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Risse im italienischen "Bündnis für Arbeit"

Italiens Gewerkschaften zwischen Widerspruch und Sozialpartnerschaft

Von Roland Erne*

 

"Ohne die Gewerkschaften wäre Italien heute nicht Teil von Euro-Land!" In diesem Punkt sind sich die drei italienischen Richtungsgewerkschaften einig. In der Tat wäre es Italien kaum gelungen, die Maastrichter Konvergenzkriterien zu erfüllen, hätten sich die linke CGIL, die christlich-soziale CISL und die sozial-liberale UIL 1993 nicht auf einen nationalen Sozialpakt eingelassen. Darin verpflichteten sich die Tarifparteien auf eine Politik der Lohnmäßigung, um die Inflation zu senken. Allerdings stellen heute viele Arbeitgeber und auch Gewerkschafter diesen Sozialpakt in Frage.

Trotz ihrer bisherigen sozialpartnerschaftlichen Politik werden die italienischen Gewerkschaften von Unternehmern, neo-liberalen Ökonomen und Politikern als "Reformblockierer" gebrandmarkt. Erklärtes Ziel dieser Kräfte ist es, die Politik des sozialen Kompromisses durch eine Deregulierungspolitik nach spanischem Muster zu ersetzen. Obwohl seit dem Sozialpakt von 1993 auf nationaler Ebene ohnehin nur noch über Lohnerhöhungen im Bereich der Inflationsrate verhandelt wird, sollen die Branchentarifverträge ganz abgeschafft werden. Viele Arbeitgeber fühlen sich mittlerweile so stark, dass sie es als überflüssig erachten, den Konsens mit den Gewerkschaften zu suchen. Die "Kosten" einer sozialpartnerschaftlichen Politik – nämlich der Beteiligung der Gewerkschaften an der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung – seien viel größer als der "Preis", den das Arbeitgeberlager bei einer Aufkündigung des sozialen Konsenses zu zahlen hätte. Diese anti-sozialpartnerschaftlichen Sprüche stehen auch im Zeichen des bevorstehenden Wahlkampfes. Im April 2001 wird das nationale Parlament neu gewählt. Laut Umfragen hat die Rechtsallianz unter "Führung" des Medienbarons und Großkapitalisten Silvio Berlusconi zur Zeit einen Vorsprung von 10 bis 15 Prozent.

Rechtsallianz vor der Machtübernahme

Von Berlusconi und seinen Allianzpartnern, Gianfranco Fini von der post-faschistischen Alleanza Nazionale und Umberto Bossi von der separatistischen und ausländerfeindlichen Lega Nord, können die Gewerkschaften kaum viel Gutes erwarten, obwohl sich Berlusconi zur Zeit stark um ein soziales Image bemüht. Seit Oktober klebt landauf, landab Berlusconis lächelndes Konterfei auf Plakatwänden mit dem Slogan: "Würdige Pensionen – eine moralische Pflicht". In der parlamentarischen Debatte zum Budget 2000 forderte er eine markante Erhöhung der Mindestrenten, verknüpft mit einer gleichzeitigen massiven "Steuersenkung für alle". Die auf Seriösität bedachten Haushaltspolitiker der "Centro-Sinistra-Regierung" hatten dagegen nur eine kleine Erhöhung vorgesehen. Berlusconi fällt es leicht, seine Meinung – auch in Grundsatzfragen – innerhalb kürzester Zeit mehrfach zu ändern. Doch anscheinend hat er gelernt, dass man italienische Wahlen nur gewinnen kann, wenn man seine persönlichen wirtschaftlichen Interessen unter einem sozialen Zuckerguss versteckt. Offensichtlich will Berlusconi nicht erneut über die Rentenfrage stolpern, läutete doch ein Generalstreik gegen die unsoziale "Rentenreform" im Jahre 1995 das Ende seiner kurzen Regierungszeit ein.

Enttäuschte Hoffnungen

Die Popularität Berlusconis kann jedoch nicht allein durch seinen Populismus erklärt werden. Bei vielen Wählern entstand der Eindruck, dass sich das Verhalten des "Olivenbaum"-Bündnisses kaum grundlegend von dem vorhergehender Regierungen unterscheidet, obwohl bislang keine Korruptionsfälle im Stile der Schmiergeldskandale der "ersten Republik" (1948-1993) bekannt sind. Trotzdem sind viele linke Wähler darüber enttäuscht, dass machiavellistische Machtkämpfe, Klientelismus und Opportunismus offensichtlich grundsätzliche Probleme politischer Herrschaft sind, und nicht nur Folge der permanenten Herrschaft der ehemaligen Democrazia Christiana.

In vielen Sachfragen können die "Olivenbaum"-Regierungen von Romano Prodi, Massimo D’Alema und Giuliano Amato durchaus Erfolge vorweisen. Sie reduzierten beispielsweise das Budgetdefizit auf eine relativ ausgewogene Weise, indem sie nicht nur auf der Ausgabenseite ansetzten. Andererseits grenzte die Sparpolitik der Mitte-Links-Regierungen den Spielraum zur Lösung der großen sozialen Probleme Italiens deutlich ein. Vor allem in Süditalien ist die Arbeitslosigkeit weiterhin sehr hoch. Dies ist umso gravierender, da es – abgesehen von einer sehr guten Rentenversicherung und einem ausgebauten Kündigungsschutz – nur minimale staatliche Sozialleistungen (Arbeitslosenunterstützung, Sozialhilfe, etc.) gibt. Die italienische Familiensolidarität ist deshalb auch aus ökonomischen Gründen wichtig. Viele Menschen sind zudem gezwungen, "schwarz" oder in solch prekären Arbeitsverhältnissen zu arbeiten, dass sie weder rentenversichert sind, noch vom gesetzlichen Kündigungsschutz profitieren können. Die italienische Einkommens- und Vermögensverteilung zwischen Arm und Reich ist nach wie vor eine der extremsten aller Industrienationen.

Entgegengesetzte Gewerkschaftsstrategien

Auf diese Herausforderungen reagieren die italienischen Gewerkschaften ganz unterschiedlich: Der größte Gewerkschaftsbund, die CGIL, will nicht um jeden Preis an einer sozialpartnerschaftlichen Politik festhalten. Sie lehnt die Abschaffung des Flächentarifvertrages ab und wendet sich gegen eine weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Politisch steht sie den mitregierenden post-kommunistischen Linksdemokraten nahe. Dies hinderte den CGIL-Generalsekretär Sergio Cofferati jedoch nicht, den neuen "Olivenbaum"-Spitzenkandidaten, Francesco Rutelli, öffentlich zu kritisieren, als dieser die Unternehmersteuern massiv senken wollte.

Die beiden anderen Gewerkschaftsbünde, die mittelgroße CISL und die kleine UIL, lehnen eine weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes nicht grundsätzlich ab. Insbesondere die CISL kann einer Abschaffung des Flächentarifvertrages auch positive Seiten abgewinnen. So verspricht sich die CISL von einer Konzentration der Tarifpolitik auf produktive Großbetriebe bessere Ergebnisse, zum Beispiel in Form von Aktienfonds und Gewinnbeteiligungsprämien. Dies hätte jedoch umgekehrt zur Folge, dass in manchen Betrieben nicht einmal mehr der Inflationsausgleich garantiert werden könnte. Politisch trauern viele in der CISL den Zeiten nach, in denen Italien von der christlich-sozialen Mitte regiert wurde, garantierte dies doch dem christlichen Gewerkschaftsbund einen privilegierten Zugang zur Regierungspolitik. Daran knüpfte der langjährige CISL-Generalsekretär Sergio D’Antoni an, als er sich selbst als Führer einer neuen "dritten politischen Kraft" ins Spiel brachte. Im Oktober trat er als Generalsekretär zurück, um dem rechten und linken "Wahlkartell" (D’Antoni) seine Democrazia Europea entgegenzusetzen. Die politischen Ambitionen D’Antonis stießen nicht nur auf Begeisterung. Besonders die ehemaligen Christdemokraten innerhalb des "Olivenbaum"-Bündnisses befürchten, dass D’Antoni das christlich-soziale Lager weiter spaltet und dadurch Berlusconi zu einem leichten Wahlsieg verhilft. Aber vielleicht möchte D’Antoni ja gerade im Hinblick auf einen wahrscheinlichen Wahlsieg Berlusconis die CISL neu positionieren.

Welche Gewerkschaftsstrategie sich letztlich durchsetzen wird, ist offen. Der klare Sieg der Gewerkschaften in einer Volksabstimmung gegen die Einschränkung des Kündigungsschutzes im Frühling 2000 sowie aktuelle tarifpolitische Beispiele (siehe nebenstehenden Beitrag) zeigen jedoch, dass sich die italienischen Beschäftigten für eine offensivere Gewerkschaftspolitik durchaus mobilisieren ließen.

 

* Roland Erne ist Wissenschaftler am European University Institute San Domenico di Fiesole, Firenze.

Dieser Artikel ist erschienen in express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 11-12/2000
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