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Rechtsfortschritt durch Rechtsaneignung

Ratifizierung von ILO-Konventionen und Legalisierung von "Illegalen"

Im letzten express hatten wir im Rahmen der Berichterstattung über die TIE/express-Konferenz auch über bemerkenswerte Veränderungen innerhalb des AFL-CIO in der Frage der Haltung zu illegal eingewanderten Arbeitskräften in den USA berichtets. Im Folgenden dokumentieren wir den Aufruf eines Bündnisses von Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen zur Beteiligung an einer Petitionskampagne, mit der der US-amerikanische Kongress im Herbst dieses Jahres zu einer Änderung seiner Sanktionspolitik gegenüber US-amerikanischen "Sans Papiers" bewegt werden soll, sowie die Petition selbst.[*]

 

Mitte Februar dieses Jahres haben sich 560 Delegierte der Open World Conference in Defense of Trade Union Independence and Democratic Rights (OWC) in San Francisco dafür ausgesprochen, den Aufruf zu einer bundesweiten Massenpetition zu unterstützen, welche die Legalisierung aller illegalen ArbeiterInnen sowie die Gewährung voller ArbeiterInnenrechte für alle Werktätigen in den USA fordert.

Der Aufruf wurde von folgenden vier Organisationen initiiert: dem Farm Labor Organizing Committee (FLOC/AFL-CIO), der National Coalition for Dignity and Amnesty for Undocumented Immigrants, den Black Workers for Justice (BWFJ) und der North Carolina Public Service Workers Union UE Local 150.

Die Initiative für die Open World Conference ging von folgenden Organisationen aus: den San Francisco Bay Area Labor Councils (AFL-CIO), dem FLOC, der International Longshore and Warehouse Union (ILWU), der International Brotherhood of Teamsters, dem nationalen Labor Council for Latin American Advancement (LCLAA), der nationalen Initiative Pride at Work sowie ungezählten Gewerkschaftsbündnissen und -gremien aus 74 Ländern, viele davon mit Millionen von Mitgliedern. Das Continuations Committee der OWC ruft alle, die ArbeiterInnenrechte und demokratische Rechte unterstützen wollen, dazu auf, sich an dieser Kampagne zu beteiligen, die im Folgenden begründet wird.

 

Legalisierung unterstützt Einheit

Über acht Millionen illegale ImmigrantInnen sind in den USA entsetzlichen, fast schon Knechtschaftlich zu nennenden Arbeitsbedingungen unterworfen. Ohne einen Anspruch auf die grundlegendsten Menschenrechte schuften sie hier und verhelfen der Wirtschaft zur Blüte.

Die Politik der US-Regierung und internationaler Finanzinstitutionen wie des IWF, der Weltbank und der WTO haben eine Verschärfung der globalen ökonomischen Ungleichheit zur Folge. Diese wiederum zwingt immer mehr Menschen dazu, ihre Herkunftsländer zu verlassen und woanders Arbeit zu suchen, um ihre Familien ernähren zu können. Ihr illegaler Status setzt die ArbeiterInnen Diskriminierungen aus, trägt zu skrupelloser Ausbeutung bei (magere Löhne, lange Arbeitstage, keine Sozialleistungen) und schränkt ihre Chancen auf Mobilität ein.

Seit Generationen profitieren die Bosse davon, die arbeitenden Menschen auf der Basis von "Rasse" und nationaler Herkunft zu spalten. ArbeitsmigrantInnen wurde die Schuld für Probleme wie Arbeitsplatzverluste und sinkende Lebensqualität gegeben, die in Wirklichkeit inhärenter Bestandteil des Wirtschaftssystems sind. Wenn ImmigrantInnen zu Sündenböcken gemacht werden und man ihnen die vollen ArbeiterInnen- und BürgerInnenrechte verweigert, dann betrifft das die gesamte Arbeitsbevölkerung. Der Kampf für eine bedingungslose Legalisierung der Illegalen eint die ArbeiterInnenklasse und stärkt ihr Widerstandsvermögen. Es war ein Durchbruch für die US-ArbeiterInnenbewegung, als sich Ende Februar das nationale Exekutivkomitee der AFL-CIO dafür aussprach, die Forderung nach der Legalisierung aller illegalen ImmigrantInnen zu unterstützen und im ganzen Land eine Reihe von Anhörungen abzuhalten, um auf deren Notlage aufmerksam zu machen. Diese Haltung signalisiert eine längst überfällige Kehrtwende in der Politik der AFL-CIO.

Zur Unterstützung der Bemühungen der AFL-CIO für die ImmigrantInnen sind hunderttausende Unterschriften unter die Petition erforderlich, mit welcher der Kongress aufgefordert wird, eine sofortige und bedingungslose Legalisierung aller illegalen ImmigrantInnen vorzunehmen.

 

ILO-Konventionen: ArbeiterInnenrechte für alle ArbeiterInnen – auch in den USA

Mit der bundesweiten Petition wird die US-Regierung außerdem dazu aufgefordert, die ILO-Konventionen 11, 87, 98 und 143 zu ratifizieren. Diese haben die Grundrechte aller ArbeiterInnen zum Gegenstand: das Recht auf Versammlungsfreiheit, das Recht auf Organisierung und kollektive Tarifverhandlungen sowie die Menschenrechte aller werktätigen MigrantInnen.

Es ist Zeit, die Rechte aller Werktätigen in den USA an den modernen Standard anzupassen, der in den Konventionen der International Labor Organisation (ILO) festgelegt ist. In den ILO-Konventionen drücken sich die Erfolge der Kämpfe aus, die die ArbeiterInnenbewegung im Laufe des 20. Jahrhunderts ausgefochten hat. Sie haben weltweit den Standard für ArbeiterInnenrechte gesetzt.

Die USA gehören jedoch zu den Ländern mit der schlechtesten Bilanz im Hinblick auf ArbeiterInnenrechte und Ratifizierung der ILO-Konventionen: Am 14. Juli 1999 gab die International Confederation of Free Trade Unions (ICFTU, der internationale Gewerkschaftsverband, dem die AFL-CIO angehört) einen fünfzehnseitigen Bericht heraus, der den vollen Umfang der "fortgesetzten massiven, empörenden Verletzungen der Rechte auf Versammlungsfreiheit und auf Organisierung in den USA" dokumentiert. "Die Vereinigten Staaten", so der Bericht, "haben von den sieben zentralen Standards des ArbeiterInnenrechts nur einen einzigen ratifiziert. Das ist weltweit eine der miserabelsten Ratifizierungsquoten."

Eine von vielen im Bericht aufgeführten Verletzungen der ArbeiterInnenrechte ist "die Androhung von permanent replacements (Entlassungen), die den Unternehmen als Instrument zur Zerschlagung gewerkschaftlicher Einflussnahme dient: Die ArbeiterInnen werden abgeschreckt, wenn es gerade um die Organisation von Kampagnen geht; eingeschüchtert, wenn Tarifverhandlungen anstehen; genötigt, zu StreikbrecherInnen zu werden." Die ILO-Konventionen 87 und 98, die das Organisierungs- und das Streikrecht schützen, sind mit permanent replacements nicht vereinbar. Die Ratifizierung dieser beiden ILO-Konventionen würde ein gleichzeitiges Verbot der permanent replacements erfordern – so wie alle US-Gesetze mit den ratifizierten ILO-Konventionen in Übereinstimmung gebracht werden müssen.

Der ICFTU-Bericht weist außerdem darauf hin, dass "die gewerkschaftliche Solidarität von einem Gesetz behindert wird, das sekundäre Boykotts und Sympathiestreiks verbietet." Dieses Gesetz steht in direktem Zusammenhang mit dem Taft-Hartley Act, dem wahrscheinlich ruchlosesten Gesetz gegen die ArbeiterInnenklasse überhaupt. Auch mit diesem Gesetz sind die ILO-Konventionen 87 und 98 unvereinbar; ihre Ratifizierung würde daher auch eine sofortige Rücknahme des Taft-Hartley Act notwendig machen.

Der ICFTU-Bericht schließt mit der Aufforderung, "eine Reihe weitreichender Maßnahmen zu ergreifen, um echten Respekt für zentrale Standards des ArbeiterInnenrechts in den USA zu etablieren. (...) Die zentralen ILO-Konventionen sollten ratifiziert und die entsprechenden US-Gesetze in Übereinstimmung mit ihnen gebracht werden."

Mit ihren Schlussfolgerungen trifft die ICFTU ins Schwarze: Jedes Land, das den Anspruch vor sich her trägt, eine Demokratie zu sein und die ArbeiterInnenrechte zu schützen, muss damit anfangen, die ILO-Konventionen zu ratifizieren und für deren Umsetzung zu sorgen. Das muss dem US-Kongress laut und deutlich gesagt werden, und hunderttausende unterschriebene Exemplare unserer bundesweiten Petition sollen dieser Forderung Nachdruck verleihen!

 

Den Süden organisieren

In ihren Ausführungen auf der Open World Conference haben der FLOC-Vorsitzende Baldemar Velasquez und die Vorsitzende des UE Local 150 Barbara Prear die Bedeutung der Petition für die ArbeiterInnen im Süden der Vereinigten Staaten unterstrichen. Velasquez stellte fest, dass der Süden den USA als "Freihandelszone" im eigenen Lande dient (ähnlich den "Freihandelszonen" in Südostasien): "Wenn die multinationalen Unternehmen ihre Fabriken nicht nach Mexiko, Asien oder Afrika verlegen können, verlegen sie sie in die Südstaaten, weil diese eine völlig gewerkschaftsfreie Handelszone darstellen. Das Pro-Kopf-Einkommen ist hier das niedrigste in den gesamten USA."

Der Taft-Hartley Act war weitgehend für das niedrige Level gewerkschaftlicher Organisierung im Süden verantwortlich. Sein Abschnitt 14(b) erlaubte den Staaten die Einführung der berüchtigten antigewerkschaftlichen "right-to-work"-Gesetze. Von dieser Erlaubnis machten alle Südstaaten Gebrauch. Die "open shop"-Verordnung in den "right-to-work"-Gesetzen erlaubte es den ArbeiterInnen, ja ermutigte sie sogar dazu, eine Gewerkschaftsmitgliedschaft abzulehnen, selbst wenn sich die Mehrheit in einer betrieblichen Abstimmung für die gewerkschaftliche Organisierung ausgesprochen hatte. Diese Regelung ist dafür verantwortlich, dass in den Südstaaten Arbeitsbedingungen wie in Ausbeuterklitschen herrschen, und das wiederum hat in ständig steigendem Maße multinationale Unternehmen dort hingezogen.

Der Süden hat den Unternehmen darüber hinaus dazu gedient, alle US-ArbeiterInnen zu erpressen. Es wurde damit gedroht, die Fabriken des mittleren Westens und des Nordostens in den Süden zu verlegen, wenn von Gewerkschaftsseite keine Konzessionen gemacht würden. Hunderte Milliarden Dollar wurden so im Rahmen von Konzessionen den Bossen überlassen, und trotzdem wurden Fabriken geschlossen und woanders neu angesiedelt.

Wenn den Unternehmen die Arbeit aber auch im Süden der USA nicht billig genug ist, dann importieren sie eben ArbeiterInnen aus Mexiko und Zentralamerika. Zur Zeit arbeiten im Süden der USA über drei Millionen MexikanerInnen und ZentralamerikanerInnen in der Landwirtschaft, in der Geflügel- und Fischzucht, im Garten- und Landschaftsbau sowie auf dem Bau.

Diese erhöhte Arbeitsmigration hat die Konkurrenz unter NiedriglohnarbeiterInnen um Jobs und soziale Dienste in den Süden der USA intensiviert. Sprachliche und kulturelle Differenzen werden von den Unternehmen und von der Politik ausgenutzt: "Teile und herrsche", lautet ihre Devise. Schwarze und lateinamerikanische ArbeiterInnen werden täglich gegeneinander ausgespielt.

Um es mit den Worten von Barbara Prear auf der OWC zu sagen: "Wir dürfen nicht zulassen, dass es den Bossen und der Regierung gelingt, Zwietracht zwischen schwarzen und lateinamerikanischen ArbeiterInnen zu säen. Mehr als je zuvor müssen wir uns als Klasse zusammentun, um unsere gemeinsamen Interessen zu verteidigen. Wir müssen eine starke, solidarische Bewegung zur Organisierung des Südens auf den Weg bringen." Daher rührt die historische Bedeutung der Petition: Organisationen von schwarzen und von lateinamerikanischen ArbeiterInnen haben sich zusammengeschlossen, um die Legalisierung aller illegalen ImmigrantInnen und uneingeschränkte ArbeiterInnenrechte für alle in den USA zu fordern.

 

Wir brauchen Ihre Unterstützung!

Um die Petition unterschreiben zu können, müssen Sie in den USA leben. Auch wenn das auf Sie nicht zutrifft, können Sie uns unterstützen, denn um in den USA wirkungsvoll für demokratische und ArbeiterInnenrechte kämpfen zu können, sind wir auch auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Auch eine kleine Spende hilft uns bei den Druck- und Vertriebskosten für die zehntausende Petitionspakete. Kontaktieren Sie uns, wenn Sie weitere Informationen brauchen.

Hasta la Victoria,
OWC Continuations Committee

Petitionstext

An Präsident Clinton und den US-Kongress

Die Bedingungen der Vertragsknechtschaft und die Verweigerung kollektiver Tarifverhandlungsrechte, unter denen MigrantInnen, illegale ImmigrantInnen sowie zahlreiche ArbeiterInnen des öffentlichen Sektors in den USA leiden, sind eine Schande für Amerikas Anspruch, eine Demokratie zu sein. Es ist erforderlich, dass die US-Regierung unverzüglich humanitär tätig wird. Die Unterzeichnenden fordern die US-Regierung auf, eine bedingungslose Legalisierung aller illegalen ArbeiterInnen zu garantieren, und die folgenden, die Grundrechte aller ArbeiterInnen betreffenden ILO-Konventionen zu ratifizieren:

Die Zeit ist gekommen, alle ArbeiterInnenrechte an moderne Standards anzupassen, und wir bitten alle, die guten Willens sind, inständig, sich uns in dieser Bemühung anzuschließen.


Dieser Artikel ist erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5/2000

* Die Übersetzung von Petitionstext und Kampagnenaufruf besorgte Anne Scheidhauer.

 

Für Spenden:

Senden Sie folgenden Text – am besten per email – unter Angabe Ihrer Adresse an die aufgeführte Adresse.

 


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