letzte Änderung am 14. Nov. 2002 | |
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Samstagmorgen, Sonnenschein, endlich Wochenende, endlich frei, nur noch schnell ein paar Besorgungen erledigen, Paket bei der Post abholen, über den Wochenmarkt schlendern und Gemüse, Brot und Käse einkaufen, hier und da ein freundliches »Hallo«, einen schnellen Espresso beim Italiener, Blumen für die Liebste, in den Zeitungsladen und vier verschiedene Tageszeitungen kaufen, die Einkaufstaschen zerren schon schwer am Arm, gleich ists geschafft, doch »Halt!« der Lottoschein ist noch nicht abgegeben.
Was wäre das Wochenende ohne Lottoschein (vier Häuschen plus Spiel 77 macht 4,80 Euro)? Dieses Gefühl, man ist in der großen Gemeinschaft der Glücksjäger dabei, ich (!) kann den Jackpot knacken, ganz alleine, neun Mio. Euro. Montags zum Chef gehen und dann... Samstagabend die Ziehung der Lottozahlen im Fernsehen, wird natürlich nicht angesehen, der Überraschungsmoment, die Erwartung, das Ausmalen, was alles mit der Summe zu machen wäre... All dies wird aufrechterhalten über die Woche bis zum nächsten Samstag, um dann nochmals einen Moment höchster Spannung im Zeitungsladen auszukosten, wenn der Kontrollabschnitt ins Registriergerät eingeführt wird, gebannter Blick auf den Bildschirm, Sekunden werden zu Stunden, dann: 5,20 Euro. Naja, besser als »nix«, auf ein Neues, nächsten Samstag, da klappts, oder übernächsten, aber irgendwann, irgendwann...
Der geneigte Leser wird nun fragen, was mein Lottoschein mit der Tarifrunde im Einzelhandel zu tun hat? Die Antwort ist einfach: Beides sind Glücksspiele! Wieso? Also:
Die Tarifforderung der Gewerkschaft ver.di in Rheinland-Pfalz für die Fachgruppe Einzelhandel wurde in diesem Jahr am »Aschermittwoch« verkündet da beginnt die Fastenzeit, vielleicht ein schlechtes Omen. Bundesweit koordiniert sollten Forderungen zwischen 120 130 Euro gestellt werden. Wie in (fast) jedem Jahr handelte es sich dabei auch diesmal wieder um eine Festbetragsforderung. Begründet wurde diese einerseits damit, dass die Schere zwischen hoher und niedriger Eingruppierung so nicht weiter geöffnet würde, und andererseits eine hohe prozentuale Forderung nicht unbedingt in die öffentlich-mediale Landschaft passe.
Die Forderungen werden im Vorfeld nur sehr unzureichend mit den Mitgliedern diskutiert, vielmehr ist es so, dass der Landesfachgruppenvorstand die Vorstellungen der Bezirksfachgruppenvorstände bündelt, zusammenfasst und als Forderung verkündet. Die Mitglieder erfahren dann über die für sie gestellten Forderungen per Flugblatt.
Sowohl den Arbeitgeberverbänden wie auch den Beschäftigten war sehr schnell klar, dass sich die Forderung auf eine »6« vorm Komma belief, bezogen auf die von der überwiegenden Zahl der Beschäftigten belegte Gehaltsgruppe II/Endstufe (1850 Euro). In der Gehaltsgruppe I, die nur von »Ungelernten« belegt ist, lag der Prozentsatz höher, in den Gehaltsgruppen III und folgende pendelte er sich bei um die fünf Prozent ein.
Es folgten insgesamt fünf Tarifverhandlungen, die alle nicht der »Vergnügungssteuerpflicht« unterliegen. Ich erspare mir, Details aus den jeweiligen Verhandlungskommissionen zu beurteilen (was auch arbeitsrechtliche Konsequenzen haben könnte) und erlaube mir nur die Feststellung, dass es auf absehbare Zeit nicht möglich sein wird, festgefahrene Strukturen aufzuweichen und zu einer innovativen Tarifpolitik zu kommen.
Das Ergebnis der Tarifrunde im Einzelhandel war durch das Metallergebnis im Maximum schon präjudiziert (dieses lag bei 3,1 Prozent ab Juni 2002 und 2,6 Prozent ab Juli 2003, zuzüglich einer Einmalzahlung von 120 Euro für Mai 2002). Trotzdem wurde die Gewerkschaft ver.di in eine dreimonatige Auseinandersetzung mit Warnstreiks und Streiks gezwungen, zu der folgende Feststellungen getroffen werden müssen:
Zwischen Forderungserstellung und erster Verhandlungsrunde vergehen grundsätzlich immer zwei Monate der Untätigkeit, was zur Folge hat, dass mit Ablauf der »Friedenspflicht« die »heiße Phase« der Tarifauseinandersetzung nur sehr schwer eingeläutet werden kann, weil erst eine Verhandlungsrunde abgelaufen ist.
Es wäre sicherlich »mobilisierender«, wenn unmittelbar nach Forderungserstellung auch die Verhandlungsrunden beginnen würden. Dies wird auch in vielen Landesbezirken so gesehen, doch haben die Tarifkommissionsmitglieder wenig Einfluss auf die Termingestaltung. Es ist vielmehr so, dass die Verhandlungsführer die bereits festgelegten Termine vor Verhandlungsbeginn nur noch »verkünden«.
Es muss möglich gemacht werden, eine größere Zahl von Betrieben in die Auseinandersetzung zu führen und zwar mit Urabstimmung, Warnstreiks und Streiks, sonst liegt die gesamte Verantwortung für die Tarifrunde auf einigen wenigen Betrieben, die immer wieder zum Streik gerufen werden. In den Betrieben der Verhandlungsführer auf Arbeitgeberseite muss vorrangig gestreikt werden.
Durch die flexiblen Personalkonzepte sind die Unternehmen durchaus in der Lage, einen eintägigen Streik mit Aushilfen oder mit Streikbrechern aus anderen Betriebsstätten »abzufedern«. Erst bei mehrtägigen Streiks geht den Unternehmen »die Luft aus«. Gleichzeitig müssen wir wieder, wie in früheren Jahren schon des Öfteren praktiziert, die Mittel der aktiven Blockade in Betracht ziehen. Leider werden Arbeitskämpfe aber in Zeiten des »Co-Managements«, politisch gewollt, etwas »softer« aufgezogen.
Es muss möglich sein, dass Betriebe aus unterschiedlichen Fachbereichen zeitgleich streiken und sich zu einer zentralen Kundgebung treffen. Dies wäre ein Beitrag zu »gelebter« ver.di-Solidarität. Im Mai waren die Fachbereiche »Banken«, »Telekom« und »Einzelhandel« nicht mehr in der »Friedenspflicht«. Mir ist lediglich eine fachbereichsübergreifende Aktion in Mainz bekannt, an der sich mehr als 2500 Kolleginnen und Kollegen beteiligt haben.
Es ist kontraproduktiv, wenn Bundesvorstandsmitglieder in der »heißen Phase« per Pressemeldung verkünden, dass bei einem Tarifabschluss mindestens eine »3« vor dem Komma stehen muss. Losgelöst von der Feststellung, dass dies jedem Beteiligten bewusst war, war die »3« einerseits eine Halbierung der Forderung und anderseits das Signal an die Arbeitgeber, dass bei einem Angebot von 3,1 Prozent die Tarifrunde vorbei sei.
Dieses Signal hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass die Arbeitgeber im Juli 2002 die 3,1 Prozent angeboten haben, jedoch mit vier »Nullmonaten«, die durch eine einmalige Zahlung von 180 Euro abgegolten wurden. Hätte zu Beginn der Tarifrunde auf Gewerkschaftsseite ein Mitglied das Thema »Nullmonate« angesprochen, so wäre er sicherlich »geteert und gefedert« worden. Nun war das nur noch für einen geringen Teil der Tarifkommissionsmitglieder ein Grund, das Angebot abzulehnen. Es wäre dringend notwendig, die Gründe der Tarifbefürworter zu erforschen.
Wenn in Betrieben Urabstimmungen durchgeführt werden, sollten auch Rück-Urabstimmungen durchgeführt werden, um eine demokratische Legitimation des Ergebnisses sicherzustellen. Dies würde jedoch bedeuten, dass die Verhandlungskommission eine Erklärungsfrist vereinbaren muss. Ist dies der Verhandlungskommission unangenehm?
Abschließend bleibt zu sagen: Der Tarifabschluss hat, auch wegen der Einführung des Euro, nicht zu einer Reallohnsteigerung der Beschäftigen geführt. Durch die Nichtabschöpfung des Produktivitätswachstums wird es zu weiterem Arbeitsplatzabbau im Einzelhandel kommen. Schon in den vergangenen Jahren wurden im Einzelhandel jährlich 30000 Arbeitsplätze durch die Einführung neuer Technologien vernichtet. Dabei sind die Umwandlungen von Vollzeit in Teilzeit und von Teilzeit in »geringfügig« Beschäftigte nicht berücksichtigt. Die Ausbildungsquote ist auf eine zu vernachlässigende Größe geschrumpft.
Die in diesem Jahr vereinbarten »Nullmonate« werden im nächsten Jahr der erneute Einstieg für die Arbeitgeber sein. Immer weniger Arbeitnehmer unterliegen der Tarifbindung. Die »Allgemeinverbindlichkeit« und der erneute Abschluss des Manteltarifvertrags (der bereits zum 31. Dezember 1999 gekündigt wurde!) müssen mit Nachdruck gefordert und gegebenenfalls erkämpft werden. Und vielleicht finden irgendwann Glücksspiele nur noch im Lotto statt.
* Peter Balluff ist Gewerkschaftssekretär bei ver.di-Mainz.
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