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Der Anfang vom Ende der Bescheidenheit

Zum tarifpolitischen Aufbruch der IGM

Von Hans Lück

Nach allerlei Vorgeplänkel um "Kurzläufer" und eine ertragsabhängige Komponente ist die IG Metall dabei, ihre Startaufstellung für die kommende Tarifrunde vorzubereiten. Der Vorstand beschloss am 10. Dezember, den Bezirken ein Forderungsvolumen von fünf bis sieben Prozent zu empfehlen. Hierzu ein Kommentar:

 

Die IG Metall hatte 1999 in feinem Zusammenspiel mit den Kollegen der IG BCE der Regierung Schröder ihren besten Willen demonstriert. Selbst zutiefst der Standortlogik verhaftet, und in den Betrieben bereits tausendfach bereit, die Gleichung "weniger Lohn - mehr Arbeitsplätze" zu akzeptieren, wurde mit dem zweijährigen Abschluss ein Ticket auf eine arbeitsplatzschaffende Wirtschaftsentwicklung gelöst, das sich dummer-, aber nicht ganz unerwarteterweise als Niete erwies.

Entsprechend wird jetzt wieder auf die alte, allerdings ebenfalls nur mäßig überzeugende Argumentation zurückgegriffen, mehr Lohn bedeute mehr Nachfrage und somit mehr Jobs. Außerdem ist mal wieder viel vom "Ende der Bescheidenheit" und vor allem von einer harten Lohnrunde die Rede.

Das empfohlene Forderungsvolumen von fünf bis sieben Prozent deutet allerdings weder auf kräftige Nachfragesteigerungen noch auf das Ende von irgendetwas hin, zumal Zwickel schon mal andeutet, die endgültige Forderung werde eine sechs vor dem Komma haben.

Zur Begründung der Empfehlung heißt es, die IG Metall gehe von ca. zwei Prozent Preissteigerung und einem gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsanstieg ebenfalls in Höhe von ca. zwei Prozent aus. Der verbleibende Rest von ein bis drei Prozent enthält das neue "Ende der Bescheidenheit", oder in den Worten der IG Metall: "Nachholbedarf und Umverteilung".. Hiervon soll allerdings auch der Einstieg in den schon seit langem anvisierten neuen Entgeltrahmen (d.h. gemeinsame Entgeltgruppen für Gewerbliche und Angestellte) finanziert werden.

Angesichts dieses Forderungsvolumens wäre es eher überraschend, wenn im Gesamtvolumen diesmal nicht um die drei, sondern um die vier vor dem Komma gekämpft würde. Dies aber auch nur, wenn die gesamtwirtschaftliche Situation im nächsten Frühjahr nicht doch noch einen moderateren Abschluss geraten erscheinen lässt. Hier hat sich die IGM mit dem Rahmen von fünf bis sieben Prozent bereits Spielraum nach unten offen gelassen.

 

Der kurze Lauf des "Kurzläufers"

Mit der Ankündigung des Vorstandes, die IG Metall strebe eine zwölfmonatige Laufzeit für die Lohn- und Gehaltstarifverträge an, wurde zugleich das Scheitern des Versuchs von Zwickel, mit einem "Kurzläufer" die eigentliche Tarifrunde aus der kommenden Bundestagswahl herauszuhalten, eingeräumt.

Dies ebenso wie die Vertagung des zunächst für Dezember geplanten "Bündnis-Treffens" im Kanzleramt sollte nicht zu dem Fehlschluss verleiten, dass die IG Metall nun auf die Bundestagswahl keine Rücksichten mehr nehmen will. Das Problem der IG Metall besteht eher darin, dass ihr trotz aller Rücksichtnahme zunehmend der politische Partner abhanden kommt. Nicht sie, sondern der Parteivorsitzende der SPD ist es, der die Entkoppelung von der Gewerkschaft und damit die Entsozialdemokratisierung der Partei in einer Geschwindigkeit vorantreibt, die die IG-Metall bisher politisch völlig überfordert.

Die IG Metall steckt in dem Dilemma, dass sie, solange für sie selbst die Standortlogik Leitmotiv ihrer Politik ist und solange sie keine eigenständige Position gleicher Distanz zu CDU und SPD einnehmen kann, sie auch kein Konzept für eine konfliktorientierte Politik gegenüber "ihrer" rot-grünen Regierung entwickeln kann. Der "Kurzläufer" wäre da eine elegante Lösung gewesen, jeglicher Kollision von Tarifrunde und Schröders Wiederwahlchancen von vornherein aus dem Weg zu gehen. Die Unternehmen wären allerdings strategisch schlecht beraten gewesen, die IG Metall von jeglichem Druck aus dem Kanzleramt zu befreien.

 

Hat sich Huber verhoben?

Neben dem "Kurzläufer" belebte der Vorschlag nach einer ertragsabhängigen Komponente, der vor allem vom baden-württembergischen Bezirksleiter Huber verfochten wurde, die Debatte um die kommende Tarifrunde.

Mit diesem Vorschlag wollte Huber tarifpolitisch die Folgen einer ungleichzeitigen Wirtschaftsentwicklung abfangen, die für die IG Metall ähnlich unkomfortabel wie die Bundestagswahl sind.

Angesichts guter Bilanzen kann von Krise allenfalls beim Arbeitsmarkt und (vorübergehend?) beim DAX, nicht aber bei den großen Automobilunternehmen die Rede sein. Die Stimmung unter den mobilisierungsfähigen Kernmitgliedern ist entsprechend auf "kräftige" Entgelterhöhungen ausgerichtet. Diese Kernmitglieder, deren betriebliche Vertreter zugleich den Kern des ehrenamtlichen Apparates stellen, sind einflussreich und können ihrer Unzufriedenheit zugleich über die Delegiertenversammlungen und Tarifkommissionen Gehör verschaffen.

Auf diese Klientel, bekanntermaßen in Baden-Württemberg besonders stark vertreten, zielte der Huber-Vorschlag, der zugleich den Unternehmern signalisierte, dass die IG Metall auch bereit ist, anzuerkennen, dass andere Firmen und Branchen in einer anderen Situation sind. Tatsächlich gibt es ja zur Zeit in der Bundesrepublik beides: Prämien für die Vermittlung von Facharbeitern vor allem in den Metallgroßbetrieben Baden-Württembergs einerseits und Entlassungen sowie eine Massenarbeitslosigkeit andererseits, angesichts derer sich 10000 Menschen für lohnabgesenkte Jobs bei der Auto 5000 GmbH bewerben.

Gegen den Huber-Vorschlag sprechen mindesten drei Gründe, für die es keineswegs eines besonders linken Standpunktes bedarf. Erstens wäre der Flächentarif zwar auf dem Papier erhalten, aber in der Praxis abgeschafft worden. Der Weg zum Firmentarifvertrag als Regeltarifvertrag wäre vorgezeichnet gewesen, mit einer tendenziell weiteren Schwächung der Gewerkschaft zu Gunsten der Institution Betriebsrat. Zweitens ist Porsche nicht überall, sondern in vielen Betrieben und Branchen müssen die betrieblichen Funktionäre eine zweite betriebliche Tarifrunde eher fürchten, als dass sich daraus Profilierungsmöglichkeiten ergeben würden. Drittens wäre eine ertragsabhängige Komponente nicht einfach am Schluss auf das Tarifergebnis obendrauf gesetzt worden, sondern selbstverständlich Teil des Gesamtpakets und damit des Gesamtvolumens geworden. Jegliche ertragsabhängige Komponente wird deshalb eine stärkere Erhöhung für wenige und geringere Entgeltzuwächse für viele bedeuten.

Schließlich hat dem Huber-Vorschlag die öffentliche Debatte eher geschadet als genützt, denn, wie Kenner der Materie sich ausdrücken: "So etwas fordert man nicht, so etwas schließt man ab."

Das vorläufige Stranden bedeutet deshalb auch lediglich, dass der Huber-Vorschlag zunächst aus dem Rampenlicht genommen ist. Es ist nicht gesagt, dass er nicht in anderer Form wieder auftaucht.

Wie die kommende Tarifrunde im Einzelnen verlaufen wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch ungewiss. Offen ist, ob sich nächstes Jahr nicht doch noch eine "Bündnisrunde" findet. Offen ist, welche Gewerkschaft die Tarifführung übernehmen wird. Offen ist sogar, ob es nicht doch eine so genannte harte Lohnrunde wird, weil nicht zum ersten Mal auch für schmale drei oder vier Prozent gestreikt werden muss.

Nicht offen ist dagegen: Die von manchen Gewerkschaftslinken herbeigewünschte Wende in der Tarifpolitik findet bis auf weiteres nicht statt. Darüber kann weder die künstliche Aufregung im Fernsehen und in manchen Zeitungen noch die reflexhafte Reaktion der Unternehmen täuschen. Schließlich weiß nicht nur der Bundeskanzler: "Eine Forderung ist noch kein Ergebnis". Und der Verhandlungstisch ist rund, die nächste Tarifrunde immer die schwerste, dauert meistens länger als 90 Minuten, und abgeschlossen wird erst nachts.

 

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11-12/01


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