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Zum Tarifabschluß in der Druckindustrie und der Einschätzung von "Impuls":

Das Dilemma der Gewerkschaften: Mehr als Bescheidenheit wird's kaum noch geben

 

"Leistung muß sich wieder lohnen - Wir fordern unseren gerechten Anteil!"
Unter dieser "grandiosen" Parole, die so vortrefflich die ganze Verachtung dieser 'linken' Vorhut-Gewerkschaft gegenüber kapitalistischer Logik, ihren Rebellengeist und klassenkämpferische Haltung zum Ausdruck bringt, ist die IG Medien in die Tarifrunde 2000 gegangen.

Die konkreten Forderungen, die dann aufgestellt wurden, orientierten sich wesentlich an dem, was andere - IG Chemie und IG Metall - aufgestellt und dann auch abgeschlossen hatten.

Substantiell inhaltlich und langfristig war und wurde nicht viel vorbereitet. Eine Umfrage, die die Antworten vorgab.
Ansonsten kaum Debatten auf keiner Ebene.

Auch nicht unter den Linken in IG Medien und Ver.di, die wir uns natürlich schon viel zu lange nicht mehr zusammengesetzt haben.

Und daß "Go-ver.di" auf die Idee gekommen wäre, die fast gleichzeitig stattfindendenden Tarifrunden von ÖTV/DAG, IG Medien und HBV zu einem gemeinsamen "GO" der größten Gewerkschaft aller Zeiten, die endlich Kraft, Attraktivität und neue Hoffnung fürs neue Jahrtausend ausstrahlt, zu nutzen, ist bei allem, was uns Ver.di bisher demonstriert hat, wahrlich zu viel verlangt.

Da stehen andere Sorgen im Vordergrund. Der Go-Ver.di-Struktur-Aufbau-Prozeß ist in seine entscheidende Phase gegangen - der Erhaltung von Posten und Arbeitsplätzen und der Verteilung von Zuständigkeiten, Autonomie und Finanzen - und ist offenbar in jeder Hinsicht zum Hemmschuh und Klotz am Bein geworden, der auch die letzte Kraft und Aktionsfähigkeit wenigstens für den gemeinsamen "alten Klassenkampf" zu absorbieren scheint.

Daß es den Gewerkschaften, die schon immer in unserem Lande nicht sehr viel Zukunftsweisendes und Gesellschaftsveränderndes zu sagen und in Bewegung zu setzen hatten, auch immer weniger gelingt, wenigstens als Tarifmaschine noch einigermaßen zu funktionieren, hat weniger mit Verrat mehr oder weniger systemtreuer Führungen, sondern mit der Systemtreue und -eingebundenheit der Gewerkschaften überhaupt zu tun, und ist neben anderem ein deutliches Zeichen des grundsätzlichen Dilemmas und der Krise der Gewerkschaften und Arbeiterbewegung in dieser Zeit einer nicht zu leugnenden strukturellen Krise der Arbeitsgesellschaft und des kapitalistischen Marktwirtschaftssystems nach dem Ende des fordistischen Booms.

Es sieht ziemlich "bescheiden" aus, und ich glaube auch nicht, anders als vielleicht meine Kampfgefährten von "Impuls" in Wiesbaden, daß aus dieser Ecke überhaupt noch wesentliche Impulse für die notwendigen letzten Gefechte und die Kämpfe auf dem Wege dahin ausgehen werden, auch nicht von der sich bundesweit formierenden Gewerkschaftslinken, die zumindest bis jetzt zwar manches alte entschiedener, aber nichts wesentlich anderes und neues auf den Weg bringen will.

Dennoch sollte mensch der angeschlagenen IG Medien nicht unrecht tun, und feststellen, daß sie auch diesmal, wie eigentlich fast immer in Tarifauseiandersetzungen, bei aller Bescheidenheit immer doch noch einen Tick weniger bescheiden als die anderen ist. Und da irrt auch "Impuls": Mal abgesehen davon, daß die eigentliche Beschlußlage der IG Medien eine zweijährige Laufzeit des Lohntarifes wohl gar nicht zuläßt, ergibt sich bei 14 Monaten 3% und 10 Monaten 2,5% Lohn- und Gehaltserhöhung nicht ein Mittel von 2,6% sondern von fast genau 2,8%, womit wir nicht nur wie meistens "vorne" liegen, sondern auch wie immer knapp über der Hälfte der ursprünglichen Forderung. Wenn wir auch nicht viel fertig gebracht haben mögen, diese "Schallmauer" haben wir noch immer durchbrochen, aber es wird immer knapper, das gebe ich zu. Und ob das angesichts der eigentlichen Herausforderungen überhaupt "eine Leistung ist, die sich lohnt", das ist die Frage. Ob sich alle "Unternehmer glücklich preisen können", kann ich schlecht einschätzen. Erstmal schmälert jede Lohnerhöhung die Profitrate.

Meine KollegInnen - und wie mensch hört auch die anderer Betriebe - sind bei der gewohnten Bescheidenheit vergangener Jahre und der aktuellen Lage recht zufrieden. Sie treibt eher die Sorge, daß Ihnen die realen Einkommenserhöhungen durch staatliche und kommunale Abgaben, Preissteigerungen und wachsende "Eigenvorsorge" für alles und jedes wieder aus der Tasche gezogen werden.

Nun gehört auf der Seite der Unternehmer das Jammern ebenso zum Handwerk, wie unsererseits das jährliche Ritual (austauschbar wie die Neujahrsansprachen der Bundeskanzler) des Schönredens der Situation der Druckindustrie. Wenn mensch seine Forderungen nicht an den Notwendigkeiten der "zwangsarbeitenden" abhängig Beschäftigten und ihren Existenznöten (und eigentlich auch der Verlierer dieser Gesellschaftsordnung überhaupt) sondern an der Wachstums- Produktivitäts-, und Gewinnsituation (was immer darunter konkret verstanden und daraus geschlußfolgert wird - bei der Ökonomie wird ja auch die Linke immer sehr unpräzise) der Gesamtwirtschaft und der Branche orientiert, dann darf von der zwiespältigen, krisengeschüttelten Entwicklung auch in der Druckindustrie, dem gnadenlosen Konkurrenzkampf um Marktanteile, der Gewinner/Verlierersituation, den täglichen Pleiten und Arbeitsplatzverlusten überhaupt keine Rede mehr sein. Lieber dem Motto huldigen, im Kapitalismus ist alles machbar, wir können auch unseren "gerechten" Lohn holen, als die Zumutungen, Krisenanfälligkeit und Widersinnigkeiten dieser Verwertungsmaschinerie bloßzulegen, unsere Forderungen und Bedürfnisse jenseits von Markt und betriebswirtschaftlichen Erfordernissen zu formulieren.

Wer diese durch Berechnungen außer Kraft setzen will, der hat von vornherein verloren und die schlechteren Argumente. In dieser Hinsicht hat das Jammern der Kapitalseite seinen realen Kern. Nicht weil sie Betonköpfe und unvernünftig sind, sondern weil sie den Gesetzen und der Vernunft von Markt- und Profitlogik bei Strafe ihres Untergangs gehorchen müssen, sind sie konsequenterweise so hartnäckig.

Wenn sich die IG Medien dem allgemeinen Trend und den Vorgaben der anderen angeschlossen hat, so auch der Forderung nach einer Regelung der Altersteilzeit, dann kann sie noch so viel "Mut haben und Kraft suchen" wie sie will, ihre Ergebnisse werden nur in Nuancen andere sein, selbst wenn noch länger und breiter (wenn überhaupt möglich und finanzierbar) gestreikt worden wäre. Aus von vornherein begrenzten und Verlegenheits-Forderungen ist nicht viel mehr rauszuholen, und es "lohnt" sich letztendlich auch nicht, um jeden Preis weiter zu kämpfen. Solche Warnstreikaktionen haben doch in Wirklichkeit außer ihren begrenzten materiellen Beeeinträchtigungen des "Klassenfeindes" und ihrer symbolischen Signalwirkung an die Gegenseite am Verhandlungstisch, vor allem eine herrliche und wichtige Seite, daß mensch für einige Stunden nicht nur das Heft in die eigene Hand nimmt, selbstbestimmt handelt, sondern zudem noch bei schönem Wetter der Tretmühle widersinniger Arbeit adé sagen kann. Und sie haben durchaus auch eine gewisse Wirkung. Die kurzen, gebündelten Aktionen haben für viele zumindest überraschend schnell und mehr in Bewegung gebracht, als zu erwarten war. Wahrlich nichts Weltbewegendes. Es bleibt die Bescheidenheit. Am sinnfälligsten wird dies vielleicht an dem Projekt Altersteilzeit. Hier geht es doch wohl von vornherein um Mangel- und Krisenverwaltung.

Es ist der vergebliche Versuch, tarifvertraglich mehr schlecht als recht (und schon gar nicht "gerecht") zu retten, was gesellschaftspolitisch und gesetzlich nicht verhindert wurde - oder wenigstens zu verhindern versucht wurde. Wo war der Aufschrei, die Mobilisierung der Gewerkschaften gegen die Heraufsetzung des Rentenalters, und die für eine/n in einem normalen und damit bescheiden entlohnten Beschäftigungsverhältnis kaum annehmbaren gesetzlichen Altersteilzeitregelung, es sei denn um den Preis der Altersarmut.

Mit dem für sich und im Vergleich zu den anderen betrachtet, gar nicht schlechteren Regelung für Schichtarbeiter der Druckindustrie, kann ein Normalsterblicher auch jetzt nicht vorzeitig in Rente gehen, will er nicht vorzeitig ins Gras beißen, weil er nichts mehr genug anderes zu beißen hat. Wer bei weit weniger als 3000 DM netto, wie die große Mehrheit meiner KollegInnen in Wechselschicht, dies bewerkstelligen soll, ist mir schleierhaft. Ohne private Altersvorsorge keine Chance - und gerade dieser soll ja ohnehin der Weg gebahnt werden. Share-holder-value läßt grüßen und das Finanzkapital danken. Und wir leisten in bester Absicht tarifvertraglichen Vorschub für den Abbau, statt den Erhalt letzter wichtiger Bastionen sozialstaatlicher Errungenschaften. Das wär's gewesen, wenn der große Papiertiger Ver.di hier und überhaupt gegen alle anderen katastrophalen Privatisierungsmaßnahmen Flagge, sprich Krallen gezeigt hätte.

Letztlich wird das Ergebnis dieser Tarifauseinandersetzung materiell in allen seinen Aspekten nur für relativ wenige überhaupt spürbar werden, die gewissermaßen noch Privilegierten in den schrumpfenden tarifgebundenen Bereichen, und selbst da nicht immer selbstverständlich und automatisch. Und überhaupt bringt es natürlich wieder nur etwas für die, die noch das "Glück" haben, ihre Arbeitskraft weiter ausbeuten lassen zu "dürfen".

Die IG Medien hätte Zeichen setzen können und Ver.di mit ins Boot nehmen müssen, indem sie endlich wieder die Frage der Arbeitszeitverkürzung, den Überstundenabbau, die Arbeitsverdichtung und Qualifizierung zum Thema und Angelpunkt ihrer Tarifpolitik gemacht hätte. Auch dies ist Beschlußlage. Es hätte eine sichtbare Profilierung gegenüber dem mainstream bedeutet (die IG Metall hat mit ihrem Tarifabschluß dieses Thema für 3 Jahre vertagt und mit der Altersteilzeit verkoppelt).

In solch eine Auseinandersetzung, die auch zu einer gesellschaftlichen Angelegenheit überhaupt werden, eine breite soziale Bewegung braucht - aber auch auslösen kann - kann man natürlich nicht unvorbereitet gehen. Wer allerdings nicht einmal mehr die Kraft für eine der wenigen überhaupt noch sinnvollen Forderungen der "letzten alten Gefechte" aufbringen kann und die antikapitalistische Perspektive nicht mehr vor Augen hat, der wird heute, da jeder Kampf um Reformen meist zu einem Kampf um Varianten des Verzichts verkommen muß, bald sein eigenes letztes Gefecht durchstehen müssen.

Und die Linke in den Gewerkschaften muß vielleicht mit anderen aus sozialen Bewegungen ernsthaft und kein Tabu scheuend prüfen, ob überhaupt und wie lange noch Gewerkschaften dieser Art Sinn machen. Aus einem Dilemma kommt man gemeinhin nur heraus, wenn man den Knoten der Verstrickung auflöst.

Darüber nachdenken sollte man allemal, machen bisweilen sogar höchste Gewerkschaftsfunktionäre, die noch mehr als 3,xx % und Teilhabe an immer schmaleren Gratifikationnen der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie im Kopf haben. Für die Gewerkschaftslinke, die bei jedem neuerlichen Aufruf für eine andere Politik nie mehr als "Arbeit für alle", "soziale Gerechtigkeit" und "wahre Demokratie" zu fordern weiß, und immer so formuliert, damit auch noch jeder Gewerkschaftsvorstand - außer vielleicht dem der IGBCE - unterschreiben kann, könnte und müßte dann von ihren ganzen überlebten reformistischen Orientierungen und Verlautbarungen Abschied nehmen. Denn es scheint, daß selbst systemimmanente Gegenwehr nur noch möglich und erfolgreich sein kann, wenn das System selbst zur Disposition gestellt wird. Gewerkschaften im traditionellen Sinne sind offenbar mit ihrem Latein am Ende.

Der Landesvorsitzende meiner Gewerkschaft in NRW, Franz Kersjes, schrieb am Ende eines bemerkenswerten Artikels mit dem Titel "Den totalitären Kapitalismus überwinden!" vor einiger Zeit in der Funktionärszeitschrift der IG Medien unter anderem:
"IX. Was ist zu tun? Die abhängig Beschäftigten und ihre Interessenvertreter müssen sich klar darüber werden, dass das herrschende kapitalistische System ein menschenverachtendes System ist. Die Konsequenz muss sein, dieses System zu überwinden!
Dieses jederzeit belegbare Erkenntnis ist nicht deshalb falsch, weil die Interessenvertreter des Kapitals sie vehement bekämpfen.
Insbesondere die Gewerkschaften müssen aus dieser Situation eine Vision von einer menschlicheren Gesellschaft entwickeln. Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte.
Die gesellschaftlichen Widersprüche werden sich in der Zukunft dramatisch zuspitzen. Noch mehr Arbeitslosigkeit und Armut. Noch mehr Reichtum. Wie lange werden die Menschen das ertragen?
In dieser Zeit wird viel von Reformen gesprochen. Wer genau hinschaut, muss erkennen, dass die Ergebnisse dieser Reformen fast ausschließlich mit Nachteilen für die betroffenen Menschen verbunden sind. Sozialdemokraten behaupten häufig, sie könnten im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Reformen erreichen. Sie enden alle damit, dass sie sich dem herrschenden Kapital unterwerfen.
Sie wollen nicht wahrhaben, dass der Kapitalismus nicht reformfähig ist.
Unsere Mittel bestehen nicht in einer dauernden Anpassung an die herrschenden Bedingungen, die als Natur gegeben angenommen werden. Denn diese Anpassung stellt das wieder her, was wir eigentlich bekämpfen wollten, und das sind die Ursachen für die herrschenden Zustände!
Wir müssen zunächst einmal bei uns suchen, in unseren Organisationen, in unseren Beziehungen das entdecken, was es zu ändern gilt.
Wenn wir uns nicht vom Terror der Ökonomie befreien können und den Weg in eine menschlichere und gerechtere Gesellschaft finden, dann führt uns der Kapitalismus in die Barbarei. Diesen Weg in die Barbarei werden wir nur noch verhindern können, wenn wir uns von unseren täglichen Gewohnheiten befreien und anders als bisher denken. (...)"

Entweder mensch macht den Weg durch die Institutionen, ob im politischen, akademischen oder gewerkschaftlichen Bereich und landet dort, wo die SPD schon lange, die Grünen auch längst und die PDS auf dem Wege hin ist. Die Zukunft wird entweder jenseits von kapitalistischem Markt und Staat und den sie tragenden Säulen sein, eben auch der realen bundesdeutschen Gewerkschaften, oder sie wird beschissen bescheiden sein

(Ulrich Leicht, Industriebuchbinder, Sprecherrat IG Medien Dortmund)

 


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