letzte Änderung am 20. November 2003 | |
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Der 20. Gewerkschaftstag der IG Metall war zwar kein Wendepunkt (wie etwa der 20. Parteitag der KPDSU), aber ein besonderes Ereignis war er trotzdem. Die Kontroversen in der IG Metall sind selten so deutlich ausgetragen worden. Bereits auf dem vorgezogenen ersten Teil wurde Bilanz gezogen aus dem erfolglosen Streik für die 35-Stundenwoche im Osten. Scharf rechneten viele Delegierte mit unsolidarischem Verhalten von GBR-Vorsitzenden aus westdeutschen Großbetrieben ab, die den Streik nicht oder nur unzureichend unterstützt hatten. Umgekehrt kam gerade aus der Ecke der baden-württembergischen Autounternehmen der Konter, der Streik sei abenteuerlich und nicht professionell durchgeführt worden. Es wurde deutlich, dass die MetallerInnen in unterschiedlichen Welten leben. Während im Osten keine Alternative zum harten Arbeitskampf gesehen wurde, leben die z.T. in den Betrieben mit über 80 Prozent organisierten Süddeutschen in einer scheinbar heilen Welt, in der die Konflikte mit niedriger Intensität, maximal mit Flexi-Streiks ausgetragen werden können.
Die eigentliche Brisanz des Konflikts aber bestand darin, dass der Streik für Putschambitionen funktionalisiert wurde, um den Kurs der IG Metall in die neue Mitte nicht zu gefährden.
In den Wahlergebnissen für die beiden Vorsitzenden kamen die Lager am deutlichsten zu Ausdruck: Sowohl Peters als auch Huber erhielten nur zwei Drittel der Stimmen. D.h. dass jeweils ein Drittel den einen bzw. den anderen Kandidaten konsequent boykottierte. Nur ein Drittel der Delegierten hat demzufolge beide Kandidaten gewählt.
Beim zweiten Teil des Gewerkschaftstages vom 14. bis zu 18. Oktober in Hannover konnte man sich die unterschiedlichen Positionen der neuen Chefs genauer anhören. Berthold Huber hat es in seiner Eröffnungsansprache nicht bei einer moderaten Begrüßung belassen, sondern uns seine sehr grundsätzlichen Überlegungen mit auf den Weg gegeben. So warnte er vor einem Bruch mit der Sozialdemokratie. »Wenn es uns nicht gelingt, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind, werden wir bald nur noch autonome Gewerkschaftspolitik machen können. Dies sollte man dann aber konsequenterweise nicht Autonomie, sondern Isolation nennen. ... Dies heißt vielmehr, auf die Entwicklung der Parteien Einfluss zu nehmen und im Dialog, im Kontakt mit ihnen unsere Ziele zu vertreten. ... Wir müssen aus der Mitte der Gesellschaft Einfluss nehmen«.
Das Grundsatzreferat von Jürgen Peters enthielt eine scharfe Zurückweisung des Neoliberalismus: »Er (der Neoliberalismus) ist ein politisches Projekt. Wenn die multinationalen Unternehmen, die Kapitalfonds und die politischen Eliten einfordern, alles aus dem Weg zu räumen, was dem Markt entgegensteht dann versprechen sie sich davon mehr Profit und mehr Macht. Die globalen Unternehmen klagen über angeblich zu hohe Arbeits- und Sozialkosten; sie fordern Deregulierung und Sozialabbau und drohen mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen und Standorten. (...) Die Nationalstaaten beugen sich dem neoliberalen Zeitgeist. Sie kürzen soziale Standards und senken die Unternehmenssteuern; und sie privatisieren Leistungen und eröffnen den privaten Versicherungskonzern neue Märkte und Anlagefelder. Schritt für Schritt... das gilt auch für die so genannten Reformen von Rot-Grün: für die Agenda 2010, für die Gesundheitsreform und für die angeblichen Arbeitsmarktreformen.«
Die Schlussfolgerung aus dieser Analyse ist, dass sich auch die SPD »unter Verweis auf Globalisierung und Standortzwänge« von den Arbeitnehmerinteressen verabschiedet habe und so als Bündnispartner nicht mehr zur Verfügung stehe.
Ziel sei es, mit allen aktiven Gruppen und Bewegungen die Stimmungen und Mehrheiten in der Gesellschaft zu verändern. Ob der Kurs, der hier eingeschlagen wurde, trägt, muss allerdings der Praxistest erweisen.
In den Debatten um die Entschließungen und die thematisch zugeordneten Anträge entbrannte der Kampf um die politischen Positionen zumindest in den ersten Tagen der folgenden Beratung. Auch Satzungsfragen sind politisch: Hier ging es u.a. um vereinfachte Beitrittsmöglichkeiten für Arbeitslose in die IG Metall, wo ein Teilerfolg erzielt wurde. Sowohl eine bessere Verankerung der Vertrauensleutearbeit in der Satzung als auch die Forderung nach größerer demokratischer Legitimation und Kompetenz des Beirates wurden jedoch auf Vorschlag der Antragsberatungskommmission abgelehnt. Und auch der nach dem Streikabbruch des Vorstandes gestellte Antrag »dass zur Beendigung eines Streiks eine Urabstimmung der Streikenden durchgeführt werden muss«, scheiterte. Sie tut sich schwer mit der Veränderung eingefahrener Strukturen, die alte IG Metall.
Und die Antragsberatungskommission hatte gründlich gefiltert: Alle Anträge, die den Einsatz finanzieller Mittel beanspruchten, waren bei Unterstützung des politischen Inhaltes bestenfalls »Material an den Vorstand.« Damit war das Antragsbegehren in das Ermessen des Vorstandes gestellt.
Andere Anträge wurden als »erledigt durch die Entschließung« empfohlen, obwohl die Entschließungen eine gegensätzliche Aussage dazu enthielten. Verständlich, dass sich die AntragstellerInnen oft damit nicht zufrieden geben wollten. Also drei Tage heiße Debatte:
Die erste kreiste um das Thema Krieg und Frieden. Während in der Entschließung 1 der Friedenswille der IG Metall Auslandseinsätze der Bundeswehr mit UNO-Mandat nicht ausschließen wollte, wurde in Anträgen gefordert wie im Grundgesetz festgelegt , alle Auslandseinsätze auch dann abzulehnen, wenn ein UNO-Mandat vorliegt, weil die Erfahrung (u.a. auch im Jugoslawienkrieg) gezeigt habe, dass die UNO erpressbar sei. Im Antrag des Bundesjugendausschusses lautete die Formulierung dazu, die IG Metall müsse zum konsequenten Friedenskurs getragen werden. Die Mehrheit der Delegierten war anderer Meinung und beschloss die vorliegende Entschließung.
Die Internationalisierung der Gewerkschaftsarbeit war ebenfalls eine intensiv geführte Debatte. Hier gelang sogar einem Antrag (1054) aus Wolfsburg der Durchbruch, dass der »verstärkte Einsatz von Mitteln für die internationale Arbeit auf allen Ebenen« nicht als Material behandelt wurde, wie die Empfehlung der Antragsberatungskommission lautete, sondern beschlossen wurde. Bemerkenswert auch die große Unterstützung der Delegierten für die Zusammenarbeit mit Weltsozialforum und Europäischen Sozialforen.
Auch der Sozialraub war ein Thema, bei dem die Wogen hochschlugen. Während Berichte aus Baden-Württemberger Betrieben über Warnstreiks gegen die Angriffe auf Tarifautonomie und den Sozialraub die Richtung vorgaben, in die der Widerstand weitergehen muss, löste ein Initiativantrag zum politischen Streik (irrationale) Abwehrmechanismen aus. Der Hintergrund war, dass Zwickel im Mai in der Osnabrücker Zeitung politische Streiks als Mittel des Widerstandes gegen Agenda 2010 ausgeschlossen hatte. Nun sollte der Gewerkschaftstag den politischen Streik als Mittel des Widerstandes legitimieren. Hier zeigten sich wieder die Lagerkonturen. Während der BR-Vorsitzende von DaimlerChrysler aus Stuttgart Lense und andere den Antrag ablehnten, wurde er von Uwe Hück, BR-Vorsitzender von Porsche, mit der Begründung verteidigt, dass eine Ablehnung ein falsches Signal an die Gegenseite sei.
Allerdings konnte man der schwäbischen Formel: »Net schwätze, mache!« den Charme nicht abstreiten. Nach der kontroversen Debatte lehnte die Mehrheit den Initiativantrag ab. So bleibt die Schwäbische Formel doch das bessere Signal.
Die Empörung über die Regierungsangriffe drückte sich in vielen Wortbeiträgen auch darin aus, dass sie die bundesweite Demonstration gegen den sozialen Kahlschlag unterstützten. Die Entschließung 4, in der das Thema Sozialpolitik behandelt wurde, wurde aufgrund der massiven Antragslage mehrfach umgeschrieben und um einen ganzen Abschnitt erweitert, der in der aktuellen sozialpolitischen Auseinandersetzung mittelfristige Politikkonzepte und kurzfristige Mobilisierung zur Demonstration am 1. November in Berlin enthält. Viele Anträge, die sich kritisch mit den Hartzgesetzen und der Ausweitung von Leiharbeit befassten, wurden als »Material« aufgesaugt.
Das Thema Leiharbeit kam auch im tarifpolitischen Teil noch einmal auf die Tagesordnung. Im Antrag 3019 wird u.a. gefordert, dass Leiharbeit und ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse weiter politisch bekämpft werden, das Ziel »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« in den Tarifverhandlungen mit den Leiharbeitsunternehmen verfolgt wird und die IG Metall eine Werbekampagne für LeiharbeitnehmerInnen durchführt. Dieser Antrag wurde stellvertretend für eine Reihe ähnlicher Anträge angenommen.
Die heftigste Kontroverse in der Tarifpolitik um eine ergebnisabhängige »zweite Tarifrunde« wurde mit Hinweis auf einen zeitlich befristeten Diskussionsprozess vertagt.
Wie auf jedem Gewerkschaftstag wurde auch jetzt wieder der Versuch unternommen, Vorgaben für die Tarifforderung nicht mehr linear nach Prozenten aufzustellen, sondern einen festen Betrag zu fordern, um ein Auseinanderdriften der Entgelthöhen zu vermeiden. Jedes Mal ist dieser Versuch gescheitert. So auch diesmal. Allerdings hat sich nach mehreren engagierten Redebeiträgen die Zahl derer deutlich erhöht, die diesem Ziel zustimmen. In der Frage weiterer Arbeitszeitverkürzung standen die Zeichen auf Defensive. So richtig wollte man an dieses Thema nicht ran, was für die Orientierung ein großer Fehler ist: Unsere Analysen über Produktivitäts- und Beschäftigungsentwicklung müssten zu anderen Schlussfolgerungen führen.
Der Rahmen, der dem Gewerkschaftstag gesetzt war, entsprach in keiner Weise dem immensen Diskussionsbedarf. Für den Teil in Hannover blieben nach Abzug der Eröffnungsveranstaltung mit Kunstpreis und Konstantin Wecker am Dienstag gerade mal dreieinhalb Tage. Jeder dieser Tage war durch Abendveranstaltungen nach hinten begrenzt. Die Podiumsdiskussion mit den Politikern, die Kanzlerrede, auf die man Pfeifen konnte, die Parteienabende klauten uns Zeit, die am Schluss fehlte. So wurden wichtige Fragen zur Betriebs- und Mitbestimmungspolitik wie die Arbeit der Vertrauensleute oder die Internationalisierung der Gewerkschaftsarbeit auf der Unternehmensebene nur kurz diskutiert.
Andere Anträge und Entschließungen wurden schließlich gar nicht mehr diskutiert, weil am Samstag schlicht und einfach die Zeit weg war.
Kein gutes Signal war es, dass die Delegierten für die offenen Themen und Anträge dem Beirat das Entscheidungsmandat übertrugen. Eine Selbstentmachtung und Entmündigung der Antragsteller und der Delegierten, die den Entscheidungsprozess noch beeinflussen wollen.
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