein Gehalt, bei dem man schon fragen darf - wie die Frankfurter Rundschau es am 29.09.01 getan hat - ob es nicht "zum würdigen Lebensunterhalt reicht." In der Empfehlung von Personalausschuß und Präsidium waren sogar 30.000 DM pro Monat für den Vorsitzenden vorgesehen, also eine Erhöhung um knapp 79%.

Ein weiteres Beispiel: Ein Landesbezirksleiter, der zuvor bei der IG Medien dieselbe Funktion ausübte, erhält eine Erhöhung um ca. 38%. Dieses Beispiel zeigt - neben der Tatsache, daß auch hier satt draufgelegt wird - auch, daß selbst innerhalb der Gruppe der Wahlangestellten die Spreizung der Gehälter noch ausgeweitet wird. Wir können allerdings im Moment nicht feststellen, ob dies durchgängig der Fall ist, da wir nicht die Gehaltsregelungen aller Ursprungsgewerkschaften kennen.

Das Gesamtvolumen der Erhöhungen beträgt 3,4 Millionen DM jährlich (Neues Deutschland 09.10.01). Dies entspricht - ausgehend von einem durchschnittlichen Monatsbeitrag von knapp 23 DM (Berliner Zeitung vom 18.10.01) - den jährlichen Gewerkschaftsbeiträgen von ca. 12.300 Mitgliedern.

Wir halten eine Erhöhung der Wahlangestelltengehälter in dieser Größenordnung aus 4 Gründen für völlig unangemessen:

  1. Die finanzielle Situation von ver.di ist alles andere als rosig. Es stehen - zum Teil drastische - Kürzungen der Budgets der Fachbereiche und Bezirke bevor. Dies wird zur Einschränkung der politischen Handlungsfähigkeit der Organisation führen. Es darf nicht sein, daß die Gehälter der Wahlangestellten ausgerechnet zu einer Zeit massiv erhöht werden, in der andererseits die Gelder für die gewerkschaftspolitsche Arbeit zusammengestrichen werden. Die Ausgabenpolitik muß sich strikt an Kriterien gewerkschaftspolitischer Wirksamkeit orientieren.
    Es ist leider auch keine Besserung der finanziellen Lage in Sicht: ver.di verliert weiterhin Mitglieder und somit Beitragseinnahmen. Bisher war von einem Rückgang der Mitgliederzahl um 30.000 seit der Gründung von ver.di die Rede, inzwischen ist die Zahl von 150.000 im Gespräch (Berliner Zeitung, 18.10.01). Die Frankfurter Rundschau meldet in ihrer Ausgabe vom 8.10. sogar den Verlust von 46.710 Mitgliedern allein im August diesen Jahres. Selbst wenn es - was zu hoffen wäre - nicht so dramatisch sein sollte, der negative Trend in der Entwicklung der Mitgliederzahl hält an. Dies muß auch bei der Planung der Ausgaben berücksichtigt werden.
  2. Ver.di steht vor einem Personalabbau. Wir denken, daß einer Gewerkschaft gelinde gesagt schlecht ansteht, "unten" Personal abzubauen während "oben" die Gehälter kräftig erhöht werden. Nun verringert die Erhöhung der Wahlangestellten-Gehälter zusätzlich den Spielraum für die Finanzierung anderer Stellen: Was "oben" an Gehalt gezahlt wird, kann "unten" nicht mehr ausgegeben werden, da der Anteil der Personalkosten bei 50 Prozent des Gesamtetats festgeschrieben ist (Ziffer 6 der Budgetierungsrichtlinie). Um den Zusammenhang zu illustrieren ein Beispiel:
    Das Volumen der Erhöhung würde - nach der Vergütungsregelung der Ursprungsgewerkschaft hbv - für die Bezahlung von ungefähr 38 GewerkschaftsekretärInnen oder 46 Verwaltungsangestellten auf Bezirksebene ausreichen.
    Die Auswirkung des Beschlusses des GR auf die Motivation der ver.di-Beschäftigten, die keine Wahlfunktion ausüben und für die zum Teil noch nicht einmal die Stellenpläne feststehen, bedarf wohl keiner Erläuterung.
    Man erinnere sich im übrigen in diesem Zusamenhang an die Argumentation unserer Gewerkschaft anläßlich der Forderung der Lufthansa-Piloten nach 30% mehr Gehalt. Damals wurde den Piloten vorgeworfen, sich in einem solchen Maß aus der Gesamt-Lohnsumme der Lufthansa bedienen zu wollen, daß für andere Beschäftigtengruppen ein angemessener Anteil nicht mehr zur Verfügung stünde. Kollegin Mönig-Rahne - als stellvertretende ver.di-Vorsitzende für Tarifpolitik zuständig - verstieg sich damals sogar zum Vorwurf des "Sozialdarwinismus". Jan Kahmann, Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes, sagte zum gleichen Thema: "Tarifpolitik muss alle Beschäftigten an den zu verteilenden Volumina angemessen beteiligen und darf nicht zum Kampf unter den Tarifvertragsparteien um ein möglichst großes Stück aus dem Kuchen verkommen."
  3. Die Gehaltserhöhungen, die wir in den letzten Tarifrunden für unsere Mitglieder ausgehandelt haben, lagen durchgängig unter 3%. Aus dem durchschnittlichen Mitgliedsbeitrag von ca. 23 DM ergibt sich, daß das durchschnittliche Bruttomonatseinkommen eines ver.di-Mitgliedes (ohne Berücksichtigung von Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie Mitgliedern mit verminderten Beitragssatz und Beitragsehrlichkeit vorausgesetzt) ca. 2.300 DM beträgt. Vor diesem Hintergrund ist die dargestellte Erhöhung der Wahlangestelltengehälter einem Großteil der Mitglieschaft schlicht nicht vermittelbar. Austritte und noch größere Schwierigkeiten bei der Mitgliederwerbung sind jetzt schon die Folge. Von "Noch-nicht-Mitgliedern", die schon bisher häufig klagten, daß ihnen 1% des Gehalts als Beitrag zu viel sei, werden wir uns jetzt auch noch anhören dürfen, daß sie doch nicht so blöd seien, die überzogenen Gehälter der ver.di-Führungsriege zu finanzieren.
  4. Die Spreizung der Gehälter der ver.di-Beschäftigten wird durch die Entscheidung des GR noch größer: Der Bundesvorsitzende erhält nun ungefähr 3,7 mal soviel wie ein politischer Sekretär auf Bezirksebene. Bisher war es das 2,3-fache. (Jeweils ausgehend von der Gehaltsregelung der hbv).
    Beim Pilotenstreik hieß es noch: "Wenn aber die Vereinigung Cockpit ihre gegenwärtigen Forderungen nur annähernd realisiere, gerate die soziale und tarifliche Ausgewogenheit der Beschäftigtengruppen im Lufthansa-Konzern in eine bedrohliche Schieflage." (ver.di Pressemeldung vom 4.5.2001)
    Bisher war es eigentlich selbstverständlich, daß Gewerkschaften (zum Beispiel durch die Forderung von Festbeträgen statt prozentualen Erhöhungen) die Lohnspreizung zu verringern versuchten. Es macht sich nicht besonders gut, wenn ver.di ausgerechnet im eigenen Laden tarifpolitische Ziele konterkariert.

Sehen wir uns nun einige Argumente der Befürworter des Gehälter- Beschlusses an (zitiert nach der Beschlußvorlage für die GR-Sitzung am 27.09.01).

Ein höheres Einkommen als Hauptmotiv für die Bereitschaft, für eine verantwortungsvolle Funktion bei ver.di zu kandidieren: Wir meinen, daß Menschen, die vor allem wegen einer Gehaltserhöhung eine politische Funktion anstreben, gerade nicht geeignet sind, Spitzenpositionen in einer Gewerkschaft zu bekleiden.

                                                                               

- Nach mindestens vier vollen Amtsjahren gilt als angemessen eine Tätigkeit deren Vergütung um 40%
- Nach mindestens acht vollen Amtsjahren gilt als angemessen eine Tätigkeit deren Vergütung um 30%
- Nach mindestens zwölf vollen Amtsjahren gilt als angemessen eine Tätigkeit deren Vergütung um 20%
unter der Vergütung als Wahlangestellte/r liegt, die jedoch mindestens nach der zuletzt vor Übernahme der Wahlfunktion innegehabten Vergütungsgruppe vergütet wird."
(Beschluß GR)

Endet das Wahlanstellungsverhältnis nach Vollendung des 55. Lebensjahres und sind 15 Jahre tatsächlicher Beschäftigungszeit bei ver.di oder einer der Gründungsgewerkschaften gegeben, so ist die Absicherung – richtigerweise - noch besser, als oben angeführt.
Wenn man diese finanzielle Absicherung mit der von änderungsgekündigten Beschäftigten in der "freien Wirtschaft" vergleicht, schneidet erstere gut ab. Ver.di hätte hier also schon auf Grundlage der bisherigen Gehälter der Wahlangestellten durchaus eine Vorbildfunktion.

Unsere Vorschläge für das weitere Vorgehen:


Die zahlreichen Protestschreiben, in denen sich Mitglieder, Bezirks- und Landesbezirksvorstände, Fachbereiche und -gruppen gegen die hohen Gehälter unserer Wahlangestellten ausgesprochen haben, reichen offenbar noch nicht aus: Eine Rücknahme des Beschlusses ist noch nicht in Sicht. Entweder wir nehmen es murrend hin, dass Spitzen-ver.dienste gewährt werden, während an der Basis oftmals das Geld für eine ordentliche Mitgliederbetreuung fehlt oder wir streiten weiter um die Rücknahme des Beschlusses. Wir haben uns für letzteres entschlossen und hoffen auf Eure Unterstützung.

Soweit Ihr unsere oben ausgeführte Meinung zumindest prinzipiell teilt, möchten wir Euch folgende Vorgehensweisen vorschlagen, um eine Rücknahme des GR-Beschlusses zu erreichen:

 

 

Conny Bauer (ehemals IG-Medien)
Betriebsratsvorsitzende Freies Wort Suhl, stellv. KBR-Vorsitzende Süddeutscher Verlag München
Mitglied im Landesbezirksfachbereichsvorstand Medien Südost

Harald Pürzel (ehemals hbv)
Betriebsratsvorsitzender Jehle-Rehm, München
stellv. KBR-Vorsitzender Süddeutscher Verlag München
Vorsitzender der Fachgruppe 5 im FB 8 im Bezirk München
Mitgl. Bezirksvorstand München u. Landesfachbereichsvorst. Medien

Christian Petzoldt (ehemals DAG)
Betriebsratsvorsitzender Zeitungsgruppe Thüringen, Erfurt (WAZ)
Vorsitzender des Landesbezirksfachbereichsvorstandes Medien Südost der Landesbezirke Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt

Miriam Schneider (ehemals DPG)
Mitglied der JAV Postbank München
Mitglied im Bezirksjugendvorstand München und im Bundesjugendvorstand

Monika Fehlau (ehemals ÖTV)
Vertrauensleutesprecherin LMU München
Mitglied im Bezirksvorstand München und Stellvertretende Vorsitzende FB 05 im Bezirk München
Vorsitzende des Landesbezirksfachbereichsvorstand FB 05 im Landesbezirk Bayern


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