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Das Ende meiner Gewerkschaft HBV und die Gründung der neuen Gewerkschaft ver.di

Heinz-Günter Lang

Mit 84,4 Prozent der Stimmen beschloss der 4. Außerordentliche HBV-Gewerkschaftstag vom 17. bis 19.3.2001 in Berlin die Auflösung der Gewerkschaft HBV und die Verschmelzung zur Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Dieses Ergebnis wurde bejubelt und von standing ovations begleitet. Von nominell 308 Delegierten waren erstmals seit 1998 alle bis auf einen anwesend. Doch nicht alle der 307 Anwesenden waren damals in den Delegiertenversammlungen vor Ort auch gewählt worden. Einige waren nachbenannt und nicht gewählt worden. Möglicherweise wurden dann auch nur solche benannt, die sich für ver.di entscheiden. Für die Auflösung der HBV waren 247 Stimmen notwendig, 260 haben mit Ja, 43 mit Nein gestimmt, und 4 haben sich enthalten. Vierzehn Ja-Stimmen weniger, und die HBV hätte sich nicht auflösen können. Viele, die bei den letzten außerordentlichen Gewerkschaftstagen noch dagegen gestimmt haben, hatten jetzt Angst, zu einer "20 Prozent + X – Minderheit" zu gehören und die dann notwendige innerorganisatorische Auseinandersetzung zu führen. Auch davor, dass einige Bereiche wie z.B. Finanzdienstleistungen dann vielleicht aus der HBV austreten könnten.

Im Vorfeld dieses Gewerkschaftstages ging es hauptsächlich um die Verteilung der hauptamtlichen Posten im Hinblick auf die Arbeit in der neuen Gewerkschaft und die Anzahl der Bezirksverwaltungen. Diese Entscheidungen wurden ohne Beteiligung der ehrenamtlichen und hauptamtlichen Funktionäre vor Ort vorgenommen. In aller Regel wurden nicht die besten Köpfe eingesetzt, sondern diejenigen, die den Mitgliedern des Geschäftsführenden Hauptvorstandes am angenehmsten waren, also nicht zu kritisch sind, und die zentrale Linie des Hauptvorstandes gegenüber den Mitgliedern vertreten. Dazu zwei Beispiele:

Die bisher selbständigen Landesbezirke HBV-Berlin und HBV-Brandenburg werden zu einem ver.di-Landesbezirk zusammengelegt. Den stellvertretenden ver.di-Landesbezirksvorsitz übernimmt die ehemalige HBV-Brandenburg, ebenso wie die Landesfachbereichsleitung für den Einzelhandel und den Großhandel. Der vor dieser Beschlussfassung aus ehrenamtlicher Berliner HBV-Sicht gemachte Kompromissvorschlag, der von einer gleichberechtigten Behandlung der beiden Landesbezirke ausging, sah vor, dass die HBV-Brandenburg den stellvertretenden ver.di-Landesbezirksvorsitz und eine weitestgehende Eigenständigkeit in der Tarifpolitik und -arbeit für Brandenburg im Fachbereich Handel erhalten sollte. Die ehemalige HBV-Berlin begnügte sich mit der Leitung der Landesfachbereiche Finanzdienstleistungen sowie Handel und reklamierte lediglich die tarifpolitische Eigenständigkeit für Einzel- und Großhandel in Berlin.

Vor dem Hintergrund der Mitgliederzahlen der beiden HBV-Landesbezirke (Berlin 20.002, Brandenburg 13.432, Stand 31. März 2001) und der tarifpolitischen Gewichtungen, d.h. der seit 1990 gezeigten und geforderten tarifpolitischen Lokomotivfunktion und Berlins Mobilisierungsfähigkeit sowie der stabilen, ausgebauten Öffentlichkeitsarbeit Berlins wäre dies ein insgesamt fairer Kompromiss gewesen. Der geschäftsführende Hauptvorstand sah das anders. Für ihn und die führenden HBV-Gremien stand das weiche, gewerkschaftspolitisch kaum fassbare Kriterium "Integrationsfähigkeit" im Vordergrund. Die besondere Wendigkeit des Landesbezirksvorsitzenden der HBV-Brandenburg wurde hier offenbar als besonders integrativ bewertet und wie oben beschrieben belohnt.

Somit bleibt der ehemaligen HBV-Berlin im neuen ver.di-Landesbezirk als einziger Verantwortungsbereich ab 2003 die Leitung des Fachbereichs Finanzdienstleistungen. Ein Vorgang, der vor dem Hintergrund der – im Rahmen eines demokratischen Prozesses innergewerkschaftlicher Meinungs- und Willensbildung legitimen – kritischen Haltung der Berliner HBV in den Auseinandersetzungen um ver.di durchaus an die Hochzeit der personalpolitischen Ausgrenzungsstrategien in der ehemaligen IG Chemie-Papier-Keramik erinnert.

Die bundesweit politisch und wirtschaftlich erfolgreiche HBV-Bezirksverwaltung Mannheim/Heidelberg wird durch die Entscheidung der fünf Landesbezirksleiter vollkommen zerschlagen. Mannheim und Heidelberg werden jeweils eine eigenständige Bezirksverwaltung, und der Bereich Viernheim mit ca. 500 Mitgliedern wird dem Bezirk Darmstadt zugeordnet. Damit wird das Zielmodell des 2. Außerordentlichen Gewerkschaftstages ad absurdum geführt. Darin heißt es: "Gewerkschaftspolitische Zielsetzung muss es sein, handlungs- und durchsetzungsfähige Fachbereiche in den jeweiligen Kernbereichen von HBV in den Bezirken abzubilden. Ziel ist es, dass bezirksübergreifende Fachbereichsstrukturen dabei die Ausnahme und nicht die Regel sind. In möglichst vielen Bezirken müssen die für die Gewerkschaft HBV bedeutsamen Fachbereiche sowohl haupt- als auch ehrenamtliche Strukturen bilden können."

Am Beispiel von Baden-Württemberg wird jedoch deutlich, dass die hier formulierte Ausnahme eher die Regel sein wird. Die bisherigen fünf Bezirksverwaltungen werden auf elf Bezirksverwaltungen aufgeteilt. Auch bei der Besetzung der Geschäftsführerstellen in den Bezirksverwaltungen wurde die Quotierung nach Gewerkschaften aufgegeben. Diese beinhaltet, dass die Führungsfunktionen im Bund, auf Landes- und auf Bezirksebene bis zum Bundeskongress 2007 wie folgt aufgeteilt werden: 48 Prozent ÖTV, 15 Prozent HBV, DPG und DAG, 7 Prozent IG Medien. Diese Quotenregelung bezieht sich auf den Anteil der Mitglieder, die jede der fünf Gewerkschaften in ver.di einbringt. Die elf Bezirke in Baden-Württemberg werden dagegen wie folgt besetzt: 5 ÖTV, 3 DAG, 2 DPG und 1 HBV. Auch diese Entscheidung hat damit zu tun, dass die Delegierten aus Mannheim/Heidelberg sich bis zum Schluss gegen die Gründung von ver.di ausgesprochen haben. Begründet wurde diese Verteilung damit, dass HBV den größten Bezirk besetzt, nämlich Stuttgart, und der HBV-Bezirksleiter für die Fachbereiche Finanzdienstleistungen und Handel zuständig ist. Deshalb hat die DAG auf dieser Regelung bestanden. Die IG Medien hat auf die Vertretung verzichtet, weil die bisherige Landesvorsitzende der IG Medien die künftige ver.di-Landesvorsitzende wird.

 

Demokratie ausgesetzt, Kritik eingekauft

Schon vor diesem Außerordentlichen Gewerkschaftstag war zwischen dem Geschäftsführenden Hauptvorstand und den Landesbezirksleitern abgesprochen worden, dass eine größere Anzahl von Diskussionsbeiträgen vermieden werden sollte. Es waren dann auch nur noch fünf KollegInnen, die sich zur Diskussion meldeten. Der Berliner Delegierte Gert Julius wurde mit Pfiffen und Buh-Rufen bedacht, als er gegen die Gründung von ver.di sprach. Ralf Schumann aus Bremen machte in seinem Diskussionsbeitrag deutlich, dass die meisten Delegierten die Schnauze voll hatten, sich immer wieder mit ver.di auseinander zu setzen. Er stellte fest: "Mein Wunsch ist, dass wir aufhören, uns im ver.di-Prozess mit uns selbst zu beschäftigen, und die Zeit endlich nutzen, gewerkschaftliche Arbeit zu machen (...) Die ganzen zwölf Jahre – wenn man die Zeit ab 1989 zählt – haben wir uns nur mit uns selbst beschäftigt."

Auch die Beschäftigten der HBV waren ruhig gestellt worden, indem vereinbart wurde, dass bis zum 31. Dezember 2007 keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen werden und die Besitzstände garantiert sind. Versetzungen und Änderungskündigungen bleiben allerdings möglich.

Die Landesbezirksleiter werden so gestellt, dass sie ihr Gehalt weiter erhalten auch wenn sie früher als es der Anstellungsvertrag vorsieht aus ihrer Funktion ausscheiden. Ein großer Teil der Geschäftsführenden Sekretäre erhält höhere Gehälter, da sie in der Regel nach der Verschmelzung in Bezirksverwaltungen tätig sein werden, in denen es insgesamt mehr Mitglieder geben wird, als dies bisher der Fall war.

Wie die Vorsitzende der HBV, Margret Mönig-Raane, vor der Abstimmung über den Verschmelzungsvertrag und die Satzung von ver.di erklärte, ist ver.di auch eine finanzstarke Gewerkschaft. "Mit einer Bilanzsumme von 3,1 Milliarden DM zum 1. Januar 2001 und einem Reinvermögen von 1,8 Milliarden DM wird ver.di sowohl in der Lage sein, die Kosten des Übergangs zu finanzieren, als auch die organisationspolitischen Herausforderungen der kommenden Jahre finanzpolitisch zu unterlegen." Dieses Vermögen wird dringend gebraucht für die Kosten, die durch die Fusion entstehen. Schon heute ist klar, dass von den 5.000 Beschäftigten mindestens 1.000 "zu viel" sind. Der Schwerpunkt liegt im Bereich der Verwaltungsangestellten. Nur mit einer großzügigen Vorruhestandsregelung wird man sich von diesen KollegInnen trennen können. Für die verbesserte Betreuung in der Fläche, die immer wieder als wichtiges Ziel benannt wurde, wird nicht mehr viel übrig bleiben. Dazu ein aktuelles Beispiel: Am 29. März 2001 stürmten 30 Betriebsräte aus dem hessischen Transportgewerbe das Büro der ÖTV-Bezirksleitung. Hintergrund war, dass zwei ÖTV-Sekretäre, die auch für das Transportgewerbe zuständig sind, nur befristete Arbeitsverträge haben: bis zum 31.3.01 der eine, bis zum 31.7.01 der andere. Die Betriebsräte, die mit der Betreuungsarbeit der beiden Kollegen zufrieden sind, forderten deshalb in Schreiben an die Bezirksleitung, den Hauptvorstand und den neuen ver.di-Vorsitzenden Franz Bsirke, dass die beiden Kollegen fest eingestellt werden. Sie erhielten keine Antwort. Dies kann damit zusammenhängen, dass in ver.di der Fachbereich Postdienste, Speditionen und Logistik von der ehemaligen Postgewerkschaft betreut wird. Da in der Zwischenzeit nichts geklärt wurde, gab es am 25. April eine erneute Demonstration mit 50 Betriebsräten und Vertrauensleuten vor dem Frankfurter Gewerkschaftshaus, in dem der ÖTV-Bezirksvorstand tagte. Wenn es zu keiner Einigung kommt, wollen die Betriebsräte mit mehr als 2.000 weiteren Mitgliedern der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di den Rücken kehren und zur Eisenbahnergewerkschaft Transnet wechseln.

Wie demokratisch das ganze Verfahren ist, konnte man schon daran ablesen, dass die Delegierten nur die Möglichkeit hatten, dem Verschmelzungsvertrag und der Satzung zuzustimmen oder diese abzulehnen. Das Gleiche galt für die Wahl der drei HBV-Leute, die in den Bundesvorstand von ver.di benannt wurden. Auch die Delegierten von HBV für den Gründungskongress von ver.di wurden nicht in den Delegiertenversammlungen vor Ort gewählt, sondern mehr oder weniger von den Landesfürsten benannt – ebenso wie die Mitglieder im Gewerkschaftsrat.

 

Gründungskongress ver.di

Noch 2,99 Millionen Mitglieder hatten die fünf Gewerkschaften am 31. Dezember 2000, am Vergleichsdatum zum Ende des Jahres 1996 waren es noch 3,43 Millionen Mitglieder gewesen. Das ist der Start für die neue Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft. Nachdem die Gewerkschaften DPG mit 91,4 Prozent, DAG mit 89,3 Prozent, ÖTV mit 87,1 Prozent, HBV mit 84,4 Prozent und IG Medien mit 80 Prozent ihre Auflösung beschlossen hatten, konnte der Gründungskongress von ver.di beginnen.

1.009 Delegierte und 4.000 Ehrengäste, Gäste und Gastdelegierte trafen sich im ICC-Kongresszentrum in Berlin. Rund 27 Millionen DM sollen die Kongresse insgesamt gekostet haben, eine Menge Beitragsgelder wurden dafür und für die Festveranstaltungen ausgegeben. Essen und Getränke gab es bei den Festen jedenfalls ohne Limit. Die Eröffnungsveranstaltung war eine pompöse Schau, in deren Mittelpunkt die Selbstbeweihräucherung der fünf ehemaligen Vorsitzenden stand. Auch Bundespräsident Johannes Rau und Bundeskanzler Gerhard Schröder gaben sich die Ehre.

5.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer – wie beim Volkskongress in China. Allerdings hatten die Delegierten weniger zu sagen und weniger mitzubestimmen als die Chinesen. Sie hatten keine Möglichkeit, bei den Personalentscheidungen andere KollegInnen vorzuschlagen.

Die nach § 20 der Satzung vorgesehene Frauenquote von 50 Prozent wurde schon während der Gründung von den Delegierten aufgegeben. Nur sechs der 19 Bundesvorstandsmitglieder sind Frauen, und unter den vier Stellvertretern des Vorsitzenden Franz Bsirske ist auch nur eine Frau.

Es gab 13 Anträge, elf waren eingereicht von der Mitgliederversammlung Go-ver.di, je einer vom Hauptvorstand der ÖTV und vom Hauptvorstand der IG Medien. Einige Überschriften der Anträge: "Für eine humane und innovative Arbeitszeitpolitik", "Wirtschaft demokratisieren und Mitbestimmung ausbauen", "Für einen aktiven Wirtschafts- und Sozialstaat!", "Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit – für eine humane und tolerante Gesellschaft", "Frieden und Abrüstung".

Die auf den Gewerkschaftstagen von IG Medien und HBV im Jahre 2000 geforderte Auflösung des "Bündnisses für Arbeit" spielte keine Rolle mehr. Kein Wunder, erklärte Frank Bsirske doch vor kurzem, dass es nicht falsch sei, im "Bündnis für Arbeit" auch über die Tarifpolitik zu reden. Klaus Zwickel, IG Metall Vorsitzender, hat dagegen dem Bundeskanzler gedroht, aus dem Bündnis auszusteigen, wenn dort über Tarifpolitik geredet werden soll.

Erstmals in der Geschichte der deutschen Gewerkschaften wird eine Gewerkschaft als eingetragener Verein gegründet und beim Registergericht eingetragen. Dies ist notwendig, weil für die Verschmelzung der fünf Gewerkschaften das Umwandlungsgesetz genutzt wird. Die Vorteile aus dem Umwandlungsgesetz liegen in der Übertragung des Vermögens der fünf Gewerkschaften, der Weitergeltung der bestehenden Tarifverträge für die Mitglieder der fünf Gewerkschaften und der Übertragung der Mitgliedschaft aus den fünf Gewerkschaften auf ver.di – es muss also nicht jedes Mitglied gefragt werden. Diese Übertragungen sind nun per Rechtsakt möglich – nachträglich noch Dank an die Bundesregierung unter Helmut Kohl, die dieses Umwandlungsgesetz für die kapitalistischen Betriebe und Unternehmen beschlossen hatte.

Immer wieder wurde während des Kongresses betont, dass ver.di mächtiger und dadurch gestaltungsfähiger gegenüber den Tarifpartnern werde. Doch Größe allein bedeutet nicht mehr Macht. Ausschlaggebend ist der Organisationsgrad in den Betrieben und die Bereitschaft der Mitglieder, sich für ihre Forderungen einzusetzen und auch zu kämpfen. Durch ver.di verändert sich das Organisationsverhältnis im Einzel- und Großhandel sowie bei Banken, Versicherungen und Ersatzkassen nur marginal. Es ist noch ein weiter Weg, bis kampfkräftige Organisationsverhältnisse erreicht sind. Voraussetzung dafür ist, dass die "innergewerkschaftliche Demokratie lebt und die Hauptamtlichen daran gehindert sind, sich so aufzuführen, als wären eigentlich nur sie die Gewerkschaft und die Mitgliedschaft nicht mehr als ein lästiges Klientel."[1]

Übrigens: In einer Betriebsversammlung am 27.3.2001 bei Ikea in Walldorf hatte ein DAG-Sekretär einen Koffer voller Handys dabei. Jeder, der noch am gleichen Tag in die DAG eintrete, so erklärte er, erhalte eines der Telefone als Prämie. Sechs Beschäftigte machten davon auch Gebrauch. Deutlich wird: Zuallererst will ver.di Dienstleister sein – und dann auch irgendwie als politische Organisation wirken.

 

Erschienen in: express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 4/2001

Anmerkung

  1. Eckart Spoo in "junge Welt" vom 17.3.2001. Spoo ist Herausgeber der Zweiwochenschrift Ossietzky und war 16 Jahre ehrenamtlicher Vorsitzender der Deutschen Journalisten-Union.

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