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Sargnägel der Sozialversicherung?

Über die unheimliche Liebe der Gewerkschaften zu Tariffonds

Rainer Roth

 

Laut Arbeitsminister Riester ist die Rentenreform die "größte Sozialreform, die in der Nachkriegsgeschichte gemacht wurde" (FR, 27.1.2000). Das stimmt. Aber in welcher Hinsicht?

Zunächst muss man sich über den zentralen Punkt dieser Reform klar werden, den Übergang von der umlagefinanzierten Rentenversicherung zur kapitalgedeckten Altersvorsorge. Die Senkung der gesetzlichen Renten fördert die Verlagerung auf die kapitalgedeckte Altersvorsorge und dient ferner der Begrenzung der so genannten Lohnnebenkosten. Johannes Steffen schreibt daher mit Recht: "Einzige Gewinner der rot-grünen Rentenreform sind die privaten Finanzdienstleister – ihnen winken blühende Geschäfte – und die Arbeitgeber – deren Beitragsentlastung zahlen die Arbeitnehmer." ("Tatsachen zur rot-grünen Rentenreform", in: <www.labournet.de>) Wer der Hauptgewinner ist, lässt sich daran festmachen, wer nach dem vorliegenden Zahlenmaterial die meisten Profite daraus zieht. Bis zum Jahre 2030 steigen die Lohnnebenkosten mit Hilfe der Rentenkürzungen auf nur 22 statt auf 23,6 Prozent. Die Differenz von 1,6 Prozentpunkten macht, bezogen auf das Jahr 2001, rund 24 Mrd. DM aus. Die Gewinne des Gesamtkapitals würden ab 2030 um die Hälfte davon, also um 12 Mrd. DM jährlich höher sein als ohne die Reform.

Ab 2008 können vier Prozent des Bruttolohns vorwiegend über die betriebliche Altersvorsorge steuerlich gefördert zur privaten Altersvorsorge investiert werden. Es wird damit gerechnet, dass den Finanzkonzernen dadurch jährlich ein Betrag von etwa 40-50 Mrd. DM neu zufließt. Bis zum Jahr 2030 wäre damit ein Anlagevolumen von mindestens 1.000 Mrd. DM aufgebaut. Zum Vergleich: Heute verfügen die Lebensversicherungen über ein Volumen von rund 900 Mrd. DM, die Investmentfonds über 500 Mrd. DM. An dieser Anlage verdienen die Finanzkonzerne je nach Höhe ihrer Rendite. Bei fünf Prozent der Anlagesumme wären das schon 50 Mrd. DM. Die Finanzkonzerne sind also die Hauptgewinner der Rentenreform. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft erklärte deshalb, dass der "gezielte Aufbau und die Förderung der kapitalgedeckten individuellen und betrieblichen Altersversorgung ... den Kern des aktuellen Rentenkonzepts" darstelle (Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 21/2000, S. 1260). Es geht also nicht um die Begrenzung der Lohnnebenkosten.

Verlierer sind die RentnerInnen. Das Rentenniveau wird ab 2030 für alle Rentnerinnen und Rentner 10-15 Prozent geringer sein als heute. Bezogen auf heute sinken die Ausgaben für Renten um insgesamt 40-60 Mrd. DM. Gewinner scheinen dagegen wegen der Begrenzung des Anstiegs der Beiträge auch die Lohnabhängigen zu sein. " Auf Jahre bedeutet dies, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr Geld in der Tasche haben", so Riester (zit. nach Steffen, a.a.O.) Nämlich z.B. im Jahre 2010 (bezogen auf heute) 7,5 Mrd. DM, weil der Beitragssatz 18,5 Prozent statt wie ohne Reform 19,5 Prozent wäre.

Aber: Die ersparten Beträge müssen voll in die private Vorsorge fließen, wenn man keine Rentenkürzungen hinnehmen will. Man spart also 0,5 bzw. später 0,8 Prozent vom Bruttolohn, um 4 Prozent vom Bruttolohn für private Vorsorge auszugeben. Ein Geschäft, bei dem manweniger, nicht mehr Geld in der Tasche hat.

Doch Halt, da ist noch die staatliche Förderung. Riester: "Zudem wird der ergänzende Aufbau eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens staatlich massiv gefördert – mit dem größten Programm zum Aufbau von Altersvorsorgevermögen, das es je gab." (<www.bma.de/de/neuerente/aktuelles/schwerpunkte.htm 31.01.2001>)

Die staatlichen Zuschüsse liegen bei Jahreseinkommen bis 50.000 DM im Schnitt bei 40- 50 Prozent, d.h. bei bis zu zwei Prozent des Bruttolohns. Aber auch die Zuschüsse können nicht verhindern, dass Lohnsenkungen in Kauf genommen werden müssen, um das Rentenniveau zu halten. Die Lohnabhängigen sind also auch hier Verlierer.

Mit mindestens 20 Mrd. DM wird der Markt für die Altersvorsorgeprodukte der Finanzkonzerne in Form von Lohnsteuerausfällen indirekt staatlich subventioniert. Damit könnte der Staat rund zwei Prozentpunkte der Rentenversicherungsbeiträge abdecken. Doch mit dem Geld subventioniert er lieber die Finanzkonzerne und begrenzt mit Rentenkürzungen die Versicherungsbeiträge. Steuerausfälle werden wie immer mit Kürzungen an anderer Stelle bezahlt, z.B. bei kommunaler Infrastruktur, Bildung, bei Arbeitslosen usw. Auch hier ein schlechtes Geschäft für die Lohnabhängigen insgesamt.

Diese Reform, bei der das Kapital und insbesondere die Finanzkonzerne gewinnen und die Lohnabhängigen verlieren – vor allem die, die wenig verdienen, arbeitslos sind, und natürlich die RentnerInnen selbst –, diese Reform betrachtet der Bundesvorstand des DGB als "insgesamt positiv". Es sei gelungen, den "Gesetzesentwurf der Bundesregierung in wichtigen Bereichen deutlich im Sinne der gewerkschaftlichen Ziele und der Arbeitnehmerinteressen zu verbessern." (Presseerklärung DGB-Bundesvorstand vom 24. Januar)

 

Kapitalgedeckte Altersvorsorge positiv?

Entscheidender Punkt ist die Zustimmung der Gewerkschaftsführungen zum Ausbau der kapitalgedeckten Altersvorsorge in Form der betrieblichen Altersvorsorge. DGB-Vizechefin Engelen-Kefer forderte schon im Juni 2000 den "Ausbau der betrieblichen Altersversorgung zu einer flächendeckenden Absicherung für alle Arbeitnehmer". (DGB-Pressemitteilung 126 vom 6.6.2000) Dies entspricht auch der Beschlusslage des SPD-Parteivorstandes. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände gab die Melodie vor: "Im Mittelpunkt der Reform muss eine bessere Mischung von umlagefinanzierter und kapitalgedeckter Altersvorsorge stehen" (BDA – Reform der sozialen Sicherungssysteme – Handlungsbedarf und Reformansätze, März 2000, S. 5; <www.bda-online.de>).

Indem auch DGB- und IG Metallvorstand für den Ausbau der kapitalgedeckten betrieblichen Altersvorsorge eintreten, fördern sie den Abbau der Sozialversicherung. "Es ist kein Zufall, dass sowohl die private als auch die betriebliche Vorsorge in den Ländern am besten ausgebaut sind, in denen das staatliche Sozialversicherungsniveau relativ niedrig ist", so der Bundesverband Deutscher Investmentgesellschaften (zit. nach KLARtext-Info Nr. 1, Dezember 2000) In Großbritannien sind 40 Prozent der SozialversicherungsrentnerInnen sozialhilfebedürftig. In den USA betragen die Beiträge der umlagefinanzierten Rentenversicherung nur 12 Prozent. Die Metall schrieb dazu: "Der Protest von über 150.000 Metallerinnen und Metallern im Dezember hat die Regierung auf Trab gebracht. (...) Auch die Bedingungen für eine betriebliche Altersversorgung wurden verbessert. So sollen Arbeitnehmer bis zu vier Prozent ihres Lohns – steuerfrei und ohne Sozialversicherungsabschläge – in eine neue Pensionskasse einzahlen können. Allerdings nur, wenn entsprechende Tarifverträge vereinbart werden." (Nr. 1-2/2001, S. 10) Der Protest wurde von IG Metall- und DGB-Vorstand offensichtlich dazu genutzt, Pensionsfonds durchzusetzen.

Denn noch im Oktober war seitens der Bundesregierung in Bezug auf die betriebliche Altersvorsorge nur von einem individuellen Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung in eine Direktversicherung die Rede (BMA: "Die neue Rente: Solidarität mit Gewinn, Die Eckpunkte des Regierungskonzepts", Oktober 2000, S. 11), Pensionsfonds waren nicht vorgesehen.

"Die ursprünglich geplante einseitige Bevorzugung der privaten Vorsorge und der Diskriminierung der betrieblichen/tariflichen Zusatzvorsorge bei der staatlichen Förderung wurde verhindert. Erreicht wurde die mittelfristige Sicherung tariflicher Vereinbarungen zur Entgeltumwandlung. Durch die Schaffung von Pensionsfonds als weiterer Durchführungsweg der betrieblichen Altersversorgung wird diese gestärkt", so der DGB (Presseerklärung vom 24.1.2001). Der neue Entwurf sieht vor, dass ab 2008 bis zu 4.000 DM Lohn jährlich steuerfrei in Pensionsfonds fließen können. Ab 2008 sollen allerdings Sozialversicherungsbeiträge darauf entrichtet werden. Die bisherigen Formen der betrieblichen Altersvorsorge wie Direktzusagen oder Direktversicherungen können in die Pensionsfonds übertragen werden. Pensionsfonds sollen langfristig die Hauptform der betrieblichen Altersvorsorge werden.

Die Bundesregierung schreibt: "Pensionsfonds werden den Finanzplatz Deutschland stärken. Aufgrund des eher langfristigen Charakters der Anlagen wird sich der Pensionsfonds stärker an Substanzwerten wie Aktien ... orientieren, die dem Kapitalmarkt und damit auch Wachstum und Beschäftigung zusätzliche Impulse geben werden." (<www.bma.de/neuerente/aktuelles/schwerpunkte.htm>). Der DGB-Bundesvorstand setzt sich seit längerem für den Ausbau von Pensionsfonds ein. So schreib der "Einblick", der Info-Service des DGB, schon 1998: "Bundestag und Bundesrat haben sich im Grundsatz für Pensionsfonds ausgesprochen. Als zusätzliche Säule der Altersversorgung lässt auch der DGB sie gelten, warnt jedoch vor ihrer Abhängigkeit vom Aktienmarkt". (<www.dgb.de/einblick/archiv/9816/gf981605.htm>)

Mit Bedauern wurde an selber Stelle festgetellt, dass betriebliche Pensionsfonds in Großbritannien über ein Vermögen von 89 Prozent des BIP verfügten, in Deutschland aber nur über 5,6 Prozent. Pensionsfonds wie der von der US-Transportarbeitergewerkschaft gelenkte gelten dem DGB-Bundesvorstand als Vorbild ("Vermögenspolitik in Arbeitnehmerhand zwischen Abgang und Neubeginn", Informationen zur Wirtschafts- und Strukturpolitik, Nr. 3/1998).

Diese Zustimmung der DGB-Führung zum Ausbau der kapitalgedeckten Altersvorsorge in Form von Pensionsfonds öffnet die Tür zu weiteren Kürzungen der gesetzlichen Rente. Auch das Handelsblatt war der Ansicht, dass die staatlich geförderte private kapitalgedeckte Rente jetzt Spielräume dazu eröffnet, das Rentenniveau noch weiter zu senken (Handelsblatt, 2.1.2001).

Die Opposition der DGB-Führung gegen die Rentenreform war im Kern auf die möglichst günstige Ausgestaltung der Betriebsrenten ausgerichtet. Die Forderung nach Paritätischer Finanzierung erscheint so in einem anderen Licht. Sie bezog sich von Anfang an nur auf die Kapitalgedeckte Altersversorgung (KAV), denn nur da war sie nicht mehr gegeben. "Die Gewerkschaften fordern eine obligatorische betriebliche Altersversorgung. (...) Vorausgesetzt wird dabei, dass sich die Arbeitgeber mit mindestens 50 Prozent an dieser betrieblichen Altersversorgung beteiligen". (DGB Bundesvorstand, Abt. Sozialpolitik: " Vorsicht! Rentenreform") Die Forderung nach Paritätischer Finanzierung setzt die Zustimmung zur KAV voraus. In dieser Hinsicht fördert diese Forderung sogar objektiv den Abbau der umlagefinanzierten Sozialversicherung.

Der Haupterfolg der Demonstrationen und Verhandlungen der DGB-Führung, der Grund, weshalb sie die Rentenreform als positiv ansieht, scheinen also die staatlich geförderten Pensionsfonds zu sein. Die Senkung des Rentenniveaus dagegen blieb ja auch nach der Abschaffung des Ausgleichsfaktors vom Gesamtvolumen her (40-60 Mrd. DM Kürzungen) gleich. Die Kürzungen wurden nur gleichmäßiger verteilt. Nur wer den Sozialabbau selbst als positiv betrachtet kann dies als Erfolg bezeichnen.

 

Gemeinsame Interessen von DGB und Finanzkonzernen

Grundlegend ist die Vorstellung, dass die Interessen des Kapitals mit denen der Lohnabhängigen zusammenfallen und man deshalb vor allem das Kapital, d.h. seine Profite stärken muss, wenn man für die Interessen der LohnarbeiterInnen eintritt. Von daher: was für die Allianz gut ist, muss auch für Deutschland und die Arbeitnehmer gut sein.

Andererseits profitieren Gewerkschaftsvertreter auch direkt vom Aufbau der Pensionsfonds. Das wäre vor allem der Fall über den Aufbau arbeitnehmereigener bzw. gewerkschaftseigener Fonds. "Naheliegend wäre es eigentlich, wenn Tariffonds ausschließlich von Arbeitnehmervertretern gelenkt würden. Denn schließlich werden hier Gelder von Arbeitnehmern erfasst". (DGB-Bundesvorstand: "Vermögenspolitik in Arbeitnehmerhand zwischen Abgang und Neubeginn", Informationen zur Wirtschafts- und Strukturpolitik, Nr. 3/1998) Gewerkschaftsfunktionäre könnten so wie in den USA über einen Teil des anzusammelnden Pensionskapitals selbst verfügen.

Über die Formel "Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand" wird das schon länger angestrebt. Nach Kanzler Schröder "sollen Investivlohnkonzepte künftig sowohl als zusätzliche Altersvorsorge als auch in der Tarifpolitik genutzt werden". (FTD, 28.3.2000) Der Ausbau der kapitalgedeckten Altersvorsorge stärkt auch die Stellung der Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen. Die ÖTV z.B. will sie zum Hauptthema der nächsten Tarifrunde machen.

Das Sonderinteresse von Gewerkschaftsfunktionären stützt sich auf die Sonderinteressen von Belegschaften und Branchen und fördert sie zugleich. Denn mit den Betriebsrenten besteht vor allem für Lohnabhängige mit mittleren Löhnen die Möglichkeit, den Abbau der gesetzlichen Rente aufzufangen, nach dem Motto: wenn da sowieso nichts mehr zu holen ist, dann sorgen wir wenigstens für uns selbst. Dass die Betriebsinteressen hier in Widerspruch zu den Gesamtinteressen der LohnarbeiterInnen stehen, gerät aus dem Blick. U.a. auch wegen dieser Sonderinteressen war der gewerkschaftliche Protest gegen den Abbau der Umlagefinanzierung und den Ausbau der kapitalgedeckten Altersvorsorge so schwach.

Wenn die Ablehnung der Privatisierung der Altersversorgung die Hauptlosung gegen die Rentenreform ist, dann müsste sie sich auch gegen den Ausbau der betrieblichen kapitalgedeckten Altersvorsorge richten. Andernfalls hat es wenig Bedeutung, im Allgemeinen gegen einen Systemwechsel und gegen den Abbau der Sozialversicherung zu sein und dann konkret die Pensionsfonds in Ruhe zu lassen.

 

Rentenkürzungen "insgesamt positiv"?

Für wen ist es "insgesamt positiv", wenn das Rentenniveau für alle langfristig um 10-15 Prozent sinkt statt – wie ursprünglich vorgesehen – für einen Teil um 15-20 Prozent? Seit wann ist Sozialabbau "insgesamt positiv"? In seiner Presseerklärung vom 24. Januar 2001 feiert der DGB als Erfolg, dass "ein tatsächliches Rentenniveau von 67 Prozent langfristig für alle Generationen gesichert werden" kann. Ursprünglich war die Senkung von 70 Prozent auf offiziell 64 Prozent geplant. Am 26.1. erklärte Engelen-Kefer für den DGB, dass "wie bisher weitgehend der Lebensstandard aufrechterhalten werden könne". (<www.dgb.de/cgf/meldungen/index.cgf/fd>) Ob 70 Prozent wie bisher oder 67 Prozent erscheint jetzt als fast unerheblich. Zunächst ist es nur ein Beruhigungsmittel, von der Sicherung des Rentenniveaus über 30 Jahre hinweg zu sprechen. Krisen und Börsencrashs werden einfach ausgeklammert. Ferner sind es auch jetzt nicht 67 Prozent, wie die IG Metall in einem Flugblatt in den Betrieben behauptet, sondern nur 64 Prozent (vgl. Johannes Steffen, a.a.O.)

Noch entscheidender ist aber, dass sich alle Zahlen auf den Standardrentner beziehen. Der Standardrentner mit seinen 45 Versicherungsjahren und seinem Durchschnittslohn ist eine Propagandablase. "Das schafft kaum ein Arbeitnehmer mehr", so das Deutsche Institut für Altersvorsorge (FTD, 6.2.2001). Nur 1 Prozent der weiblichen Beschäftigten in Westdeutschland schafft das und nur eine Minderheit der männlichen. Tatsächlich betragen die Renten nach Angaben des Deutschen Instituts für Altersvorsorge nach der Reform nur zwischen 48 Prozent und 58 Prozent des letzten Nettolohns. Übertragen auf heute: bei einem Nettolohn von 2.500 DM hätte der reale Rentner zwischen 1.200 und 1.450 DM Rente – und Rentnerinnen noch viel weniger. Armutsrenten für "insgesamt positiv" zu verkaufen, ist nichts Anderes als Marketing nach dem Motto "Deutsches Rindfleisch ist sicher".

Die Abschaffung des Ausgleichsfaktors ist nicht positiv, weil es nichts daran ändert, dass die Einsparung von 60 Mrd. DM bleibt. Die Kürzungen wurden nur auf mehr Schultern verteilt. Das nennt der IG Metall-Vorstand in seinem Flugblatt "sozial gerechter". Die Abschaffung des Ausgleichsfaktors war ein taktischer Schachzug, den die DGB-Führung brauchte, um die minimalen gewerkschaftlichen Aktionen ganz einstellen und den Konsens verkünden zu können.

Wenn wir einen eigenen Standpunkt gegen den des Kapitals formulieren wollen, müssen wir eigene Berechnungen anstellen, ausgehend von den realen Verhältnissen, ausgehend von realen Arbeiterinnen und Arbeitern. Und dann auch dafür sorgen, dass solche Berechnungen in den Betrieben und Gewerkschaften verbreitet werden. Daran hat es gemangelt.

 

Ausbau der Sozialhilfe ein Erfolg?

Als Erfolg betrachtet der DGB-Bundesvorstand auch die bedarfsorientierte Grundsicherung.

Die Bundesregierung will den Zugang zur Sozialhilfe für RentnerInnen erleichtern, weil sie genau weiß, dass die Rentenreform Altersarmut produziert. Die geplante Abschaffung der Unterhaltspflicht der Kinder von ArmutsrentnerInnen wäre tatsächlich ein kleiner Fortschritt. Entscheidend ist aber, dass die Bundesregierung den ursprünglichen Plan einer Grundrente für alle oberhalb der Sozialhilfe unter dem Druck des Kapitals zurückgezogen hat. Diese Grundrente sollte nicht von den Sozialämtern, sondern von der Rentenversicherung ausgezahlt und vom Bund finanziert werden. Das wäre ein echter Fortschritt gewesen, da dadurch dem Abbau der Sozialversicherungsrenten eine Grenze nach unten gesetzt worden wäre. Das wäre insbesondere Frauen zugute gekommen. Die BDA bezeichnete ein solches Modell als "Bestrafung von Arbeit und Belohnung von Nicht-Arbeit und einen Einstieg ... in den Versorgungsstaat". (BDA März 2000, a.a.O., S.4) Die Erleichterung des Sozialhilfebezugs ist nur ein schwacher Ausgleich dafür und setzt im Übrigen die Senkung der Renten auf Sozialhilfeniveau voraus bzw. federt sie ab.

 

Fazit

Klarheit darüber, wogegen man ist und wofür man ist, ist die Grundvoraussetzung dafür, dass LohnarbeiterInnen für ihre eigenen Interessen kämpfen können. Wenn die Lohnabhängigen sich nicht mit freundlicher Unterstützung der DGB-Führung dem Kapital unterwerfen wollen, müssen sie sich Foren schaffen, in denen sie sich Klarheit über ihre eigenen Interessen verschaffen können. Foren, mit deren Hilfe Lohnabhängige auch in der Lage sind, selbstständig und öffentlich ihre Meinung zu sagen und Aktivitäten zu unternehmen. Foren, die auch attraktiv für Kolleginnen und Kollegen sind, die keine gewerkschaftlichen Funktionen einnehmen.

Die Rentenreform zeigt, dass die Lohnabhängigen verkauft sind, wenn sie die Politik weitgehend der DGB-Führung überlassen. Hier muss sich dringend etwas ändern.

 

Erschienen in: express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 4/2001

Der Beitrag ist die überarbeitete Fassung eines Vortrags auf einer Veranstaltung des Arbeitskreises Betrieb und Gewerkschaft Untermain in Hanau am 8. Februar 2001.

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