letzte Änderung am 12. März 2004

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Im Konsens baden gegangen

Tom Adler und Matthias Fritz zur Metall-Tarifrunde

In der Nacht vom 11. auf 12. Februar einigten sich die Bezirksleitung der IG Metall Baden-Württemberg und Südwestmetall auf ein Tarifabkommen und beendeten damit auch eine beeindruckende, nach wie vor anwachsende Warnstreikwelle in den Betrieben. 500000 Metaller waren bun-desweit an Warnstreiks beteiligt gewesen.

»Einkommen gesichert, keine unbezahlte Mehrarbeit!« titelten die Metall-Nachrichten vom 13. Februar und ziehen erwartungsgemäß eine positive Bilanz für die IG Metall.

Im Unternehmerlager, bei Regierung und Opposition fallen die Bilanzen unterschiedlich aus: Zufriedenheit bei Schröder und CDU, zurückhaltende Zustimmung bei Gesamtmetall-Chef Kannegiesser. »Ein tarifpolitisches Waterloo« für die Metallunternehmer stöhnt dagegen der Kommentator der FAZ, und meint: »Die Niederlage der Arbeitgeber ist vernichtend, und nirgendwo ist Hilfe in Sicht«.

Maßgeblich für eine realistische Einschätzung ist selbstverständlich weder die Presseschau der herrschenden Kreise noch die Außendarstellung der IG Metall-Führung. Vielmehr müssen die Gesamtsituation vor und während der Tarifrunde, deren Verlauf und die Ergebnisse im Detail betrachtet werden.

Das Vorfeld der Tarifrunde

Die Diskussion um die Höhe der Tarifforderung im Herbst 2003 stand noch ganz im Zeichen der desaströsen Beendigung des Streiks im Osten und der öffentlichen Schlammschlacht der so genannten »Modernisierer« in der IG Metall-Führung in dessen Gefolge. Die von Spitzen-IG Metallern selbst ausgerufene »historische Niederlage« war, völlig unabhängig vom Realitätsgehalt dieser Bewertung, zur self-fullfilling prophecy geworden und beschädigte das Selbstbewusstsein des Apparats massiv. Die Lohntarifrunde sollte deshalb, so das Drehbuch der IG Metall-Spitze, als ruhige sachorientierte Verhandlung mit einer bescheidenen Forderung über die Bühne gehen. Konfliktvermeidung stand ganz oben auf der Prioritätenliste. Auch an der Basis wirkte dies Desaster nach und führte, gespeist auch aus der allgemeinen Krisenangst, zu großer Verunsicherung. Mit der Folge, dass selbst aus den süddeutschen Großbetrieben heraus kaum Druck für eine höhere Forderung als die vorgegebenen vier Prozent entstand. Das zaghafte Konzept für die Tarifrunde 2004 wurde jedoch von den Metallunternehmern, die Rückenwind aus Regierung und Opposition verspürten, mit bisher unüblicher Aggressivität vom Tisch gewischt.

Ihre Gegenforderungen nach z.T. unbezahlter Verlängerung der Arbeitszeit, der Abschaffung der bindenden tariflichen Norm von 35 Stunden/Woche und der Verlagerung der Regelungskompetenz in die Betriebe sind nur erklärbar aus einer Verkennung der Kräfteverhältnisse: Eine solche Niederlage in offener Auseinandersetzung ist nur einer von der Spitze bis an die Basis angezählten Organisation beizubringen. Die Massivität der Warnstreikwelle, der Zorn in den Betrieben, den ihr Imponiergehabe auslöste, lehrte die Strategen von Gesamtmetall ein weiteres Mal, dass es ein folgenschwerer Irrtum sein kann, aus dem zaghaften Erscheinungsbild der Führung der IG Metall zu schnell auch auf Kampfunfähigkeit an der Basis der Organisation zu schließen. Die täglich anwachsende Streikbereitschaft der KollegInnen wurde so weiter stimuliert. Otmar Zwiebelhofer, Verhandlungsführer von Südwestmetall, konstatierte bereits besorgt, dies hätte schon den »Charakter eines Erzwingungsstreiks«. Die führenden Tarifpolitiker der IG Metall, Gefangene ihres eigenen zaghaften Konzepts, beantworteten dagegen die Unternehmer-Provokation mit Beschwichtigungsversuchen. Vielzitiertes Beispiel ist Bertolt Hubers Bekenntnis, man sei doch »offen wie ein Scheunentor« für weitere Flexibilisierung, bloß unbezahlte Arbeitszeitverlängerung sei nicht akzeptabel.

Ergebnis: keine Niederlage, verspielte Chance, unter den Möglichkeiten

Die unerwartet schnelle Entwicklung der Kampfbereitschaft in den Belegschaften, die ersten sichtbaren Haarrisse in der Betonwand der veröffentlichten Meinung, die Bündnispartner bei den Redakteuren im Arbeitskampf, und andere günstige äußere Faktoren lassen die Einschätzung zu: Die IG Metall hätte, bei weiterer Eskalierung der Auseinandersetzung, gestützt auf die wachsende Kampfkraft und wiederentstehendes Selbstbewusstsein, aus dieser Tarifrunde ohne jede Konzession in der Arbeitszeitfrage und deutlich gestärkt hervorgehen können.
Dass die Verhandlungsführer dies nicht versucht haben, sondern lieber einen schnellen Abschluss inklusive Öffnungsklauseln für Arbeitszeitverlängerung wollten, weist darauf hin, dass das Problem nicht einfach in deren Zaghaftigkeit und Scheu vor tendenziell schwer steuerbaren Massenmobilisierungen liegt. Im Pforzheimer Verhandlungsergebnis werden nämlich auch gemeinsame Positionen von Südwestmetall und IG Metall formuliert, die nicht mehr einfach als folgenlose »Tarifvertragslyrik« abzutun sind. Vielmehr wird mit ihrem Bekenntnis, Wettbewerbsfähigkeit und Investitionsbedingungen (!) müssten verbessert werden, das »Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit« per Tarifvertrag festgelegt. Mit den Öffnungsklauseln Richtung verlängerter Arbeitszeiten wird diesem Ziel denn auch gedient.

Reallöhne und Anteil am Produktivitätsfortschritt gesichert?

Auch bei einer kritischen Betrachtung des Lohnabschlusses muss man feststellen: Die Lohnprozen-te sind für die KollegInnen in dieser Tarifrunde nicht die Messlatte für das Ergebnis gewesen. Es wird weitgehend so akzeptiert. Dies drückt aus, dass sie sehr schnell die Sprengkraft der Arbeits-zeitfrage gespürt haben, die ja Arbeitszeit, Lohn-, und Arbeitsplatzproblematik bündelt.

Unabhängig davon ist festzuhalten: Mit einmal 2,2 und einmal 2,7 Prozent in 26 Monaten bei zwei Null-Monaten kann man auch bei optimistischer Betrachtung nicht davon sprechen, dass die Reallöhne mehr als gesichert sind. Selbst wenn man außer Betracht lässt, ob der Warenkorb, der der Inflationsratenberechnung zugrunde gelegt wird, wirklich die Bedürfnisse und Ausgaben eines durchschnittlichen Lohnabhängigen abbildet. Die IG Metall hatte den verteilungsneutralen Spielraum mit 3,3 Prozent angegeben, das heißt: Bei einem Lohnabschluss in dieser Höhe wären die Verteilungsverhältnisse unverändert geblieben. Völlig richtig war auch im Vorfeld (zuletzt in direkt) ständig auf die Reallohnverluste der letzten zehn Jahre hingewiesen worden, die eine Umverteilung von oben nach unten dringend erforderlich machen würden. Ebenso auf die seit 1995 um 15 Prozent gesunkenen Lohnstückkosten. Das Ergebnis verteilt jedoch augenscheinlich weder von oben nach unten um, noch schöpft es den selbst errechneten Spielraum aus. Dafür können in definierten Fällen für verlängerte Arbeitszeiten über 35 Stunden hinaus Überstundenzuschläge wegfal-len. Das heißt im Klartext: Die Unternehmer können sich in den nächsten zwei Jahren und zwei Monaten die Steigerungen des Mehrprodukts in die Tasche schieben. Die Lohnstückkosten werden weiter fallen – und die IG Metall wird ein weiteres Mal die mit den Schwestergewerkschaften im EMB getroffenen Verabredung nicht eingehalten haben, dass Lohnabschlüsse durchgesetzt werden, die mindestens den verteilungsneutralen Spielraum ausschöpfen...

Kein Erdrutsch – aber weitere Löcher im 35-Stunden-Damm

War in den Arbeitszeit-Diskussionen in der IG Metall in den vergangenen Jahren immer wieder gefordert worden, die 40-Stünder-Quote von 18 Prozent müsse reduziert und wirksame Kontroll-möglichkeiten für deren Einhaltung durchgesetzt werden, so geht die Vereinbarung von Pforzheim in die entgegengesetzte Richtung. Die Möglichkeiten, längere Arbeitszeiten als 35 Stunden einzuführen, werden erweitert. Dass in Betrieben mit hochqualifizierter Belegschaft (mit mehr als 50 Prozent der Beschäftigten in den Gehaltsgruppen T6/K6 und höher) eine 40-Stünder-Quote bis 50 Prozent vereinbart werden darf, wird in all den Betrieben, wo bisher die 18 Prozent gehalten oder unterschritten wurden, einen Anpassungsdruck nach oben erzeugen. Zumal die Kontrollmöglichkeiten für Betriebsräte, die Einhaltung der Quote durchzusetzen, nur für Betriebe mit einer erhöhten Quote festgelegt wurden.

Weiter erlaubt das Tarifabkommen auch für Betriebe mit einer niedrigeren Gehaltsstruktur die Er-höhung der 40-Stünder-Quote, »um Innovationsprozesse zu ermöglichen oder Fachkräftemangel zu begegnen«. Die IG Metall soll solche Erhöhungen vereinbaren, wenn die Betriebsparteien dies beantragen.

Auch die Möglichkeiten zur Auszahlung von Zeitkonten wurden gegenüber den bisherigen tariflichen Regelungen erweitert. Zeitkontenauszahlung heißt jedoch nichts anderes als bezahlte Verlängerung von Arbeitszeit und Reduzierung einer notwendigen Personalreserve, die ein Unternehmen vorhalten müsste, um bei einem gegebenen Arbeitsvolumen den Zeitausgleich organisieren zu können.

Dass all dies zusammen den Druck auf Verlängerung der Arbeitszeiten im Betrieb, auf Betriebsräte, Belegschaften und die einzelnen KollegInnen nicht begrenzen, sondern erhöhen wird, ist offensichtlich. Das, was in der Debatte um die Tarifautonomie oft betont wurde, gilt auch jetzt: Tarifverträge sollen den Druck von den Betriebsräten und den Beschäftigten nehmen. Wenn das Unternehmerlager Fortschritte bei der Verlagerung von Entscheidungen in die Betriebe feststellt, hat es leider recht.

Die im Pforzheimer Ergebnis gemachten Konzessionen an die Arbeitszeit-Forderungen der Unternehmer sind, zusammenfassend, zwar nicht der Dammbruch bei der 35-Stunden-Woche. Sie kommen jedoch als weitere Bohrungen im bereits löchrigen Damm dazu, der bekanntlich erst dann bricht, wenn die Erosion an den Bohrstellen eine gewisse Größe erreicht hat. In den nächsten Jahren werden es IG Metall und Beschäftigte in den Betrieben dafür mit Zeitbomben und Tretminen zu tun bekommen.

Zweifellos: Der von den Unternehmern versuchte Einsatz eines arbeitszeitpolitischen »Daisy Cutters« [1] wurde mit der Kampfkraft der Metaller verhindert. Und das ist ein Erfolg, ein Erfolg der Mobilisierung! Dies wird in den Belegschaften und Vertrauensleutekörpern, soweit wir das über-blicken können, auch mehrheitlich so empfunden. Das ist auch gut so, denn Erfolgserlebnisse und Erfahrung der eigenen Kraft sind nötig in diesen Zeiten.

Tatsache ist aber auch und als solche bisher kaum erkannt: dass es IG Metall und Belegschaften in den nächsten Jahren mit arbeitszeitpolitischen Tretminen und Zeitbomben zu tun bekommen werden, weil das »Kleingedruckte«, das verklausulierte Tarifvertragschinesisch, kaum mehr verständ-lich ist und erst einmal übersetzt und erklärt werden muss. Dies muss die Linke in Betrieb und Gewerkschaft für die kritischen Köpfe unter den KollegInnen leisten, ohne dabei Erfolgserfahrung und Perspektiven zu beschädigen – ein Spagat, der bewältigt sein will!


Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/04

Anmerkung:

1) Größte konventionelle Bombe der Welt

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